Kapitel 15
Milo war die gesamte Fahrt zum Appartement seiner Bekannten ziemlich schweigsam. Ich warf ihm immer wieder besorgte Seitenblicke zu, während er die vorbeiziehenden Häuser Chicagos betrachtete.
Irgendwann beschloss ich, die endlose Stille zu durchbrechen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig und warf ihm einen weiteren Blick zu. Milos braune Augen wirkten traurig, leer. Ein Anblick, der mir nur allzu bekannt war und der jedes Mal aufs Neue meinen Beschützerinstinkt heraufbeschwor.
»Hat es etwas mit diesem neuen Kerl zu tun, den du kennengelernt hast?«, fragte ich skeptisch, jederzeit bereit dazu, Milos neue Flamme mit Flüchen in die Hölle zu schicken.
»Nein, Ben hat nichts damit zu tun«, er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Jedenfalls nicht direkt.«
Milo seufzte.
»Es ist vielmehr die Tatsache, dass er so weit weg wohnt. Ich meine... England? Echt jetzt? Wie soll das bloß funktionieren?«, kopfschüttelnd wandte er sich wieder dem Fenster zu.
Unterdessen suchte ich nach den richtigen Worten, um meinem besten Freund beizustehen. Ich hatte nicht viel Erfahrungen mit Fernbeziehungen - glücklicherweise - aber ich war dennoch der Überzeugung, dass es funktionieren konnte.
»Ich möchte es nicht beschönigen, Milo, eine Fernbeziehung zu führen, ist sicherlich keine leichte Sache. Aber dennoch bin ich überzeugt davon, dass es klappen kann, wenn beide sich wirklich lieben. Wirf nicht gleich die Flinte ins Korn, nur wegen den ersten Hindernissen. Sieh es als Herausforderung und gib Ben eine Chance. Lerne ihn kennen.«
Erneut hörte ich Milo seufzen.
»Vielleicht hast du recht. Ich mache mir einfach zu viele Gedanken.«
Ich spürte, dass Milo nicht mehr über dieses Thema sprechen wollte, also beließ ich es dabei und wechselte das Thema.
Nach einer zehnminütigen Fahrt, setzte ich den Blinker und bog nach links in eine Straße ein, in der sich unser Ziel befand. Ein Altbau mit rotem Ziegelstein und schwarzen Fenstern ragte zu meiner rechten auf. Ich lenkte den Wagen in eine Parklücke unmittelbar vor dem Haus, stoppte den Motor und stieg aus. Milo tat es mir gleich. Sofort schlug uns die Kühle Januarluft entgegen. Ich fröstelte leicht und zog den Kragen meiner Jacke etwas höher.
Mein Blick wanderte und nahm eine kleine Treppe in Augenschein, die hinauf zu einer Haustür aus dunklem Holz führte. Nervosität machte sich in meinem Innern breit, obwohl ich nicht einmal genau wusste, weshalb. Immerhin besichtigte ich ja nur eine Wohnung. Doch die Tatsache, dass es sich um eine Wohngemeinschaft mit drei weiteren Mädels handelte, feuerte meine Aufregung weiter an. Als hätte Milo meine Unruhe bemerkt, begann er zu schmunzeln
»Mach dir keine Sorgen, Tony, sie sind alle drei super entspannt«, er kräuselte die Lippen. »Wenn auch etwas eigenartig.«
»Soll mich das etwa beruhigen?«, ich hob eine Braue. Milo dagegen kicherte lediglich. Gemeinsam traten wir den Weg zur Haustür an. Als Milo die Türklingel betätigte, wäre ich am liebsten schreiend davongerannt. Aber stattdessen nahm ich einen tiefen Atemzug, straffte die Schultern und folgte meinem besten Freund in das Innere des Hauses, als ein Summen ertönte.
»Die Wohnung ist im ersten Stock«, erklärte er mir über die Schulter, als ich hinter ihm die Treppe nach oben stieg.
Und dann waren wir da.
»Milo, hey!«, ein Mädchen mit brustlangem dunkelbraunem Haar zog meinen besten Freund in eine herzliche Umarmung. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen und ihre schokobraunen Augen funkelten voller Wärme. Sie war etwa einen Kopf größer als ich, trug eine gerade geschnittene Jeans, die ihr locker auf den Hüften saß und ein bauchfreies schwarzes Tanktop, das etliche Tattoos an ihren Armen entblößte. Besonders fiel mir ein Regenbogen Tattoo an ihrem rechten Arm auf.
