Kapitel 11
Die Tage zwischen Weihnachten und Silvester vergingen wie im Flug. Während ich versuchte, mich nicht in diese Heiratssache zwischen meinen Eltern und Aiden einzumischen, gab ich mir alle Mühe, für meinen Bruder da zu sein. Das stellte sich jedoch als schwieriger heraus, als zunächst angenommen. Zu sehen, wie sehr Aiden unter dieser Entscheidung, die er zu treffen hatte, litt, brachte mich beinahe zur Weißglut. Zu gerne hätte ich ihn so einige Male bei den Schultern gepackt und ordentlich geschüttelt, um ihn zur Besinnung zu bringen. Er konnte doch nicht einfach sein Leben aufgeben, nur um Mom und Dad zufriedenzustellen! Leider spielte es keine Rolle wie oft ich versuchte, das meinem Bruder klarzumachen. Meine Meinung zu dieser ganzen Sache war ohnehin irrelevant und tat nichts zur Sache. Ich konnte lediglich für ihn da sein und ihm hin und wieder ins Gewissen reden. Doch schlussendlich war es seine Entscheidung. Weder meine Eltern noch ich konnten ihm diese Wahl abnehmen. Allerdings hatte ich die Vermutung, dass Mom und Dad Aiden in Bedrängnis brachten. Tagtäglich bekam ich mit, wie sie telefonierten. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihn unter Druck setzten, um ihn zu einem Entschluss zu bewegen - einen Entschluss zu ihren Gunsten. Zumindest würde Mom das tun. Bei Dad war ich mir nicht so sicher, er glich eher einem Fähnchen im Wind, der meiner Mom nach dem Mund redete.
Nachdem ich mit viel Überredungskunst aus Aiden den Namen seiner wahrscheinlich Zukünftigen herausgekitzelt hatte, musste ich sie natürlich erst einmal in den Sozialen Medien stalken. Sie hieß Olivia Isabella Campbell, hatte wasserstoffblonde Haare bis zum Steißbein und trug auf jedem zweiten Bild ihre Designerklamotten zur Schau. Es war nicht zu übersehen, dass sie aus der Welt der Reichen und Schönen stammte - und dort auch hingehörte. Natürlich sollte man Menschen nicht nach ihrem Aussehen beurteilen, aber ich kam nicht umhin zu bemerken, wie Olivia sich im Internet präsentierte. Sagte das nicht schon genug über ihren Charakter aus?
Seufzend starrte ich auf den Bildschirm meines Smartphones. Sie war nicht die Frau, die ich an Aidens Seite sah. Ich hatte mir für meinen Bruder immer eine bodenständige Frau gewünscht. Eine Frau, die ihm zeigte, dass die wahre Liebe wirklich existierte und die ihm bewies, dass sich die ganze Welt nicht nur um den Job, das Geld und den Erfolg drehte.
»Hey Tony«, ich wurde schlagartig aus meinen Gedanken gerissen, als Jona die Stufen der Treppe herabkam. Ich blickte von meinem Handy hoch, direkt in seine bernsteinfarbenen Augen.
Jona sah gut aus. Unverschämt gut.
Offenbar war er gerade aus der Dusche gekommen, denn seine Locken waren noch feucht und hingen ihm in Strähnen ins Gesicht. Er trug eine schwarze Jeans, die ihm locker auf den Hüften saß. Sein Oberkörper steckte in einem weißen T-Shirt, über dem er ein offenes, braunes Hemd trug.
Lächelnd kam er in die Küche geschlendert. Es war ein entwaffnendes Lächeln. Ein Lächeln, das mich vergessen ließ, wie man sprach. Und so starrte ich ihn für ein paar Sekunden lang einfach nur an.
