Kapitel 10
Verschlafen hob ich die Lider und kämpfte gegen die Müdigkeit an, die mich zurück in den Schlaf zu reißen versuchte. Stattdessen kitzelten die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht und ich blinzelte gegen die Helligkeit an, die das Zimmer mit Licht durchflutete.
Ich wollte mich nochmal umdrehen, als mir bewusst wurde, in welcher Lage ich mich befand - denn ich war nicht alleine.
Neben mir lag Jona.
Und als ob diese Tatsache nicht schon verrückt genug war, hielt er mich auch noch im Arm! Richtig, ich wachte unmittelbar neben Jonathan Romero auf, mit meinem Kopf auf seiner Brust, während er einen Arm um meine Schultern geschlungen hatte.
Im Bruchteil einer Sekunde war ich hellwach und mein Puls begann zu rasen. Passierte das gerade wirklich oder träumte ich bloß?
Langsam hob ich den Kopf. Hätte mich Jonas Anblick nicht so sehr abgelenkt, hätte ich mich womöglich gezwickt, um herauszufinden, ob all das gerade Wirklichkeit war oder ob mir meine Fantasie wieder einmal nur Streiche spielte. Doch stattdessen beobachtete ich Jona, der noch immer tief und fest schlief. Sein Brustkorb hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus und seinen regelmäßigen Atemzügen zu lauschen, hatte etwas unglaublich Beruhigendes an sich.
Behutsam hob ich meine Hand und legte sie auf seine Brust. Selbst über dem Stoff konnte ich die Muskeln fühlen, die sich unter dem Shirt versteckten. Doch nicht nur das. Ich spürte auch sein Herz. Es schlug stark und kräftig und es gab nichts auf der Welt, das ich mir mehr wünschte, als dass es nur ein einziges Mal für mich schlug. Nicht für seine Exfreundin Amelia. Nicht für diese Valentina und auch für keine der Frauen, mit denen er sich sonst traf.
Einzig und allein nur für mich.
Ich hob den Blick und betrachtete ihn.
Jona sah nicht aus, als wäre er schon sechsundzwanzig Jahre. Im Schlaf wirkte er so viel jünger und unglaublich zufrieden. Die Sonne, die durch die Fenster hereinschien, erhellte sein Gesicht und hob die ebenmäßigen Zügen hervor. Ich war so sehr gefesselt, dass ich den Blick einfach nicht abwenden konnte. Seine dichten, schwarzen Wimpern warfen lange Schatten auf seine Wangenknochen und hätten wohl jedes Mädchen vor Neid erblassen lassen.
Unwillkürlich überkam mich das dringende Bedürfnis, ihn zu berühren, seine perfekten Gesichtszüge mit dem Finger nachzuzeichnen... Ich konnte dem Drang einfach nicht widerstehen und hob die Hand. Vorsichtig fuhr ich die Konturen seines Gesichtes nach und wieder wuchs in meinem Innern diese tiefe Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach mehr. Eine Sehnsucht, von der ich wusste, dass Jona sie niemals erfüllen würde. Ich musste den Tatsachen endlich ins Auge blicken und dennoch schaffte ich es nicht, mich von ihm abzuwenden.
Tja und dann geschah das Peinlichste, das hätte passieren können.
Jona öffnete schlagartig die Augen.
Ich erschrak und verharrte mitten in der Bewegung, meine Hand noch immer an seiner Wange.
Nein. Nein. Nein.
Jona durfte nichts von meinen Gefühlen erfahren, vor allem nicht auf diese Art und Weise.
Geschockt erwiderte ich den Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen, der noch immer etwas verschlafen wirkte, als brauche er einige Sekunden, um zu realisieren, was gerade vor sich ging. Dies war der Moment, in dem ich ruckartig meine Hand zurückzog, als hätte ich mich verbrannt. Leider schien ausgerechnet diese Bewegung mich zu verraten, denn vollkommen irritiert berührte Jona die Stelle, wo zuvor noch meine Hand geruht hatte. Er runzelte verwirrt die Stirn und seine Brauen verzogen sich zu einer geraden Linie. Ich konnte ihm die Verwirrung sichtlich vom Gesicht ablesen.
