III. Kapitel
Der Morgentau glitzerte noch auf den bunten Blumen, die auf dem Sims des geöffneten Fensters standen und die Nacht über die frische Sommerluft genossen hatten. Hectors Käfig stand noch leer auf der breiten Kommode aus rauem Ebenholz und die goldene Tür klappte in der morgendlichen Brise auf und zu. Der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte eine Uhrzeit an, die verdächtig danach aussah, als hätte sie ihren Wecker verschlafen und die bereits aufgehende Sonne bestätigte diese Annahme.
»Oh, scheiße! Scheiße! Scheiße!«, fluchte Jade und sprang aus dem Bett.
Sie hatte noch zehn Minuten, um die Küche zu finden und rechtzeitig zu Beginn ihrer Strafarbeit vor Ort zu sein. Das war eindeutig zu wenig Zeit, denn das Schloss erschien ihr wie ein einziger Irrgarten und ohne Führer war es für sie nahezu unmöglich, innerhalb von zehn Minuten überhaupt vom Gemeinschaftsraum der Ravenclaws in die große Halle zu gelangen.
Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass ihre Haare aussahen, als hätte man sie zu einem Vogelnest umfunktioniert und ihre Augenringe hätte man mit denen eines Waschbären verwechseln können. Von ihrem Nachttisch griff sie sich ein Haarband und schlüpfte in ihre warmen Hausschuhe, die sie glücklicherweise am Vorabend ausgepackt hatte. Beany drehte sich bloß auf die andere Seite, als Jade fluchtartig an ihr vorbei stolperte und die einzelnen Treppenstufen hinunter zum Gemeinschaftsraum in großen Sprüngen übersprang. Während sie versuchte, ihr langes Haar zu bändigen, erreichte sie den menschenleeren Korridor und blickte sich nach dem nächsten Gemälde um, das ihr den Weg würde weisen können.
Ein kugelrunder Mann, dessen Gesicht wie ein riesiger Vollmond aussah und dessen gelbe Kleider aus allen Nähten zu platzen schienen, saß in sich zusammengesunken an einer leer gegessenen Tafel und blubberte im Schlaf immer wieder unzusammenhängende Worte.
Jade erkannte den Mann. Raven hatte ihr seinen Namen am Tag ihrer Anreise verraten.
»Sir Fur... son! Nein, Sir Fur... genson! Quatsch, Sir - ha - Sir Furgus!«, überlegte sie und rief den letzten Namen so laut, dass man ihn vermutlich noch im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum verstanden hatte. Erschrocken fuhr der dickliche Mann hoch und blinzelte schlaftrunken in das für ihn große Gesicht der hübschen Schülerin.
»J... ja?«
»Sir Furgus! Wo finde ich die Küche?«, fragte Jade und schenkte ihm ein aufgewecktes Lächeln.
»Die Küche? Heute steht Blaubeersuppe mit Grießbällchen auf dem Mittagsplan!«
»Nein!«
»Doch! Das weiß ich genau! Ich hab die Oberküchenelfe bezirst, damit sie es mir verrät!«, er zwinkerte Jade noch immer ein wenig verschlafen zu.
»Ja - Nein!«, Jade schüttelte den Kopf. »Mag sein, aber das ist egal! Wo finde ich die Küche? Wie komme ich dorthin?«
»Wo? Oh! Einfach immer dem Geruch nach!«, er grinste selbstzufrieden, dann sackte er auf seinem Stuhl zusammen und fiel augenblicklich wieder in tiefen Schlaf.
»Sir Furgus! Sir - verdammt!«
Fluchend wandte Jade sich von dem Gemälde ab und blickte sich um. Sie hatte keine Zeit mehr. Entweder sie suchte sich ihren Weg eigenständig durch das Schloss und riskierte zu spät zu kommen und eine daraus resultierende noch größere Strafe oder sie fand einen anderen Weg, rechtzeitig die Küche zu finden. Fieberhaft sah sie den endlosen Korridor hinab, als ihr ein rettender Gedanke kam.
Hastig sprintete sie los, wobei sie beinah auf dem glatten Boden ausgerutscht wäre, und folgte dem Weg, den Beany und sie am Vortag gemeinsam hinab in die Kerker genommen hatten. Es war der einzige Weg im Schloss, den sie sich fest eingeprägt hatte, ebenso die Stelle in der Wand, an der die vier Slytherins hinter der versteckten Tür hervor gekommen waren. Mit etwas Glück war Draco noch nicht losgelaufen und mit noch etwas mehr Glück würde sie ihm zur Küche folgen können.
Außer Atem erreichte Jade die Abbiegung, hinter deren Ecke sie wusste, dass das Haus der Slytherin lag. Gerade noch rechtzeitig, denn das letzte, was sie von Draco sah, war sein schwarzer Anzug, der hinter der nächsten Ecke verschwand. Erleichtert atmete sie aus und folgte ihm nahezu lautlos in den langen Korridor. Es ging um mehrere Ecken und als Jade schließlich um die letzte ging, sah sie gerade noch, wie Draco in einem der vielen Klassenzimmer verschwand. Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen und spähte vorsichtig um die offen stehende Tür herum, um zu sehen, was Draco in dem Klassenzimmer wollte. Doch das Zimmer war leer.
