Kapitel 21
Am nächsten Abend fand ich mich auf dem Rücksitz von Aidens BMW wieder. Wir waren auf dem Weg zur Geburtstagsfeier von Jonas Mutter Maria. Jona selbst saß auf dem Beifahrersitz und tippte auf seinem Handy herum. Es herrschte betretenes Schweigen im Wagen. Jona und ich sprachen kein Wort miteinander, während Aiden uns gelegentliche Seitenblicke zuwarf und hin und wieder den erfolglosen Versuch startete, das Eis zu brechen. Ein Eis, das noch kälter war, als die Antarktis.
Zu groß war noch immer seine Enttäuschung darüber, dass ich mit seinem ärgsten Erzfeind rumgemacht hatte. Anfangs verärgerte es mich wirklich, dass er die Unverschämtheit besaß, Besitzansprüche an mich zu stellen, wo doch er derjenige war, der mich ständig fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Nachdem Jona mir jedoch an den Kopf geworfen hatte, wie er sich wirklich fühlte und als ich schließlich erfuhr, um wen es sich bei meiner kurzen Liebschaft gehandelt hatte, überkam mich ein schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich immer noch mies deswegen. Doch ich hatte bisher noch keine passende Gelegenheit erwischt, um mich bei Jona zu entschuldigen.
Ich seufzte innerlich.
Dieses Abendessen würde die reinste Katastrophe werden. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich war weder darauf vorbereitet, meine Mutter wiederzusehen noch besaß ich die Kraft, mich den gesamten Abend Jonas Bestrafung in Form von Ignoranz auszusetzen.
Immerhin hatte ich wenigstens heute auf meine üblichen Provokationen in Form von unpassender Kleidung verzichtet. Wenngleich ich mir absolut sicher war, dass Mom auch an meinem heutigen Outfit etwas auszusetzen fand, das aus einer hellblauen Mom Fit Jeans bestand, einem weißen Pullover, den ich in die Hose gestopft hatte und einem schwarzen, dicken Cardigan. Das ganze rundete ich mit meinen Doc Martens ab. Dabei konnte sie sich glücklich schätzen, dass ich meine üblichen Merch T-Shirts von Machine Gun Kelly im Schrank zurückgelassen hatte.
Grimmig beobachtete ich vom Fenster aus, wie wir in die Einfahrt von Jonas Zuhause einbogen. Es bestand aus einer gepflasterten Auffahrt, dessen Eisentore auf Gesichtserkennung reagierten. Wir fuhren einen lange Weg entlang, bis wir an einem wunderschönen Springbrunnen ankamen, der von hübschen Blumen und Rosen gesäumt war. Dahinter ragte ein riesiges Anwesen im toskanischen Stil auf. Alles war in einem schlichten Braun, Beige und Terrakotta gehalten. Jonas Zuhause war unglaublich schön, aber auch verdammt exklusiv. Es war nicht schwer zu erraten, dass seine Familie auf großem Fuß lebte.
Aiden parkte den Wagen. Wir stiegen aus und ich folgte den Jungs zum Eingang. Wir hatten kaum die Tür erreicht, als diese auch schon von Maria höchstpersönlich aufgerissen wurde.
»Jonathan!«, rief Maria und stürzte sich die Treppenstufen hinab in Jonas Arme. Es war eine herzliche Umarmung.
»Feliz cumpleaños, mamá«, gratulierte Jona seiner Mutter und drückte sie voller Liebe an sich. Maria murmelte eine kurze Erwiderung auf Spanisch, die ich nicht verstand. Es war erstaunlich, wie gut Maria Spanisch beherrschte. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich mit ihrem Mann oft in seiner Muttersprache unterhielt, war dies nicht weiter verwunderlich.
Nachdem die beiden sich aus ihrer überaus innigen Umarmung lösten, kam Maria mit einem breiten Lächeln auf mich zu.
»Antonia!«, ihre blauen Augen leuchteten. Maria war eine der hübschesten Frauen, die ich je gesehen hatte. Mit ihrem natürlichen, weißblonden Haar und den stahlblauen Augen verwechselte man sie oft mit einer skandinavischen Schönheit. Ich wäre jedenfalls nicht überrascht, wenn schwedische Vorfahren in ihrem Stammbaum auftauchten.