Peinlich berührt wich ich seinem Blick aus. Ich musste diese Situation irgendwie retten, musste das letzte bisschen Stolz, das ich noch besaß, wahren.
»Ich...«, setzte ich zum Reden an, um mich zu erklären. Allerdings kam ich nicht weit, denn aus heiterem Himmel erklang ein Klopfen. Ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten, öffnete sich eine Sekunde später die Tür zu meinem Zimmer. Jona und ich hatte gar keine Möglichkeit zu reagieren, es passierte alles viel zu schnell.
»Tony, Zeit zum Aufstehen, ich muss ganz dringend mir dir reden...«, Aiden blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen, als er Jona und mich entdeckte. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Zunächst spiegelte sich Verwirrung auf seinen Zügen wider, ehe diese Verwirrung in pure Wut überschlug. Ich konnte es Aiden nicht verdenken, denn die Position in der Jona und ich uns befanden, wirkte auf den ersten Blick aber auch verdammt verdächtig. Wäre ich an Aidens Stelle gewesen, hätte ich wohl dieselben Schlüsse gezogen.
»Das glaube ich jetzt nicht!«, hörte ich meinen Bruder noch voller Zorn sagen, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und davonging.
»Hey Aiden, Mann, es ist nicht das was du denkst«, hörte ich Jona neben mir meinem Bruder hinterherrufen. Im nächsten Moment schob er mich von sich weg und erhob sich. Er trug noch immer die Kleidung vom Vortag, was eigentlich Zeichen genug war, um zu wissen, dass wir lediglich nebeneinander eingeschlafen waren. Jedoch konnte ich verstehen, dass Aiden diese Tatsache entgangen war. Er hatte eben nur gesehen, was jeder andere in diesem Augenblick gesehen hätte - nämlich Jona und mich Arm in Arm in einem Bett.
»Mierda!«, fluchend lief Jona zur Zimmertür. Bevor er allerdings hinaustrat, drehte er sich noch einmal zu mir um.
»Ich kläre das«, er warf mir einen bedeutsamen Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen zu. Ich nickte lediglich - zu mehr war ich nicht imstande.
Seine Worte hallten in meinem Kopf wider.
Es ist nicht das was du denkst.
War das die Wahrheit? War es wirklich nicht das, was Aiden dachte? Nun ja, zwischen Jona und mir war zwar nichts gelaufen. Aber was hatte es mit diesem Moment auf sich, kurz bevor Aiden hereingeplatzt war? Hatte Jona denn nichts von meinen Gefühlen für ihn bemerkt? War ihm etwa entgangen, wie ich ihn angesehen hatte? Wie ich ihn berührt hatte? Jona war nicht auf den Kopf gefallen, er musste doch zumindest etwas ahnen!
Mit einem Seufzen ließ ich mich zurück ins Bett sinken.
Der Tag hatte noch nicht einmal richtig begonnen und schon entwickelte er sich zu einem absoluten Albtraum. Ich war in Jonas Armen aufgewacht, hätte beinahe meine Gefühle für ihn verraten und als wäre das nicht schon genug, war Aiden auch noch sauer, weil er dachte, dass Jona und ich etwas miteinander hätten. Was eine Katastrophe!
☆
Eine geschlagene Stunde verweilte ich noch im Gästezimmer, bis ich mich endlich dazu aufraffen konnte, ins Badezimmer zu gehen. Als ich über den Flur tapste, vernahm ich gedämpfte Stimmen vom Wohnzimmer aus. Kurz überlegte ich zur Treppe zu gehen, um zu lauschen. Jedoch wusste ich, dass mir das was ich zu Ohren bekam, nicht gefallen würde.
Jona empfand nicht dasselbe für mich und mir war bewusst, dass er genau das meinem Bruder in diesem Augenblick in aller Ausführlichkeit erklärte. Ganz bestimmt versicherte er ihm, dass ich nicht mehr für ihn war, als eine Schwester, die er gestern Abend versuchte hatte aufzumuntern.
Allein schon beim Gedanke daran wurde mir übel und sogleich schob ich ihn beiseite. Stattdessen nahm ich eine heiße Dusche und versuchte die Gefühle wegzuspülen, die Jonas Nähe in mir ausgelöst hatten.