Erschrocken stolperte Jade hinein, um zu sehen, wohin er hatte verschwinden können, doch der Raum war vollkommen leer, abgesehen von ein paar verstaubten Gemälden und zwei Stühlen, die jemand vergessen hatte, wegzuräumen.
»Warum folgst du mir?«, fragte Draco ruhig hinter ihr und sie wirbelte herum, um ihn ansehen zu können, wobei ihr Herz vor Schreck einen Moment aussetzte. Er stand vollkommen gelassen mit der Schulter an die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und musterte sie mit kalten Augen. Sein Blick wanderte von ihrem Scheitel zu ihren Füßen und zurück ohne dabei einen Millimeter auszulassen und sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, als sie sich daran erinnerte, wie sie im Spiegel ausgesehen hatte.
»Ich - «, Jade brach ab, um die Worte in ihrem Kopf zu ordnen und tief durchzuatmen, bevor sie antwortete: »Ich weiß nicht wo die Küche liegt und gestern habe ich vergessen, jemanden zu fragen. Heute morgen habe ich verschlafen und Sir Furgus konnte mir nicht sagen, wie ich zur Küche komme. Den einzigen Weg, den ich kenne, ist der runter in die Kerker und ich habe gehofft, dass du noch nicht losgelaufen bist, sodass du mich hinführen könntest.«
Jade schenkte ihm ein hoffnungsvolles Lächeln, das er nur mit einem genervten Blick quitierte, bevor er sich von der Wand abstieß und zurück hinaus auf den Korridor trat.
»Falls Professor McGonagall schon da ist, sage ich ihr, dass wir deinetwegen zu spät sind.«
Mit diesen Worten marschierte er los und sie schloss hastig zu ihm auf, wobei sie nicht verhindern konnte, dass sich ein triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.
~•~
In der Küche warteten die Oberküchenelfe, Harry und Professor McGonagall bereits ungeduldig auf die beiden und als sie durch die schmale Küchentür eintraten, warfen beide Frauen ihnen missbilligende Blicke zu.
»Sie sind zwei Minuten zu spät.«, bemerkte die Professorin spitz.
»Tut mir leid, Professor. Jade hat den Weg noch nicht gefunden und ich habe sie eingesammelt.«, antwortete Draco ruhig und verzog keine Miene, als Professor McGonagall ihn scharf musterte.
»Von mir aus, aber wehe Sie kommen morgen noch einmal zu spät!«
»Das wird nicht passieren, Professor.«, erwiderte Jade und spürte den durchdringenden Blick der in die Jahre gekommenen Lehrerin sich tief in ihre Augen bohren. Ohne weiter auf diese Bemerkung einzugehen, wandte Professor McGonagall sich um und wies auf die Oberküchenelfe, die sie missmutig musterte.
»Dorothea wird Sie einweisen und mich über alles informieren, was hier vor sich geht. Ich rate Ihnen also davon ab, ein weiteres Mal Dummheiten zu begehen.«
»Na, dann kommt mal mit!«, krächzte die verhältnismäßig ungewöhnlich kleine Hauselfe und marschierte zwischen den Spülbecken hindurch ohne sich umzudrehen. Harry folgte ihr stumm, während Jade und Draco sich hinter ihm einreihten.
»Danke.«, flüsterte Jade Draco über die Schulter zu, doch er schüttelte nur den Kopf, als sei sie eine besonders lästige Fliege.
Dorothea führte die drei in eine großräumige Küche, wo drei Hauselfen damit beschäftigt waren, die Löffel in verschiedenen Schüsseln zu rühren, Pfannen zu wenden, Eier aufzuschlagen und auf verschiedenste Arten und Weisen zu verarbeiten, Obst und Gemüse zu schneiden, Wurst und Käse auf Platten zu drapieren und alles Mögliche für das anstehende Frühstück vorzubereiten; Und all dies taten sie von einer Theke aus, während sie aus dampfenden Tassen tranken und ihre Finger wie Dirigenten eines riesigen Orchesters hin und her schwangen.
Mit großen Augen beobachteten Harry, Draco und Jade die Schüsseln, Töpfe, Pfannen, Teller, Tassen, Platten und Bleche, die vor ihren Nasen durch den Raum flogen und sich wie von alleine übereinander stapelten oder die Ladung eines anderen übernahmen.
»Die drei scheinen gut alleine zurecht zu kommen. Wir würden sicherlich nur stören.«, wandte Draco sich an Dorothea und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln, das sie nicht erwiderte. Stattdessen flogen die Teller, die gerade sorgfältig gestapelt worden waren, so nah an einer Schüssel vorbei, dass der Teig, der plötzlich deutlich aggressiver als vorher gerührt wurde, jeden einzelnen von ihnen erwischte und flogen dann ohne Umwege in den Nachbarraum, wo sie sich neben den Waschbecken stapelten. Keiner der Hauselfen würdigte sie auch nur eines Blickes, als die Kelle wieder vollkommen ruhig damit fortfuhr den Teig zu rühren.
