
7.
Zögerlich stand Diego an Genevieves Krankenbett.
"Ich lebe", stellte sie fest und breitete die Arme aus.
"Das sehe ich." Seine Stirn legte sich in Falten. "Das ist ungewöhnlich."
Sie kicherte. "Ich verzeihe dir, aber jetzt zum ernsten Business."
"Das da wäre?"
"Ich hab doch gesagt, ich helfe dir, deinen Seelenverwandten zu finden, wenn du mir hilfst."
"Ja?"
"Und da ich dir sehr offensichtlich gezeigt habe, dass ich es nicht bin, bist du jetzt dran."
Sie spielt mit mir. Weiß sie etwas, das ich nicht weiß?
Diego biss sich auf die Lippe. "Okay und wie?"
Genevieve zuckte mit den Schultern. "Sag du es mir Herr Serienkiller."
Diego wusste, dass sie ihn aufziehen wollte, doch etwas löste dieses Wort in ihm aus. Serienkiller. So negativ. Dabei tat er, was er tat doch für einen guten Zweck. Für die Liebe. Mit diesen Worten konnte alles beschönigt werden, doch nur im seltensten Fall stimmten sie. Diego jedoch hatte nicht die Absicht, zu lügen.
"Wie wär's mit dem Assistenzarzt? Der ist doch ganz nett."
"Klingt nach einem Plan."
Diego hatte keinen Plan. Wie sollte er ihr behilflich sein? "Ich wüsste nicht, wie ich dich dabei unterstützen könnte", gab er zu. Sie schüttelte den Kopf.
"Ich dachte, du hast eine gewisse Menschenkenntnis. Guck, ob er zu mir passt."
"Kannst du das nicht alleine?", fragte Diego und seufzte.
"Tut mir leid, man hat mich an's Bett gefesselt. Wenn ich mich richtig erinnere, dann bist du Schuld daran."
Diego stand kopfschüttelnd aus und trat auf den menschenleeren Krankenhausflur. Die Neonröhren an der Decke flackerten mit dem vertrauten, so einzigartigen Geräusch, das eine jede uralte Kellerlampe von sich gab, wenn man sie einschaltete.
Da erblickte er den Assistenzarzt, Dr. Elias Mill. Ein junger Mann mit dunklen, unordentlichen Locken und warmem Blick, der auf die Rückseite seines Klemmbrettes einen Garfieldsticker geklebt hatte.
Er rollte gerade eine ältere Dame in einem Rollstuhl über den Flur. Als er Diego passiert grüßte er freundlich. Dieser konnte einen Blick auf Mills Ausweisschild an der Brusttasche erhaschen. Es zeigte den Arzt mit stramm geglätteten Haaren.
Er hatte eine Phase, in der ihm seine Locken peinlich waren. Sie sind noch immer ein sensibles Thema für, so oft wie er sich durch die Haare fährt. Irgendetwas hat diese Scham ausgelöst. Er hat Angst, erwachsen zu werden. Darum hat er das Haargel hinter sich gelassen und trägt seinen Lieblingscartoon immer bei sich. Seine Nägel sind abgekaut, es geht ihm nicht gut, er ist nervös und unsicher.
Diego machte auf dem Absatz kehrt und betrat Genevieves Krankenzimmer erneut.
"Du solltest ihm bei nächster Gelegenheit ein außergewöhnliches Kompliment über seine Haare machen. Magst du Garfield."
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. "Wer nicht?"
Diego seufzte. "Also dein Doktor mag ihn auf jeden Fall, wenn du mit ihm über deine und seine Kindheit redest, dann wird er vermutlich in Tränen ausbrechen, also geh das Thema behutsam an. Ansonsten würde ich sagen, you're good to go."
Genevieve nickte. "Alles klar, dann berichte ich dir morgen von meinen Erfolgen." Sie lächelte.
Als Diego am nächsten Morgen vor der Arbeit das Krankenhaus aufsuchte wurde er zurückgehalten. Eine junge brünette Frau, begleitet von einem noch jüngeren Mann mit tiefen Augenringen und schlechtem Mundgeruch war ihm hinterhergelaufen, um ihn aufzuhalten.
"Was ist denn los?", fragte Diego irritiert, "Eine Freundin von mir ist da drin, ich will sie nur besuchen."
Sie hielt ihm einen Ausweis unter die Nase. Mordkommisson, ich muss Sie bitten, den Besuch zu verschieben und das Gelände möglichst schnell zu verlassen.
"Bitte was?"
"Vorher brauche ich noch Ihre Personalien."
Diego zerrte seinen Ausweis aus der Brusttasche seiner Jacke und hielt ihn ihr entgegen. Sie notierte sich seinen Namen und Anschrift auf einem kleinen Block.
"Wie heißt Ihre Freundin?"
"Genevieve", antwortete Diego, bemerkend, dass er ihren Nachnamen nicht kannte.
"Welches Zimmer?"
"Äh, 473?", erinnerte er sich.
"Sicher?"
Er nickte.
"Dann würde ich Sie gerne darüber informieren, dass Ihre Freundin gestern Nacht den diensthabendgnen Assistenzarzt ins Jenseits geprügelt hat."
Diego schluckte.
"Was?"
"Der Typ ist echt nicht so hell", murmelte der obdachlos wirkende Begleiter der Kommissarin ein wenig zu laut.
"Hey", setzte Diego an, wurde aber unterbrochen.
"Wie gut befreundet sind Sie mit Genevieve?"
Keine Ahnung.
"Relativ gut, wieso?"
"Sieht diese Tat ihr ähnlich? Sie bestreitet den Scheiß nämlich und ich habe wirklich keinen Bock, hier zu sein. Aber wissen Sie, mein Kollege, der immer die Befragungen macht, feiert den Geburtstag seiner Nichte und hat heute frei."
"Ist nicht das ihr Kollege?", fragte Diego verwirrt und deutete auf den jungen Mann.
Kurz hielt sie inne und blickte ihren Begleiter an. Dann drehte sie sich wieder zu Diego. In einem Tonfall, als wäre sie Ärztin, die ihm gerade erklärte, er habe Krebs und noch zwei Monate zu leben sagte sie: "Wenn das der Fall wäre, dann hätte ich mich schon längst brennend vom Dach der Polizeizentrale geworfen."
Diego nickte sehr langsam, unschlüssig, was er zu sagen hatte.
"Kann ich Genevieve sehen?"
Sie seufzte. "Ja schön, folgen Sie mir."
Genevieve saß in einem Bett. Der kleine Kellerraum war kaum größer, als ein reguläres Gästeklo. Diego hatte Schwierigkeiten, aufrecht zu stehen. Sie trug noch das selbe Krankenhaushemd vom Vortag und auch das selbe grüne Armband.
Dennoch war etwas falsch.
Denn Genevieve sah nicht aus, wie Genevieve. Diego hatte diese Frau noch nie gesehen. Von der Haarfarbe bis zur Statue war sie ihm gänzlich unbekannt. Er sah fragend zur Kommissarin.
"Das...das ist nicht Genevieve."
"Genevieve?", fauchte die Frau im Bett. "Wer zur Hölle soll das denn sein? Ich habe nichts gemacht."
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