Es gelang mir nicht.
Die Art und Weise, wie er mich hatte fühlen lassen, hinterließ Spuren. Es war, als könnte ich seine Umarmung noch immer spüren... Umso schrecklicher fühlte es sich nun an zu wissen, dass dies womöglich die erste und die letzte Nacht gewesen war, die ich mit Jona verbracht hatte.
Verärgert stellte ich fest, dass meine Gedanken schon wieder nur um ihn kreisten.
Verdammt, ich hätte mir lieber über wichtigere Dinge den Kopf zerbrechen sollen, beispielsweise über Aiden oder darüber, eine neue Wohnung zu finden. Ganz zu Schweigen von meinem Streit mit meinen Eltern gestern Abend. Immerhin hatte ich ihren Wein vernichtet, der ein halbes Vermögen wert war und eigentlich ihr Weihnachtsgeschenk hätte sein sollen. Ich besaß wirklich größere Probleme, als Jonathan Romero!
Eine halbe Stunde später fand ich mich am Treppenabsatz wieder. Einen tiefen Atemzug nehmend trat ich den Weg nach unten an. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Aufregung machte sich in mir breit. Bereits von den letzten Stufen aus, konnte ich Aiden und Jona erkennen. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer und unterhielten sich über etwas, das Aiden auf seinem Smartphone zeigte. Im Hintergrund lief der Fernseher, auf dem der Nachrichtensender FOX NEWS gerade über die neusten Ereignisse in der Welt berichtete.
Aiden war zurechtgemacht und sah wie immer aus, als ginge er gleich auf ein Vorstellungsgespräch - und das, obwohl heute Feiertag war. Tja, so war mein Bruder, wie er leibte und lebte. Jona dagegen trug nach wie vor dieselbe Kleidung. Seine blonden Locken waren ein wildes Durcheinander und in einer flüssigen Geste strich er sich einige Strähnen aus dem Gesicht. Das lenkte mich für einen kurzen Moment lang ab. Mein Blick glitt weiter über seine vollen Lippen, die sich langsam zu einem Lächeln verzogen.
Sofort fühlte ich Schmetterlinge in meinem Bauch.
Die Stimmung zwischen den beiden schien ausgelassen und entspannt. Allem Anschein nach hatten sie sich wieder vertragen. Jona hatte die Situation wohl retten können. Ein gewaltiger Stein fiel mir vom Herzen. Ich hatte mir bereits die schlimmsten Szenarien ausgemalt.
Als mich die beiden bemerkten, hoben sie nacheinander die Köpfe.
»Hey«, ich blieb im Wohnzimmer stehen und räusperte mich verlegen. Bedrückt starrte ich zu Boden. Obwohl ich hier vor meinem Bruder und seinem besten Freund stand, die ich beide schon mein ganzes Leben lang kannte, fühlte ich mich mit einem Mal unwohl in meiner Haut. Wie sollte ich mich verhalten?
»Ich werde mal nach oben gehen«, hörte ich Jona plötzlich sagen. »Ihr beide habt sicher einiges zu bereden.«
Ich blickte hoch und sah Jona an. Er erhob sich von dem Sofa und warf Aiden einen vielsagenden Blick zu. Mir wurde mit einem Mal ganz anders zumute. Was meinte Jona damit? Hatte er von meinen Gefühlen für ihn doch Notiz genommen und Aiden davon erzählt? Worüber hatten die beiden geredet?
Eine heftige Nervosität ergriff Besitz von mir und ich spürte einen Kloß im Hals. Ängstlich schluckte ich ihn herunter. Was sollte ich Aiden nur sagen? Dass ich schon in Jona verliebt war, seit ich denken konnte? Dass ich nichts gegen meine Gefühle für ihn konnte?
In meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander, während Jona sich auf den Weg nach oben machte. Ich spürte seine unmittelbare Anwesenheit, als er an mir vorbeiging und wie der Feigling, der ich war, traute ich mich natürlich nicht, ihm noch einmal in die Augen zu schauen.
