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Mai 2005

„Jetzt komm schon!", Michael umgriff das Handgelenk seines kleinen Bruders noch fester. Die kürzeren Beine des blonden Jungen hatten Schwierigkeiten mit seinem Tempo mitzuhalten, aber Michael war nicht bereit, auch nur eine Sekunde seines Freitagnachmittags an Felix zu verlieren. Dieser Nachmittag gehörte ihm.

Für einen Tag im Mai war es ungewöhnlich warm, sodass auch er bald den Schweiß auf der Stirn spürte, aber es waren nur noch wenige Häuser entfernt, dann konnte er seinen Bruder bei der Nachbarin abliefern und die besonderen Stunden genießen, die ihm in der Woche für sich blieben. 

Ihre Eltern waren noch bis zum Abend unterwegs, auf der Arbeit oder Besorgungen erledigen. Was wusste er schon. Nur, dass sie an Freitagen an die liebenswürdige, ältere Frau abgeschoben wurden, da die Schule früher endete. Nur, dass Michael seit einigen Wochen nicht mehr dortblieb. Jetzt, wo kein Schnee mehr lag und die Sonne wieder an Kraft zunahm, hatte er ein neues Ziel. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als er an letzte Woche dachte. Viel besser, als mit seinem Bruder Hausaufgaben zu machen und im Haus zu sitzen.

Das weiß getünchte Gartentürchen knarzte leise, als Michael es mit seiner freien Hand aufdrückte. Die andere umklammerte noch immer seinen Bruder, der mittlerweile japsend und prustend hinter ihm her taumelte. Vor der Haustür stellte Michael ihn ab, sah prüfend zu ihm hinunter. Felix hatte mit seinen zwölf Jahren noch immer ein niedliches Mondgesicht, das jetzt vor Anstrengung rot angelaufen war. Einige Strähnen klebten feucht an seiner Stirn.

„Du benimmst dich, haben wir uns verstanden?", sagte Michael streng. „Ich habe keine Lust, dass wir wieder Ärger kriegen, weil Du dich raus schleichen willst."

Felix zog schmollend eine Schnute. „Du gehst doch jetzt auch wieder."

„Ja", Michael presste die Lippen aufeinander und wich dem Blick seines kleinen Bruders aus. „Ich hole Dich um fünf wieder ab."

„Warum?"

„Ich bin älter. Darum."

„Du bist sechzehn."

„Ja, eben", diesmal lächelte er leicht und versuchte die verirrten Strähnen auf Felix Stirn nach hinten zu streichen, doch dieser stieß seine Hand weg.

„Du bist gemein", schmetterte er ihm entgegen.

„So sind große Brüder eben", entgegnete er und drückte, um seine Worte zu unterstreichen, die Klingel. „Also bis dann!"

Mit einem letzten Klopfen auf die Schulter des Jungen, drehte sich Michael um und war aus dem Hauseingang verschwunden, noch bevor die Tür geöffnet wurde. Seine schnellen Schritte führten ihn direkt durch den Garten des Hauses, vorbei an verwilderten Rosen, zwischen deren abgestorbenen Trieben sich jetzt im Frühjahr neue bildeten. Doch er hatte keine Augen für die frisch aufblühenden Pflanzen, sondern nur ein Ziel im Sinn. Den See. Freiheit.

Das Grundstück am Ortsrand grenzte direkt an die Wiesen an, auf denen sich später im Jahr die Kühe in den Bauch standen. Jetzt hatte er allerdings freie Bahn, sodass er sich ohne Furcht über den Zaun schwang und loslief. Der Rucksack auf seinem Rücken hüpfte erwartungsvoll, während Michael über das Feld trabte. Dort, wo das Gras wieder Kies und Dreck wich, wechselte er auf den Pfad, der ihn durch ein kurzes Waldstück direkt zu dem kleinen See führen würde, an dem er seine letzten Freitage verbracht hatte.

Die Stelle, die er anpeilte, war allerdings nicht direkt vom Weg aus zu erreichen, denn sie lag einige hundert Meter abseits, versteckt unter alten Baumkronen. Gerne dachte er daran, dass womöglich nur sie die winzige Bucht kannten. Nur er und...