»Ähm...«, ich räusperte mich, da meine Stimme kaum mehr als einem Flüstern glich. »Hi.«
Seit wir an Weihnachten zusammen eingeschlafen waren, ging ich Jona erfolgreich aus dem Weg. Falls er nämlich Notiz von meinen Gefühlen für ihn genommen hatte, wollte ich ein klärendes Gespräch zwischen uns vermeiden. Ganz offensichtlich jedoch hatte er nicht den Hauch einer Ahnung, denn er verhielt sich mir gegenüber wie immer. Aus einem mir unerfindlichen Grund verspürte ich plötzlich einer Spur der Enttäuschung darüber. Dabei wollte ich doch gar nicht, dass Jona von meinen Gefühlen erfuhr. Oder etwa doch? Verwirrt von meinen eigenen Gedanken schüttelte ich den Kopf und versuchte sie weg zu streifen.
»Solltest du dich nicht langsam für die Party zurechtmachen?«, hörte ich Jona von der Küche aus fragen. Richtig, die Party. Aiden und Jona schmissen eine Silvesterparty, an der ich logischerweise auch teilnahm. Immerhin war ich mehr oder weniger ihre Mitbewohnerin - wenn auch nur vorübergehend.
»Was denn? Willst du mir damit sagen, dass ich für eure Party nicht gut genug aussehe? Eigentlich wollte ich das anlassen«, witzelte ich und sah an meinem Hoodie und meiner Joggingohse herab, ehe ich Jona einen gespielt beleidigten Blick zuwarf. Sofort erklang ein kehliges Lachen seinerseits.
»Du siehst in allem gut aus, mi pequeña«, kopfschüttelnd führte er ein Glas Wasser zu seinen Lippen, auf denen noch immer der Anflug eines Lächelns zu sehen war. Ohne es verhindern zu können, reagierte mein Körper auf seine Worte. Mein Herz setzte kurz aus und mein Gesicht errötete. Hatte Jona mir gerade ein Kompliment gemacht?
Während ich mich noch immer von seinen Worten erholte, setzte er wieder zum Sprechen an.
»Ich dachte nur, du willst dich schick machen, immerhin hast doch deinen Freund eingeladen«, Jona hob vielsagend die Brauen. Ich schenkte ihm einen verwirrten Blick. Dann erst begriff ich, worauf er anspielte. Entsetzt riss ich die Augen auf. Jona dachte doch nicht etwa, dass zwischen Milo und mir etwas lief?!
»Du meinst Milo? Oh nein, Milo ist...«, ich stockte. Um ein Haar hätte ich verraten, dass Milo schwul war.
»Milo ist nur ein Freund«, korrigierte ich mich stattdessen.
Jonas Lächeln verzog sich zu einem wissenden Lächeln.
»Manchmal wird aus einer Freundschaft mehr«, er zwinkerte mir zu, woraufhin er sich aus der Obstschale einen Apfel nahm und zurück Richtung Treppe lief.
Wehmütig starrte ich ihm hinterher. Mir wurde bewusst, dass Jona trotz des Vorfalls an Weihnachten tatsächlich nicht die leiseste Ahnung besaß, was ich wirklich für ihn empfand. In diesem Moment spürte ich eine tiefe Traurigkeit in mir und ich konnte nicht einmal sagen, was mich mehr verletzte - die Tatsache, dass er so blind war und einfach nicht begriff, wie ich für ihn fühlte oder dass ihn der Gedanke, ich könnte mit jemand anderem zusammen sein, nicht einmal ansatzweise zu berührte.
Ich seufzte.
»Ja, aber nur manchmal«, erwiderte ich so leise, dass nur ich es hören konnte.
☆
Eine Stunde später stand ich verzweifelt vor dem Kleiderschrank im Gästezimmer und inspizierte meine Habseligkeiten. Milo hatte es sich unterdessen auf dem Bett hinter mir gemütlich gemacht und surfte im Internet an seinem Smartphone.
»Ich hab' einfach nichts zum Anziehen!«, jammerte ich und schob den nächsten Kleiderbügel beiseite.
»Ich bin immer noch für das schwarze Seidenkleid, das du bereits an hast«, hörte ich Milo hinter mir murmeln. »Aber wen interessiert schon meine Meinung?«
Ich rollte mit den Augen.
»Soll etwa mein nackter Hintern das Highlight der Silvesterparty werden oder was?«, keifte ich zurück und warf Milo einen vernichtenden Blick über die Schulter zu. »Das Kleid ist viel zu kurz, schau doch«, ich deutete an mir herunter und drehte mich einmal um die eigene Achse. Nun war Milo es, der mit den Augen rollte.