Ich lauschte seinen Schritten hinter mir auf der Treppe und erst, als sie allmählich verklangen, fiel ein Teil dieser inneren Spannung von mir ab. Ich konnte wieder aufatmen. Doch nicht lange, denn als ich den Blick erneut hob, sah ich direkt in die blauen Augen meines Bruders, die mich ermittelnd musterten. Unbehaglich trat ich von einem Fuß auf den anderen, ehe ich beschloss, mich einfach neben ihm auf dem Sofa niederzulassen.
»Du und Jona habt also geredet?«, begann ich schließlich zu sprechen.
»Ja«, Aiden nahm einen tiefen Atemzug. »Er hat mir versichert, dass zwischen euch nichts gelaufen ist.«
Ich nickte eifrig.
»Das ist die Wahrheit. Ich schwör's dir.«
Eine ganze Weile herrschte Stille zwischen uns. Aiden starrte Löcher in die Luft und ich befürchtete schon, dass er nichts mehr sagen würde. Doch dann durchbrach er sein Schweigen.
»Weißt du, Tony, als ich euch vorhin gesehen habe, hat mich das an die Situation mit Samuel damals erinnert. Ich möchte einfach nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Das würde alles kaputt machen. Jona ist mein bester Freund, schon mein ganzes Leben lang, verstehst du?«, Aiden sah mich ernst an. »Ich bin nicht blöd. Natürlich ist mir aufgefallen, dass du schon immer eine kleine Schwäche für Jona hattest...«
Bei Aidens Worte sog ich scharf die Luft ein und ein entsetzter Ausdruck legte sich über mein Gesicht. Ich setzte bereits zum Protest an, als Aiden mir Einhalt gebot, indem er seine Hand hob.
»Ich dachte immer, dass es nur eine Kindheitsschwärmerei ist, aber falls nicht, und wenn man von meiner Freundschaft zu Jona mal ganz absieht, dann muss ich dich leider enttäuschen, Tony. Jona ist nicht geschaffen für Beziehungen. Die einzige Frau, die er je liebte, war Amelia und die hat ihm das Herz gebrochen.«
Aidens Worte trafen mich. Sie trafen mich in den Tiefen meines Herzens, obwohl sie das nicht sollten. Wenn man mal außer Acht ließ, dass Jona ohnehin kein Interesse an mir hatte, war es doch ziemlich ernüchternd, das noch einmal von meinem Bruder zu hören. Doch ich konnte nichts gegen den aufkommenden Schmerz tun, den seine Worte in mir auslösten. Ich konnte lediglich versuchen, ihn bestmöglich vor meinem Bruder zu verstecken.
»Mach dir keine Sorgen, Aiden, zwischen Jona und mir läuft überhaupt nichts«, ich rang mir ein kleines Lächeln ab. »Außerdem hätte ich mich doch damals nicht mit Samuel getroffen, wenn ich so sehr in Jona verliebt wäre«, ich unterstrich meine Aussage mit einem amüsierten Lachen und war selbst überrascht davon, wie leicht mir diese Lüge doch über die Lippen kam.
»Ich könnte es dir nicht verdenken, Tony. Jona war dir all die Jahre mehr Bruder gewesen, als ich«, er schnaubte verächtlich. »Während ich damit beschäftigt war, der Vorzeigesohn zu werden, den Mom und Dad sich wünschten, habe ich dich links liegen gelassen und mich nie dafür entschuldigt.«
Überrascht sah ich meinen Bruder an. Hörte ich da ein schlechtes Gewissen heraus? Zugegeben, Aiden und ich hatten als wir kleiner waren, in der Tat nicht das beste Verhältnis gehabt. Erst als er von Zuhause ausgezogen war, wurde unsere Beziehung inniger. Aber ich hätte Aiden niemals einen Vorwurf daraus gemacht, immerhin war das nicht nur auf seinen Mist gewachsen. Ich war nämlich eine fürchterlich, nervige und anstrengende kleine Schwester gewesen, die Aiden immer und überall an den Fersen geklebt hatte. Zu gut erinnerte ich mich noch daran, wie ich einmal aus versehen seine PlayStation kaputt gemacht hatte. Aiden war außer sich vor Wut gewesen. Zwar hatten Mom und Dad ihm eine neue gekauft, doch das tat seiner Wut auf mich keinen Abbruch.