Seine Schritte beschleunigten sich noch einmal, als er sie zwischen Bäume lenkte, hinunter von dem befestigten Weg. Zweige knackten unter seinen Sohlen, trockenes Laub raschelte, als er dorthin lief, wo er schon seit dem Moment wieder sein wollte, an dem er den Ort letzte Woche verlassen hatte. Vorfreude stieg in ihm auf. Er leckte sich über die Unterlippe, verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen, während seine Füße ihren Weg durch das Dickicht von ganz allein fanden. Er drückte sich zwischen einer Haselnussstaude und einem dornigen Busch hindurch, bückte sich unter einen tiefhängenden Ast. Er sprang leichtfüßig über die dicke Wurzel, hinter der sich der Wald lichtete und das Gelände sanft zum See hin abfiel. Der Strandabschnitt der Bucht war steinig und unbequem, aber er war ihrer.

Der See selbst war ein beliebter Ausflugsort, den seine Schulkameraden ebenso nutzten. Allerdings trafen diese sich auf der anderen Seite des Sees, wo ein kleines Freibad angelegt worden war und ein Imbiss Pommes, Currywurst und Bier verkaufte. Besonderes letzteres stand bei den meisten in seiner Klasse am höchsten im Kurs.

Umso mehr schätzte Michael die Abgeschiedenheit der winzigen Bucht, die selbst vom Wasser aus schwer zu erkennen war, da die Zweige einiger Weiden weit ins Wasser hineinragten.

Sofort wanderte sein Blick zu dem großen, flachen Felsen, der in das Wasser hineinragte und auf dem sie die letzten Wochen gesessen hatten. Das Lächeln in seinem Gesicht fror ein, als er realisierte, dass die glatte Stelle, die zu ihrem Platz geworden war, leer war.

Beinahe panisch schaute er sich um, drehte seinen Kopf, aber er fand nicht, was er suchte. Er fand nicht, wen er suchte.

Sonst war doch immer er zu spät und wurde schon erwartet. Entsetzt drehte er sich einmal um die eigene Achse, aber er war allein.

Mit klammen Fingern fuhr er sich über sein Gesicht, versuchte sich zu beruhigen. Atmen. Ein, aus.

Er würde warten, es musste ja nicht gleich etwas passiert sein. Atmen. Ein, aus.

