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Rose
Er hat mich gesehen. Da bin ich mir ganz sicher. Seine Augen hafteten für den Bruchteil einer Sekunde auf mir.
Krampfhaft richte ich wieder meinen Blick auf die Notizen vor mir. Auf meinem Block steht in kindlicher ungeschickter Handschrift: Vorlesung Filmtheorie. Mehr nicht.
Ich habe mich immer über meine Handschrift geärgert. Früher in meiner Schule gab es Mädchen, die eine wunderschöne weibliche Handschrift hatten. Ich habe sie beneidet. Sogar manche Jungs hatten eine schönere als ich. Verstohlen schiele ich zu dem Mädchen neben mir. Sie kritzelt etwas eifrig in ihr Notizheftchen. Da fällt mir auf, dass ich gar nicht höre, wovon der Dozent da vorne hinter seinem Pult eigentlich redet.
Also richte ich mich auf, sortiere meine Gedanken und starre den alten schäbigen Dozenten nieder. Seine graue ausgebleichte Hose sitzt ihm viel zu tief, genauer gesagt hält sie gerade noch so unter seinem dicken vorstehenden Bauch fest. Das weiße Hemd hat er eingestrickt, der erste Knopf ist offen und seine Brille sitzt ungeschickt auf seinem Nasenrücken. Es sieht aus als träge die Kleidung ihn und nicht andersherum. Würde ich ihn auf der Straße sehen, würde ich einen großen Bogen um Mr. Brooke machen, aber er ist der beste Professor den ich je hatte. Er verlangt viel, aber seine Art die Vorlesung zu gestalten ist die beste. Er schafft es Theorie interessant und lebendig zu erzählen.
Nichtsdestotrotz wandern meine Augen wie von selbst zu den hübschesten Jungen des ganzen Campus.
James White.
Seine blonden Haare sehen perfekt unperfekt aus, das schwarzes Shirt spannt sich um seine Oberarme und die Grübchen kommen jedes Mal zum Vorschein, wenn er seine weißen Zähne zeigt. James fährt sich durch seine wirren Haare, streicht sie zurück und lehnt sich dann nach vor, um etwas aufzuschreiben.
Verdammt. Ich sollte wirklich aufpassen. Ich habe immer noch nichts notiert und Mr. Brooke hat die Angewohnheit in einem Satz fünf wichtige Informationen zu verpacken.
James kenne ich nun seit Oktober diesen Jahres. Wobei kennen vielleicht übertrieben ist. James kennt mich nochnicht. Aber er ist mir sofort am ersten Uni Tag dieses Semesters aufgefallen und um mich war es geschehen. Er hat diese Lockerheit an sich, die Gelassenheit, die ich so bewundere. Mal abgesehen von seinem Äußeren.
Er dreht seinen Kopf wieder und mein Herz beginnt automatisch schneller zu schlagen. Ich starre zu ihm, nein ich starre ihn an. Dieses Mal werde ich nicht wegsehen. Dieses Mal werden sich unsere Blicke begegnen, das weiß ich.
James sieht sich etwas gelangweilt im Vorlesungssaal um, doch plötzlich vernehme ich lautes Rascheln und um mich herum bewegt sich alles. Ich war völlig in meiner Träumerei gefangen, das ich gar nicht mitbekommen habe, dass Brooke die Vorlesung beendet hat. Der ganze Saal verwandelt sich in einen hektischen Ameisenhaufen und alle eilen zu den Ausgängen.
Ich sammle mich und tue es ihnen gleich. Aber nicht ohne dabei immer wieder zu James zu schielen, um mich seinem Tempo anzupassen. Letzte Woche habe ich es geschafft, dass wir gemeinsam zur Türe hinaus sind. Da hat er mich nett angelächelt und mir wie ein Gentleman den Vortritt gelassen. Ich wette, ich bin rot angelaufen wie eine Tomate. Ich habe nicht mal ein Danke rausbekommen. Zu meiner Verteidigung wusste ich nicht, dass er an diesem Tag hier war. Ich habe heimlich den ganzen Saal nach ihm abgesucht, aber es waren zu viele Studenten.
Aber so etwas passiert mir nicht nochmal. Nächstes Mal sage ich mit einem charmanten Lächeln Danke und zwinkere ihm zu. Okay, zugegeben das mit dem Zwinkern mache ich spontan. Mal abgesehen davon, bin ich alles andere als spontan.
Der Saal lehrt sich langsam und ich suche nach James. Da ist er ja. Er unterhält sich mit einem Kommilitonen und beide lachen amüsiert. Ich unterdrücke ein Seufzen als ich diese Grübchen wiedersehe. Dieser kleine Makel macht sein Gesicht irgendwie perfekt.
Ich quetsche mich durch die Reihe hin zum Mittelgang und bin auf gleicher Höhe wie James. Gerade will ich einen Schritt nach vorne machen um mich an James und seinem Freund vorbei zu drängen, damit ich mich aufmerksam mache, aber im nächsten Moment höre ich meinen Namen laut hinter mir.
„Rose. Warte mal." Enttäuscht drehe ich mich um und erspähe Kevin hinter mir. Er eilt zwischen den Reihen auf mich zu, während er eine dicke Mappe unter seinem Arm geklemmt hat.
