Kapitel 1
Ich setzte meine AirPods ein und griff nach dem Pinsel, der vor mir auf der Ablage der Staffelei lag.
Musik an. Leben aus.
I Think I'm OKAY von Machine Gun Kelly ertönte in voller Lautstärke durch die Ohrstöpsel und rhythmisch begann ich mit meinem Kopf zu nicken, während ich meine ersten Pinselstriche auf die Leinwand setzte.
Wenn ich malte, vergaß ich alles um mich herum. Ein Gefühl, als bliebe die Welt kurz stehen und als sollte ich niemals in meinem Leben etwas anderes tun.
Es war pure Entspannung für mich, nach einer langen Vorlesung oder einem Streit mit meinen Eltern, was in letzter Zeit viel zu oft vorkam, den Pinsel zu schwingen.
Ich seufzte.
Eigentlich hätte ich jetzt lernen müssen. Ich hatte bereits die letzten beiden Prüfungen vermasselt, dabei befand ich mich gerade mal am Ende des ersten Semesters meines Architekturstudiums! Zugegeben das Zeichnen bereitete mir große Freude, aber Architektur bestand eben nicht nur daraus, supercoolen Häuser zu skizzieren, nein, es behandelte auch Inhalte wie Baustofflehre, Bauphysik und Bauchemie - Themen, die mich nicht das kleinste bisschen interessierten. Dementsprechend schlecht fielen auch meine Leistungen aus.
Doch das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass meine Eltern sowohl mit einigen Professoren, als auch dem Präsidenten der University of Chicago selbst befreundet waren. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis meine miserablen Noten ans Licht kamen und sie mir wieder eine ihrer Moralpredigten hielten. Nicht selten drohten sie mir dabei auch mit einem Rauswurf oder Taschengeldentzug. Leider war ich auf meine Eltern angewiesen, denn ich wohnte noch immer zuhause. Zudem finanzierten sie mir das gesamte Studium.
Ich hatte das Glück - oder auch das Pech - in eine wohlhabende Familie geboren zu werden.
Dies hatte einige Vorteile, aber mindestens genauso viele Nachteile.
Meine Großeltern mütterlicherseits hatten bereits in jungen Jahren ein millionenschweres Familienunternehmen gegründet. Es handelte sich um eine Architekturfirma, die unseren Familiennamen trug, Carpell Designs Inc., mit der sie riesige Erfolge in den ganzen USA erzielt hatten. Meine Eltern hatten selbstverständlich die Führung übernommen, aber meine Großeltern ließen es sich nicht nehmen, hin und wieder ihre Nase in geschäftliche Angelegenheit zu stecken.
Auf diese Weise waren wir auch in der Lage uns einen solchen Lifestyle zu finanzieren. Wir lebten in einer riesigen Villa in Hinsdale, einem der beliebtesten Stadtteile von Illinois, Chicago. In unserem Haus befanden sich ein Heimkino, ein In- sowie Outdoorpool und zwanzig Zimmer. Man hätte annehmen können, dass ich den Traum eines jeden Mädchens lebte, doch das war nicht der Fall.
Der Schein trug, denn Geld war nicht alles im Leben. Geld machte einen nicht glücklich. Nun ja, einen gewissen Luxus wollte ich natürlich nicht missen, aber ich hätte auf alles Geld der Welt verzichtet, wenn meine Kindheit in geregelten Bahnen verlaufen wären.
Natürlich pochten meine Eltern darauf, dass mein Bruder Aiden und ich eines Tages, wie auch sie damals, zu den Führungskräfte der Firma wurden. Tja, leider entsprach das nicht so ganz den Wünschen und Träumen, die ich für meine eigene Zukunft hatte, weshalb es oft zu Streitigkeiten kam.
Mom und Dad hatten einen genauen Plan, wie mein Leben verlaufen sollte; auf welche Schule ich ging, welches College ich besuchte, mit welchen Menschen ich den Umgang pflegte, wie mein Kleidungsstil auszusehen hatte...