Mit wackeligen Knien steuerte er auf den Felsen zu, gegen den die glitzernden Wellen gleichmäßig schwappten. Geschickt kletterte er hinauf, denn seine Finger hatten bereits Übung darin, die kleinen Vertiefungen zu ertasten und sich daran nach vorne zu arbeiten. Sobald er saß, warf er einen Blick über die Schulter, zurück auf den Waldrand, wo er hoffte, endlich eine Gestalt zwischen den Bäumen zu erspähen. Nichts.

~~~

Die Uhr auf seinem Handgelenk sagte ihm, dass er seit fast einer Stunde am Wasser saß und wartete. Er glaubte nicht mehr, dass sie den Tag heute gemeinsam verbringen würden, aber er brachte sich auch nicht dazu, Felix früher aus dem mit Plüschtieren vollgestopften Heim der Nachbarin abzuholen.

Ernüchtert zog er die Knie an, um seinen Kopf darauf zu legen. Sein Hintern war dabei taub zu werden und sein Magen grummelte. Das Mittagessen hatte er ja ausfallen lassen, um möglichst schnell hier zu sein. In seinem Rucksack hatte er nur noch die Süßigkeiten, die er am Zeitungskiosk von seinem letzten Taschengeld gekauft hatte, und die er eigentlich hatte teilen wollen. Er seufzte bei dem Gedanken an die Gummischlangen, die in einer weißen Tüte aus Butterbrotpapier, eingequetscht zwischen Büchern und Heften, nur darauf warteten, verspeist zu werden. Aber er brachte es nicht über das Herz, das Tütchen jetzt allein aus dem Rucksack zu ziehen, egal wie sehr sein Körper protestierte.

„Wovon träumst Du?"

Erschrocken zuckte Michael, als die Stimme hinter ihm erklang, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte. Dann wurde ihm ganz warm. Endlich.

Vorsichtig hob er den Kopf und wandte sich um, zu der Gestalt, die sich ihm mit federleichten Schritten näherte. Die hellen, blonden Haare schimmerten in der Sonne fast weiß, die blauen Augen waren voller Wärme.

Ein Lächeln schlich sich zurück auf Michaels Gesicht, während er den Teenager dabei beobachtete, wie er mit einem mutigen Satz an den Felsen sprang, um sich dann lässig nach oben zu ziehen und neben ihm fallen zu lassen.

„Du bist spät dran."

Daves breites Grinsen verzog sich zur Grimasse. „Ja, tut mir leid. Ich bin nicht früher losgekommen." Er fing sich zügig wieder und legte seinen Arm um Michael. „Jetzt bin ich ja da. Wartest Du schon lange?"

„Nein", log Michael und ließ sich gegen die Schulter des anderen fallen. Jede Minute auf dem harten Stein hatte sich zu warten gelohnt, nur dafür, dass er jetzt bei ihm war. Dave hatte ihr unausgesprochenes Freitagsritual also weder vergessen, noch mutwillig gebrochen. Seine Angst war völlig unbegründet gewesen, denn es konnte ja nicht immer alles ganz nach Plan laufen.

„Wie war Dein Tag?", fragte er den Blonden. Dieser zuckte nur mit den Schultern.

„Ach, normal. Ich weiß nicht. Der Chef hat mich heute noch eine Überstunde machen lassen, weil das Auto von seinem Sohn spinnt. Wer eignet sich da besser als der Azubi, der hat ja Zeit."

Schnaubend schüttelte Michael seinen Kopf. Er wusste ja, dass Dave im Gegensatz zu ihm nicht mehr in die Schule ging und stattdessen einen Ausbildungsplatz hatte, aber an das Konzept von Überstunden konnte er sich einfach nicht gewöhnen. Arbeitszeit war begrenzt, nichts konnte so wichtig sein, dass man freiwillig länger blieb. Allerdings, wenn es der Ausbilder anordnete...

„Aber genug davon. Was sitzt du da wie ein Häufchen Elend?"

Diesmal zog Michael die Schulter an. „Stimmt doch gar nicht."

