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Rose
Meine Augen schielen schon wieder nach links und ich könnte mich ohrfeigen dafür. Ich schaffe es nicht mal fünf Minuten im Stück meine Aufmerksamkeit auf Mr. Brook zu halten. James White sitzt ein paar Reihen vor mir. Ich sollte ihn wirklich nicht mehr anhimmeln, weil er ja eine Freundin hat und weil er mich nicht mal kennt. Aber ich habe nun mal eine Schwäche für diesen Mann. Er sieht einfach zu gut aus und das weiß er. Er weiß genau wie er aussieht und welche Wirkung er auf weibliche Wesen hat. Aber geht damit locker um und zeigt es nicht jedem.
Kevin neben mir schnaubt verächtlich laut und so zieht er meine Aufmerksamkeit weg von James. Ich sehe zu ihm. „Was?"
„Ich dachte James wäre abgehackt?", murmelt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich sehe nach vorn zu Brooke, der gerade ein Bild von Alfred Hitchcock zeigt. Wir nehmen heute ein paar Filme von Hitchcock durch und ich schaffe es nicht mal aufzupassen. Verdammt, ich hatte mich so sehr auf dieses Thema gefreut.
„Ist er auch irgendwie, aber sieh ihn dir doch mal an.", seufze ich und zucke mit den Schultern. „Diese Grübchen, wenn er lacht, und seine Haare die immer so gewollt unperfekt aussehen. Wie schafft er das nur? Und hast du mal seine Oberarme näher betrachtet?"
„Schätzchen, ich weiß wie der Kerl aussieht, ich würde ihn auch am liebsten von oben bis unten abschlecken und vernaschen. Aber er hat eine Freundin und du verdienst jemanden, der dir deine Aufmerksamkeit schenkt, die du verdient hast."
„Ach Gott, warum kannst du nicht hetero sein. Du weißt, was Frauen hören wollen."
Kevin sieht mich an und grinst schellmisch. „Ja, aber nur, weil ich wie eine Frau denke.", murmelt Kevin und tippt sich mit dem Zeigefinger auf die Schläfe. Ich lache und schüttle den Kopf. „Was ist eigentlich mit deinem Ex? Hast du ihn mal wieder gesehen?"
Mein Lachen erlischt sofort und ich rutsche auf meinem Platz hin und her. „Ja also ähm, ja ein paar mal und wir treffen uns. Er hat mir auch letztens geschrieben, aber das war nichts."
Kevin fährt herum und fixiert mich. „Ach? Du triffst dich mit deinem Ex und schreibst mit ihm? Warum das denn?"
Ich zucke mit den Schultern und stutze die Lippen, während ich Brooke ansehe. „Ich habe gemerkt, dass ich mit uns noch nicht abgeschlossen habe. Ich will mich ja bloß mit ihm treffen, damit wir über damals reden können. Es sind noch einige Dinge unausgesprochen und das müssen wir ändern. Danach gehen wir endgültig getrennte Wege."
Kevin verdreht die Augen und richtet seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf Brooke. Aber nicht lange, dann lehnt er sich zu mir und flüstert: „Ich hoffe du täuscht dich da nicht. Ich habe den Kerl mal gesucht."
Ich reiße den Mund auf und sehe ihn an. „Im Ernst jetzt? Wie hast du ihn gefunden?"
Kevin grinst. „Ach das war einfach. Aber wie kannst du den Kerl dann links liegen lassen, nachdem ihr euch ausgesprochen habt, wenn er so heiß aussieht?"
„Du hast ihn also auf Instagram gefunden?"", stelle ich fest, aber merke wie meine Mundwinkel zucken. Kevin hat recht, er sieht gut aus. Charlie sah schon immer gut aus, aber jetzt wo er älter und reifer ist, macht ihn das nochmal etwas charmanter. Ich habe mir in letzter Zeit seine Bilder auf dem Profil schon oft genug angesehen und weiß genau welche Bilder er hochgeladen hat. Und er macht auf jedem eine gute Figur.
„Oh ja. Also wenn du ihn wirklich nicht mehr willst, kannst du mich ihm gerne vorstellen.", meint Kevin und nickt eifrig.
„Kev, ich will dich nicht enttäuschen, aber Charlie ist durch und durch hetero."