»Keine Sorge, es gibt immer Arbeit in der Küche und wenn nicht, dann sorgen die Hauselfen dafür, dass es Arbeit gibt. Also, beschweren Sie sich morgen lieber nicht zu früh.«, antwortete Dorothea kühl, bevor sie auf die Teller deutete und sich an alle drei wandte. »Heute spült ihr die Teller. Sie müssen bis sieben Uhr blitzsauber sein. Ist auch nur an einem noch eine winzige Spur Teig, dann sorgt Dorothea dafür, dass Professor McGonagall Sie für das gesamte Schuljahr von jedem Quidditchspiel ausschließt! Jeden von Ihnen!«
Damit verschwand sie in einem Knall und ließ die drei Zauberer alleine in der großen Küche stehen. Die Hauselfen auf der Theke warfen ihnen kurz missbilligende Blicke zu, dann fuhren sie damit fort, die Sechstklässler zu ignorieren.
»Das ist doch lächerlich!«, ärgerte sich Draco, doch Harry fuhr ihn wütend an.
»Halt die Klappe, Malfoy! Nur wegen dir sitzen wir jetzt hier, also streng dich gefälligst an die verdammten Teller sauber zu kriegen!«
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Jade zwischen den beiden Jungen hin und her, die sich feindseelig anfunkelten.
»Okay, dann lasst uns mal anfangen!«, warf sie ein und klopfte Harry aufmunternd auf die Schulter, bevor die beiden doch noch handgreiflich werden konnten. Beinah wehmütig lösten die beiden ihre Blicke voneinander und folgten ihr zu den Spülbecken, wo drei Waschlappen herbeigeflogen waren, die ihnen mit jeweils einer Ecke zuwinkten. Seufzend krempelten sie die Ärmel hoch, drehten die Wasserhähne auf und nahmen die ersten Teller von ihren Stapeln.
»Sie ist nicht immer so.«, sagte eine kindliche Stimme, die von einer zwergenhaften Gestalt stammte, die verdächtig nach einem Hauselfenkind aussah. Der kleine Junge trug eine himmelblaue Schlafmütze auf dem Kopf und seine knollige Nase war seltsam gerötet. Mit großen, eiswasserblauen Augen blickte er zu Jade auf, ihren Schlafanzugzipfel noch immer in der Hand.
»Hallo, wer bist denn du?«, fragte Jade vorsichtig und beugte sich ein wenig zu dem kleinen Geschöpf hinunter, das ihr ein glückliches Lächeln schenkte.
»Fred ist mein Name, Lady.«
»Lady?«
»Sie sind so hübsch, deshalb wollte ich es auch Ihnen sagen und nicht den bösen Herren.«
»Oh, das verstehe ich natürlich! Mit den finsteren Gesichtern hätte ich auch nicht sprechen wollen! Dankeschön, aber was wolltest du mir sagen?«
»Dorothea, sie ist nicht immer so. Sie mag es nur nicht, wenn man ihre Ordnung und ihr System in der Küche durcheinander bringt. Tut mir leid, Lady, dass sie Sie so ausgeschimpft hat.«
»Das ist nicht schlimm. Sie wird sich bestimmt an uns gewöhnen.«
»Bestimmt, Lady! Ähm, ich habe gehört, dass Sie gar nicht gezaubert haben. Wieso sind Sie hier, Lady?«
»Ich habe Professor McGonagall Widerworte gegeben.«
»Wird das so schlimm bestraft?«
»Eigentlich nicht, aber ich glaube, sie musste beweisen, dass es streng bestraft wird, wenn man sich ohne Aufsicht duelliert.«
»Ich freue mich, dass Sie hier sind! Sie sind nett zu mir!«
Jade lächelte und wuschelte Fred liebevoll über den Kopf. Er schüttelte sich kichernd unter der Nässe und blinzelte dann unschuldig.
»Wissen Sie, von wem ich meinen Namen habe?«
»Nein, erzähl es mir.«
»Von einem Jungen, der hier zur Schule gegangen ist! Er hat die böse Umbridge fertig gemacht und ein wunderschönes Feuerwerk gezaubert! Meine Mama sagt, dass ich eines Tages genauso gut werde zaubern können, wie er! Ich übe jeden Tag!«
»Es wäre ungemein hilfreich, wenn du aufhören würdest dich mit dieser Kreatur zu unterhalten und stattdessen weiter die Teller säubern würdest!«, unterbrach Draco ihre Unterhaltung gereizt und funkelte den Zwerg neben Jade ungnädig an. Erschrocken versteckte dieser sich hinter deren Bein, sodass nur noch seine Nase hinter ihrer Hose hervorlugte.
»Er ist ein böser Herr, Lady! Besser Sie reden nicht mit ihm!«
»Schon gut, Fred. Draco, ich sehe keinen Grund, warum ich nicht mit Fred reden sollte! Ich habe bisher mehr Teller geschrubbt, als du und außerdem ist Fred deutlich geselliger und netter als du es bist!«
»Wirklich? Finden Sie, dass ich nett bin, Lady?«, fragte Fred hoffnungsvoll und wagte sich wieder hinter ihr hervor. Über sein Gesicht hatte sich ein breites Lächeln gelegt. »Die anderen Hauselfen sagen immer nur, dass ich nutzlos bin, weil ich immer die Teller kaputt mache.«
»Keine Sorge, Fred. Dein Namensbruder hat die Schule auch nicht beendet und ist erfolgreich geworden. Nicht jeder Hauself ist dafür gemacht, in der Küche zu arbeiten.«, erklärte Jade mit warmer Stimme und lächelte dem Zwerg aufmunternd zu.