Dave hob missbilligend eine Augenbraue, sagte aber nichts. Stattdessen legte er den Kopf in den Nacken und reckte sein Gesicht der Sonne entgegen. Genießerisch schloss er die Augen und verfiel nach einem wohligen Seufzen in Stille. Scheu sah Michael zu ihm auf, musterte die zarten Züge des anderen Jungen und musste ein Lächeln unterdrücken. Er genoss die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten so sehr, kaum zu glauben, dass sie sich erst vor wenigen Wochen auf einem Straßenfest im Nachbardorf über den Weg gelaufen waren. Seither hatten sie jeden Freitagnachmittag gemeinsam verbracht, genau hier am Ufer des Sees, genau auf diesem Felsen, ohne sich verabredet zu haben. An dem Abend nach dem Fest, hatte Dave ihn hergebracht, zwei Flaschen Bier aus dem Rucksack gezogen und sie waren einfach hier gesessen, hatten geredet, gelacht. Als Michael das nächste Mal zum See gelaufen war, hatte er zielstrebig den versteckten Strand angesteuert – zu seiner Überraschung hatte Dave auf dem Felsen in der Sonne gelegen und schien nicht halb so überrascht wie er selbst, dass sie sich an diesem Ort erneut getroffen hatten. Ab diesem Tag war er zu ihrem geheimen Treffpunkt geworden.

„Du träumst heute wirklich", nuschelte der Junge neben ihm.

„Hm?", Michael hatte gar nicht bemerkt, dass er wieder hinaus auf die Wasseroberfläche starrte, auf der sich die Sonnenstrahlen funkelnd brachen.

„Ist Dir warm?"

„Wieso?"

„Na, ist Dir warm?" Daves Grinsen war frech. Was hatte er sich wieder einfallen lassen? Seine Gedankengänge überschlugen sich an manchen Tagen derartig, sodass sich Michael nie sicher war, was als nächstes kommen würde.

„Nein?" Michael lachte unsicher.

„Also, ja", mit einer fließenden Bewegung schnellte Dave nach oben und zog sich dabei sein Shirt über den Kopf. In atemberaubender Geschwindigkeit landeten auch seine Schuhe, Socken und Hose auf dem Boden. „Komm mit, wenn Du dich traust!"

Dann machte er lachend zwei schnelle Schritte nach vorne, um jauchzend in den See zu springen. Das Wasser, in das der schlanke Körper mit dem Kopf voraus eintauchte, musste eiskalt sein. Grinsend biss sich Michael auf die Lippe, so wenig Lust er auch verspürte, im Mai baden zu gehen, die Blöße sitzen zu bleiben und Dave die Genugtuung zu geben, konnte er sich einfach nicht geben. Während er sich die Klamotten von Leib streifte, bildete sich schon die Gänsehaut auf seinem Körper.

Dave tauchte wieder auf und lachte ungehemmt, es klang so schön. Viel zu selten hörte Michael jemanden so lachen wie diesen Jungen – aber vielleicht lachte auch niemand so wunderbar wie er.

„Na komm schon, du Feigling!"

Mit einem hastigen Schritt nach vorne trat Michael an die Kante des Felsen und sprang ab. Er hoffte, etwa so elegant und sicher zu wirken wie Dave nur einen Moment zuvor, aber er merkte, wie er ausrutschte, als er sich abdrückte und sein Gleichgewicht verlor. Während er auf die Wasseroberfläche zu segelte, hörte er Dave lachen und etwas rufen. Er verstand ihn nicht, denn schon klatschte er mit dem Bauch voran auf das Wasser.

Der Schock der Kälte auf seiner gerade noch sonnenverwöhnten Haut schlug ihm die Luft aus den Lungen. In der Panik, die ihn überkam, schärften sich seine Sinne. Das Rauschen des Wassers in seinen Ohren, die Luftblasen, die gurgelnd neben ihm aufstiegen, die schneidende Frische, die ihn umfing, alles nahm er überdeutlich wahr. Aber auch, dass er nichts sehen konnte in dem trüben Wasser.

Nach Luft ringend tauchte Michael auf und war geblendet von der Helligkeit des Sonnenscheins. Desorientiert suchte er nach Halt, aber seine Hände schlugen nur auf die leere Wasseroberfläche, die ihm keinen Widerstand bot. Seine nackten Füße wirbelten wild durch das eisige Wasser, ohne den Grund zu erreichen. Er musste raus, schnell.

Er schnappte nach Luft, wusste aber noch immer kaum, ob er sich unter oder über Wasser befand und sog in seiner Panik Flüssigkeit in den Mund. Verzweifelt begann er zu husten, ruderte noch immer hilflos mit seinen Gliedern.

Dann umfassten ihn warme Arme, legten sich um seinen zitternden Körper und hielten ihn über Wasser. Die vertraute Stimme an seinem Ohr beruhigte seine Atmung weiter.

„Hey, hey, hey. Ich hab' dich."

Michael merkte, wie Dave ihn ein kleines Stück in Richtung des Ufers schleppte. Zumindest hoffte er, dass sich dort das Ufer befand.

