Kapitel 56: Leben und leben lassen
Ich habe Selbstverletzung immer für sehr dumm gehalten. Aber seit ich Hiro kenne ist das alles etwas anders ... Vielleicht hilft es ja wirklich, wenn man sich selbst in das Fleisch schneidet. Vielleicht ist besser damit. Ich meine, wäre es scheiße würdr es Hiro doch nicht machen, oder? Und meine Mutter muss es ja nicht sehen ... Niemand muss es sehen! Ich muss es ja nicht wie viele am Arm oder Bein machen, sondern da, wo Hiro es auch tut ... Ich könnte trotzdem in das Schwimmbad oder so gehen ... Niemand würde es erfahren. Mit gemischten Gefühlen öffne ich die Schublade und betrachte die glänzenden Metallstücke, wie sie auf- und nebeneinander in dem Kästchen gestapelt sind.
Ich sehe lauschend zur Tür. Meine Mutter läuft nirgends herum ... Das ist gut. Ich kann es doch wenigstens mal ausprobieren, oder? Ich nehme mir eine der schärferen Klingen und setze mich an den Tisch. Ich betrachte das Messer. Meine braunen Haaren spiegeln sich darin. Sie sind heller geworden und das Blond zieht langsam seine Strähnen. Gut ... Nur mal testen. Ich ziehe mitten in der Küche die Hose ein Stück runter und meine eng anliegende Unterwäsche ein Stück hoch. Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich das mache! Aber vielleicht bringt es ja wirklich was ... Ich nehme das Messer und lege es weit oben an meinem Schenkel an.
Hier würde ich jetzt schneiden ... Einfach rein drücken und lang ziehen.
Ich hole tief Luft und will das Messer in mein Bein stechen, doch meine Hand bewegt sich nicht. Okay, gut. Das schaffst du schon, Luke! Du brauchst gar keine Angst vor dem Schmerz haben ... So weh tut das nicht. Doch auch beim zweiten Anlauf klappt es nicht. Meine Hand will sich einfach nicht bewegen. Dann gehe ich es eben langsam an, wenn ich zu viel Angst habe. Ich drücke die Spitze des Metalls in meine Haut. Sie wird eingedrückt, doch gibt nicht nach ... Kommen wir zu Schritt zwei: mit dem Druck die Haut entlang schneiden. Doch wieder bewegt meine Hand sich nicht ... Ich stöhne von mit selbst genervt auf und lege das Messer auf den Tisch. Mal Luft holen. Bin ich denn wirklich so eine Pussy!?
Ich mache eine kurze Pause, in der ich fast in Tränen ausbreche bei dem Hass auf mich selbst. Nichts bekomme ich hin. Ich habe Hiro betrogen und lasse mir von ihm sagen, ich sei sein Ein und Alles, ohne es gu schaffen ihm die Wahrheit zu sagen. Gut jn der Schule bin ich auch nicht und sobald ich nur ein bisschen Angst habe macht mein Körper was er will! Ich hasse es ... mich. Aber nur in diesen Moment, in dem ich es nicht einmal auf die Reihe bekomme, mir so ein blödes Messer in die Haut zu rammen. Das schafft Hiro doch auch ... So tief macht er es, wahrscheinlich ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Nicht mal mit ihm kann ich mithalten ...
Ich ziehe die Hose nicht eher wieder hoch, bis da nicht mindestens ein Schnitt ist. Ich zwinge mich selbst es erneut anzulegen. Einfach durchschneiden kann ich nicht, reinstechen schon gar nicht. Also fange ich an sanft mit der Klinge über meine Haut zu fahren. Hin und her. Obwohl es überhaupt nicht feste ist, sehe ich wie sich die ersten Hautschichten abkratzen lassen. Es tut nicht mal weh ... Als es leicht beginnt zu bluten bin ich stolz auf mich. Wenigstens das habe ich geschafft. Die nächste Hürde ist in einer blutenden Wunde einfach weiter zu schaben - nach dem Blut zu graben. Doch ich mache das jetzt ... Und es beginnt zu brennen. Unheimlich zu brennen. Stolz auf mich selbst lege ich das Messer zurück auf den Tisch. Es ist zwar nur ein kleinet Kratzer, könnte auch von einer Katze sein, aber dennoch! Ich hab es selbst gemacht und dafür mal den Arsch in der Hose gehabt! Endlich mal für irgendetwas ... Auch wenn es nicht mal ein Stück an Hiro herankommt. Er hat sicher auch klein angefangen.
Doch ein Gefühl von Belebtheit spüre ich nicht. Dafür wird der Hass auf mich selbst ein Funken kleiner. Wenigstens eine Sache habe ich geschafft. Wenigstens.
Als ich eine Tür klappen höre pumpt mir das Herz plötzlich bis in den Hals. Jeden einzelnen Schlag kann ich spüren. Schnell reiße ich mir die Hose wieder hoch und schürfe dabei versehentlich noch einmal über die Wunde. Ein so kleiner Kratzer, aber so ein brenndener Schmerz ...
