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Rose
Die drei Stunden, die ich gerade mal hier bin waren hektisch wie schon lange nicht mehr. Aber kaum verwunderlich, jetzt wo das Semester wieder begonnen hat und es kälter geworden ist, wollen alle einen guten heißen Kaffee und stürmen somit das Henry's.
Ich arbeite nun seit mehr als einem Jahr hier, aber es macht mir Spaß. Es ist ein guter Ausgleich zur Uni und dem Alltagsstress. Klar, hier werde ich auch gefordert und manche Schichten, so wie heute, sind einfach nur stressig. Aber es bringt mich auf andere Gedanken, ich muss mich auf die vielen Becher Kaffee konzentrieren, die über Theke gehen und muss über mein Leben oder die Uni nicht nachdenken. So gesehen bin ich froh über die paar Stunden im Henry'saber, wenn ich abends nach Hause komme, bin ich tot.
„Rose, kannst du die Leute bedienen, ich übernehme mal die Maschine.", ruft mir Greg zu.
Ich werfe einen Blick zu ihm und lächle ihn an. „Ja, ich mache den Kaffee noch fertig, dann können wir tauschen.", antworte ich ihm. Ich wische mit einem Lappen um die Maschine herum, weil die Milch manchmal etwas spritzt. Den nassen Lappen werfe ich wieder in das Spülbecken zurück und schnappe mir den fertig gebrühten Kaffee, den ich an das freundliche Mädchen mit den Locken weitergebe. Sie nimmt ihn dankend an und wendet sich dann zum Ausgang zu.
Das Café ist nicht sehr groß, aber bei Studenten sehr beliebt. Wir haben bloß ein paar Tische und Stühle, am Fenster haben wir auch ein gemütliches Sofa, das sehr begehrt ist. Aber im Sommer erweitern wir und stellen auf dem Gehsteig noch ein paar Tische hin. Der Kaffee ist wirklich gut und wir bieten auch kleine saure und süße Snacks an. Meist gehen die weg wie warme Brötchen. Heute mussten wir schon Nachschub holen.
„Was darf es sein?", frage ich und sehe den Mann mittleren Alters vor mir an.
Er studiert noch kurz die Karte oberhalb und nickt dann. „Oh ich hätte gern den Kaffee Americano mit einem Schuss Karamell."
„Das macht dann drei Pfund.", sage ich lächelnd. Der Mann gibt mir das Geld genau und geht dann ein Stück vor um darauf zu warten, dass ihm Greg den Becher reicht.
Ich atme durch, als ich sehe, dass kein neuer Kund im Laden ist. Als krame ich mein Handy hervor und werfe einen Blick darauf. Kat hat mir geschrieben, dass sie gegen Ende meiner Schicht kommt. Das macht sie öfter, weil sie mich ungern alleine heimfahren lässt. Aber ich verdrehe dann immer nur die Augen und nenne sie den Rest des Tage Mama. Aber sie besteht darauf und lässt sich nicht davon abkriegen. Es ist schließlich nicht sehr weit, zwar dunkel aber ich fühle mich sicher. Kat sagt immer, dass sie sich nicht vorstellen kann, dass ich Selbstverteidigung kann, weil ich ja so zierlich und klein bin.
Aber es ist nicht mehr lange und Kat müsste wirklich bald hier sein. Alice' Schicht hat vor drei Stunden aufgehört. Ich freue mich schon auf das Abendessen, weil sie versprochen hat, dass sie am Abend für alle etwas kocht. Aber gerade zweifle ich, ob das was wird, weil sie heute völlig durch den Wind war. Ein paarmal hat sie die Bestellung falsch eingegeben und als ich sie gefragt habe, was los sei, stotterte sie nur herum.
„Rose, ich gehe schnell mal pinkeln, bin gleich wieder hier.", sagt Greg und verschwindet hinter dem Laden. Ich höre die Türglocke und mache auf dem Absatz kehrt, um den Kunden seine Bestellung aufzunehmen.
Ein junger Mann kommt herein. Als hinter ihm die Türe zu fällt, bleibt er vor der Theke stehen und sieht auf seine Hände hinab, während er die Münzen zusammensammelt. Er trägt eine Jeansjacke, darunter ein weißes Shirt und eine schwarze Hose. Die blonden Haare fallen ihm ins Gesicht und als er aufsieht, treffen mich seine blauen Augen wie ein Schlag ins Gesicht. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Als wäre es gestern gewesen, als wir zusammen auf einer Decke auf der Ladefläche seines Jeeps gelegen sind und uns unsere Träume anvertraut haben.