„Du kannst jetzt wieder stehen", er blieb so lange unnachgiebig an die feste Brust gedrückt, bis er tatsächlich glitschige Steine unter seinen Sohlen hatte und wieder aus eigener Kraft auf die Beine kam.

Noch immer ging sein Atem unregelmäßig und stoßweise. Das eiskalte Wasser brannte schmerzhaft auf seiner Haut, während er die letzten Tropfen aus seinen Augen blinzelte, um sich umzusehen. Sie standen nicht weit weg vom Ufer, doch das Wasser reichte ihm trotzdem schon bis zur Brust. Es überraschte ihn, wie schnell der See in tieferes Gewässer abfiel und war dankbar, dass er in wenigen Schritten aus dem Wasser wäre.

Auf seinen Schultern spürte er noch immer Daves warme Hände, die ihn auch nicht verließen, als er sich langsam beruhigte.

„Wieder okay?"

Michael hustete, bevor er eine Antwort hervorbrachte. „Ja", krächzte er.

Vorsichtig schob Dave ihn die letzten Meter aus Wasser, indem er ihn sanft am Rücken nach vorne drückte und sich selbst dicht hinter ihm hielt.

Sobald Michael aus dem Wasser stieg, schlang er zitternd die Arme um sich. Der Schock und die Kälte setzten ihm zu. Warum hatte er auch so dumm sein müssen? Warum hatte er sich anstacheln lassen, in den See zu springen? Die Panik von eben lähmte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.

„Warte", rief ihm Dave zu, der prompt wieder auf den Felsen kletterte. Michael registrierte das alles nur flüchtig, denn noch immer stand er mit hochgezogenen Schultern und verschränkten Armen auf den rutschigen Steinen.

Als Dave zurückkam, hielt er sein Shirt in der Hand und begann, Michael damit abzutrocknen. Sorgfältig rieb er damit über die nassen Schultern und den Rücken. Durch die Sonne war der Stoff des Shits angenehm warm, was langsam, aber sicher den Stock aus seinem Leib trieb und er sich zusehends entspannte.

Bis Michael vor Schmerz durch die Zähne zischte. „Nicht da."

„Scheiße, was hast Du da?"

Obwohl Dave schräg hinter ihm stand, konnte Michael sein Entsetzen deutlich spüren. Verübeln konnte er es ihm aber nicht, denn er wusste, wie schlimm seine rechte Flanke gerade aussah, obwohl die blauen Flecken schon abheilten und nur noch gelbe und grüne Schatten waren. Warum hatte er auch nicht mehr daran gedacht, als er überhastet sein Oberteil ausgezogen hatte?

Unwirsch drehte er sich, um Dave das Shirt aus der Hand zu reißen und sich selbst damit weiter abzutrocknen. Der blonde Junge sah ihn mit großen Augen an, verkniff sich aber eine weitere Frage, indem er sich auf die Innenseite seiner Wange biss.

Die Schürfwunden an seiner Seite brannten, als der Stoff darüberfuhr, obwohl sich schon Schorf darauf gebildet hatte. Er wollte nicht, dass Dave ihn so sah oder überhaupt jemand. Er wollte einfach vergessen, was passiert war und den einen Tag genießen, an dem die langen Schatten seines Zuhauses ihn nicht erreichen konnten.

Ohne ein weiteres Wort jagte Michael zurück zu ihrem Felsen, um sich zumindest sein Shirt überzuwerfen, denn es behagte ihm keinesfalls, so entblößt zu sein. Beim Klettern rutschten seine Finger ab, sodass er mit Sicherheit gestürzt wäre, hätte Dave ihn nicht aufgefangen, als er unkontrolliert nach hinten kippte. Er hatte nicht bemerkt, wie er ihm gefolgt war.

So taumelten die beiden nur nach hinten, wobei sich Michael schon wieder an Daves nasse Brust presste, um Halt zu finden. Ein frustriertes Stöhnen entfuhr ihm, als er sich wieder aufrappelte. Der nächste Versuch, auf den Felsen zu gelangen, war erfolgreicher und er griff nach seinem Shirt, das zerknüllt neben seinem Rucksack auf ihn wartete.

Bevor er es sich überstreifen konnte, griff Dave an seinen Unterarm uns sah ihn fragend an, doch Michael schüttelte nur den Kopf. Er konnte einfach nicht darüber reden.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie die meiste Zeit schweigend. Dave hatte das Thema nicht wieder angeschnitten, wofür Michael ihm dankbar war.