»Meine Güte, stell dich nicht so an. Es bedeckt alle nötigen Stellen, du darfst dich eben nur nicht bücken«, er zuckte mit den Achseln, als wäre es das Natürlichste der Welt, in einem Hauch von Nichts herumzulaufen.
»Und was, wenn mir etwas runterfällt?«, warf ich ein. Doch Milo tat meinen Einwand mit einer lästigen Handbewegung ab.
»Wofür hast du einen schwulen besten Freund?«, er grinste mich an.
»Okay, schön und gut, aber welche Unterwäsche ziehe ich an? Die zeichnet sich unter dem Kleid ab«, um meine Aussage zu unterstreichen, drehte ich Milo meinen Hintern zu.
Er lächelte anzüglich.
»Na dann lässt du deine Unterwäsche eben aus.«
Fassungslos wandte ich mich ihm wieder zu.
»Spinnst du? Das Kleid ist ohnehin schon viel zu kurz!«, protestierte ich.
»Herrgott, was ist denn heute mit dir los? Du bist doch sonst nicht so prüde«, Milo hob eine Braue.
»Und du bist normalerweise nicht so gut gelaunt«, konterte ich und warf einen skeptischen Blick auf Milos Smartphone. »Du schreibst doch nicht wieder mit Leo, oder?«
Milo lief hochrot an.
»Was? Nein, natürlich nicht!«, stritt er mit einer Vehemenz ab, die mich in meiner Befürchtung nur noch mehr bestätigte. Ein ungutes Gefühl überkam mich und sogleich trat der Beschützerinstinkt in mir an die Oberfläche. Leo war Milos Ex - und das war auch gut so. Denn er hatte Milo behandelt, wie der letzte Dreck und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, hatte er Milo für eine Frau verlassen, was Milos Selbstbewusstsein einen gewaltigen Dämpfer verpasst hatte. Leo war auch der Grund, weshalb Milo wieder begonnen hatte, sich selbst zu verletzen. Unter keinen Umständen durfte ich zulassen, dass Milo sich noch einmal auf ihn einließ, insbesondere jetzt nicht, da er sich endlich professionelle Hilfe gesucht hatte und sich auf einem Weg der Besserung befand.
»Milo! Das ist nicht ein Ernst?«, aufgebracht ging ich ein paar Schritte auf ihn zu. »Hast du etwa vergessen, was er dir alles angetan hat? Ich kann nicht fassen, dass du...«, weiter kam ich nicht, da Milo mir das Wort abschnitt.
»Tony, beruhige dich«, er lachte laut. »Ich schreib' ehrlich nicht mit Leo.«
Milos Worte ließen mich kurz innehalten. Verwirrt starrte ich erst in Milos Gesicht, dann auf sein Smartphone. Allerdings kannte ich Milo zu gut, um zu wissen, dass irgendetwas im Busch war. Diese Vermutung bestätigte sich auch kurzerhand, als Milo wieder zu reden begann.
»Ich habe jemanden kennengelernt«, gestand er und sah verlegen auf seine Hände.
»Du hast jemanden kennengelernt?«, wiederholte ich verblüfft und ließ mich neben ihm auf dem Bett nieder. »Verdammt! Wieso erfahre ich erst jetzt davon? Erzähl schon, ich will alles wissen!«
»Naja«, druckste Milo und lief rot an. »So viel gibt es noch gar nicht zu erzählen. Sein Name ist Ben, er ist neunundzwanzig und wir haben uns über Tumblr kennengelernt. Seit einer Woche schreiben und facetimen wir täglich. Wir verstehen uns wirklich super und sind total auf einer Wellenlänge!«, Milos Augen begannen aufgeregt zu glänzen und er war ganz in Gedanken versunken.
»Ach, ihr habt euch noch gar nicht persönlich getroffen?«, schlussfolgerte ich. Milo schüttelte verneinend den Kopf.
