Kapitel 65: Du willst es nicht anders, oder?
Hiro kniet auf seinem Bett und malt gerade allen ernstes mit seinem Blut unzählige Male meinen Namen an seine Wand. Ein breites Messer liegt neben seinen Knien und Ölimöli schnurrt zusammengerollt auf dem Kissen. Hiro beachtet mich gar nicht und macht einfach mit dem weiter, was er da eben tut! Geisteskrank! Am liebsten würde ich die Tür wieder zuschlagen und einfach wegrennen. Irgendwohin. "Hiro?", flüster ich unter Tränen. Im Raum hier ist es verdammt warm, der Geruch von seinem Blut ist hier verteilt und bildet eine nicht sichtbare Wand. Ich kann fühlen, wie er langsam meine Lungen füllt. "Luki, Luki, Luki...", stammelt Hiro mehr oder weniger anwesend vor sich hin. Was hatte Nick noch gleich gesagt? Hiro ist von mir besessen...? Ein riesiger Schnitt in Hiros Arm sorgt stetig für Farbnachschub. Es ist kaum mehr freier Platz an der Wand. Die Buchstaben verlaufen zum Teil ineinander, gehen in die anderen über. Einige sind schon verkrustet, viele noch frisch. Als Hiro nicht auf mich reagiert, strecke ich meine Hand nach ihm aus. Mein Harndrang ist plötzlich angestiegen, mein Puls pocht gemeinsam mit meinem Herzschlag in meinen Ohren. "Hey, sieh mich mal an.."
Ich bin auf alles gefasst, als ich die Hand auf Hiros Schulter lege. Zu meiner Verwunderung reagiert er gar nicht, als würde ich ihn nicht berühren. "..Hey!" Ich rüttle leicht an ihm. Es kommt mir so vor, als würde mir gleich ein Arm abfallen. Wieder reagiert Hiro nicht, sondern fast sich in die Schnittwunde und malt weiter meinen Namen gegen die Wand, während er diesen auch flüstert. Mit trockenen Hals lege ich das Messer zur Seite, welches neben ihn liegt und drehe ihn etwas grob zu mir. Hiro sieht zwar in mein Gesicht, aber ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich mich ansieht oder einfach nur herumstarrt. "Hör auf mit dem Scheiß", flüster ich kleinlaut. Ich bin total verzweifelt und der Druck versetzt mir Bauchschmerzen. Hiro bewegt sich unnatürlich langsam, als er sich einfach aus dem Griff schiebt und sich wieder zur Wand dreht. "Hiro?" Er soll antworten, verdammt! Aber wieder keine Reaktion.
Wieder fließen die Tränen von meinen Wangen. Für eine Sekunde denke ich daran, Hiros Eltern dazu zu überreden, ihn doch wieder in eine Klinik zu stecken. Da laufen doch mehr von der Sorte rum.
Aber im nächsten Moment bin ich schon wieder traurig über meine eigenen Gedanken. Ich bin wirklich nicht besser als alle anderen. Ich bin genauso wie sie.
"Wie findest du das?" Ich zucke zusammen, als Hiros brüchige Stimme seine Stille zerbrechen lässt. Er sieht mich aber nicht an, sondern eher an mir vorbei auf das Bett. "Nicht gut!", gebe ich sofort zurück, doch Hiro scheint mich gar nicht gemeint zu haben, denn er drückt mich etwas zur Seite und nimmt ein langes Kissen für Seitenschläfer in den Arm, welches immer bei ihm an der Wand liegt.
Was soll das jetzt wieder werden? "Ich weiß, du würdest mich nie verlassen." Er drückt sein Gesicht in das Kissen und ignoriert mich vollkommen. Ich habe ein extrem schlechtes Gefühl und will endlich, dass Hiro auf mich reagiert. Wayde hat ihn damals einr geklatscht, als er in Trance war. Ich will das zwar nicht tun und habe wirklich Angst vor einer negativen Reaktion, aber ich kann doch nicht einfach wieder gehen! Ich ziehe Hiro ein Stück von der Wand weg. Er lässt alles mit sich machen, hauptsache er hat dieses Kissen. Als er auf Rütteln wieder nicht reagiert, muss die Schelle sein. Ich habe alle Zeit der Welt, sie anzupassen. Sie soll nicht zu feste sein, ihn aber in diese Welt zurückholen.
Ich hole aus und meinr offene Hand gibt ein klatschendes Geräusch auf seiner Wange. Meine Handfläche brennt und ich balle sie kurz zur Faust, um den Schmerz zu lindern. Hoffentlich war das nicht zu fest ...
Hiro verharrt einige Sekunden. Ich achte auf sein Gesicht und sehe diese Leere in seinen Augen. Langsam richtet sich sein Blick auf und er sieht zum ersten mal mich an. "Hiro?" Meine Stimme zittert.
Zuerst hat Hiro noch diesen abwesenden Blick, doch langsam beißt sich auf die Zähne. "Verpiss dich!", zischt er wütend. "Du störst mich!" Ich nehme seinen Arm und deute angeekelt auf den tiefen Schnitt. Bevor ich etwas sagen kann, reißt Hiro mir den Arm aus der Hand und schubst mich zurück. Ich falle im Sitzen auf die Katze, welche sich sofort unter mir herauszieht und sich einfach am anderen Ende des Bettes wieder zusammenrollt. "Fass mich nicht an." Hiros Reaktion ist eine von denen, vor denen ich Angst hatte. Aber jetzt ist es eben so. Vor Angst erstarrt sehe ich immernoch weinend zu ihm, kann nichts sagen oder mich bewegen. "Worauf wartest du noch? Verpiss dich endlich!" Hiro schreit nicht, aber sein aggressiver Ton durchzieht mich schmerzhaft. Hiro beginnt etwas unter sich zu suchen und sein Blick fällt auf den Nachttisch.