»Danke, Lady! Das werde ich gleich meiner Mama erzählen! Sie wird sich riesig freuen! Bis bald!«, rief Fred, zog kurz seine Mütze und verschwand dann in einem lauten Knall. Lächelnd widmete Jade sich wieder den Tellern, die sich noch immer erbarmungslos vor ihr stapelten.
»Sie sind großherzig, nicht wahr?«, fragte Harry und deutete auf die Stelle, an der Fred verpufft war. »Zumindest die meisten.«
»Ich kenne ehrlich gesagt nur nette Hauselfen. Vielleicht mit Ausnahme von den dreien drüben, aber sogar Dorothea soll ganz nett sein können.«
»Kennst du viele Hauselfen?«
»Wirklich mit ihnen geredt habe ich nur mit Fred und ... Balduin, aber ich glaube, sie haben alle einen weichen Kern.«
»Wer ist Balduin?«
Jade zögerte und musterte Harrys neugierigen Blick. Balduin war Teil eines Kapitels, das sie mit noch niemandem außer ihrer Großmutter und Raven geteilt hatte. Ein Kapitel, in das sie selbst nicht zu blicken wagte, dessen Schmerz und Erinnerung sie fürchtete und das sie am liebsten aus ihrem Leben brennen würde, wie herausgerissene Seiten aus einem Buch.
»Das ist eine lange Geschichte.«, winkte sie ab, doch Harry schien nicht locker lassen zu wollen.
»Wir haben Zeit.«
Vielleicht lag es daran, dass er nicht mit Draco reden wollte, vielleicht langweilte er sich einfach und vielleicht interessierte er sich auch einfach für die Geschichte hinter dem londoner Mädchen von der französischen Mädchenschule Beauxbatons, doch Jade wusste, dass diese Geschichte nicht so früh am Morgen, nicht einfach als Gesprächsfüller während einer Strafarbeit, erzählt werden durfte. Sie erforderte mehr Zeit, mehr Emotionen und mehr Platz für Tränen.
»Ich glaube nicht, dass das reicht.«
Wortlos schrubbte Jade an ihren Tellern weiter, aggressiver und geräuschvoller, ohne die Jungen noch eines weitern Blickes zu würdigen.
In ihrem Inneren spürte sie, wie eine lang unterdrückte, sorgfältig verborgene Unruhe in ihr Bewusstesein zurück kehrte. Sie hatte in den Schatten gelegen, gewartet, gelauert auf einen Tropfen Blut, der ihr signalisierte, dass bald ein Massaker folgen würde, und kroch nun langsam ins Licht, um ihre Beute gebührend in Empfang zu nehmen.
Harry zog überrascht die Augenbrauen zusammen, widmete sich dann jedoch wieder seinen Tellern, Draco jedoch musterte Jade aufmerksam. Seine Augen wanderten über ihre zarten Züge, die mit einem Mal so gebrechlich wirkten, tasteten über ihre Lippen und bemerkten das kurze Aufblitzen einer Träne, die ihre nun blassen Wangen hinab fiel, doch als er erneut hinsah, war ihre Haut unberührt ohne eine Spur der salzigen Flüssigkeit.
~•~
Der angenehme Duft von frisch gebackenen Brötchen drang in ihre Nase, als Jade müde die große Halle betrat und sich schlaftrunken neben Raven auf die lange Bank am Ravenclaw-Tisch fallen ließ. Sie hatten bis kurz vor sieben Uhr nahezu schweigend die Teller gesäubert, bis man sich schließlich beinah in ihnen spiegeln konnte und waren dann für eine kostbare Viertelstunde in ihre Schlafsäle zurück gekehrt, um sich auszuruhen. Raven warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor sie ihr wortlos eines der Croissants auf den Teller legte, die direkt vor ihnen in der Tafelmitte standen.
»Dankeschön.«, gähnte Jade und nahm das Croissant in die Hand, um es aufzuschneiden.
»Guten Morgen, Jade.«, erwiderte Raven kurz angebunden und ihre Schwester ließ augenblicklich das Croissant sinken. Sie war nun hellwach.
»Tut mir leid, wegen der Strafarbeit, Raven. Ich wollte Harry nur verteidigen!«
Raven wandte sich um und sah Jade säuerlich an. Ruby neben ihnen drehte sich hastig zu ihrer anderen Sitznachbarin um und verwickelte diese in ein angestrenges Gespräch über Liebestränke - ein Thema, das Ruby in letzter Zeit öfter anzusprechen schien, wenn Jade die immer wieder aufgeschnappten Gesprächsfetzen richtig zusammengesetzt hatte.