»Nein, leider nicht und um ehrlich zu sein, ist das auch etwas schwierig.«
»Inwiefern schwierig?«, hakte ich nach, was Milo ein erneutes Seufzen entlockte.
»Ben wohnt in England«, ein Schatten huschte über Milos Gesicht.
»Scheiße, in England?«, wieder einmal hatte sich mein Mund verselbstständigt, ohne dass ich vorher darüber nachdenken konnte, wie ich meine Worte wählte.
»Du sagst es«, Milo nickte traurig.
»Denkst du, eine Fernbeziehung könnte funktionieren?«, sprach ich die Frage aus, die wie eine dunkle Gewitterwolke über uns hing.
»Ich weiß es nicht«, gestand Milo ehrlich. »Aber darüber versuche ich mir jetzt noch keine Gedanken zu machen. Erst einmal lernen wir uns weiter kennen, vielleicht kommt er mich nächsten Monat sogar besuchen. Alles Weitere wird sich zeigen. Ich versuche mich nicht verrückt zu machen und das Ganze einfach zu genießen«, Milo lächelte mich an. »Das hat mir meine Psychologin übrigens auch geraten.«
»Das klingt doch schon einmal gut!« ich erwiderte Milos Lächeln, schlug dann jedoch einen ernsteren Tonfall an. »Aber versprich mir, dass du das Ganze wirklich langsam angehst, ja? Ich möchte nicht, dass du wieder verletzt wirst.«
Einerseits freute ich mich für Milo, andererseits aber machte es mir auch Angst, denn ich war mir nicht sicher, ob Milo ein gebrochenes Herz noch einmal überstehen würde.
»Versprochen«, er legte seine Hand auf meine. »Aber nur, wenn du mir versprichst, keine Unterwäsche unter dem Kleid zu tragen«, sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Ein schelmisches Grinsen huschte über seine Lippen. Ich lachte laut auf und schlug ihm spielerisch auf die Schulter.
»Was interessiert es dich, ob ich Unterwäsche trage oder nicht? Erstens stehst du ohnehin auf Männer und zweitens, wenn du mich nackt sehen willst, musst du nur fragen«, ich streckte ihm die Zunge raus. Milo quittierte meine Aussage lediglich mit einem Lächeln.
Eine halbe Stunde später war mein Outfit komplett. Ich hatte mich tatsächlich für das schwarze Seidenkleid mit den Spaghettiträgern entschieden. Allerdings trug ich darunter noch ein schwarz-braun gestreiftes T-Shirt - ganz im neunziger Jahre Look. Das Ganze rundete ich mit meinen Plateau Doc Martens ab. Tja und schlussendlich hatte ich mich tatsächlich dazu entschieden, auf die Unterwäsche zu verzichten. Nicht etwa, weil Milo mich dazu gedrängt hatte, sondern weil sich tatsächlich jede einzelne Unterhose die ich anprobierte, unter dem Seidenstoff abzeichnete.
Wir stiegen gerade die Treppe hinab zum Wohnzimmer, wo die Party bereits in vollem Gange war, während ich hochkonzentriert eine Stufe nach der anderen nahm, bedacht darauf, nicht zu stolpern. Es war ein seltsames Gefühl, keine Unterwäsche zu tragen und ich hoffte nur, dass mir das heute Abend nicht noch zum Verhängnis werden würde...
»Nur nicht stolpern, Prinzessin, immerhin bist du untenrum ziemlich luftig unterwegs«, flüsterte Milo mir zu, als hätte er meine Gedanken gelesen.
»Halt die Klappe«, schnauzte ich ihn an und erdolchte ihn mit meinen Blicken.
»Das nennt dein Bruder eine Party?«, Milo hob eine Braue und sah von der Treppe aus ins Wohnzimmer. Ich folgte seinem Blick und stellte fest, dass sich bereits ein paar Leute eingefunden hatten, die sich nun im Wohn- und Essbereich sammelten.
»Das sind doch mehr als genug, immerhin soll man sich ja noch bewegen können«, entgegnete ich und ließ meinen Blick über die Menge schweifen, um zu überprüfen, ob ich wohl jemand aus der Meute kannte - und tatsächlich, es gab eine Person, die mir ziemlich bekannt vorkam.