Charlie Foster steht vor mir, keine zwei Meter entfernt und ich habe kein Loch, in das ich hinein kriechen könnte. Er starrt mich an, zuerst völlig überrascht, aber dann formen sich seine perfekten Lippen zu diesem Lächeln, bei dem ich immer schwach wurde. Ein zwangloses, warmes Lächeln.
„Rose?" Er kommt einen Schritt auf mich zu und lässt die Münzen wieder in seiner Hosentasche verschwinden.
Ich kann die Augen nicht von ihm abwenden, weil ich weiß, dass er nicht verschwinden wird, wenn ich kurz die Augen schließe. Er ist hier, steht direkt vor mir und hat gerade meinen Namen gesagt. „Charlie ... was machst du denn hier? Mitten in London?", stottere ich und mustere sein Gesicht. Er sieht älter aus. Irgendwie erwachsener. Aber ich denke, dass es an dem Bart liegt und seit wann hat er eine Brille? Und warum steht ihm diese Brille so gut? Oh Gott, passiert das gerade wirklich?
„Ist eine witzige Geschichte. Ich ähm ... naja ich studiere jetzt.", sagt er grinsend und nickt leicht.
Ich ringe mich zu einem ironischen Lachen. „Ja, das ist wirklich witzig."
Charlie schüttelt den Kopf und kneift kurz seine Augen zusammen. „Und was machst du? Hast du die Uni doch aufgegeben und arbeitest jetzt als Barista?"
Er denkt wirklich ich hätte die Uni aufgegeben, nachdem ich ihm seit wir uns kennen davon vorschwärmte, wie sehr ich mich doch darauf freue, Film zu studieren. Ausgerechnet Charlie denkt das? Ausgerechnet er, der meine Leidenschaft am meisten verstand? Ich spüre wie Wut in mir hochsteigt, aber ich schlucke es hinunter. „Nein, ich studiere immer noch, ich arbeite bloß nebenbei um mich am Leben zu erhalten. Das ist alles." Mich würde es nicht überraschen, wenn er das nicht versteht, er hat solche Sorgen nicht. Er ruft einfach nur Daddy an, und fragt um Geld.
„Natürlich, tut mir leid. Ich dachte bloß, dass du das nicht durchziehst also die Uni."
Das hat er gerade nicht gesagt, oder? Mein Herz schlägt schneller, nicht wegen ihm, sondern wegen seiner Worte. Sie schmerzen und er kapiert es nicht mal, was er von sich gibt. „Willst du was bestellen, wenn nicht, wir schließen bald." Okay, das ist eine Lüge, aber ich ertrage ihn einfach nicht. Nicht jetzt und nicht hier. Er stolziert hier rein, als wäre nie etwas gewesen. Als wären wir einfach alte Freunde aus der Schule. Charlie sieht mich kurz überrascht an. Gut, er hat meinen genervten Unterton gemerkt. „Wir haben auch heiße Schokolade ... du magst ja keinen Kaffee, richtig?"
Er lächelt wieder und nickt. Dann legt er die Münzen vor mir auf den Tresen, aber ich drehe mich weg, um die Maschine zu bedienen. Ich versuche die Tatsache zu ignorieren, dass mein Exfreund hinter mir steht und mir Löcher in den Rücken starrt. Aber meine zitternden Hände sind nicht gerade hilfreich. Ich schließe kurz die Augen um mich zu sammeln und mache dann seine heiße Schokolade fertig.
Als ich mich wieder umdrehe, hat er seine Hände in die Hosentasche gesteckt und sieht mich erwartungsvoll an. Wenn er darauf wartet, dass ich ihn frage wie es ihm geht oder was er studiert, hat er sich getäuscht. Kann er nicht einfach wieder verschwinden und wir vergessen beide, dass wir uns hier getroffen haben? Ich sehe ihn an und weiß im selben Moment, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist, dass ich Charlie sehen werde. Eine Mischung aus Traurigkeit und Einsamkeit macht sich in mir breit. Am liebsten würde ich über alles reden, mit ihm, über uns. Aber die Enttäuschung sitzt zu tief, dass ich einfach nicht will, dass er wieder in meinem Leben ist. Meine Mom sagte immer, dass es schwer ist sich von Menschen zu trennen, die dir nicht guttun, aber bei manchen muss es einfach sein. Und Charlie war ein Beispiel dafür, jemanden zu lieben, obwohl man weiß, dass er Gift für deine Seele ist. Gut, ich übertreibe jetzt vielleicht ein wenig, aber er war ein Idiot und ich dumm genug, dass nicht zu erkennen.