„Ich muss meinen Bruder langsam abholen", sagte er leise, während er aufstand, um seine Jeans über die feuchte Unterhose zu ziehen. Obwohl es warm war, klebte diese noch immer klamm an ihm. Eine leichte Brise ließ ihn frösteln, als er zu Dave hinuntersah, der nach wie vor nur in seiner Boxershorts auf dem Felsen saß und die Nase in Sonne hielt.

„Musst Du schon gehen?"

„Ja, ich muss Felix um fünf bei unserer Nachbarin abholen."

Dave seufzte. „Schade." Es dauerte einen Moment, bevor er etwas leiser weitersprach. „Ich mache den Blödsinn wieder gut bei Dir. Es tut mir leid, das mit dem Wasser war eine dumme Idee."

Überrascht runzelte Michael die Nase.

„Hat uns den Tag versaut", setzte Dave nach.

„Ach was", tat Michael seine Entschuldigung ab. „Muss' Dir doch nicht leid tun, dass ich so ein Schwächling bin."

„Sag nicht so einen Scheiß."

Michael schnaubte. „Stimmt doch, wenn ich mich nicht so angestellt hätte, wäre das mit dem Schwimmen doch super gewesen."

„Das meine ich nicht."

„So?"

Dave antwortet nicht mehr, sondern streifte sich nun ebenfalls seine Klamotten über. Sein Shirt hatte noch nasse Flecken, dort, wo er zuvor Michael damit abgetrocknet hatte.

Der Weg zurück zu Dorf schien länger als sonst. Heute versuchte Michael nicht, jede Sekunde auszukosten, sondern konnte es kaum erwarten, zu Felix zu kommen. Es war unerträglich, wie Dave ihn ansah, nachdem er die Wunden und Male an seiner Seite entdeckt hatte. Was er zuvor an ihrer gemeinsamen Zeit so genossen hatte, war die Unbeschwertheit und Leichtigkeit – und die hatte er heute durch sein unbedarftes Handeln zerstört. Jetzt würde Dave ihn behandelt wie jeder andere auch, der Wind von seinen regelmäßigen Verletzungen bekam; nämlich wahlweise mit Mitleid oder Abscheu, jedenfalls mit Unsicherheit, als ob er zerbrechlich wäre. Es würde entweder dazu kommen, dass Dave ihn nicht mehr sehen wollte, oder aber er irgendwann genug davon haben würde, wie ein rohes Ei behandelt zu werden.

Als sie die Stelle erreichten, wo der Pfad vom See kommend auf eine der geteerten Straßen am Rand des Dorfes trafen, hielten sie inne.

Dave hatte die Hände in seinen Hosentaschen vergraben und versuchte, Michael nicht anzusehen. Wie alle anderen auch. Dabei hatte Michael so sehr gehofft, dass er anders wäre.

„Ich weiß nicht, was ich Dir sagen soll, außer, dass es mir wirklich leidtut, dass der Nachmittag heute so beschissen war", Daves Stimme war erstickt.

„Ist schon gut."

„Nein, ist es nicht", widersprach Dave und kickte mit seiner Fußspitze gegen einen größeren Kiesel, der einige Meter auf die Straße rollte. „Es geht mich nichts an, was dir passiert ist."

Zum wiederholten Mal überraschte ihn diese Reaktion. Es ging ihn nichts an? Das hatte er bisher noch nicht gehört.

„Danke", sagte Michael nur und lächelte leicht.

Vorsichtig trafen sich ihre Blicke.

„Und danke, dass Du mich aus dem Wasser gefischt hast. Ohne dich, wäre ich wahrscheinlich einfach ertrunken."

Dave schmunzelte. „Ohne mich, wärst Du gar nicht erst gesprungen."

Lächelnd zuckte Michael mit den Schultern. „Stimmt schon, aber das konnte ich einfach nicht auf mir sitzen lassen."

Dankbar, dass Dave nicht weiter auf das Thema um seine Verletzungen einging, überbrückte Michael die Distanz zwischen ihnen, und zog ihn in eine enge Umarmung. Zum dritten Mal an diesem Tag, spürte er den anderen Körper an seinem, aber in diesem Moment war die Hilflosigkeit der vergangenen Stunden kein Teil seiner Gefühle.

Dave erwiderte den Kontakt und schlang seine Arme um Michaels Hals, wobei eine Hand in seinem Nacken liegen blieb, um seinen Kopf an die eigene Schulter zu ziehen.