Valentina.
Ihre langen braunen Haare waren gelockt und sie sah, wie beim letzten Mal schon, umwerfend schön aus. Ich nahm ihren Körper in Augenschein, der in einer hautengen Lederhose und einer silbernen Bluse mit Pailletten steckte. Zudem trug sie High Heels mit einem schwindelerregend hohen Absatz. Wie konnten Frauen in solchen Dingern nur laufen? Ich hatte es einmal auf einer Hochzeit von Freunden unserer Eltern versucht. Das Resultat waren unzählige Blasen an den Füßen gewesen... Schrecklich.
Mit einem Mal fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Hatte ich soeben noch gedacht, dass mein Outfit ein Blickfang war, so kam ich mir nun wie ein Kind im Vergleich zu Valentina vor. Sie lachte lauthals über etwas, das ein anderes Mädchen ihr gerade zuflüsterte und präsentierte ein strahlendes Zahnpastalächeln. Waren ihre Freundinnen etwa auch hier? Sofort sank meine Laune auf ihren absoluten Nullpunkt. Was zum Teufel tat sie hier? War sie Jona etwa so wichtig, dass er sie sogar zu New Year Eve einlud? Mit einem Mal hatte ich gar keine Lust mehr auf diese blöde Party. Am liebsten hätte ich mich mit Milo in mein Zimmer verkrochen und einen Film geschaut - vorzugsweise einen Horrorfilm, bei dem viel Blut floss.
»Hey«, Milo stupste mich leicht an. »Alles in Ordnung?«
»Klar, es geht mir super«, erwiderte ich ironisch. »Immerhin sitzt da hinten Jonas neuste Mätresse«, ich nickte in Valentinas Richtung. Milo folgte meinem Blick.
»Die Brünette mit dem Glitzeroberteil«, fügte ich an.
Kurz herrschte Stille, dann sah Milo mich wieder an. Der zerknirschte Ausdruck in seinen braunen Augen sprach Bände. Auch er fand Valentina umwerfend schön. Na toll.
»Mach dir keine Gedanken, Milo. Sobald ich mir etwas Alkohol hinter die Binde kippen kann, geht es mir gut«, ich machte bereits Anstalten die Treppe weiter hinabzusteigen, als Milo mich am Handgelenk packte.
»Hey, glaubst du, dass das eine gute Idee ist? Das letzte Mal, als du dich betrunken hast, ging nicht so gut aus. Stichwort Heiligabend«, Milo sah mich aus seinen klaren Augen direkt an.
Ich erwiderte seinen Blick fest.
»Oh, ich denke das ist eine ausgezeichnete Idee.«
Noch bevor Milo Einspruch erheben konnte, stieg ich die Treppen hinab und bahnte mir einen Weg an den vielen Leuten vorbei. Laute Musik erfüllte das Appartement und erschütterte meinen Körper mit Bass. Überall standen rote Plastikbecher herum und der Geruch von Parfüm und Alkohol lag schwer in der Luft. Für eine gute Party schienen mein Bruder und Jona wohl nie zu alt werden.
Auf der Suche nach etwas Alkoholischem ging schnurstracks zum Kühlschrank und öffnete ihn. Natürlich wurde ich direkt fündig und nahm eine Flasche Wein heraus - oder war es Champagner? Ich kannte mich in diesen Dingen nicht so gut aus wie Aiden. Doch es war mir gleich. Hauptsache es hatte ein paar Umdrehungen und konnte mich von meinem Kummer ablenken. Doch dieser schien mich regelrecht zu verfolgen, denn als ich mich umdrehte, stand wie aus dem Nichts unmittelbar Jona vor mir. Um ein Haar hätte ich die Flasche fallen lassen.
Ich sah zu ihm hoch und der Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen zwang mich beinahe in die Knie. Ich ertrank regelrecht in ihnen. Jonas Nähe brachte mich wieder einmal völlig aus der Fassung. Was hatte er nur an sich, das mich so sehr anzog? Wieso konnte ich in seiner Nähe keinen einzigen, klaren Gedanken fassen?