Hätte ich nicht irgendwann in der Pubertät damit begonnen, mich mit Händen und Füßen gegen ihren Willen zu wehren, würden sie mich heute womöglich leiden können. Doch dann hätte ich mich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen können. Und wäre ich nicht von ihnen abhängig, hätte ich mich selbst ihrem letzten und einzigen Wunsch, den sie noch an mich hatten, widersetzt - das Studium.
Schon von klein auf bekam ich eingetrichtert, dass ich Architektur zu studieren hatte, obwohl mein Herz für die freie Kunst schlug. Nachdem meine Eltern mir jedoch damit gedroht hatten, den Geldhahn zuzudrehen und mich vor die Tür zu setzen, sollte ich ihrem Willen nicht nachkommen, willigte ich ein. Zudem wollte ich unser Verhältnis nicht noch mehr zerrütten, als es ohnehin schon der Fall war und tief in meinem Innern, sehnte ich mich - wie wohl jedes andere Kind auch - nach ihrer Anerkennung und Liebe. Auch wenn meine Taten oftmals eine andere Sprache sprachen.
Aiden, der mit seinen siebenundzwanzig Jahren und seinem abgeschlossenen Architekturstudium bereits bei Carpell Designs Inc. arbeitete, war natürlich der Vorzeigesohn schlechthin. Unterdessen stand ich stets in seinem Schatten und meine Eltern ließen keine Gelegenheit aus, um mir zu zeigen, welche Enttäuschung ich im Vergleich zu Aiden doch war.
Meine Beziehung zu Aiden war, im Vergleich zu der meiner Eltern, um Welten besser. Seit er von Zuhause ausgezogen war und sich gemeinsam mit seinem besten Freund Jona ein Appartement gekauft hatte, verstanden wir uns besser denn je. Die beiden wohnten in der Nähe des Hyde Parks, der nur ein zehnminütiger Fußmarsch vom College entfernt war.
Wenn ich nicht gerade meine Zeit mit Milo, meinem besten Freund, totschlug, dann war ich höchstwahrscheinlich bei Aiden. Insbesondere dann, wenn ich wieder einmal Streit mit Mom hatte. Auch wenn Aiden Mom und Dad oft in Schutz nahm, so verstand er mich, er verstand mich auf eine Weise, wie Mom und Dad es niemals könnten.
Milo hätte jetzt behauptet, dass ich nur so gerne bei Aiden war, weil ich auf diese Weise Zeit mit Jona verbringen konnte.
Jona.
Ich hielt mitten in der Bewegung inne und der Pinsel auf der Leinwand stoppte. Allein schon der Gedanke an ihn brachte mich aus der Fassung.
Jonathan Romero war wie das Glück und gleichermaßen das Pech in meinem Leben. Er war mein sehnlichster Herzenswunsch und meine größte Angst. Er war das Lächeln auf meinem Gesicht und die Tränen in meinen Augen. Denn ich wusste, dass er mich niemals so ansehen würde, wie ich ihn.
Eine tiefe Traurigkeit nahm Besitz von mir, eine Traurigkeit, die mir bereits bekannt war.
Jona meine Gefühle zu gestehen, wäre Selbstmord gewesen aus vielerlei Gründen.
Zum einen war da die Tatsache, dass ich überhaupt nicht sein Typ war.
Ich war hübsch, ja. Aber mit meinem erdbeerblonden Haar und den grünen Augen fiel ich so rein gar nicht in sein typisches Beuteschema. Ich kannte ihn schon lange genug, um zu wissen, dass hochgewachsene, dunkelhaarige Bikergirls genau seinen Geschmack trafen.
Jonas größte Leidenschaft galt Motorrädern. Da seine Eltern, die direkt gegenüber von uns wohnten, Jonas Obsession für Bikes nicht guthießen, hatte er sich damals von dem ersparten Geld eines Ferienjobs eine fahrunfähige Kawasaki gekauft. Im Gegensatz zu Aiden bekam Jona von seinen Eltern nämlich keinen Puderzucker in den Hintern geblasen. Mit viel Mühe und Energie hatte er sie eigenhändig auf Vordermann gebracht.
Und genauso wie sein Motorrad, mochte er auch seine Frauen - wild, aufbrausend und unbezwingbar.