»Du bist einen Tag hier und gleich am nächsten Tag tauchst du zu spät zum Frühstück auf, weil du von vier Uhr morgens bis sieben damit beschäftigt warst, unsere Teller zu schrubben! Ich weiß wirklich nicht, wie du es immer schaffst, dich in Schwierigkeiten reinzureiten, sobald du irgendwo auftauchst! Wenn Professor McGonagall Harry und Draco zu einer Strafarbeit verdonnert, musst du dich ja nicht gleich mit Gejubel anschließen!«
»Woher weißt du das mit den Tellern?«
»Hat Hermine mir erzählt, aber lenk nicht vom Thema ab!«
»Du tust ja gerade so, als hätte ich Professor McGonagall angefleht, mich in die Strafarbeit miteinzubeziehen! Ich habe lediglich versucht eine Ungerechtigkeit zu berichtigen!«
»Das versuchst du ständig und trotzdem endet es häufig damit, dass du Ärger kriegst!«
»Warum bist du denn plötzlich so sauer? Normalerweise bleibst du doch auch ruhig, wenn ich Mist baue.«, versuchte Jade ihre Schwester verspielt zu beruhigen und tatsächlich entdeckte sie ein leichtes Zucken der Mundwinkel Ravens, als deren Züge sich milderten und sie ihre jüngere Schwester durchdringend ansah.
»Tut mir leid. Ich will bloß nicht, dass du hier bald den gleichen Ruf hast, wie auf Beauxbatons.«
»Was, dass ich nur Unruhe stifte und dass überall, wo ich auftauche, Ärger entsteht? Oder dass mich niemand aus meinem Jahrgang im Duell besiegen kann und dass ich die effektivsten Tränke des gesamten Jahres brauen kann?«, fragte Jade keck und schenkte Raven ein verschmitztes Lächeln.
»Wir wissen beide, dass ich ersteres meine. Letzteres kann sich gerne auch hier fortsetzen.«
Sie schmunzelte nun ebenfalls und reichte ihr die Erdbeermarmelade, auf die Jade seit Beginn ihrer Unterhaltung geschielt hatte. Diese jedoch hatte keine Zeit, sich bei ihr zu bedanken, denn just in diesem Moment vernahmen sie ein wildes Rauschen, wie von tausend Flügeln, dass sich schnell auf sie zu bewegten. Um sie herum wandten alle Schüler ihre Köpfe erwartungsvoll den hoch liegenden Fenstern der großen Halle entgegen, wo nun unzählige Eulen in die Halle stoben. Ihre breiten Flügel erzeugten ein lautes Grollen, das für wenige Augenblicke die gesamte Halle auszufüllen schien, als hätten die Schüler und Lehrer keinen Platz mehr darin. Schleiereulen, Schneeeulen, Waldkäuze, Waldohreueln, Steinkäuze und Jade erkannte sogar vereinzelte Uhus und eine Zwergohreule. Die Zwergohreule ihrer Großmutter, Robert.
Raven warf Jade einen sorgenvollen Blick zu und fragte über das Krächzen und Flügelschlagen hinweg: »Hast du Großmutter einen Brief geschrieben, als wir vorgestern angekommen sind?«
Entsetzt riss Jade die Augen auf und folgte Robert mit den Augen, wie er langsam zu ihnen herab segelte und sanft auf ihrer Schulter landete, als wäre er selbst eine einzelne Feder. Den Brief, den er in den Krallen getragen hatte, ließ er vorsichtig vor ihr auf den Teller fallen und rieb dann seinen Kopf tröstend an ihrem, als wolle er ihr schon im Voraus gut zureden. Neugierig betrachtete Ruby den cremefarbenen Umschlag und blickte dann mitleidig zu ihr auf. Auch die anderen an ihrem Tisch schienen darauf gespannt zu sein, was der Umschlag zu sagen hatte, denn sie wandten ebenfalls die Köpfe und folgten dem Heuler mit ihren Blicken, wie er sich langsam in die Luft erhob und tief Luft holte.
»FRÄULEIN! NUSCHEL ICH? REDE ICH UNDEUTLICH? IST HECTOR AUF DEM FLUG VERLOREN GEGANGEN ODER WIESO HABE ICH KEINEN BRIEF VON DIR ERHALTEN? VIELLEICHT SOLLTE ICH PROFESSOR MCGONAGALL DARUM BITTEN, DICH NACHSITZEN ZU LASSEN, DAMIT DU LERNST, WAS ES HEISST, EIN VERSPRECHEN ZU GEBEN UND AUCH EINZUHALTEN! DIR HÄTTE ALLES MÖGLICHE PASSIERT SEIN KÖNNEN! DENK DOCH BITTE DAS NÄCHSTE MAL AN MEIN HERZ, BEVOR DU MIR WIEDER KOPFSCHMERZEN BEREITEST MIT DEM UNSINN, DEN DU DEN GANZEN TAG VERZAPFST UND MELDE DICH BEI MIR, BEVOR ICH VOR SORGE IN OHNMACHT FALLE!«
Stille. In der gesamten Halle wagte niemand einen Laut von sich zu geben.
Vorsichtig öffnete Jade die Augen, die sie während der Ansprache des Heuelers geschlossen hatte und sah sich blinzelnd in der Halle um. Jedes einzelne Augenpaar im Raum war nun auf sie gerichtet. Hitze stieg ihr in den Kopf und sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass ihr Gesicht rosarot anlief. Aus den Reihen der Slytherins vernahm sie leises Gekicher, die Hufflepuffs tauschten verlegene Blicke aus, die Gryffindors warfen Ron beiläufige Blicke zu und die Ravenclaws sahen aus, als würden sie vor Scham am liebsten im Erdboden versinken.