Gleichermaßen jedoch war ich auch wütend auf Jona. Wütend darüber, dass er einfach nicht begriff, was ich für ihn fühlte. Wütend, weil er diese Valentina eingeladen hatte und vor allem aber wütend, weil er einfach nicht dasselbe für mich empfand, wie ich für ihn.
Mit einem Grinsen sah Jona an mir herab.
»Hübsches Kleid.«
Obwohl ich eigentlich sauer war, konnte ich nichts gegen die Gefühle ausrichten, die er in mir hervorrief. Mein gesamter Körper kribbelte. Unter seiner Musterung wurde mir plötzlich ganz heiß.
»Vielleicht nur ein kleines bisschen zu kurz, Aiden wird das nicht gefallen«, Jona warf mir einen amüsierten Blick zu.
Aiden würde das nicht gefallen?
Wäre ich mir nicht absolut sicher, dass Jona nichts für mich empfand, so hätten man fast meinen können, dass er derjenige war, dem mein Aufzug zu freizügig war. Davon mal ganz abgesehen ließ ich mir bestimmt von niemandem vorschreiben, was ich anzuziehen hatte und was nicht... Also reckte ich mein Kinn vor und sah Jona fest in die Augen.
»Kurz ist doch noch gar kein Ausdruck dafür. Ich finde, es ist lange genug«, ich schenkte ihm ein kühles Lächeln. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Ausdruck über Jonas Gesicht, den ich nicht so ganz deuten konnte.War es Verwirrung? Oder Überraschung? Doch genauso schnell wie er gekommen war, verschwand er wieder und Jona erwiderte meinen Blick unbeirrt.
Langsam aber sicher schlich sich wieder ein Lächeln auf seine Lippen.
»Wen versuchst du denn heute wieder zu provozieren?«
Dich. Funktioniert es?
»Gar niemanden, Jona. Entspann dich, ich werde eure Party schon nicht ruinieren«, um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen, hob ich symbolisch die Schwurhand. Meine Güte, weshalb machte Jona nur einen solchen Aufstand wegen eines Kleides? Es konnte ihm doch egal sein, was ich trug.
»Genau darum mache ich mir Sorgen. Bitte versuche heute keinen Ärger zu machen, ja?«, sein Blick wurde ernster. »Außerdem solltest du nicht so viel trinken, Tony. Schon vergessen, wie Heiligabend geendet hatte?«
Jonas Blick ruhte auf der Weinflasche in meiner Hand. Allmählich ging mir seine große-Bruder-Nummer gewaltig auf den Zeiger.
»Und du solltest dich um deinen eigenen Kram kümmern«, entgegnete ich spitz. Jona zog die Stirn kraus. Mit einer solchen Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. Tja, selbst Schuld. Sollte er doch zu seiner Valentina gehen! Jona öffnete gerade die Lippen, als wolle er etwas erwidern, als ich ihn ohne ein weiteres Wort stehen ließ. Ich ging an ihm vorbei und tauchte in der Menge unter. Mir war bewusst, dass der Ärger und die Eifersucht aus mir gesprochen hatten. Normalerweise würde ich so niemals mit Jona reden. Doch in seiner Nähe hatte ich mich schlicht und ergreifend kein Stück unter Kontrolle. Meine Gefühle spielten verrückt.
Ich seufzte und sah mich nach Milo um. Ich brauchte jetzt seine seelische und moralische Unterstützung. Doch statt Milo entdeckte ich meinen Bruder, der sich mit einer Blondine unterhielt. Sie war gekleidet in einem goldenen, knielangen Kleid, das sie mit einer schwarze Chanel Handtasche kombinierte, die sie offen zur Schau trug. Just in dem Augenblick, als ich die beiden entdeckte, warf sich die Frau ihr Haar über die Schulter, wodurch ich ihr Gesicht erkannte.
Verdammte Scheiße, das war Olivia Isabella Campbell! Die Frau, die Aiden heiraten sollte. Was zum Teufel tat sie denn hier? Hatte Aiden sie etwa eingeladen? Konnte dieser Abend noch verrückter werden? Meine Laune sank immer weiter. Als hätte Aiden mein Starren bemerkt, schaute er in meine Richtung. Natürlich bedeutete er mir mit einer Geste, zu ihnen zu kommen, wie sollte es auch anders sein?