„Gut, dann versprich mir, eure erste Wahl zu sein, wenn ihr einen Dreier macht.", murmelt Kevin. Hinter uns zischt ein Mädchen und sieht uns genervt an. Ich wette, sie hört unser Gespräch schon die ganze Zeit mit. Ich muss leise kichern und gebe Kevin einen Klaps auf die Schulter. „Du bist krank."
„Nein, ich habe nur eine gesunde Phantasie.", beharrt er und grinst. Kevin ist ein Idiot, aber mein Idiot. Ich bin froh, dass wir uns angefreundet haben, mit Kevin habe ich immer etwas zu lachen. Aber am besten ist es, dass ich mit ihm über vieles reden kann und er es meistens schafft, mich von meinen Problemen abzulenken. Und dafür bin ich ihm unendlich dankbar.
„Nein im ernst jetzt, war es damals zwischen euch so schrecklich, dass du ihn zur Hölle schicken musst?"
Ich lasse mit Kevins Worte durch den Kopf gehen. „Ja. Ich habe ihm das letzte halbe Jahr unserer Beziehung zugesehen, wie er sich selbst vernichtet und mich immer wieder weggestoßen hat. Und dann hat er mich vor allen bloßgestellt und gesagt, dass er sich für mich schämt, weil ich ja nur ein Mädchen vom Land bin. Ich war ihm irgendwann nicht mehr gut genug und das hat er mir ins Gesicht gesagt, vor all unseren Freunden. Na ja es waren eigentlich nur seine Freunde, ich hatte damals nicht wirklich welche.", sage ich. „Wenn ich genauer darüber nachdenke, hatte ich oft nur Charlie."
„Verstehe, das ist tatsächlich eine fiese Nummer gewesen.", meint Kevin und nickt verständnisvoll.
„Aber es war nicht alles seine Schuld. Sein Vater spielt auch eine Rolle, aber das ist eine andere Geschichte.", sage ich.
„Die du mir bald erzählen musst.", ergänzt Kevin meinen Satz und sieht mich eindringlich an.
Bevor ich etwas erwidern kann, erheben sich alle um uns herum, weil Mr. Brooke die Vorlesung beendet hat. Tja, auf meinen Block steht nur das Datum und mehr nicht. Fuck, die Prüfung schaffe ich nie. Ich schiele kurz zu Kevins Laptop hinüber und stelle erleichternd fest, dass er eine Seite mitgeschrieben hat. Wie schon gesagt, ich liebe Kevin einfach.
Wir packen unsere Sachen zusammen und verlassen den Vorlesungssaal. Nachdem wir durch die Türe sind, drehe ich mich zu Kevin um. „Wollen wir in die Mensa? Habe Hunger und heute ist Donnerstag, da gibt es immer diese geilen Muffins."
„Wie kannst du immer so viel Essen und kein Gramm zunehmen? Ich wünschte, ich könnte das.", meckert Kevin und schüttelt etwas den Kopf, während wir die Treppe runter gehen.
„Oh, du armes Baby.", sage ich und tätschle ihm die Schulter. „Im Ernst, du bist doch schlank genug."
„Ja schon, aber weißt du was das für eine Disziplin fordert?", stellt Kevin fest und hält mir die schwere Eingangstür auf. Ich trete auf den Campus hinaus und binde mir sofort die Jacke enger um meinen Körper. Heute ist es etwas kälter, als die letzten Tage. Aber Gott sei Dank regnet es nicht. Wir machen uns auf den Weg quer über den Campus, da die Mensa am anderen Ende des Geländes liegt.
„Kevin, du siehst wirklich gut aus. Also iss heute diesen Muffin mit mir, bitte.", sage ich und hacke mich bei ihm ein.
„Aber nur, wenn wir den Blaubeermuffin nehmen. Der Schokoladenmuffin schmeckt nach nichts."
Ich nicke. „Einverstanden."
Nachdem Kevin und ich uns den Muffin aufgeteilt haben, sitzen wir noch eine Weile in der Mensa, um noch etwas zu plaudern. Aber mein Handy leuchtet in dem Moment auf, als mir Kevin ein Video auf seinem Handy zeigen will. Wir blicken beide darauf, weil es zwischen uns liegt. Ich lese eine unbekannte Nummer und runzle die Stirn.
„Wer soll das denn sein?", murmle ich nachdenklich.