»Wie schön, dass ich dich endlich mal wieder zu Gesicht bekomme, du wirst immer hübscher, Antonia.«
»Du meinst wohl immer roter«, gluckste Aiden neben mir und zog an einer meiner erdbeerblonden Strähnen.
»He! Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen«, entgegnete ich giftig.
»Aber, aber, Kinder!«, Maria schnaubte und schlug Aiden scherzhaft auf die Schulter. Dann zog sie mich und Aiden in eine kurze, herzliche Umarmung. Wir wünschten ihr beide alles Gute zu ihrem Geburtstag, überreichten ihr einen Blumenstrauß und einen teuren Wein und beteuerten, dass man ihr die sechsundvierzig Jahre noch nicht ansah. Sie titulierte uns als alte Charmeure und bat uns einzutreten. Von innen strotzte das Haus nur so vor Prunk und Pracht. Verglichen mit meinem Elternhaus jedoch, stellten die Romeros ihren Reichtum nicht ganz so sehr zur Schau. Die Räume waren etwas überschaubarer, der Boden bestand nicht wie bei uns aus perfekt poliertem Marmor und auch im Eingangsbereich befanden sich nicht irgendwelche Skulpturen längst verstorbener Künstler. Ganz abgesehen davon hätte Mom sich - im Gegensatz zu Maria - niemals dazu herabgelassen, selbst die Tür zu öffnen. Lieber schickte sie ihre Bedienstete. Hierfür waren sie schließlich eingestellt worden - zum Tür öffnen.
Maria durchquerte den Eingang und führte uns in den Wohn- und Essbereich, hinein in die Höhle des Löwen. Und wie bereits vermutet, wartete dort der Schrecken in Form meiner Mutter. Sie hielt ein Champagnerglas in den Händen und drehte sich gerade in unsere Richtung um, als wir eintraten. Ihr Blick schweifte über Aiden hinweg und ein zufriedener Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Als sie mich dagegen in Augenschein nahm und meine Aufmachung besah, sanken ihre Mundwinkel nach unten. Missbilligung zeichnete sich auf ihren Zügen ab, was ihr Gesicht, das ohnehin schon über eine gewisse Strenge verfügte, noch härter wirken ließ. Ihr rotes Haar trug sie wie immer in einer glatten Hochsteckfrisur. Obwohl einige Leute behaupteten, dass man als Rotschopf keine rote Kleidung tragen sollte, widerlegte meine Mutter dieses Argument, indem sie einen roten Hosenanzug trug, der nicht nur ihrer Figur, sondern ihrem gesamten Aussehen schmeichelte.
»Aiden mein Schatz«, Mom wandte den Blick von mir ab und begrüßte meinen Bruder überschwänglich. Aufgrund Moms Ignoranz mir gegenüber fühlte Aiden sich sichtlich unwohl in seiner Haut.
Allem Anschein nach hatten es sich alle zur Aufgabe gemacht, mich heute mit Ignoranz zu strafen. Wunderbar. Während ich mich ein weiteres Mal fragte, was ich eigentlich hier tat, spürte ich, wie eine gewisse Traurigkeit über mich kam.
Aber ich war stark. Das war ich schon immer.
Ich würde nicht im Selbstmitleid versinken und in derselben Sekunde beschloss ich, meine Krallen auszufahren.
»Hallo Nadja«, begrüßte ich meine Mom, wohlwissend, dass ich sie mit Ansprechen ihres Vornamens verletzen würde. Wobei das Wörtchen verletzen wohl nicht ganz zutreffend war. Viel mehr würde sie sich darüber ärgern.
»Antonia«, ihre giftgrünen Augen legten sich wieder auf mich, während ihre Begrüßung der meinen in Nichts nachstand. Hinter ihr räusperte sich jemand. Es war Dad.
»Hallo Kinder«, er kam hinter Mom zum Vorschein. Anders als Mom umarmte er Aiden und mich zur Begrüßung - sehr zu Moms offensichtlichem Missfallen. Es war nicht schwierig zu erraten, wer der beiden die Hosen in der Beziehung an hatte. Anders als bei Jonas Eltern... Denn nachdem ich mich von Dad gelöst hatte, konnte ich beobachten, wie auch die Begrüßung zwischen Jona und seinem Dad etwas unterkühlt ausfiel. Die beiden standen sich mit etwas Abstand gegenüber.