»Sie ist ein wenig dramatisch!«, warf Jade in die Stille und zwinkerte unbeholfen ohne dabei eine bestimmte Person anzusehen. Als wäre dies die Erklärung für alle Probleme, wandten sich die Schüler und Lehrer wieder ihrem Frühstück und ihren Banknachbarn zu. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass jemand zum Frühstück einen Heuler serviert bekommen hatte und sie war sich sicher, dass es nicht der letzte geblieben war, der zu so früher Stunde jeden der Anwesenden in der großen Halle aufgerüttelt hatte.
Peinlich berührt wandte Jade sich wieder ihrem Teller zu und atmete tief durch, doch als ihr Blick den Lehrertisch streifte, blieb ihr Blick kurz an Professor Dumbledore hängen, der ihr aufmunternd zuzwinkerte, bevor er sich ebenfalls wieder seinem Essen widmete. Ein vorsichtiges Lächeln legte sich über ihre Lippen, als sie Robert ein Stück Croissant in den Schnabel steckte und er sich zufrieden in die Lüfte erhob, um nach London zurück zu fliegen. Nicht jeder hier schien wie Beany oder ein Slytherin zu sein.
»Scheint bei euch Familientradition zu sein, in den ersten Tagen an Hogwarts einen Heuler geschickt zu bekommen.«, bemerkte Ruby beiläufig, während sie sich ein warmes Brötchen mit Aprikosenmarmelade in den Mund schob. Raven hingegen warf ihrer besten Freundin einen scharfen Blick zu, den diese entschuldigend mit den Achseln zuckend erwiderte ohne dabei das Essen zu unterbrechen. Interessiert blickte Jade die blonde Schönheit an und fragte: »Tatsächlich? Das ist mir neu! Hat Raven etwa auch einen Heuler von Großmutter erhalten?«
Ihre ältere Schwester seufzte und strich sich etwas Butter auf den Teller, während sie zu einer Antwort ansetzte: »Ja, habe ich.«
Begeistert klatschte Jade in die Hände und nahm dann ihr Croissant wieder auf, bevor sie wie beiläufig fragte: »Worum ging es denn da?«
»Das muss ich dir nicht erzählen, er war schließlich an mich adressiert.«
»Ja, aber ich kann trotzdem so ziemlich jeden in dieser Halle fragen und über die Hälfte würde mir ohne zu zögern davon erzählen. Findest du nicht, ich sollte es lieber aus deinem Mund erfahren?«
»Du hättest gar nicht das Interesse daran, dringend herauszufinden, was Großmutter gesagt hat.«
»Wollen wir wetten?«
Ein verschmitztes Grinsen lag auf Jades Lippen, als sie ihre Schwester herausfordernd anfunkelte, die ihr einen kurzen, berechnenden Blick schenkte und sich dann wieder ihrem Baguette widmete ohne auf das Angebot einzugehen.
»Du hast den Heuler vergessen, bevor du gleich bei Professor Binns im Unterricht sitzt, aber wenn du es unbedingt wissen willst: Er hatte einen ähnlichen Inhalt wie deiner eben.«
Neben Raven zog Ruby die Augenbrauen in die Höhe, sagte jedoch nichts. Für einige Herzschläge musterte Jade die beste Freundin ihrer Schwester eindringlich, dann zuckte sie mit den Achseln und machte sich über ihr Croissant her.
~•~
Die schneeweißen Vorhänge bewegten sich leicht im Wind, der durch die geöffneten Fenster ins Klassenzimmer hinein wehte, von draußen drang das zarte Gezwitscher der Vögel an ihr Ohr und aus dem Nebenzimmer vernahmen sie das Geschepper und Geklapper von Peeves, der sich offenbar damit beschäftigte, die leeren Klassenzimmer so gut eben noch möglich war, auseinander zu nehmen. Am Nachbartisch hatte ein Mädchen mit kurzen, haselnussbraunen Locken und dunklen Augen ihren Kopf auf dem groben Holz des Schreibtisches abgelegt und folgte mit dem Blick einer Fliege, die auf ihrer Schreibfeder auf und ab marschierte, in der vordersten Reihe spielten zwei Jungen TikTakToe und ein Pärchen hatte damit begonnen Liebesbriefe durch die Reihen zu schicken - manchmal direkt über Professor Binns Pult - und warfen sich verzückte Blicke zu.
Seufzend wandte Jade sich dem Fenster zu ihrer Linken zu und blickte hinaus auf den See und die Wiese, wo einige Fünftklässler ihre Freistunde genossen und in dem goldenen Licht der Sonne badeten. Ein Junge setzte einem Mädchen einen Kranz mit bunten Blumen auf und sah sie mit verträumten Augen an, doch sie lächelte nur, wandte sich um und fiel dann einem anderen Jungen um den Hals, der sie triumphierend küsste.
Es war verrückt, wie das Leben mit den Herzen der Menschen spielte. Jedem einzelnen schenkte es die reinste und aufrichtigste Liebe ein, doch einige ließ es das Glas selbst trinken und andere ließ es die kostbare Flüssigkeit verschütten. An jeden einzelnen stellte es eigene Anforderungen und jeden einzelnen ließ es eine eigene Prüfung durchlaufen und am Ende bekannte sie nur die wenigsten für würdig, die tief empfundene Liebe mit jemand anderem zu teilen.