Auf das Messer.
"A-aber...", stammle ich angespannt. "Ich sagte, du sollst dich verpissen!", brüllt Hiro einfach heraus und schlägt mir mit der Faust gegen das Knie. Es knackt kurz, als seine Fingerknochen auf mich treffen. Ich ziehe scharf die Luft ein und überlege so gut es geht, was jetzt zu tun ist. Ich muss doch für Hiro da sein, oder nicht!? Nie war ich für ihn da und jetzt braucht er mich doch am meisten ... Es wäre bestimmt gesünder für mich, jetzt wirklich zu gehen, aber ich will einmal etwas tun, für das ich mich im Nachinein nicht hassen muss.
Hiro lehnt sich auf mich und sieht mich böse an. "Du willst es nicht anders, oder?", zischt er. Obwohl die Angst sich in mir breit macht, ziehe ich Hiro am Shirt zu mir herunter. Eines steht fest: Ich will nicht mehr mit ihm zusammen kommen. Aber ich denke, ich glaube, dass das alles hier nur ist, weil ich mich nicht genug um Hiro gekümmert habe. Wer weiß, vielleicht können wir ja gute Freunde werden, wenn Hiro irgendwann normal ist?
Als Hiro sich gegen meinen Griff wehrt, nehme ich die andere Hand dazu, um ihm am Hinterkopf zu mir herunter zu drücken. Ich strecke meinen Kopf etwas nach oben, um ihn zu küssen. Kaum berühren sich unsere Lippen, entspannt sich alles an ihm und er sackt einfach auf mich. Sein Blut sickert warm in mein Shirt und gibt meiner Haut nach einer Zeit ein schmieriges, ekelhaftes Gefühl. Ich kann Hiros Tränen in meinem Gesicht fühlen und weine selbst. Alles ist zu viel. Und dieser Kuss sollte der letzte sein.
Er sollte ein Abschied sein.
Hiro fährt mir über die Wange und löst sich nach einer Zeit selbstständig von mir Er drückt sein Köpfchen an meine Brust und fängt an, sich pamisch zu entschuldigen. Ich streichel ihm über das Haar und drücke ihn irgendwann weg, als es besser wird. "Hiro?", frage ich dann und setze mich an den Bettrand.
"Ja?", fragt er ruhiger und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. "Sicher, dass du keinen Doktor brauchst?"
"Ja! Ich bin doch völlig normal ..."
Ich verziehe die Mundwinkel und nicke. Klar, Hiro. Du bist total normal ... "Komm, wir gehen deine Wunde versorgen..." Ich greife nach seiner Hand und gemeinsam gehen wir in die Küche. Ich lächle, als ich die Orangen in einer Schale auf dem Tisch sehe und an die Killermaus-Tasse denken muss, die Hiro mir zu trinken gegeben hatte.
Ich hole ein Handtuch und mache Küchentücher etwas feucht, um mich um ihn zu kümmern. "Du solltest das nähen lassen, Hirolein", sage ich so sanft wie möglich. "Du hast dir ganz schön böse Aua gemacht, verstehst du?" Er nickt und wackelt etwas mit den Beinen hin und her. "Ich kann das selber machen", meint er. "Okay..." Ich will ihm schon die Tücher geben, da steht er einfach auf und verschwindet kurz. Ich will ihn schon suchen gehen, da kommt er mit Nadel und einen dicken Faden zurück. Sogar Desinfektiinsmittel hat er dabei. Er setzt sich wieder zu mir und mir wird schon ganz schlecht. "Hiro, lass das lieber einen Profi machen", will ich ihn zur Vernunft bringen und halte mir dir Hand vor den Mund, für den Fall, dass ich kotzen muss.
Hiro ignoriert mich einfach und fädelt die Schnur ein. Er desinfiziert wirklich alles und sticht sich dann einfach in die Haut Ich kann die Reflektion des Lichts auf der Nadel sehen, wie er sie durch die Wunde führt und immer und immer wieder reinstechen muss. Schon alleine da zu zusehen erbringt mir Schmerzen. Aber es scheint auch Hiro nicht komplett kalt bleiben zu lassen. Angestrengt beißt er die Zähne aufeinander und hält den Atem an. Die Wunde schließt sich, als er den Faden festzieht, beginnt aber an einigen Stellen neu zu bluten. Mir wird immer schlechter und schlechter und das obwohl ich Blut mehr oder weniger gut vertrage. Hiro öffnet den Hygieneartikel und kippt sich einfach eine richtige Portion auf die Wunde, bevor ich sagen kann, dass wir das besser mit einem Tuch sauber tupfen. Er lässt die Flasche fallen, fängt kurz an zu schreien und macht sich auf der Sitzfläche klein, während er sich den Arm hält. Hiro gibt schmerzverzerrte Geräusche von sich und ich spüre die Gänsehaut auf meinem Körper.
Das muss weh getan haben.
Ich warte, bis Hiro einschläft. Im Halbschlaf redet er von einer eigenen Welt mit mir und ihm. Ich schalte den Fernseher aus, als er still ist und beziehe im obrigen Stock das Bett neu, bevor ich gehe. Ich hoffe, dass ich nicht mehr hier her kommen muss.
Jetzt bin ich wieder single. Das heißt, dass mich abends niemand mehr kuscheln wird, oder? ... Doch dann fällt mir Nick ein ... Aber wäre das nicht total gemein?
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