»Hola, hijo«, hörte ich Miguel sagen.
»Padre«, Jona nickte seinem Dad nur zu. Die beiden sahen sich unglaublich ähnlich. Dieselben verwegenen Gesichtszüge, die gleichen bernsteinfarbenen Augen, die südländische Bräune, selbst von der Statur her glichen sie sich. Verrückt, dass sich lediglich Marias blondes Haar durchgesetzt hatte, wenngleich Jonas Farbe ein klein wenig mehr ins Honigblonde ging.
Nach der Begrüßung und einem kleinen Champagnerempfang - bei dem ich die Einzige war, die nichts angeboten bekam - geleitete Maria uns zu unseren Plätzen. Sicher hatte Mom Jonas Eltern von dem kleinen Zwischenfall an Heiligabend erzählt, weshalb man mich nun von jeglichen Getränken mit Umdrehungen fern hielt. Ich fragte mich, wie ich diesen Abend ohne einen Tropfen Alkohol wohl überstehen sollte.
Wir nahmen Platz und es dauerte nicht lange, bis die Hausangestellten das Essen servierten. Mom, Dad, Miguel und Maria betrieben leichte Konversation über ihre Geschäfte. Auch Aiden brachte sich hin und wieder ein oder gab hier und da einen Kommentar ab. Ganz der Vorzeigesohn, der er war. Ich liebte Aiden wirklich, aber ich fragte mich, ob er nicht irgendwann einmal müde von dem Versuch wurde, immer perfekt zu sein. Ich konnte noch immer nicht fassen, dass er wirklich in Betracht zog, diese Schnepfe namens Olivia Isabella Campbell zu heiraten, mit der ich mich an Aiden und Jonas Silvesterparty um ein Haar geprügelt hatte. Unvorstellbar, dass er sein ganzes Leben, all seine Wünsche aufgab, nur um unseren Eltern zu gefallen.
Mein Blick huschte zu Aiden rüber. Ich betrachtete seine blauen Augen, dasselbe erdbeerblonde Haar. Aiden und ich waren uns so ähnlich und doch wieder nicht. Während ich versuchte, für mich einzustehen, war er ein Gefangener seiner Selbst. Hatte er denn keine Träume? Keine Vorstellungen darüber, wie sein Leben aussehen sollte? Wollte er nicht seine eigenen Erfahrungen machen? Die Wahrheit war, dass ich es nicht wusste. Und es ging mich auch nichts an. Es war sein Leben, nicht meins. Somit musste er auch mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen leben. So traurig es auch sein mochte.
Meine Aufmerksamkeit wanderte weiter zu Jona. Er saß schweigend am Tisch und aß seine Portion des Filets de boeuf en croûte. Auch er machte einen bedrückten Eindruck. War es wegen mir? Wegen dem, was passiert war?
Als hätte er meinen Blick bemerkt, hob er das Gesicht und sah mich an. Mein Herz flatterte.
In seinen bernsteinfarbenen Augen spiegelte sich ein intensiver Ausdruck wider, als sie die meinen kreuzten. Ich konnte nicht ganz definieren, was in ihm vorging.
Ärger? Wut? Traurigkeit? Unsicherheit?
Wir sahen uns kurz an und beschämt schlug ich die Augen wieder nieder. Wie erbärmlich! Ich schaffte es nicht einmal, seinem Blick standzuhalten, nachdem ich solchen Mist gebaut hatte. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so mies gefühlt. Dieser Abend war ein absoluter Reinfall und ich konnte es kaum erwarten, dass er endlich ein Ende fand.
Wir saßen noch eine Weile beisammen und aßen, als plötzlich das Klingeln der Haustür zu hören war. Miguel hob das Gesicht in Richtung Eingang.
»Hast du noch jemanden eingeladen?«, fragte er seine Frau und Verwirrung spiegelte sich auf seinem Gesicht wider.
»Nein, nicht das ich wüsste«, antwortete Maria und schüttelte verständnislos den Kopf. Ihre Augen wanderten in Jonas Richtung, als würde sie ihm eine stumme Frage stellen. Ich folgte ihrem Blick und mich beschlich das Gefühl, als würde sich irgendetwas zwischen den beiden abspielen, wovon niemand sonst wissen sollte. Als Maria allem Anschein nach ihre Antwort von Jona erhalten hatte, versteinerte sie auf ihrem Platz. Jona unterdessen saß nur stumm da, als würde er abwarten.