Jade fragte sich, zu welcher Sorte Mensch sie gehörte. Hatte sie ihr Glas selbst ausgetrunken, hatte sie es verschüttet oder hielt das Leben für sie den einen Menschen bereit, mit dem sie jenes Glas teilen konnte. Ihr Blick wanderte zu Whitman, der sich tief über seine Pergamentrolle gebeugt hatte und konzentriert etwas aufschrieb. Sie konnte nicht lesen was es war, doch sie erinnerte sich daran, wie Whitman eben jenes Pergament in den vergangen Schulstunden, die sie gemeinsam mit den Slytherins gehabt hatten, ständig mit sich herum getragen und wie er sich in jeder freien Minute damit befasst hatte.
Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als er kurz von seiner Schrift aufsah und sich ihre Blicke begegneten. Hastig wandte sie sich nach vorne und konzentrierte sich, um das an der Tafel geschriebene Lesen zu können.
Der zweite Weltkrieg: Auswirkungen auf das alltägliche Leben der jüdischen Zauberer und Hexen in Deutschland.
Sie seufzte und blickte zu Professor Binns, der unbewegt vorne an seinem Pult stand und monoton herunter ratterte, welche Schutzzauber und Verkleidungen die Zauberer zu jener Zeit auffällig häufig anwandten und welche davon durchschaut und welche es nicht wurden.
»Ms Monroe?«, fragte Professor Binns und deutete auf Jades erhobene Hand, die sich nun wieder senkte.
Im Klassenzimmer kam plötzlich Bewegung auf. Es war, als hätte jemand einen Wecker gestellt, der nun geklingelt und die Schüler aufgerüttelt hatte. Einige hoben ihre Köpfe von den Tischen, andere ließen ihre Federn sinken und das Liebespärchen fischte mit dem Zauberstab einen der Zettel von Professor Binns Pult, um sich dann gespannt zu Jade umzudrehen.
»Professor Binns, auf Beauxbatons haben wir im letzten Jahr besprochen, dass besonders altertümliche Zauber wieder in Mode kamen. Welche waren das überwiegend?«
»Nun, ähm«, Professor Binns räusperte sich, bevor er erfreut seine Krawatte richtete und antwortete: »Das waren überwiegend Amor Ad Mortem, Hostibus Mortem, Lux Deorum und Vita Ad Vitam.«
Ein kaum merklicher Ruck ging durch Jade, als der Geist den letzten Zauber aufzählte. Die Unruhe, die sie seit ihrer Strafarbeit am Morgen mit Mühe in ihre Schatten zurück gedrängt hatte, sprang nun zurück ins Licht, wie ein Pfeil von einer gespannten Sehne. Schmerz durchzuckte ihren Körper und fand sein Ziel mitten in ihrem Herzen, wo er sich festbiss und sich nicht abschütteln ließ. Bilder, die sie lange vergessen hatte, blitzen vor ihrem inneren Auge auf, prasselten auf sie nieder, wie ein Hagelsturm und überrollten sie, wie ein Tsunami.
»Was genau bewirken diese Zauber?«, fragte Draco aus der Reihe hinter Jade und lehnte sich interessiert vor. Auch die anderen Schüler schienen den Ausführungen des Professors nun aufmerksam zu folgen, denn alle Blicke waren auf den alten Geist gerichtet, der das plötzliche Interesse an seinem Unterricht sichtlich zu genießen schien. Verlegen lächelte er, bevor er antwortete: »Das ist zwar nicht Teil des Lehrplans, aber wenn es Sie so brennend interessiert werde ich das gerne näher ausführen.
Nun, Amor Ad Mortem ist Latein und bedeutet übersetzt so viel wie: Liebe in den Tod. Es ist ein alter Zauber, der ähnlich wie ein unbrechbarer Schwur funktioniert und in der Zeit des zweiten Weltkrieges sehr in Mode kam, denn er bindet zwei liebende Menschen ihr Leben lang an einander - wenn der eine stirbt, stirbt der andere mit ihm. Viele Zauberer und Hexen heirateten unter diesem Zauber, denn für viele jüdische Zauberer war es nicht möglich, anders getraut zu werden. Das Ministerium für Zauberei war dazu gezwungen, diesen Zauber als Ehegelübde anzusehen und tut dies im Übrigen bis heute noch. Es ist ein Schwur, den niemand leichtfertig ablegen sollte, denn er ist nie wieder rückgängig zu machen.
Hostibus Mortem ist ein gefährlicher Fluch, denn er hat eine ähnliche Wirkung, wie der unverzeihliche Fluch Avada Kedavra. Schleudert man ihn auf einen Gegner, wird dieser von unsäglichen Qualen gepackt, seine Knochen brechen, seine Muskeln krampfen sich zusammen und das Herz hört auf zu schlagen. Aus dem lateinischen übersetzt bedeuten die Worte nämlich: Tod dem Feind. Er wurde nie in die unverzeihlichen Flüche aufgenommen, obwohl er vermutlich der grausamste von allen ist, da das Zaubereiministerium nie in Erwägung zog, dass dieser Fluch von noch irgendeinem Zauberer praktiziert werden kann und jede Niederschrift zu diesem Fluch verbrannt wurde. Man strich ihn praktisch aus der Geschichte, als hätte er nie existiert.