Ein Räuspern riss mich zurück ins Hier und Jetzt. Aiden starrte bedrückt zu Boden. Mir wurde bewusst, dass ihn dieses Thema tatsächlich zu beschäftigen schien. Sofort hatte ich das Bedürfnis, ihm seine Schuldgefühle zu nehmen. Also legte ich meine Hand auf seine, was ihn hochschauen ließ. Ich lächelte ihn sanft an.
»Was du da erzählst, ist Unsinn, Aiden. Du bist der beste Bruder, den man sich nur wünschen kann.«
Ich kniff ihn leicht in die Seite, was er mit einem Lachen quittierte. Sogleich verflüchtigte sich Aidens Lachen jedoch wieder und machte einem bekümmerten Gesichtsausdruck Platz. Gedankenverloren starrte er Löcher in die Luft.
»Hey, was hast du denn?«, schmunzelnd stieß ich ihm meinen Ellbogen in die Rippen. Doch Aiden sah mich nicht einmal an. Machte er sich etwa immer noch Vorwürfe, weil er dachte, dass er mir kein guter Bruder gewesen wäre? Fieberhaft überlegte ich, was ich sagen könnte, um ihm einen Teil seines Kummers zu nehmen.
»Aiden, was hast du denn? Du brauchst dir ehrlich keine Gedanken machen. Es ist doch völlig normal, dass Geschwister sich hin und wieder streiten«, versuchte ich ihn aufzumuntern. Aiden räusperte sich und fuhr sich in einer gehetzten Geste durchs Haar.
»Das ist es nicht, was mich belastet«, Aiden seufzte gestresst und schüttelte den Kopf. »Naja, nicht nur.«
»Ach nein?«, ich zog die Stirn kraus.
Er seufzte resigniert.
»Aiden, jetzt spann mich nicht so auf die Folter, sag schon. Was ist los?«
»Na schön...«, er hielt kurz inne, als suche er nach den richtigen Worten. Offenbar entschied er sich dazu, sie einfach frei heraus zu sagen.
»Ich habe gestern Abend noch mit Mom und Dad geredet. Sie wollten unbedingt etwas mit mir besprechen.«
»An Heiligabend?«, platzte es fassungslos aus mir heraus.
»Wundert dich das noch?«, Aiden schien völlig unbeeindruckt.
»Touché«, erwiderte ich ironisch, ehe ich ihn dazu anhielt, weiterzusprechen. Aiden zögerte kurz und sah mir dabei fest in die Augen.
»Du musst mir versprechen, nicht auszurasten, okay?«
Instinktiv hielt ich die Luft an und nickte widerstrebend. Was führten unsere Eltern dieses Mal wieder im Schilde?
»Mom und Dad wollen, dass ich heirate.«
Stille.
Für ein paar Sekunden starrte ich meinen Bruder einfach nur an. Dann brach ich in schallendes Gelächter aus.
»Heiraten?! Du?!«, ich konnte gar nicht mehr an mir halten vor Lachen. »Du hast doch noch nicht mal eine Freundin!«
Aiden schien das Ganze alles andere als amüsant zu finden und betrachtete mich mit ausdruckslosem Blick. Als ich seinen düsteren Gesichtsausdruck bemerkte, verstummte mein Lachen allmählich.
»Moment mal, du meinst das wirklich Ernst?«, entgeistert starrte ich meinen Bruder an. »Aber... Aber du hast doch keine Freundin, oder?«, wiederholte ich verunsichert.
»Sie wollen, dass ich die Tochter unseres Geschäftspartners heirate.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. Ich konnte nicht fassen, was Aiden mir soeben mitteilte. Sollte das ein schlechter Scherz sein? Waren Mom und Dad jetzt von allen guten Geistern verlassen? Im Grunde sollte mich, was unsere Eltern betraf, nichts mehr schockieren. Sie hatten mir schon zu Genüge bewiesen, dass sie vor nichts zurückschreckten, um ihren Willen durchzusetzen. Doch sie schafften es, mich immer wieder eines Besseren zu belehren. Aiden dagegen akzeptierte unsere Eltern so wie sie waren. Auf gewisse Art und Weise empfand ich das als traurig. Wieso nur versuchte er es ihnen immer recht zu machen? Wollte er auf diese Art und Weise Liebe und Anerkennung erhalten? Ich hoffte inständig, dass er dieses Mal getrost darauf verzichtete und ihrem Wunsch nicht nachkam. Auch wenn ich Aidens Vorhaben, für immer Junggeselle bleiben zu wollen, nicht guthieß, so war es dennoch seine freie Entscheidung. Eine Entscheidung, die er sich nicht von Mom und Dad nehmen lassen durfte!