Miguel schickte seine Haushälterin zur Tür, die kurz darauf wieder zurückkam und Miguel etwas ins Ohr flüsterte. Mr Romero versteifte sich und ein kalter, abweisender Ausdruck tauchte auf seinem Gesicht auf.
»Entschuldigt mich für eine Sekunde«, er warf seine Serviette auf den Teller, erhob sich und folgte der Haushälterin in den Eingangsbereich. Ich konnte beobachten, wie Jona Anstalten machte, ebenfalls aufzustehen. Doch Maria schüttelte bestimmend den Kopf und bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. Jona ballte die Hände zu Fäusten und ein harter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Er wirkte wütend und enttäuscht.
Was zur Hölle ging hier vor?
Ich schaute kurz zu meinen Eltern und Aiden, ob sie dieses seltsame Schauspiel, das sich soeben abgespielt hatte, ebenfalls mitbekommen hatten. Doch meine Familie war viel zu sehr damit beschäftigt, über irgendwelche Bauprojekte zu sprechen, als dem Offensichtlichen Aufmerksamkeit zu schenken. Typisch.
Nach kurzer Zeit kam Miguel Romero zurück. Sein Gesicht wirkte wie eine undurchdringliche Maske, als er Platz nahm und sich mit einem gespielten Lächeln wieder ins Gespräch einklinkte. Maria und Jona dagegen waren beide etwas aufgekratzt. Fast schon niedergeschlagen. Maria erholte sich schnell wieder. Auch sie setzte ein breites Lächeln auf und begann mit meiner Mutter zu scherzen. Doch Jona... Jona nicht. Er schien noch schlechtere Laune zu haben, als vorher. Falls das überhaupt möglich war.
Irgendwann servierte Bea, das Hausmädchen, das Dessert. Und schließlich beim Dessert, richtete zum ersten Mal jemand das Wort an mich. Es war Maria.
»Ich habe gehört, dass du nun vor hast eine Kunstschule zu besuchen?«, fragte sie und wirkte ehrlich interessiert. Ihre Frage überrumpelte mich völlig, da ich angenommen hatte, meine berufliche Zukunft sei ein absolutes Tabu Thema. Hatte Mom Maria etwa nicht instruiert über die heutigen Gesprächsthemen?
»Oh ähm, ja, das ist richtig. Ich werde ab Mai an der School of the Art Institute of Chicago anfangen«, bestätigte ich, unsicher darüber, wie Maria wohl dazu stehen würde. Ich warf einen kurzen Seitenblick zu Mom und Dad. Dad lächelte mich aufmunternd an, während Mom auf ihrem Stuhl zur Salzsäule erstarrte. Die Temperatur im Raum schien um zehn Grad zu sinken. Ganz offensichtlich war dies nicht das, was Mom unter anregender Komversation verstand. Pech.
»Ich habe gehört, dass die Aufnahmekriterien nicht leicht sind, man muss wohl sehr gut sein, um aufgenommen zu werden, oder?«, auch Maria warf meiner Mom einen kurzen Seitenblick zu. Versuchte Jonas Mutter gerade das Eis zwischen meiner Mom und mir zu brechen? Das war zwar wirklich nett von Maria, aber ich bezweifelte, dass Nadja Dorothy Carpell jemals akzeptieren würde, dass ich mein Studium abgebrochen hatte, um meinem Hobby nachzugehen. Eher würde sie nackt durch ganz Hinsdale flitzen.
Ein Bild erschien vor meinem inneren Auge. Ein Bild, das ich angewidert vertrieb.
»Ja, die Aufnahmekriterien sind tatsächlich nicht so einfach«, pflichtete ich ihr nickend bei und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Crème Brûlée vor mir.
»Gratulation, Tony, du scheinst wirklich Talent zu haben.«
»Danke«, ich spürte wie Stolz in meiner Brust anschwoll. Zum ersten Mal in meinem Leben teilte mir jemand mit, dass er es toll fand, dass ich meinen Träumen nachging. Ich wurde nicht verurteilt oder belächelt für das, was ich tat. Es war ein schönes Gefühl...
