17.
Ava wartete bereits auf sie, als Ariel das Misty Heaven betrat und sich erneut fragte, was die Menschen aus Pendale immer wieder dorthin zog.
Sie ließ sich auf dem freien Stuhl nieder und musterte ihre Schwester, die wie ein Häufchen Elend am Fenster lehnte.
"Ich höre dir zu, sag, was du sagen musst."
Ava richtete sich auf. Sie hatte Tränen in den Augen, ihre Haare waren zerzaust und ihr Eyeliner war einem verschmierten Fleck auf dem Lid gewichen.
"Es tut mir Leid, Ariel", murmelte Ava. "Ich hab Scheiße gebaut."
"Ich weiß", schnaubte Ariel. "Ihr baut immer Scheiße, aber warum muss ich es immer ausbaden?"
Ava räusperte sich. "Ich weiß es nicht...aber ich habe ihm wehgetan. Nein, nicht wehgetan, ich habe ihm nicht wehgetan. Und das ist noch viel schlimmer."
Ariel runzelte die Stirn. "Das verstehe ich nicht."
"Diego, er hatte keine Schmerzen. Und er ist nicht gefallen, ich habe ihm das Messer ins Gesicht gerammt. Ich und nicht Genevieve."
Sie nickte. "Ich muss ins Gefängnis. Er traut mir doch nicht, ich bin nicht seine Seelenverwandte, aber er ist meiner. Warum ist das überhaupt möglich? Er konnte ihr wehtun, aber ich ihm nicht!"
Ava schluchzte leise. Ariel zuckte mit den Schultern.
"Er hat dich nicht verraten, okay?"
Ava sah auf. "Nicht?" Ariel schüttelte den Kopf. "
"Nach Genevieve hat er gefragt, aber die Schuld gab er sich selbst."
"Warum?"
"Ich weiß es nicht." Ariel griff nach Avas Becher und nahm einen Schluck. Augenblicklich verzog sie das Gesicht. "Was ist das denn bitteschön für ein Zeug?"
Ava schüttelte den Kopf. "Ich will zu ihm."
"Du bleibst, wo ich dir sage, dass du bleibst. Du kannst es dir absolut nicht leisten, draußen rumzulaufen."
Ariel verzog das Gesicht und stellte den Becher wieder vor ihrer Schwester ab.
"Ava, ich hab Angst um dich. Um Alex auch. Wie ist es denn möglich, dass bei drei Kindern nur ein einziges entsteht, das man der Welt zumuten kann?"
Ava biss sich auf die Lippe. "Das bringt uns jetzt auch nicht weiter."
"Uns? Das, meine Liebe, ist ein Problem, in das du dich ganz alleine geritten hast. Und wenn es nach mir ginge, würde ich dich und Alex direkt einweisen lassen. Aber so funktioniert das ganze leider nicht."
"Und jetzt?", fragte Ava resigniert und heftete ihren Blick auf die Tischplatte.
"Gott, könnt ihr beiden nicht einmal für euch selbst denken? Ihr seid erwachsen und trotzdem habe ich das Gefühl, dass all eure funktionsfähigen Gehirnzellen bei mir aufbewahrt werden."
"Okay, ich gehe zur Polizei und stelle mich", fasste sie einen Entschluss. Ariel verdrehte die Augen. "Damit ich dann von Mum und Dad direkt in die Leichenhalle befördert werde? Das kannst du schön vergessen."
"Dann...ich weiß nicht, was ich machen soll, okay, Ariel?", zischte sie.
"Okay, dann halt dich an meinen Plan und verlass das Haus nicht, du Idiotin." Ariel stand auf und verließ das Café. Ava blieb sitzen, ohne den Blick zu heben. Sie war sich sicher, dass ihre Schwester auf keinen Fall wieder nach Hause fahren würde, aber inzwischen war es ihr auch egal.
Sie stapfte durch den Schnee, der in den letzten Stunden lieblos von den Gehwegen geschaufelt worden war und nun in großen matschigen Haufen am Straßenrand lag. Es war bitterkalt und Ariel war nur mäßig passend gekleidet, um durch den Winter zu laufen.
Noch sieben Tage bis Weihnachten!
verkündete eine Werbetafel über der Kreuzung. Sieben Tage, bis Ariel alleine im Keller hockte und freudlos eine Tiefkühlpizza verspeiste, während sie starr auf ihr Handy blickte und hoffte, dass irgendjemand aus der Familie sich bei ihr melden würde.
Das war die letzten Jahre nie passiert, aber wie sonst sollte sie den Abend überbrücken?
Plötzlich erblickte sie eine unscheinbare Person unter dem Vordach der Apotheke, die an einem Aktionsaufsteller für Nasenspray lehnte.
Ariel lief auf das Geschäft zu.
Alex trug nichts weiter als ein Hemd und eine durchlöcherte Jeans. Seine Lippen waren blau seine Haare triefend nass.
Ein Stich traf sie im Herzen, der so sehr schmerzte, dass sie aufkeuchte.
"Was machst du hier?", fragte sie alarmiert und hockte sich vor ihn. Alex grinste sie an.
"Was denn, mir geht's super, ich bin ein Kunstwerk der Umstände, ist das nicht toll?"
"Und was will der Künstler damit sagen?"
Er kicherte. "Sag du's mir, Ariel, ohne dich wäre das Werk nie entstanden."
Abrupt richtete sie sich wieder auf. "Du spinnst wohl, der einzige Künstler, der hier am Werk war bist du, okay? Verdammt nochmal, warum kann ich eigentlich nie mal ein Danke hören? Hm? Danke, dass du mich ewig bei dir hast wohnen lassen, Ariel, obwohl ich ein Arschloch vom feinsten bin und mir nicht helfen lassen will? Danke, dass du mir immer deine Hilfe angeboten hast, Ariel, ich sie aber nie angenommen habe, weil ich zu hacke war. Danke, dass du mich deckst, obwohl ich eine Gefährdung für die Allgemeinheit bin, Ariel. Find ich super, du bist eine tolle Schwester, ich gehe jetzt zu meinen Eltern, schnorre mir etwas Geld und begebe mich dann in klinische Behandlung, klingt das gut?"
Alex schnaubte verächtlich. "Dacht' ich's mir doch. Genauso abgehoben, wie erwartet. Du weißt doch gar nicht, wie es mir geht."
"Doch, Alex, das weiß ich. Du bist ein Wichser, ein ekelhaftes Stück Scheiße, einfach nur traurig, such dir was aus. Lieber verbringe ich Weihnachten alleine, als dass ich es mit dir verbringe."
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