Im Augenwinkel sehe ich wie James den Raum verlässt und verschwindet. Seufzend drehe ich mich wieder zu Kevin um, der vor mir zum Stehen kommt. „Sag jetzt nicht, du schmachtest immer noch James hinterher.", sagt er abwertend und sieht mich schief an.
„Man darf ja wohl noch Schwärmen.", protestiere ich und gehe neben Kevin aus dem Saal.
„Natürlich, aber nicht bei so einem wie James.", meint Kevin. „Du weißt doch mit welchen Leuten er abhängt. Ich will dich nicht runterziehen aber er wird dir nie die Aufmerksamkeit schenken, die du gerne hättest."
Ich seufze. Schon viel zu oft an diesem Tag. „Kevin, was willst du?", fauche ich und werfe ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Schätzchen, hast du deine Tage oder warum fährst du so deine Krallen aus?", murmelt Kevin. Als Antwort gebe ich ihm nur ein genervtes Augenrollen für diesen Kommentar. „Okay. Anderes Thema. Ich wollte dich fragen ob wir die freiwillige Aufgabe gemeinsam machen wollen."
Ich runzle die Stirn und bleibe stehen. Verwirrt sehe ich auf Kevins Unterlagen, die er gerade vor mir ausbreitet. „Welche freiwillige Aufgabe?"
Kevin mustert mich irritiert. „Die Mr. Brooke heute gestellt hat. Er meinte, dadurch können wir uns Bonuspunkte für die Klausur holen."
„Oh. Ach ja, die.", lüge ich und nicke etwas. Ich habe keine Ahnung wovon Kevin da spricht.
Aber Kevin merkt, was los ist. Er lässt seine Schultern hängen und legt seinen Kopf schief. „Oh Mann, hat dir James wirklich so den Kopf verdreht, dass du nicht mal hörst, was Brooke sagt?" Ohne etwas zu erwidern, sehe ich Kevin unschuldig an und zucke leicht mit den Schultern. „Ich weiß, wie heiß er ist. Ich würde ihm auch am liebsten die Klamotten vom Leib reißen, aber Aussehen ist nun mal nicht alles."
„Kevin, kannst du mir bitte sagen, was Brooke zur Aufgabe gesagt hat?", frage ich ihn und gehe weiter. Kevin folgt mir dicht. Ich kenne ihn schon seit meinem ersten Semester an der Uni. Er saß am ersten Tag in meiner allerersten Vorlesung neben mir, als ich ihn gefragt habe ob er einen Stift hat. Meiner hatte an dem Tag natürlich den Geist aufgegeben, aber so habe ich Kevin kennen gelernt. Ich wusste sofort, dass er schwul ist, aber ich fand seine Art witzig. Seitdem sind wir sehr gut befreundet und haben einige Kurse und Vorlesungen zusammen. Er ist einer meiner wenigen Uni Freunde.
„Okay, also wir sollen sich mit einer der behandeln Theorien auseinandersetzen und auf einen beliebigen Film aus dem 50er anwenden. Wenn wir es zu zweit machen, sollen wir 5 Seiten abgeben, exklusive Literatur.", erklärt er und hält mir seine Notizen vor die Nase. Ich nehme sie und lese es mir durch. Sogar Kevin hat eine schönere Handschrift als ich. Aber kein Wunder, er hat auch mehr Modebewusstsein als viele Frauen.
Seufzend gebe ich sie ihm zurück und nicke. „Okay gut. Machen wir. Aber diese Woche nicht mehr, ich habe wirklich keine Zeit mehr. Ich muss noch ein paar Schichten im Café Shop nachholen."
„Schon okay. Wir haben drei Wochen dafür Zeit.", sagt Kevin und lächelt mich an.
„Sorry, dass ich dich vorhin so angefahren habe. Der Tag ist schon lang und du meinst es ja nur gut wegen James.", sage ich und tätschle ihm am Arm.
Er zuckt locker mit den Schultern. „Mach dir mal keine Sorgen. So ein bisschen Pfauchen und schlechte Laune halte ich schon aus.", murmelt Kevin lächelnd.
Ich lache und hake mich bei ihm ein. Gemeinsam verlassen wir das Universitätsgebäude und treten in die Sonne hinaus. Für einen Novembertag ist es ganz schön warm und die Sonne kitzelt auf meiner Nase. Vor dem Haupteingang tummeln sich ein paar Studenten und unterhalten sich. Mein Blick schweift an ihnen vorbei, bleibt aber plötzlich an einer bestimmten Person hängen. Abrupt komme ich zum Stehen und starre James an. Mein Herz rutscht mir in mein Höschen und alles in mir sackt zusammen. Kevin neben mir murmelt etwas, aber ich verstehe ihn nicht. Alles um mich herum verschwimmt, ich sehe nur mehr James und dieses wunderhübsche blonde Mädchen, die an seinen Lippen klebt, als würde ihr Leben davon abhängen.
Ich hasse diesen Tag.
Hallo meine Lieben. Ich habe eine neue Story begonnen, die Idee kam mir sehr spontan. Ich würde mich über Meinungen freuen und über ein paar Votes. Viel Freude bei der Story, bis bald :)
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