»Es freut mich, dass du deine Erfüllung gefunden hast. Vielleicht könntest du mir ja etwas für in den Salon malen? Ich würde dort gerne noch etwas Kunst anbringen, es wirkt so kahl und...«, Maria kam nicht dazu, weiter zu sprechen, da meine Mom ihr ins Wort fiel.
»Um ein großer Künstler zu werden, braucht es schon etwas mehr, als ein paar Stillleben, Portraits oder lächerliche Bilder von irgendwelchen Universen«, Moms Stimme war schneidend. Ihre Worte quollen beinahe über vor Sarkasmus und obwohl ich mir schon so oft hatte Beleidigungen von ihr anhören müssen, tat diese besonders weh.
... oder lächerliche Bilder von irgendwelchen Universen.
Ich hasste meine Mutter. Aus tiefstem Herzen. Wie konnte man nur derart unmenschlich und gemein sein? Nicht einmal dieses eine Kompliment von Jonas Mom hatte sie mir gegönnt.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf Mom und aus kalten, eisigen Augen sahen wir uns gegenseitig an. Lieferten uns ein Blickduell der nächsten Klasse.
»Wenigstens ist mein Hobby etwas Sinnvolles, im Vergleich zu deinem, das nur daraus besteht ein Geschäft nach dem anderen abzuschließen, um Zuhause die Geldscheine zu zählen.«
Aiden, der neben mir saß, sog scharf die Luft ein. Auch Dad rutschte peinlich berührt auf seinem Platz hin und her und warf entschuldigende Blicke in Miguel und Marias Richtung. Doch Mom... Mom zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie schaute mich einfach nur mit diesem reglosen, strengen Gesichtsausdruck an.
»Immerhin verdiene ich mein eigenes Geld, was man von dir nicht behaupten kann. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie du dir deine kleine Kunstschule zu finanzieren gedenkst.«
Bei ihren Worten warf ich einen kurzen Blick in Dads Richtung und erinnerte mich daran, wie er vor einigen Wochen in Aidens und Jonas Wohnung aufgetaucht war, um mir seine finanzielle Unterstützung zuzusichern. Dad wirkte gehetzt. Er hatte sicher Angst, dass ich unsere geheime Übereinkunft verraten würde. Hastig wandte ich den Blick wieder von ihm ab. Ich würde es meiner Mom bestimmt nicht auf die Nase binden, nur um sie zu ärgern und somit meine Zukunft aufs Spiel setzen. Nein, so dämlich war ich nun doch wieder nicht.
Selbstverständlich lag mir eine schlagfertige Erwiderung auf der Zunge. Doch ich durfte nicht vergessen, wo ich war. Ich durfte nicht vergessen, dass ich hier im Hause der Romeros war. Dass wir aus einem bestimmten Grund hier waren. Wir feierten Marias Geburtstag, den ich ihr unter keinen Umständen versauen wollte. Ich hatte nicht das Recht, die privaten Streitigkeiten mit meiner Mutter hierher zu tragen. Schon ganz und gar nicht an diesem besonderen Tag.
»Ich schaffe das. Auch ohne deine Hilfe, du wirst schon sehen«, entgegnete ich stattdessen, ließ es mir aber nicht nehmen, mir provokant einen Löffel Crème Brûlée in den Mund zu stopfen und meiner Mom einen arroganten Blick zuzuwerfen.
Allmählich verlor sie die Fassung. Sie kochte innerlich. Ja, ich wusste ganz genau, wie ich sie auf die Palme bringen konnte.
»Oh ja, ich freue mich schon darauf zu sehen, wie du wieder angekrochen kommst, nach Geld bettelnd und darauf hoffend, wieder ins Familienunternehmen einsteigen zu dürfen«, Mom verlor die Kontrolle. Sie redete sich in Rage und sie war noch lange nicht fertig mit mir. Dabei bemerkte sie nicht einmal, wie es am Tisch ganz still wurde. Wie Miguel und Maria sich unwohl in ihren Stühle wanden. Wie sie Marias Geburtstag den Todesstoß verpasste.