Ich knalle Charlie den Becher auf den Tresen und schnappe mir das Geld. Er presst seine Lippen aufeinander und sieht kurz auf den Becher zwischen uns hinab. Dann gleiten seine stechend blauen Augen an mir hoch und sehen mich direkt an. „Rose, es wird dir nicht viel bedeuten, aber es tut mir wirklich leid, wie es damals gelaufen ist."
„Tja, da hast du recht. Es bedeutet mir nicht viel.", sage ich kalt.
„Hör zu, wir sind beide in London, haben uns weiterentwickelt und machen nicht mehr solchen Scheiß wie früher. Was hältst du davon, wenn wir uns mal treffen und uns aussprechen. Ich schulde dir noch einige Erklärungen und ich würde dich wirklich gern sehen. Ein gewöhnliches Treffen unter Freunden.", sagt er und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich senke den Blick und muss lächeln. Er ist immer noch ein Idiot, aber wer ändert sich schon wirklich? Charlie auf keinen Fall. Ach ja, und mit seinem Exfreund trifft man sich nicht mal so einfach auf einen Kaffee, ich zumindest nicht. „Charlie, lass es einfach. Du bist in London, hier laufen einer Menge Mädchen herum, die dich wollen. Willst du wirklich deine Zeit mit deiner Ex vergeuden? Ich schon mal nicht, ich bin jung, lebe in einer Großstadt und will Leute kennen lernen. Und wenn du immer noch der alten Zeit hinterher trauerst, dann heul dich bitte woanders aus. Ich bin drüber hinweg. Und damit ich hätte ich anfangen sollen. Wir sind keine Freunde, Charlie." Mein Herz schlägt wie verrückt. Charlie konnte immer sehen, wenn ich lüge. Ich hoffe heute ist er blind genug, um zu erkennen wie sehr ich ihn gerade angelogen habe.
„Tja okay. Es war schön dich zu sehen und du siehst wirklich gut aus. Das kurze Haar steht dir.", sagt er und nimmt seinen Becher. Mit einem schwachen müden Lächeln verlässt er den Laden und ich starre ihm mit offenem Mund hinter her.
Meine Schultern entspannen sich, mein ganzer Körper lockert sich. Seit Charlie und ich uns getrennt haben, bin ich nicht mehr dieselbe in seiner Gegenwart. Ich weiß nicht woran es liegt, vielleicht weil ich nun weiß, was er mir die ganze Zeit angetan hat oder weil ich ihn nun mit anderen Augen sehe. Keine Ahnung, aber es ist normal schätze ich, dass man nach einer Trennung sich verändert. Wäre ja irgendwie komisch, wenn nicht. Man entwickelt sich weiter, lernt daraus und sieht nach vor.
Das letzte Jahr lief wirklich gut, ich habe Charlie aus meinem Leben gestrichen. Zum einen weil ich in London lebe, wusste ich, dass ich ihn nicht sehen werde. Weil er immer noch in unserem Heimatort zwei Stunden von London entfernt wohnt. Zum anderen habe ich ihn auf Facebook, Instagram und allen möglichen Social-Media-Kanälen entfernt. Und verdammt, das tat gut. Ich sah keine Bilder mehr von ihm, er war einfach nicht mehr da. Das einzige was ich nicht über mich gebracht habe, seine Nummer zu löschen. Das ist das einzige was ich noch von ihm habe, das und meine Erinnerungen an ihn.
Aber in den letzten zehn Minuten ist alles wieder hochgekommen. Der Schmerz und die Wut durchströmten meinen Körper und ich wusste nicht was ich denken sollte. Charlie ist jetzt in London, er lebt jetzt hier. Was studiert, wo lebt er, wie lange ist er schon hier, hat er eine Freundin? Ich kneife meine Augen zusammen um Charlie aus meinem Kopf zu katapultieren. Kat sollte bald hier sein und dann habe ich endlich Feierabend. Ich werde Charlie einfach vergessen. Und falls das nicht funktioniert schaffe ich mir gleich morgen eine Voodoo-Puppe an, die aussieht wie Charlie. Das hätte ich früher schon machen sollen.
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