Also genau das, was ich nicht war und auch niemals sein würde.
Ein weiterer und womöglich auch der schwerwiegendste Grund, weshalb ich ihm nicht sagen konnte, was ich für ihn empfand, war Aiden.
Ich hatte ihm vor einigen Jahren ein Versprechen geben müssen.
Ich war gerade erst sechzehn Jahre alt geworden, als mich ein ehemals guter Freund von Aiden auf ein Date einlud. Die beiden hatten sich über den Tennisclub kennengelernt und obwohl Samuel einige Jahre jünger war, als Aiden, hatten sie sich sofort gut verstanden. Mir war klar, dass ich bei Jona niemals eine Chance haben würde, also nahm ich Samuels Einladung an. Wir hatten uns ein paar Mal getroffen, bis sich herausstellte, dass Samuel mir nur an die Wäsche wollte, was ich natürlich nicht zugelassen hatte. Als Aiden schließlich Wind von unserer Beziehung bekam, brach die Freundschaft der beiden - und ich musste Aiden versprechen, niemals wieder einen seiner Freunde zu daten. Tja und das war meine letzte und auch einzige Beziehung gewesen, wenn man es überhaupt so nennen konnte.
Mit meinen neunzehn Jahren war ich also noch nie über Rumknutschen und Fummeln beim Netflix schauen hinausgekommen. Traurig aber wahr.
Nun gut, einerseits war ich stolz darauf, mich nicht dem nächstbesten Typen hingegeben zu haben, andererseits aber wünschte ich, über mehr Erfahrungen auf diesem Gebiet zu verfügen.
Seufzend schob ich diese Gedanken beiseite und konzentrierte mich auf das Gemälde vor mir. Für gewöhnlich waren Portraits meine Spezialität, aber hin und wieder erwischte ich mich dabei, wie ich mich meiner Tagträumerei widmete. Denn in meinem Kopf befand sich ein ganzes Universum.
Und genau das zeichnete ich dann - das Universum.
Ich liebte es.
Es hatte etwas Mystisches und Geheimnisvolles an sich, das mich schon immer fasziniert hatte.
Mit all seinen unterschiedlichen Farben repräsentierte es alles, was die Welt ausmachte - Raum, Zeit, Materie und Energie. Und dennoch würden wir es niemals vollends verstehen können. Einfach unglaublich.
Genau aus diesem Grund liebte ich es, Zeichnung davon anzufertigen.
Das Läuten der Türklingel ließ mich zusammenzucken.
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und erschrak.
Meine Güte! Bereits kurz vor sechs Uhr am Abend. Es musste Milo an der Tür sein, der gerade geklingelt hatte. Heute Abend kamen nämlich meine Großeltern zum Abendessen und ich hatte meinen besten Freund ebenfalls eingeladen, um etwas moralische Unterstützung an meiner Seite zu haben.
Hastig legte ich den Pinsel beiseite und erhob mich von dem Platz vor meiner Staffelei. Ich verließ mein Atelier, das sich direkt gegenüber meines Schlafzimmers befand und lief den Flur entlang bis hin zur Galerie, von der aus zwei Treppen rechts und links nach unten führten.
Bereits von hier oben erkannte ich unsere Haushälterin Marisol, die Milo die Tür geöffnet hatte. Sie trat beiseite und ließ Milo eintreten. Sein braunes Haar, das an den Seiten kürzer geschnitten war, hatte er sich nach hinten gegelt. Sein hochgewachsener, sehniger Körper steckte in einer dunklen Leinenhose und einem weißen Longsleeve mit V-Ausschnitt.
Milo sah gut aus, sehr gut sogar. Die Frauen lagen ihm regelrecht zu Füßen, doch leider war Milo gegen die Reize des weiblichen Körpers immun. Richtig, Milo war homosexuell, allerdings wusste niemand davon, außer mir und seinen Eltern. Er brachte es bisher einfach noch nicht übers Herz, sich zu outen, was kein Wunder war, wenn man bedachte wie seine Eltern reagiert hatten, als er ihnen zum ersten Mal offenbart hatte, dass er auf Jungs stand.