»Du hast ihnen doch gesagt, dass du das nicht tun wirst, richtig?«, hakte ich nach und bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. Er wich ihm aus.
»Aiden! Das kann nicht dein Ernst sein?«, entfuhr es mir. Wütend sprang ich vom Sofa auf. »Willst du mich verarschen?«
»Tony, beruhige dich, okay?«, Aiden hob beschwichtigend die Hände. »Ich habe nicht zugesagt.«
»Aber du hast ihnen auch nicht abgesagt!«, rief ich aufgebracht.
»Ich sagte, dass ich darüber nachdenken werde.«
»Meine Güte, Aiden«, ich warf die Arme in die Luft. »Bist du noch ganz bei Trost? Willst du dein ganzes Leben von ihnen bestimmen lassen? Wann wirst du endlich erwachsen und fängst damit an ihnen die Stirn zu bieten?«
»Ist ja lustig, dass ausgerechnet du mir etwas vom Erwachsensein erzählen willst«, fauchte er und sprang ebenfalls von dem Sofa auf. »Fass dich lieber mal an deiner eigenen Nase!«
Mir lag bereits eine spitze Bemerkung auf der Zunge, doch ich verkniff sie mir in letzter Sekunde. Ich wollte nicht erneut einen Streit vom Zaum brechen. Davon hatte ich in den letzten paar Wochen mehr als genug angezettelt. Ich sollte lieber für meinen Bruder da sein, sollte ihm Mut machen, die richtige Entscheidung zu treffen und ihn dabei unterstützen, sich endlich vom Einfluss unserer Eltern zu lösen.
Ich betrachtete Aiden.
Betrachtete seinen unglücklichen Gesichtsausdruck, der leere Blick aus seinen blauen Augen und die niedergeschlagene Haltung.
Und in diesem Moment begriff ich es.
Ich begriff, dass der Neid, den ich all die Jahre auf Aiden verspürt hatte, absoluter Schwachsinn gewesen war. Denn Aiden war nicht perfekt. Er war nicht der Vorzeigesohn, den alle in ihm sahen. Nein, Aiden war ein Opfer. Er war eine Geisel. Eine Geisel seiner selbst. Ruhelos und dazu verdammt, immer auf der Suche nach der Liebe und der Anerkennung unserer Eltern zu sein. Er war gefangen in einem Gefängnis, das er sich selbst erbaut hatte. In gewisser Weise war ich Aiden sogar um einiges voraus. Denn ich hatte es geschafft mich aus meinen Ketten zu befreien. Ich hatte es geschafft, mich von Mom und Dad zu lösen und meinen eigenen Weg zu gehen, selbst wenn es bedeutete, dass ich kaum noch tiefer in ihrer Gunst hatte sinken können.
Tja, niemals hätte ich gedacht, dass ich, Antonia Nadja Dorothy Carpell meinem Bruder in etwas überlegen sein würde. Doch hier standen wir...
Nun war es an mir, meinem Bruder eine gute Schwester zu sein - und nicht umgekehrt. Also nahm ich einen tiefen Atemzug.
»Okay, lass uns in Ruhe darüber reden.«
Hallo ihr Lieben :)
Wie ich bereits auf meinem Profil berichtet hatte, war ich in einer Klausurphase und musste daher eine kleine Schreibpause einlegen, um mich auf das Lernen zu konzentrieren. Glücklicherweise habe ich diese nun erfolgreich hinter mir und werde wieder regelmäßig 1x pro Woche updaten ! Ich hoffe ihr verfolgt Jona und Tonys Geschichte weiterhin... Ich freue mich schon auf eure Kommentare ❤️
Ganz liebe Grüße,
eure Lora
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