Nachdem Milo und sie sich aus ihrer Umarmung lösten, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich. Mit einem freundlichen Lächeln bedachte sie mich und streckte mir ihre Hand entgegen.
»Hi, du musst Antonia sein, ich bin Roxy.«
»Hey, schön dich kennenzulernen«, ich ergriff ihre Hand und erwiderte ihr Lächeln. »Du kannst Tony zu mir sagen.«
Roxy nickte, ließ meine Hand los und trat ein Stück zurück in die Wohnung. Sofort schmiegte sich ein kleiner, grauer Kater um ihre Beine.
»Oh, das ist Tornado«, Roxy bückte sich und nahm den kleinen Fellknäul auf die Arme. »Ich hoffe du hast keine Katzenallergie?«, sie zwinkerte mir zu.
»Oh absolut nicht, ich liebe Katzen, auch wenn ich eher der Hundetyp bin«, ich folgte ihrer Aufforderung, einzutreten.
»Oh, da wirst du dich mit Luna gut verstehen« Roxy hielt mir die Haustür auf.
Die Wohnung gefiel mir auf Anhieb. Es glich einer Art Loft, das im Boho Style erstrahlte. Die Wände waren genau wie außen in einem roten Ziegelstein, während die Möbel - alle aufeinander abgestimmt. - in Schwarz- und Weißtönen erstrahlten. Zudem war es aufgeräumt, sauber und modern.
Eine kleine Treppe führte nach oben in einen zweiten Stock, wo sich allem Anschein nach die Schlafzimmer befanden und von wo aus laute Musik zu hören war.
Ich erkannte das Lied.
Queen, Bohemian Rhapsody.
Jemand schien wohl einen ausgezeichneten Musikgeschmack zu haben.
»Mädels«, brüllte Roxy laut durch das Appartement. »Bewegt eure Ärsche runter, wir haben Besuch.«
Ich zuckte leicht zusammen, da Roxy ein ordentliches Organ zu besitzen schien. Im nächsten Moment war ein Fluchen zu hören, ein Poltern und dann erschienen zwei weitere Mädchen auf der Galerie und hielten auf die Treppe zu. Sie unterhielten sich angeregt. Eine von ihnen hatte hellblondes Haar, das sie auf ihrem Kopf zu einem Knoten zusammengebunden hatte und trug eine schwarze Jogginghose sowie ein lässiges weißes T-Shirt, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Auch ihr Körper war übersät von Tattoos, mehr noch, als es bei Roxy der Fall war. Das andere Mädchen dagegen schien das absolute Gegenteil zu sein. Sie war top gestylt in ihrem rosa geblümten Minikleid, den roséfarbenen Stöckelschuhen und dem glatten, hellbraunen Haar, das ihr bis zur Schulter reichte.
Beide hielten sie nun auf Roxy und mich zu.
»Darf ich vorstellen, Girls? Das ist Tony«, Roxy deutete auf mich und grinste ihre Freundinnen breit an.
Die Blondhaarige kam zuerst bei uns an und schenkte mir ein freundliches, aber distanziertes Lächeln.
»Hallo, ich bin Luna«, genau wie Roxy bot auch sie mir ihre Hand an. Ich ergriff sie.
»Schön dich kennenzulernen«, erwiderte ich, ehe ich auch schon von dem anderen Mädchen in eine Umarmung gezogen wurde.
»Ich bin Nova«, sie grinste breit, als sie mich wieder freigab und versuchte, ihre geglättete Mähne zu bändigen, denen man direkt ansah, dass sie von Natur aus lockig waren.
Roxy drehte sich wieder zu mir um.
»Bereit für eine kleine Roomtour?«
Zwei Stunden später saß ich nach einer ausgiebigen Besichtigungsrunde, viel Gelächter und Novas gesamter Lebensgeschichte mit Milo in ihrem Loft auf dem gemütlichen schwarzen Sofa und stopfte mir eine Sushi Roll in den Mund.
Es hatte sich herausgestellt, dass wir alle eine Schwäche für das japanische Essen besaßen und so waren wir auf die Idee gekommen, uns zu Mittag etwas von dem Japaner um die Ecke zu holen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, doch die drei Mädchen hatten mir auf Anhieb ein gutes Gefühl vermittelt. Wir verstanden uns super und in ihrer Gegenwart hatte ich mich sofort wohl gefühlt. Sie machten einen durch und durch authentischen Eindruck und schienen einfach - sie selbst zu sein. Das gefiel mir.