Wie auch ich, hatte Milo keine leichte Kindheit gehabt, doch seine war noch um Welten schlimmer, als die meine. Denn Milos Tage als Kind waren wegen seines alkoholabhängigen Vaters von Gewalt geprägt gewesen. Noch immer kämpfte er mit den Geistern seiner Vergangenheit und der Tatsache, dass seine Mom es nach wie vor nicht geschafft hatte, seinen Dad zu verlassen.
Nur verständlich, dass er teilweise wochenlang bei uns Zuhause Unterschlupf gesucht hatte und seltsamerweise mochten meine Mom und Dad ihn, obgleich er aus ärmlichen Verhältnissen kann und seine Eltern keinen siebenstelligen Kontostand aufwiesen.
Kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag ist er schließlich von Zuhause ausgezogen und wohnte nun in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in der Nähe der Universität.
»Milo!«, als ich am Fuße der Treppe ankam, riss ich meinen besten Freund in eine überschwängliche Umarmung. »Gott sei Dank bist du hier!«
»Natürlich, ich hab's dir doch versprochen«, er löste sich wieder von mir. »Dachtest du ernsthaft, ich lasse dich mit Dory alleine?«
Ich kicherte. Milo hatte meiner Grandma Dorothy einen neuen Spitznamen verpasst und sie nach dem Fisch aus den Filmen Nemo und Findig Dory benannt. Seither machten wir uns immer lustig darüber. Es mochte kindisch sein, doch es heiterte mich immer wieder auf.
Ich war froh, dass Milo gekommen war, er würde das Abendessen etwas erträglicher machen.
»Milo! Wie schön, dass du heute Abend auch hier bist«, die Stimme meiner Mom erklang hinter mir und ich drehte mich um.
In ihren hochhackigen Louis Vuitton Pumps kam sie auf uns zugestöckelt. Ihr schlanker Körper steckte in einem perfekt maßgeschneiderten, pfirsischfarbenen Kostüm, während sie das rote Haar in einem strengen Knoten trug, was ihre sanften Gesichtszüge betonte.
Mom war außerordentlich hübsch, auch wenn man ihr das Alter bereits ansehen konnte.
Mit einem freudigen Lächeln und ausgebreiteten Armen trat sie auf Milo zu und umarmte ihn herzlich.
Ein Stich der Eifersucht überkam mich.
Es war ein schreckliches Gefühl zu wissen, dass die Mutter den besten Freund lieber hatte, als die eigene Tochter. Und so stand ich neben den beiden und fühlte mich wieder letzte Volltrottel.
»Hallo Nadja, ich danke euch für die Einladung!«, entgegnete Milo und gab meiner Mom einen Luftkuss auf die Wange.
»Gut siehst du aus!«
»Nicht annähernd so toll wie Sie Mrs Carpell«, sagte er förmlich und schenkte Mom sein umwerfendstes Lächeln.
Ich rollte mit den Augen. Milo konnte es nicht lassen, sich bei meiner Mom einzuschleimen.
»Ach, du Charmeur!«, Scherzhaft schlug sie ihm auf die Schulter und lachte laut. Dann wanderte ihr Blick zu mir und das Lächeln auf ihren Lippen schwand ruckartig. Ich musste keine Hellseherin sein, um zu wissen, was hinter ihren grünen Augen vor sich ging.
»Antonia, zieh dir bitte etwas Anständiges an, wenn deine Großeltern kommen«, abfällig musterte sie mich von Kopf bis Fuß.
»Wirklich? Ich wollte das eigentlich anlassen, Mom. Ich mag meine Latzhose und die Farbspritzer runden das ganze Outfit ab. Mir gefällt es«, ich zuckte provokant mit den Schultern.
»Du wirst dir etwas Anständiges anziehen, Antonia, Ende der Diskussion«, mit einem letzten abwertenden Blick in meine Richtung stöckelte sie wieder davon und in Richtung Küche.
Ich schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug.
»Beruhige dich, Tony«, eine Sekunde später spürte ich auch schon Milos Hand auf meiner Schulter und ich öffnete die Augen wieder. »Du weißt doch, wie sie ist...«
»Ich hasse sie.«
»Nein das tust du nicht«, Milo schüttelte den Kopf und schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln.