Eigentlich besaß ich absolut kein Interesse daran, diese Olivia kennenzulernen. Ihr Social Media Account hatte mir bereits ausreichend Auskunft über ihre Person gegeben. Allerdings sollte man einen Menschen nicht nach seinem Internetauftritt beurteilen, weshalb ich mir schließlich einen Ruck gab und auf die beiden zulief. Vielleicht irrte ich mich ja und sie war in Wirklichkeit doch ganz nett? Nun ja, diesen Gedanken verwarf ich sofort wieder, als ich vor den beiden zum Stehen kam. Olivia drehte sich zu mir um. Mit einem abfälligen Blick musterte sie mich von Kopf bis Fuß, bis ihre Augen naserümpfend an der Weinflasche in meinen Händen hängenblieben. Unwohl wandte ich mich unter ihrem Blick und trat von einem Fuß auf den anderen. Ihre blauen Augen strotzten nur so vor Arroganz. Ich musste zugeben, wie der größte Alkoholiker eine Weinflasche in den Händen zu halten, machte wohl nicht gerade einen guten ersten Eindruck. Allerdings gab es ihr noch lange nicht das Recht, mich derart herablassenden zu begrüßen. Wenn man das überhaupt eine Begrüßung nennen konnte...
In Realität schien Olivia noch hochnäsiger zu sein, als auf ihren Bildern. Zudem wirkte ihr Gesicht auf gewisse Art und Weise unecht, wie das einer Puppe. Ihre Stirn war glatt, ihr Gesicht vollkommen faltenfrei und ihre Augenbrauen sahen aus, als wären sie extrem nach oben geliftet worden. Selbst ihre Lippen waren so voll und üppig, dass sie mich an ein Schlauchboot erinnerten. Es war nicht zu übersehen, dass sie wohl schon die ein oder andere Schönheits-OP hinter sich hatte.
»Olivia, das ist meine Schwester, Antonia«, machte Aiden uns miteinander bekannt. Olivias Augen weiteten sich vor Erstaunen. Überrascht riss sie ihren Blick von mir los und sah zu Aiden.
»Das ist deine Schwester?«
Aiden nickte zustimmend.
»Wow. Ich hatte sie mir irgendwie... anders vorgestellt«, erwiderte Olivia und ließ ihren Blick erneut voller Abscheu über mich hinweg wandern.
Das war der Moment, in dem mir der Geduldsfaden riss.
»Ich bin ebenfalls anwesend. Du kannst also auch mit mir sprechen«, erwiderte ich mit einem übertriebenen, freundlichen Lächeln. Olivias mit Kajal umrundeten Augen glitten zurück zu meinem Gesicht. Ihre dicken Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das beinahe noch aufgesetzter war, als meines.
»Oh entschuldige, wie unhöflich von mir«, Olivia bot mir ihre Hand dar. Ich ergriff sie und wir schüttelten uns die Hände.
»Antonia.«
»Olivia Isabella Campbell«, sie sprach ihren Namen mit einer Überheblichkeit aus, die ich in diesem Ausmaß noch nie erlebt hatte.
»Du bist also das Mädchen, das ihr Architekturstudium schon nach dem ersten Semester abgebrochen hat?«, ein wissender, abfälliger Ausdruck huschte über ihre Züge, der mir im Bruchteil einer Sekunde verriet, wie Olivia über mich dachte. Doch das machte nichts, denn ich dachte von ihr nicht im Geringsten besser. Dennoch konnte ich nichts gegen die Wut tun, die in diesem Moment in mir aufflammte. Olivia hatte, ohne mich besonders gut zu kennen, meinen wunden Punkt getroffen.
»Und du bist wohl das Mädchen, das auf die Kosten ihres Daddys lebt?«, konterte ich.
Olivias Augen weiteten sich entsetzt und Aiden neben mir sog scharf die Luft ein.
Volltreffer.