»Talent reicht nicht aus. Und als wäre das nicht schon genug, bist du launenhaft, inkonsequent und faul. Du wirst es an dieser Kunstschule schlicht und ergreifend nicht weit bringen. Ohne deinen Vater und mich bist du ein Nichts...«,
»Das reicht, Mrs Carpell«, Jonas Stimme durchschnitt den Raum und unterbrach meine Mutter in ihrer Schimpftirade. Überrascht hielt sie inne und schaute in Jonas Richtung. Fast schon wirkte sie verärgert über seine Unterbrechung.
Ich dagegen war überrascht und gleichzeitig auch wieder nicht.
Schon als ich klein war, hatte sich niemand für mich eingesetzt. Nicht Dad, nicht Aiden, und auch sonst niemand. Niemand außer Jona. Und so war es auch jetzt. Wieder einmal hatte er Partei für mich ergriffen. Mich beschützt. War für mich da... Obwohl ich solchen Mist verzapft hatte. Mir wurde warm ums Herz. Doch so sehr ich es auch zu schätzen wusste, dass Jona sich für mich einsetzte, so wollte ich doch für mich selbst einstehen. Ich brauchte niemanden, der mich beschützte. Ich war erwachsen - so weit man das mit neunzehn Jahren sein konnte - und wollte meiner Familie, insbesondere meiner Mom zeigen, dass ich aus meinen Kinderschuhen entwachsen war. Dass ich eine selbstständige Person war, die sich nicht mehr unterbuttern ließ.
Aus diesem Grund erhob ich mich von meinem Stuhl und warf die Serviette auf den Tisch.
Ich richtete mein Wort an Miguel und Maria.
»Vielen lieben Dank für die Einladung, aber ich werde jetzt nach Haus gehen. Es tut mir leid, dass dieser Abend eine solche Wendung genommen hat. Bitte Entschuldigen Sie vielmals. Ich wünsche Ihnen trotzdem noch einen angenehmen Abend.«
Miguel und Maria starrten mich sprachlos an. Auf Marias Gesicht jedoch konnte ich den Anflug von Mitgefühl erkennen. Doch die beiden übten sich weise in Zurückhaltung und wagten es nicht, sich in den Rosenkrieg einzumischen, der zwischen Mom und mir herrschte.
Mom hüllte sich ebenfalls in betretenes Schweigen. Sie schien wohl auch begriffen zu haben, dass sie den Geburtstag der Romeros ruiniert hatte. Tja, wie die Mutter so die Tochter, was? Offenbar hatte nicht nur ich die Begabung, Familienzusammenkünfte zu ruinieren. Jetzt wusste ich wenigstens, woher dieses Talent herrührte.
Ich schob meinen Stuhl zurück, um zu gehen als plötzlich ein weiterer Stuhl nach hinten geschoben wurde. Es war Jonas.
»Ich werde dich begleiten.«
Ich hob den Blick und entgegnete dem seinen.
Wieder machte mein Herz einen Sprung und dieses Mal ließ ich Jona gewähren.
»Ich fahre euch«, hörte ich Aiden neben mir sagen, der auch Anstalten machte, sich zu erheben.
»Aiden!«, zischte meine Mutter. »Du bleibst gefälligst hier.«
Aiden hielt mitten in der Bewegung inne und seine blauen Augen huschten zwischen Mom, Jona und mir hin und her.
»Aber die beiden sind mit mir gefahren, sie kommen sonst nicht nach Hause.«
»Dann überlass ihnen dein Auto. Dein Vater wird dich später nach Hause bringen.«
Aiden zögerte kurz. An dem Spiel seiner Mimik konnte man erkennen, dass es ihm eindeutig gegen den Strich ging, wie sie über ihn bestimmte. Wie sie über Dad bestimmte... Doch ganz der Vorzeigesohn, der Aiden nun einmal war, griff er mit gesenktem Kopf in seiner Tasche nach dem Autoschlüssel und ließ ihn in Jonas ausgestreckte Hand plumpsen.
Wieder verspürte ich Zorn in mir. Zorn darüber, wie Mom mit uns allen umging. Wie sie mit Aiden umging... Am liebsten hätte ich Aiden verteidigt, hätte für ihn gesprochen und Mom die Leviten gelesen. Aber ich wusste, dass Aiden das nicht wollen würde. Ich würde dadurch nur einen weiteren Streit vom Zaun brechen und dem ohnehin gescheiterten Abend die Krone aufsetzen.