Lux Deorum ist ebenfalls Latein und bedeutet etwa: Licht der Götter. Ein mächtiger Heilzauber, den niemand mehr beherrscht, da die letzten Hexen und Zauberer, die ihn praktizieren konnten, im zweiten Weltkrieg fielen. Er ist der einzige Zauber, der gegen Hostibus Mortem wirkt, solange er direkt nach dem vorher genannten Zauber auf die getroffene Person geschleudert wird. Er ist der einzige Zauber, der ursprünglich unheilbare Krankheiten heilen kann und dem Körper jedes Gift entzieht, egal, wie es in den Körper gelangt. Ärzte versuchen bis heute, die Schriften zu übersetzen, die zu diesem Zauber gefunden wurden. Gegen den Avada Kedavra-Fluch ist er jedoch wirkungslos, da in diesem Fall der direkte Tod eintritt und den kann auch Lux Deorum nicht aufhalten.
Zuletzt, Vita Ad Vitam, übersetzt: Ein Leben für ein Leben. Er ist wohl der einzige Zauber, der dem Tod in manchen Fällen ein Schnippchen schlagen kann.«
Ein erstauntes Raunen ging durch das inzwischen hellwache Klassenzimmer. Einige Schüler hatten ihre Federn gezückt und notierten eifrig die Worte des Professors, Whitman hatte von seiner Schrift aufgesehen und selbst der Wind schien gespannt auf die nächsten Worte des Geistes zu warten, denn das Bauschen der Vorhänge hatte sich gelegt.
»Nur die wenigsten Zauberer waren, beziehungsweise sind es noch heute, in der Lage diesen Zauber zu wirken, denn er wird an keiner Schule der Welt gelehrt und die Aufzeichnungen zu ihm wurden mit denen des Hostibus Mortem-Fluch verbrannt.«
Tief in sich spürte Jade etwas rumoren, etwas dunkles, grausames, mächtiges. Es schien wie aus einem lange verborgenen Tunnel zu stürzen, immer näher dem Licht der Öffnung entgegen.
»Er kann nur gewirkt werden, wenn der Zauberer oder die Hexe, dessen oder deren Leben einer anderen Seele und dem mit dieser verbundenem Körper eingehaucht wird, ihn selbst ausführt und das aus freien Stücken.«
Unaufhaltsam, immer schneller donnerte das Etwas auf sie zu, auf das Kind, das kleine, ungeschützte Mädchen, das sie vor so vielen Jahren gewesen war, das sich tief in ihrem Inneren vor dem Wesen in dem Tunnel versteckt hatte.
»Zudem kann der Zauber nur wirken, wenn die Seele des Menschen, den Körper noch nicht vollkommen verlassen hat.«
Aus den tiefen Schatten funkelten wilde Augen.
»Nur, wenn die Seele eines Menschen noch zum Teil mit dem Körper verbunden ist, kann sie in diesen zurück kehren und das Leben, das diesem eingehaucht wurde, annehmen.«
Scharfe Reißzähne blitzten in dem Licht, das das Kind umhüllte, auf.
»Hat die Seele des Menschen ihn bereits verlassen, ist sie unfähig, sich wieder mit dem Körper zu verbinden und somit sterben sowohl der Empfänger, als auch der Geber des Lebens.«
Dann stürzte es sich auf die winzige Gestalt.
Jade keuchte auf und sprang ruckartig auf, wobei sie ihren Stuhl umwarf, der klappernd auf dem Boden landete. In den minzgrünen Augen, die ihr einst ihren Namen verliehen hatten, glitzerten heiße Tränen.
Jedes Augenpaar im Raum war nun auf sie gerichtet und in den Gesichtern ihrer Klassenkameraden las sie Überraschung, Verwirrung und Spott. Hastig wischte sie sich über die Augen, hob ihren Stuhl auf und setzte sich wieder.
»Entschuldigen Sie bitte, Professor Binns.«, flüsterte sie, unfähig lauter zu sprechen, da sie ihrer Stimme nicht traute. Der Professor nickte bloß und wandte sich dann wieder dem Rest der Klasse zu.
»Wie schnell eine Seele den Körper verlässt können wir leider nicht bestimmen. Es hängt ganz von dem Individuum ab. Wenn man diesen Zauber also wirkt, ist es reine Spekulation, ob das eigene Leben im selben Augenblick nicht umsonst beendet wird.«
In ihrer Seite spürte Jade die Blicke der vier Slytherins sich tief in ihr Fleisch brennen, als könnten sie dadurch ergründen, was in jenem Moment in ihrem Inneren vor sich gegangen war. Kurz blickte sie auf und ihr Blick streifte den von Whitman, doch er wandte die Augen hastig wieder auf seine Schrift ohne ein zweites Mal aufzublicken. Ihr Herz machte einen kurzen Sprung der Enttäuschung, bevor sie sich ebenfalls wieder ihrer Pergamentrolle zuwandte und die Zeichnung betrachtete, die sie zuvor im Unterricht begonnen hatte. Sie zeigte einen Totenkopf mit Wolfsohren.
Hastig rollte sie das Pergament zusammen und stopfte es unter die anderen Schreibutensilien.
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