»Lass uns nach oben gehen«, grummelte ich und machte auf dem Absatz kehrt. Lautstark stampfte ich die Treppen nach oben. Womöglich konnte Mom es gar nicht hören, doch es verschaffte mir auf gewisse Weise trotzdem Befriedigung.
In meinem Zimmer angekommen ließ Milo sich auf mein King Size Bett fallen und streckte alle Viere von sich. Unterdessen begab ich mich widerwillig zu meinem begehbaren Kleiderschrank und suchte nach einem passenden Outfit für heute Abend.
Was würde meiner Familie wohl am wenigsten gefallen?
»Hast du schon von der School of the Art gehört?«, rief mir Milo aus dem Zimmer zu.
Ich zuckte erschrocken zusammen und streckte den Kopf durch den Türrahmen.
»Könntest du vielleicht nicht so schreien? Meine Eltern sind Zuhause!«, ich warf ihm einen bösen Blick zu.
»Als ob deine Eltern uns in einem Haus von tausend Quadratmetern hören könnten«, Milo hob zweifelnd eine Augenbraue.
»Wenn sie herausfinden, dass ich mich an einer Kunstuniversität beworben habe, bin ich einen Kopf kürzer, Milo!«, giftete ich.
»Schon gut, ich rede leiser«, er hob abwehrend die Hände und dämpfte seine Stimme etwas. »Also? Gibt es Neuigkeiten?«
»Nein, noch nichts«, ich presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Dann verschwand ich wieder in meinem Kleiderschrank. »Es spielt auch keine Rolle, selbst wenn ich angenommen werde. Meine Eltern würden es niemals zulassen. Ich bleibe an der University of Chicago und studiere weiterhin Architektur.«
»Weshalb hast du dich dann beworben?«, fragte Milo herausfordernd.
Ich wusste keine Antwort darauf.
Zwar wünschte ich mir aus tiefstem Herzen, an der Kunstuniversität angenommen zu werden, aber andererseits war da auch ein Teil in mir, der hoffte abgelehnt zu werden, um mir den Streit mit meinen Eltern einfach zu ersparen.
»Du liebst das Zeichnen«, versuchte er es erneut. »Tony, es ist deine Leidenschaft, du gehörst dorthin.«
»Können wir bitte das Thema wechseln?«, schob ich schroff ein und hoffte, dass Milo endlich aufhören würde, über meine Zukunft zu reden. Unterdessen schlüpfte ich in eine blaue Mom Jeans mit Cut Outs an den Knien und zog mir mein Merch T-Shirt von Machine Gun Kelly über.
Meine Eltern würden innerlich brodeln vor Wut.
Und meine Großeltern erst!
Mit einem Grinsen auf den Lippen kam ich aus dem Schrank zurück und drehte mich einmal um die eigene Achse.
»Na?«, fragte ich. »Wie sehe ich aus?«
Milo musterte mich ausgiebig und warf mir einen vielsagenden Blick zu.
»Als wärst du auf Ärger aus.«
»Perfekt«, erwiderte ich und grinste breit.
Ich schloss die Türen meines Kleiderschrankes und stieg in meine Vans. Auf Make-Up verzichtete ich.
Gerade als ich im Begriff war, mir meine Ohrringe anzustecken, fiel mir etwas an Milos Handgelenk auf.
Ich hielt mitten in der Bewegung inne. Ein ungutes Gefühl überkam mich.
Mit zwei schnellen Schritten verringerte ich den Abstand zwischen uns und griff nach Milos Hand. Hastig drehte ich seine Handfläche nach oben und schob den Saum seines Shirts hoch.
Unzählige, feine Narben zierten seinen Unterarm. Manche frisch, andere schon etwas älter.
»Milo, was ist das?«, verlangte ich zu wissen und sah ihm dabei fest in seine braunen Augen.
»Nichts«, blitzschnell entriss er sich meines Griffes und zog den Ärmel seines Shirts wieder herunter.