Obwohl sie ein zusammengewürfelter, bunter Haufen waren, die gegensätzlicher nicht hätten sein können, schienen sie die besten Freundinnen zu sein. Sie ergänzten sich auf eine Weise, wie ich es noch nie bei einer Freundschaft erlebt hatte.
Und ich musste gestehen - ich war ein wenig neidisch.
Klar, ich hatte Milo. Meine Freundschaft zu ihm war ebenso etwas Besonderes und ich wollte ihn um keinen Preis der Welt missen. Aber er war auch mein einziger Freund. Außer ihm hatte ich niemanden. Absolut niemanden. Doch da war ein kleiner Funke Hoffnung in mir, der mir zuflüsterte, dass ich womöglich ebenfalls zu dieser bunten und lebensfrohen Clique gehören könnte.
Ich ließ meinen Blick noch einmal über meine möglicherweise zukünftigen Mitbewohnerinnen wandern. Oh ja, das Wörtchen bunt beschrieb die drei ganz und gar treffend.
Nova war absolut und vollkommen verrückt. Dem äußeren Schein nach wirkte sie auf den ersten Blick wie eine wahre Prinzessin mit ihren schicken Kleidern und dem zurechtgemachten Äußeren, doch sobald man sich länger mit ihr unterhielt, glich sie eher einem streitlustigen, kleinen Teufel. Davon mal abgesehen hatte sie mir direkt ihre gesamte Lebensgeschichte erzählt - welche Verrücktheiten sie früher alle angestellt hatte und dass sie noch immer ihrem Exfreund Scott nachtrauerte, der mittlerweile wegen Körperverletzung im Knast saß. Aber nichtsdestotrotz schien Nova eine unglaublich liebenswerte Person zu sein, die ich von der ersten Sekunde an ins Herz schloss. Womöglich gerade wegen ihrer Offenheit und ihrem ansteckenden Lachen. Sie lachte wirklich über alles.
Luna konnte angesichts Novas Erzählungen nur immer wieder den Kopf schütteln und hin und wieder quittierte sie deren Worte mit einem Seufzen, das mehr als tausend Worte aussagte. Luna war die zurückgezogenste von allen, aber mich beschlich das Gefühl, dass genau sie diejenige war, mit dem größten Herzen. Sie war der Fels in der Brandung, der die gesamte Truppe zusammenhielt. Außerdem erzählte sie mir, dass sie leidenschaftlich gerne sang, Vegetarierin war und - wie Roxy bereits erwähnt hatte - ihren kleinen Kater Tornado über alles liebte, wenngleich sie eher ein Hundetyp war.
Roxy währenddessen erinnerte mich ein wenig an einen Einzelgänger. Die meiste Zeit verbrachte sie mit ihrem Handy auf Tumblr und repostete irgendwelche tiefsinnige Sprüche. Das Hintergrundbild auf ihrem Handy, das zwei Frauen zeigte, die sich leidenschaftlich küssten, beantwortete die Frage, die mir schon die ganze Zeit über auf der Zunge lag - Roxy stand auf Frauen. Ob sie und Milo sich deshalb angefreundet hatten? Weil sie das gleiche Schicksal teilten? Hatte Roxy auch einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie zu sich selbst hatte stehen können?
»Wie siehts aus, habt ihr vielleicht Lust, den Rest des Tages noch mit uns zu verbringen? Wir wollten in die Fashion-Outlet-Mall in Rosemont«, Luna warf Milo und mir einen fragenden Blick zu.
»Ich denke ich bleibe hier, da ist diese neue Staffel meiner Lieblingsserie auf Netflix rausgekommen, die ich gerne...«, setzte Roxy an, doch Luna fiel ihr sogleich mit einem harschen Ton ins Wort.
»Vergiss es. Ich akzeptiere kein Nein. Du kommst mit, ob du willst oder nicht. Es bringt nichts, wenn du dich tagelang in der Wohnung verschanzt und ihr hinterher trauerst. Das werde ich nicht zulassen.«
Lunas Worte waren hart, aber augenscheinlich wahr, denn Roxy ließ sich etwas tiefer ins Sofa sinken und verzog schuldbewusst das Gesicht. Offenbar versuchte sie gerade eine Trennung zu überwinden.
Luna richtete ihre fragenden Blicke wieder auf mich und Milo.