»Entschuldige uns bitte kurz«, Aiden ergriff mich beim Arm und zog mich von Olivia weg. Ein paar Meter entfernt blieben wir stehen. Energisch drehte er sich zu mir um.
»Was sollte das denn?«, keifte er verärgert. Seine Augen schienen Funken zu sprühen und der Zorn stand ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben. Demonstrativ verschränkte ich die Arme vor der Brust.
»Soll das ein Witz sein? Sie hat mich zuerst beleidigt! Ist dir das etwa entgangen?«, verteidigte ich mich und verzog grimmig das Gesicht.
»Tony«, Aiden nahm einen tiefen Atemzug, als versuchte er sich selbst zu beruhigen. »Ich werde diese Frau sehr wahrscheinlich heiraten, also müssen wir versuchen, uns irgendwie mit ihr zu arrangieren.«
Mir fiel die Kinnlade zu Boden. Das konnte nicht Aidens Ernst sein?
»Du überlegst tatsächlich noch, sie zu heiraten, nachdem du sie gerade kennengelernt hast? Nachdem du gesehen hast, wie sie mit mir umgegangen ist?«, ich warf entgeistert die Hände in die Luft. »Wieso hast du sie überhaupt eingeladen?«
Aiden fuhr sich in einer gehetzten Geste durchs Haar.
»Mom und Dad meinten, es wäre eine gute Idee sie einzuladen, damit wir uns besser kennenlernen.«
»Mom und Dad hier, Mom und Dad da«, ich schnaubte abfällig. »Kannst du auch eigene Entscheidungen treffen oder musst du erst Mommy und Daddy um Erlaubnis fragen?«
»Verdammt, Tony! Glaubst du etwa, das Ganze ist einfach für mich? Ich versuche selbst herauszufinden, was richtig und was falsch ist! Nicht jeder kann mit dieser scheiß-egal-Einstellung gesegnet sein, wie du sie hast.«
Aidens Worte verletzten mich. Glaubte er wirklich, dass mir alles egal war? Dass mich die Gleichgültigkeit meiner Eltern nicht verletzte? Glaubte er, dass es einfach gewesen war, für mich und meine Träume einzustehen? Es war verdammt nochmal das schwierigste gewesen, das ich jemals getan hatte. Aber mir war keine andere Wahl geblieben und nun machte er mir das zum Vorwurf? Dachte er wirklich so von mir oder sprach in diesem Moment nur die Verzweiflung und der Neid aus ihm, weil er es nicht schaffte, sich Mom und Dad zu widersetzen?
»Hey, was ist hier los?«, mischte sich plötzlich eine dritte Stimme mit ein.
Jona.
Ich blickte zu ihm hoch, während seine Augen wachsam zwischen Aiden und mir hin und her wanderten. Sofort meldete sich bei seinem Anblick dieses Kribbeln in meinem Magen an, aber ich ignorierte es dieses Mal. Stattdessen richteten ich meine Aufmerksamkeit zurück auf Aiden und legte so viel Wut in meinen Blick, wie nur möglich.
»Gar nichts, es ist alles in bester Ordnung«, mit diesen Worten verabschiedete ich mich und ging davon. Kurz später entdeckte ich Milo im Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich hielt darauf zu und ließ mich neben ihm nieder.
»Alles okay bei dir? Hatten du und Aiden Streit?«, ich spürte seinen besorgten Blick auf mir ruhen. Als Antwort schüttelte ich lediglich den Kopf, setzte die Weinflasche an meinen Mund und nahm einen großen Schluck. Unterdessen versuchte ich mich mit dem Gedanken zu trösten, dass dieser Abend nicht noch schlimmer werden konnte. Doch ich sollte eines Besseren belehrt werden...
Hey ihr Lieben,
so langsam nimmt Tonys und Jonas Geschichte an Fahrt auf ;) Ich denke, die nächsten Kapitel werden euch seeehr gut gefallen hehe... Habt ihr schon Ideen, wie es weitergehen könnte? Ich bin schon wahnsinnig auf eure Vermutungen & eure Rückmeldungen gespannt!
Ganz liebe Grüße,
eure Lora ❤️
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