»Das ist nicht nichts!«, erwiderte ich sauer. »Du hast versprochen, damit aufzuhören Milo!«
Milo atmete geräuschvoll aus und starrte traurig auf seine Hände. Es war nicht zu übersehen, dass er sich unwohl in seiner Haut fühlte.
Dies war eine Seite an Milo, von der ebenfalls nur ich wusste.
In der Middle School hatte Milo zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass mit ihm etwas nicht stimmte, dass er irgendwie anders war, als die meisten Jungs in seinem Alter. Hinzu kam die Tatsache, dass er jeden Tag mit neuen blauen Flecken zur Schule kam und so suchte er ein Ventil - die Selbstverletzung. Ich erinnerte mich noch gut an den Tag zurück, als ich seine Narben zum ersten Mal in der Schule gesehen hatte. Nach dem Unterricht hatte ich mir ein Herz gefasst und ihn darauf angesprochen.
Man mochte es nicht glauben, doch seither waren wir unzertrennlich.
Es hatte zwar etwas Zeit in Anspruch genommen, bis ich sein Vertrauen gewonnen hatte, doch ich hatte es mir zur Mission gemacht, Milo beizustehen. Zudem war ich die Einzige, die es schaffte, zu ihm durchzudringen. Milo war anders gewesen, als die meisten Teenager in meinem Alter damals und genau deshalb mochte ich ihn so gerne. Während sich all meine Freundinnen von mir abgewandt hatten, weil ich mich nicht anpasste, war Milo stets an meiner Seite geblieben.
Und ich war an seiner Seite geblieben.
»Ist es wegen Leo?«, fragte ich vorsichtig und ließ mich neben ihm auf der Bettkante nieder. Bei meinen Worten zuckte er kaum merklich zusammen. Dann nickte er stumm.
Leo war Milos Exfreund. Vor einem Monat hatte er Milo für eine Frau verlassen. Die Trennung war Milo ziemlich nahe gegangen und wie es den Anschein hatte, tat sie es wohl immer noch. Seit einem halben Jahr schon hatte Milo sich keine eigenen Verletzungen mehr zugeführt - bis jetzt.
Seufzend lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und griff nach seiner Hand.
»Ich wünschte, ich könnte dir einen Teil deines Kummers abnehmen.«
Milo kämpfte mit den Tränen. Nach außen hin bemühte er sich stets um einen starken, charmanten und männlichen Eindruck. Doch tief im Innern war er eigentlich ein sehr introvertierter, unsicherer und sensibler, Mensch.
»Milo, du weißt, dass ich immer für dich da bin und dir zuhöre, aber du brauchst dringend Hilfe. Professionelle Hilfe«, schon seit einer halben Ewigkeit lag ich Milo in den Ohren damit, sich endlich einen Psychologen zu suchen. Bislang war ich kläglich gescheitert, doch ich gab die Hoffnung nicht auf.
Milo seufzte.
»Ich weiß.«
Mir war bewusst, dass Milo meine eben gesagten Worte nicht hören wollte, weil ihm mehr als klar war, dass ich recht hatte. Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, ihn regelmäßig daran zu erinnern. Allerdings wusste ich auch, wo Milos Grenzen waren - und ich akzeptierte diese. Daher erhob ich mich schließlich und rang mir ein kleines Lächeln ab, um Milo etwas aufzumuntern.
»Also dann, lass uns mal Angel und Köder auswerfen wir haben nämlich einen fetten Fisch am Haken«, grinsend bot ich Milo meine Hand dar, um ihm vom Bett aufzuhelfen.
Er nahm sie und ließ sich von mir auf die Füße ziehen.
Allem Anschein nach war ich erfolgreich, denn langsam aber sicher schlich sich auch auf Milos Lippen der Anflug eines Grinsens.
»Heißt dieser Fisch zufällig Dory?«
Eine Sekunde später brachen wir in schallendes Gelächter aus.
Mission erfüllt.
Hello ihr Lieben! Here we gooo again :)
Ich hoffe das erste Kapitel hat euch gefallen, auch wenn noch kein "Jony-Content" vorkam ;)
Hinterlasst mir eure Meinungen doch in den Kommentaren, ich würde mich sehr freuen!
Ganz liebe Grüße,
eure Lora
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