Ich kannte die Mall, von der sie gesprochen hatte. Es war eine etwa vierzigminütige Fahrt von hier aus. Doch es lohnte sich. Das Fashion Outlet war wirklich riesig und bot viele tolle Möglichkeiten, sein Geld loszuwerden. Wenngleich ich es mir in meiner aktuellen finanziellen Lage nicht gerade leisten konnte, verschwenderisch zu sein, so überkam mich doch die Lust auf einen Shopping Nachmittag.
Milo und ich warfen uns einen Blick zu, dann grinsten wir beiden.
Das war Antwort genug.
☆
Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt so viel Spaß gehabt hatte. Niemals hätte ich zu träumen gewagt, dass ich so einfach Freundschaften schließen würde. Doch die drei Mädels zu mögen war beinahe so leicht wie das Atmen. Wir lachten, alberten herum und ärgerten Milo - der am heutigen Tag der Hahn im Korb war. Doch ihm schien es absolut nichts auszumachen, unter uns der einzige Vertreter der männlichen Spezies zu sein. Er genoss es regelrecht und machte sogar selbst Scherze darüber.
Roxy und Luna hatten in etwa denselben Kleidergeschmack; schlicht, gemütlich und trotzdem trendy, während Novas Vorliebe mehr die Vorzüge der weiblichen Reize zum Vorschein brachte. Nova war der Inbegriff von Girly. Zudem ließ sie es sich nicht nehmen, den gesamten Nachmittag live auf ihrer Instagram Seite zu dokumentieren, denn Nova war Bloggerin - mit fast einer halben Million Follower. Sie bloggte über Fashion, Lifestyle und gesunde Ernährung. Als sie mir den Namen ihres Blogs verriet, konnte ich mir nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen.
Life of Nova.
Den gesamten Nachmittag verbrachten wir damit, durch die Mall zu bummeln und uns besser kennenzulernen. Ich erfuhr, dass Luna schon seit drei Jahren in festen Händen war und mit Dean, der eine leitende Postion in einer Automobilbranche innehatte, liiert war. Die Details über Novas Liebesleben kannte ich bereits. Roxy dagegen schien schon seit ein paar Wochen erfolglos zu versuchen, mit der Trennung von ihrer Exfreundin Sage, fertig zu werden. Dies entnahm ich den zahlreichen Gesprächen, die zwischendurch immer wieder auf dieses Thema fielen.
Arme Roxy.
Ich konnte nur zu gut nachempfinden, wie sie sich fühlte.
Schließlich hatten wir uns bei Starbucks niedergelassen und gönnten uns eine kleine Pause. Ich nippte gerade an meinem Karamell-Frappuccino, als Nova eine Frage an mich richtete, die mich etwas überrumpelte.
»Wie sieht es bei dir aus, Tony? Hast du jemanden oder bist du Single?«
Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und Milo tätschelte mir sogleich den Rücken.
Ich wollte Novas Frage bereits verneinen, als sie auf ihrem Platz in die Höhe hüpfte und mit einem ihrer perfekt manikürten Finger auf mich zeigte.
»Ha!«, rief sie triumphierend aus. »Erwischt! Es gibt jemanden, hab ich recht?«
Ich räusperte mich, während sich vier Augenpaare auf mich richteten. Es war mir ein wenig unangenehm den drei von der Sache mit Jona zu erzählen, zumal ich sie ja erst seit ein paar Stunden kannte. Doch als ich nun in ihre neugierigen Gesichter blickte, wusste ich, dass ich ihnen vertrauen konnte. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, woher dieses Gefühl rührte, aber es war da.
»Du musst nich darüber reden, wenn du nicht möchtest«, sprang Luna sofort für mich in die Bresche und warf mir einen verständnisvollen Blick zu, der besagte, dass sie mich zu nichts zwingen wollten.
»Nein, schon gut«, ich schüttelte den Kopf. »Da gibt es tatsächlich jemanden. Er heißt Jona.«
Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich seinen Namen aussprach. Sogleich verschwand es jedoch wieder.
»Aber das ist nur eine blöde Schwärmerei«, ich winkte ab. »Es würde ohnehin nicht funktionieren, denn er ist der beste Freund meines Bruders.«
»Und dein Bruder ist gegen eure Beziehung?«, fragte Luna. In ihre blauen Augen trat ein Anflug von Mitgefühl. Sie war ein aufmerksamer Zuhörer, das spürte ich sofort.