Das Messer werfe ich einfach in die Spüle, ist ja nichts dran, und stehe bereits lächelnd in der Tür. "Hallo, Mama!"
Der Kratzer hat mir echt geholfen, finde ich. Selbstbewusstsein hat er mir gegeben! Genau das ist das richtige Wort. Heute ist der Tag gekommen, an dem ich mit Drake auf der Bank im Swanpark sitze und mit ihm gemeinsam Pläne austüftle. Der Anti-Nuttenplan, der ists gewesen. "Keine Ahnung, man lädt die Schlampen zur 'Besprechung' ein und bewirft sie dann mit Wasserbomben?" Drake rutscht näher zu mir. "Mit Kot!" Boah, wie ekelhaft! "Wie willst du die Scheiße überhaupt in die Bomben bekommen? Ey, Drake lass mal." Er kann ja schlecht Scheiße wie Wasser aus dem Hahn aus seinem Anal sprudeln lassen. "Ey, ja keine Ahnung! Wenn nicht sammelm wir Scheiße in Eimern. Ich scheiße mal rein, du scheißt mal rein, Nickelodeon legt auch noch 'n Snickers dazu und ihr sammelt ein bisschen Hundekniddel ein!"
Ich muss lachen. "Nein, mache ich nicht!"
"Ach, Luki? Ich hab Nick mal dazu geholt, wenns dich nicht stört. Ihr seid ja jetzt ein Herz und eine Seele!"
Mit verzogenen Gesicht nicke ich. Meinetwegen. So schlimm ist das jetzt auch nicht. "Und ich hab Hiro bestellt."
Bitte was? "Warum!?"
"Ey, weißt du was der zu mir gesagt hat?" Drake ist plötzlich total aggressiv. Mir rutscht das Herz in die Hose. "Der hat mir ne Kampfansage gemacht! Ich lass mir doch von keiner Schwuchtel sagen, dass ich meine Zähne von der Straße kratzen soll! Ey digga, das hat der Popopirat gesagt!"
Das Lächeln vergeht mir. Das heißt doch jetzt nicht, dass Drake Hiro weh tun will, oder? Und das mit Nick und mir zusammen!? Ist ja wieder klar, dass er alleine nicht auf ihn los gehen würde. "Du, Drake? Ich mach da nicht mit", gebe ich zu. "Ich mag Hiro, auch wenn-..."
"Bist du behindert, was los mit dir!?", werde ich unterbrochen. "Willst mich mal schön verarschen, oder!? Haha, du willst mir nicht erklären, dass du seit neusten Schwuchteln magst!?" Drake ist so aufgebracht und stellt mich völlig unter Druck. "Ich, äh..", ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! "Oder lässt du dich seit neusten selbst in den Arsch ficken?"
Mal wieder keine Ahnung, ob das Ernst oder Spaß ist. "Nein, du Piss..", gebe ich versuchend bissig zurück und drehe mein gerötetes Gesicht weg. Hiro hat Recht.
Drake würde mich nicht anders behandeln als ihn am Telefon, wenn er wüsste wie ich bin. Und Nick wohl auch nicht. Ob er mich dann auch zusammen schlagen wollen würde?...
"Na also", sagt Drake, als ich still bin und legt den Arm um mich. "Hiro soll nur mal lernen, dass man bei den Kings keine große Fresse haben sollte!" Ich will nicht, dass sie Hiro etwas tun ... Wobei ich Nick das ehrlich gesagt nicht mal zutrauen würde. Aber wer weiß? Ich bin mal wieder ein schlechter Freund ... Hass.
Ich bin still, als Nick zu uns trifft. "Was?", fragt er entsetzt, nachdem Drake ihm seinen Plan erzählt hat. "Hiro kriegt nur mal gezeigt, dass man als Schwuchtel die Schwanzklappe zu halten hat!"
"Find ich nicht gut", entgegnet Nick ihm und beginnt zu meiner Überraschung damit, es Drake ausreden zu wollen. Ob es mir zuliebe ist? Wegen Hiro selbst? Oder weil er einfach nur Angst hat, sich Hiro entgegen zu stellen?
"Warum denn?"
"Leben und leben lassen."
"Nee, ey."
Die Diskussion ist nur von kurzer Dauer, da kommt Hiro auch zu uns. Er winkt mir süß lächelnd, als wären die anderen beiden gar nicht da. "Hey", begrüßt er uns alle, als wären wir noch die besten Freunde. Drake sieht uns an und gibt uns einen bösen Blick, als keiner von uns Anstalten macht ihm mit Hiro zu helfen. Ohne Grund schubst er meinen Freund einfach an den Schultern. Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch nur zusehen, wie Hiro stolpert. "Was soll das?", fragt er empört und zieht sich das Shirt runter, das nur ein wenig nach oben gerutscht ist. "Das weißt du genau, du Schwanzloch!", schreit Drake auf einmal und sorgt mit seinen Getue dafür, dass sogar Hiro sich klein macht und mir einen um Hilfe bittenden Blick zuwirft.
Aber ich kann dir doch gar nicht helfen, Hiro... Am Ende bin ich der, der auf die Fresse kriegt ... Es tut mir Leid...
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