Also verstummte ich und folgte Jona ohne einen einzigen Blick über die Schulter nach draußen. Ich wollte nur noch weg von hier. Weg von diesem misslungenen Abend. Weg von all den Problemen. Weg von meiner Rabenmutter und weg von dem lebenden Beweis, der mir immer und immer wieder einzureden versuchte, wie wertlos ich doch war.
Aber das war ich nicht.
Und das begriff ich nun.
Ich war stark.
Ich war schön.
Und ich war verdammt nochmal talentiert!
Ich war Tony Carpell und ich würde meine Träume verfolgen. Koste es was es wolle.
☆
Die Autofahrt verlief relativ ruhig, auch wenn mein Puls auf Hochtouren arbeitete, da ich mit Jona alleine war. Seine Nähe machte mich wie immer nervös. Wir sprachen nach wie vor kaum ein Wort. Irgendwann entschied ich mich aber dazu, dieses Schweigen zu beenden.
»Danke, dass du dich für mich eingesetzt hast. Das hättest du nicht tun müssen.«
Jona schwieg einen Moment lang, bevor er zu sprechen begann.
»Doch, das hatte ich tun müssen. Niemand hat das Recht so mit dir zu reden.«
Wieder wurde mir warm ums Herz. Es war schön zu sehen, dass er sich um mich sorgte. Es bedeutete, dass ich ihm wichtig war. Auch wenn ich das bereits gewusst hatte. Die große Frage jedoch war, ob ich ihm so wichtig war, dass er Gefühle für mich empfand. Gefühle, die über eine platonische Ebene hinausgingen.
»Hör zu, Jona«, begann ich unsicher. »Ich wollte mich noch bei dir entschuldigen. Ich habe mich ziemlich daneben benommen auf der Party. Ich wusste nicht, wer Ollie wirklich ist und...«, ich stockte kurz. »Ich hätte ihn nicht küssen sollen. Es war ein Fehler. Ich hoffe, du verzeihst mir.«
»Alles gut, Tony. Ist schon vergessen«, die Art und Weise, wie sich Jonas Hände um das Lenkrad versteiften, wie seine Knöchel weiß hervortraten, strafte seiner Worte Lüge. Er war noch immer verärgert, das war sonnenklar. Aber immerhin schien er ein wenig Nachsicht zu zeigen.
»Weißt du Tony«, begann er plötzlich und presste nachdenklich die Lippen zusammen. »Ich habe mich vielleicht auch nicht immer richtig verhalten. Ich habe nie Klartext gesprochen, habe dich an mich herangelassen, nur um dich dann wieder wegzustoßen. Das war nicht richtig. Nicht gesund... Ich habe dir nie gesagt, was wirklich in mir vorging. Nicht bis zu der Party. Das hätte ich schon viel früher tun sollen. Es tut mir auch leid.«
Erstaunt hob ich das Gesicht und sah ihn an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Doch ich freute mich darüber, dass Jona zu seinen Fehlern stand, dass er endlich ehrlich mit mir war und aussprach, was er dachte und fühlte.
Ich nickte.
So etwas wie Waffenstillstand herrschte plötzlich zwischen uns und für den Rest der Fahrt trat eine angenehme Stille zwischen uns ein. Als wir schließlich in die Tiefgarage fuhren und Jona den Motor ausschaltete, blieb er für ein paar Sekunden sitzen und starrte nachdenklich aus dem Fenster.
»Gib mir etwas Zeit, Tony, ja?«, sagte er plötzlich.
Ich sah ihn an und wusste sofort, worüber er sprach. Er sprach über uns.
»Ich muss erst einmal herausfinden, was ich möchte, was das zwischen uns ist und... und wie das alles funktionieren soll. Du weißt schon«, fügte er hinzu. »Wegen Aiden und so.«
»Ja, okay«, sagte ich schlicht und ergreifend. Weiterer Worte bedurfte es nicht. Jona nickte, ohne mich anzusehen. Er wirkte fast schon etwas schüchtern. Mir erging es nicht anders.
Und zum ersten Mal gestattete ich mir die leise Hoffnung, dass aus uns vielleicht, aber auch nur vielleicht, doch mehr werden könnte, als Freunde...
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