Eingehüllt von Daves Duft, der sich mit dem Geruch des Seewassers mischte, gab Michael dem fordernden Druck an seinem Hals nach und ließ seine Stirn auf die Schulter des anderen Jungen sinken. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie unnatürlich oft sich die beiden berührten, aber es störte ihn nicht. Ganz im Gegenteil war er froh, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem sich diese Nähe nicht erzwungen anfühlte.

„Bis nächste Woche?", flüsterte er gegen den Daves Hals.

„Bis nächste Woche."

Als sie sich trennten, hatte sich wieder ein kleines Lächeln auch Michaels Gesicht gestohlen. Vielleicht konnte Dave ja doch anders sein? Vielleicht würde er es irgendwann schaffen, ihm zu erklären, wer dafür verantwortlich war, dass in regelmäßigen Abständen blaue Flecken seinen Körper überzogen. Vielleicht. Irgendwann.

Felix musste bereits an der Tür auf ihn gewartet haben, denn als er die Klingel drückte, riss es die Tür beinahe im gleichen Augenblick auf. Genervt sah sein kleiner Bruder zu ihm auf.

„Du bist spät dran."

„Bin ich?"

„Ja."

„Na, dann komm."

Felix rief eine Verabschiedung in den leeren Flur hinter sich, wartete aber nicht auf eine Antwort, sondern trat zu Michael nach draußen, der noch immer lächelnd die Hand nach ihm ausstreckte.

„Na, schönen Nachmittag gehabt?"

Felix sah ihn ausdruckslos an. „Passt schon. Wäre besser gewesen, wenn Du da gewesen wärst."

Michael schnaubte. Ja, ganz sicher wäre es besser gewesen, hätte er auf seinen Bruder aufgepasst, als sich mit seinem neuen Freund am See zu treffen. Aber auf ihn hatte in diesem Alter auch niemand aufgepasst und er hatte es überlebt. Dennoch nagten Schuldgefühle an ihm, dass er Felix so oft allein zurückließ. Er war der große Bruder, der die Verantwortung hatte, dass es dem Jüngeren besser erging als ihm. Dass er das in jeder Situation schaffte, bezweifelte er stark. Aber, ihn für ein paar Stunden bei der Nachbarin abzugeben und selbst abzuhauen, konnte nicht so schlimm sein.

„Warte mal...", setzte er an und nahm den Rucksack von der Schulter. „Ich hab' da noch was... Ha!"

Michael zog nach einigem Wühlen das weiße Tütchen mit den Gummischlangen zwischen seinen Schulsachen heraus und grinste zu seinem Bruder hinab.

„Und du willst, dass ich etwas esse, was da drin war?", fragte Felix ihn angeekelt und zeigte mit dem Finger auf den zerschlissenen Rucksack.

Schnaubend rollte Michael mit den Augen. „Stell dich jetzt ja nicht an."

Als Felix immer noch nicht nach den Süßigkeiten griff, schob er hinterher: „Jetzt nimm schon! Schau, die werden dich schon nicht umbringen!" Zum Beweis schob er sich selbst eine der dicken Schlangen in den Mund, um ihr genüsslich den Kopf abzubeißen. Er hielt ihm die Tüte hin und stupste ihn mit seinem Ellbogen an, bis sich Felix endlich traute, ebenfalls eine der Schlangen zu angeln.

Gemeinsam schlenderten sie auf ihr Haus zu, in dessen Auffahrt nun die Autos ihrer Eltern parkten und deren Anwesenheit signalisierten. Bis zum nächsten Freitag waren die unbeschwerten Zeiten für Michael wieder vorbei. Er hoffte, dass Felix nicht ebenso fühlen musste.

„Was hast Du an Hausaufgaben schon fertig?", fragte er, um sich selbst von seinen Gedanken abzulenken.

„Nee", Felix sah auf den Boden. „Hab' der alten Müller gesagt, ich hätte nichts auf."

Michael lachte überrascht auf. Seit wann hatte sein Bruder es drauf, ihrer Babysitterin ins Gesicht zu lügen? Mit der Faust buffte er seine Schulter, was ihm einen empörten Blick einbrachte.

„Und, was hast Du auf?"

„Deutsch und Mathe", der Junge klang genervt.

„Kannst Du's?"

Felix zuckte nur mit den Schultern.

„Soll ich's mit dir durchgehen? Ich hab' morgen nichts vor", bot Michael an, teilweise auch aus schlechtem Gewissen, dass er Felix nächste Woche wieder abschieben würde, um ein paar wenige Stunden mit Dave zu verbringen.

„Okay", Felix zögerte, bevor er leiser hinzufügte: „Danke."

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