„Vielleicht dein hübscher Ex?"
„Nein, seine Nummer habe ich wieder eingespeichert. Frag nicht."
„Ach, was du nicht sagst."
Aber bevor der Anrufer wieder auflegt, hebe ich ab. „Hallo?"
„Schätzchen, Rose. Hier ist deine Mutter."
„Mum. Ist alles okay? Warum rufst du nicht von deinem Telefon an?", überhäufe ich sie mit Fragen.
Ich höre schweres Atmen auf der anderen Seite der Leitung und sehe Kevin irritiert an. Aber der wirft mir bloß den selben Blick entgegen. „Bitte bleibe jetzt ruhig, aber ich bin im Krankenhaus. Ich hatte einen kleinen Unfall auf der Farm, aber mir geht's gut. Mach dir keine Sorgen."
Mein Herz stoppt und pocht dann wie wild an meinen Brustkorb. „Oh mein Gott. Was ist passiert? Hast du dir etwas getan?"
Kevin sieht mich jetzt noch irritierter an, aber langsam legt sich besorgter Blick auf sein Gesicht. „Mein Fuß ist gebrochen, und ich habe ein paar Schürfungen. Die Ärzte sagen, dass ich eien Gehirnerschütterung habe, aber sonst ist alles okay. Mir geht es wirklich gut."
„Mum, ich komme sofort nach Hause, okay. Sag mir, in welchem Krankenhaus du liegst und ich mache mich sofort auf den Weg."
Nachdem ich aufgelegt habe, packe ich in Windeseile meine Sachen zusammen und erkläre Kevin was mir meine Mutter gerade am Telefon gesagt hat.
„Kann ich etwas für dich tun? Soll ich mitfahren?", fragt er mich und folgt mir aus dem Gebäude.
Ich schüttle den Kopf. „Nein, danke. Ich muss nur so schnell wie möglich nach Hause. Ich komme klar.", erkläre ich ihm. „Ich melde mich bei dir."
Ich verabschiede mich von Kevin und laufe so schnell wie ich kann in die WG. Fieberhaft überlege ich, wie ich nach Hause komme. Mit dem Zug brauche ich viel zu lange, weil die Verbindungen zwischen London und dem kleinen Städtchen zu umständlich ist. Aber verdammt, mir bleibt wohl nichts Anderes übrig. Ich laufe schneller und versuche die Tränen zurück zu halten. Ich hatte immer Angst, dass meiner Mum etwas passiert, da sie ja völlig alleine auf der Farm lebt. Ich weiß nicht, ob ich froh sein soll, dass sie sich nur den Fuß gebrochen hat oder wütend über mich, weil ich sie alleine gelassen habe.
Ich bleibe stehen, weil mir plötzlich ein Gedanke kommt. Es wäre meine einzige Möglichkeit, dass ich so schnell wie möglich zu meiner Mutter komme. Ich hole mein Handy hervor und suche Charlies Nummer. Vielleicht ist es falsch was ich hier tue, aber es geht um meine Mutter. Da hat die Vergangenheit keinen Platz.
Ich drücke mir das Handy ans Ohr und laufe weiter, während ich den Tönen lausche. Nach dem dritten klingeln hebt er ab.
„Rose?"
„Charlie, ich brauche deine Hilfe.", sage ich sofort und schlucke schwer.
„Ist was passiert?", fragt er vorsichtig.
Ich spüre wie meine Hände zittern und ich konzentriere mich darauf, wo ich hinlaufe. „Meine Mutter hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Ich muss so schnell wie möglich nach Hause. Bitte sag, dass du ein Auto in London hast?"
„Scheiße.", sagt er. „Aber ja. Soll ich dich fahren?"
Ich schüttle den Kopf. Ich wäge ab, ob es gut ist alleine zu fahren während ich so durch den Wind bin oder ob ich mit meinem Ex drei Stunden in einem Auto verbringen soll. Aber es geht hier nicht um mich oder Charlie, sondern um meine Mutter, bei der ich so schnell wie möglich sein muss.
„Kannst du mich bitte abholen und mich zu meiner Mutter fahren? Ich möchte nicht alleine sein." Ich brauche jetzt jemanden, weil ich nicht alleine sein will. Auch wenn es Charlie ist, aber ich bin froh, dass ich ihn angerufen habe.
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