Ich nickte. »Mein Bruder würde es niemals zulassen. Ich hatte schon einmal einen Freund meines Bruder gedatet und es ging ziemlich übel aus. Deshalb nahm er mir nun das Versprechen ab, dass so etwas niemals wieder passieren dürfe, insbesondere nicht mit Jona«, erklärte ich den Dreien.
»Aber wenn ihr euch doch liebt!«, warf Nova ein und verzog traurig das Gesicht.
Ich tat ihre Aussage mit einem Seufzen ab.
»Ich glaube nicht, dass Jona dasselbe für mich empfindet. Wir sind uns zwar letztens etwas...«, ich räusperte mich und spürte, wie ich errötete. »Wir sind uns etwas näher gekommen, aber wir waren beide betrunken und...«
Nova fiel mir sofort wieder ins Wort.
»Habt ihr miteinander geschlafen?«, fragte sie freiheraus ohne jegliche Scham und sah mich neugierig an. »Was hat er gemacht? Und was hast du gemacht?«
Ihre Frage traf mich völlig unvorbereitet und ich spürte, wie ich puterrot wurde.
»Nova! Überfall sie doch nicht so«, mahnte Luna ihre Freundin. »Das ist etwas sehr Intimes.«
Ich wusste es zu schätzen, dass Luna mich verteidigte, aber als ich meine Stimme wiederfand, beantwortete ich Novas Frage dennoch.
»Na ja, wir haben nicht miteinander geschlafen, aber er... er hat bei mir«, ich bekam die Worte kaum über die Lippen. Womöglich lag es daran, dass ich noch nicht so viele Erfahrungen im Bezug auf Sex gesammelt hatte, aber ich konnte es einfach nicht aussprechen.
»Ich glaube, wir können uns denken, was du meinst«, Roxy nickte verstehend mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Sie zwinkerte mir zu. »War es denn wenigstens gut?«
Wieder schoss mir das Blut in die Wangen.
»J-Ja...«, erwiderte ich schüchtern, dann verdunkelte sich mein Gesicht. »Bis er mich mit den Worten, dass ich es doch vergessen solle und nichts zwischen uns passiert sei, stehen ließ. Seither ignoriert er mich. Aber das schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich momentan noch bei ihm und meinem Bruder wohne. Ihn jeden Tag zu sehen ist die reinste Folter.«
»Was ein Schwein«, hörte ich Roxy grummeln, während Nova ihr entrüstet zustimmte.
»Typisch für Männer in unserer heutigen Gesellschaft«, murmelte Luna. »Alle haben sie Bindungsängste.«
»Nicht nur die Männer«, warf Roxy mürrig ein und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, während sich ein Schleier der Traurigkeit über ihr Gesicht legte. Sofort ergriff Nova Roxys Hand und sah sie mitfühlend an.
»Ach Roxy!«, entgegnete sie.
»Du hast jemand Besseren verdient«, meldete sich sogleich auch Luna zu Wort mit einer liebevollen Strenge in der Stimme. Sie warf Roxy einen ernsten Blick zu. Diese zuckte nur mit den Achseln.
»Ich möchte aber niemand anderen.«
Luna rollte genervt die Augen, als hätte sie diesen Spruch in den letzten Wochen schon tausend Mal gehört, während Nova lediglich weiterhin Roxys Schulter tätschelte.
Lunas Blick richtete sich wieder auf mich.
»Es ist die richtige Entscheidung, auszuziehen, Tony.«
Ich begegnete Lunas blauen Augen und plötzlich kam es mir vor, als würde sie tief in meine Seele blicken, jeden einzelnen Zentimeter, jede Ecke und jede Schublade erforschen. Als könnte sie mich mit nur einem einzigen Blick durchschauen.
»Ich denke ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass wir das Zimmer liebend gerne an dich vermieten würden«, Lunas Worte sorgten dafür, dass sich mein Herzschlag beschleunigte und überrascht hob ich den Blick. Sie kannten mich nicht einmal einen einzigen Tag und wollten mir schon das WG-Zimmer versprechen?
Zustimmende Laute erklangen seitens Nova und Roxy. Alle bedachten sie mich mit einem so freundlichen und liebenswürdigem Lächeln, das mir ganz warm ums Herz wurde.
Und plötzlich beschlich mich das Gefühl, drei neue und überaus liebenswürdige Menschen in mein Leben gelassen zu haben. Ja, dies war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Einer Freundschaft, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte.
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