Michaels Bewusstsein kehrte in seinen Körper zurück, als warme Finger über seinen Rücken strichen. Sie wanderten hinauf zu seinem Haaransatz, um seine braunen Strähnen zu liebkosen, dann tanzten sie hinab zu seinem Gürtel, der trotz der späten Stunde noch in seiner Jeans steckte. Um die seltene aber äußerst zärtliche Berührung noch einen Moment auszukosten, hielt er seine Augen geschlossen und versuchte verzweifelt nicht laut zu seufzen, als die Hand sich an seinen Hinterkopf legte und dort kleine Kreise auf seiner Kopfhaut malte. Als sie sich zurückzog, konnte er ein enttäuschtes Stöhnen allerdings nicht mehr zurückhalten.
„Mhhhh", seine Wimpern klebten vom Schlaf zusammen, sodass er einige Male blinzeln musste, bevor er das wunderschöne Gesicht mit den dunklen Augen, das nur knapp vor seinem schwebte, wirklich sehen konnte. Im Hintergrund lief gerade der Abspann des Films, den sich die beiden hatten ansehen wollen. Mist, er hatte die kostbare Zeit mit ihm verschlafen.
Christian lächelte ihn an, entblößte dabei leicht seine Zähne. „Na Dornröschen?"
„Wie spät ist es?", fragte Michael heiser und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Die linke Hälfte kribbelte und juckte von dem groben Stoff des Zierkissens, auf dem er gelegen hatte.
„Halb 11", sagte der dunkelhaarige Mann, der nach Michaels Geschmack viel zu selten auf seiner Couch saß und mit ihm fernsah oder besser, in dessen Gegenwart er generell viel zu selten sein durfte.
„Du, ich mache mich dann auf den Heimweg."
„Mhhhh", entfuhr es Michael wieder. Es war jedes Mal das Gleiche. Er wollte nie bleiben. Nach ihrem holprigen Start konnte er es ihm nicht übel nehmen und was danach mit Simon passiert war, hatte ihr Verhältnis erst recht auf ein Fundament gestellt, das kaum das Gewicht ihrer Beziehung zu tragen vermochte. Es hatte sich stattdessen eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, die Michael zwar akzeptierte, aber über die er nicht glücklich war. Dennoch war er froh um jeden der kleinen Augenblicke, die sie zusammen verbrachten, denn seine Gefühle für ihn waren komplex.
„Brauchst Du noch etwas?", fragte Christian und stand auf. Sein Blick war im Dämmerlicht der Wohnung nur schwer zu deuten, doch Michaels Herz stolperte unglücklich, als er sich zum Gehen schickte. Das konnte es noch nicht gewesen sein für heute. Bitte nicht.
„Rauchst Du noch eine mit mir?", fragte er mit belegter Stimme und versuchte Christians Blick zu erhaschen.
„Na klar", sagte dieser sanft.
Die Zigarette am Fenster des französischen Balkons in Michaels Wohnung war zu ihrem Abschiedsritual geworden und obwohl, Michael die meist sehr stille Zweisamkeit genoss, kam er nicht umhin, sich vor diesen Momenten zu fürchten, denn sobald sie vorüber waren, ließen sie ihn allein und kalt zurück. Die Wärme verabschiedete sich dann zusammen mit dem schwarzhaarigen Mann und kehrte erst bei ihrem nächsten Treffen zurück.
Michael schaffte es erst, seine steifen Beine in Richtung des Balkons zu lenken, als Christian bereits davorstand und seine Lippen um den Filter einer seiner geliebten Zigarillos zu legen. Wie er diese Marke rauchen konnte, war Michael zwar schleierhaft, aber er mochte den leicht süßen Geruch des Rauchs. Er hob seine eigene, frische Schachtel vom Esstisch auf, riss das Plastik ab und nahm sich ebenfalls eine Zigarette heraus.
Christian ließ das Feuerzeug schnappen und entzündete seinen Zigarillo, während die Flamme ein warmes Licht auf sein Gesicht warf und die markanten Züge seines Kinns weicher wurden. Für die Dauer eines Herzschlags stand er einfach nur da und nahm das Bild dieses Mannes, der sein Leben seit Monaten auf den Kopf stellte, in sich auf. Er beschäftigte sich damit, jedes Detail wahrzunehmen, um dem Drang zu widerstehen, ihn dort auf der Stelle zu küssen und sich an ihn zu schmiegen.
Nachdem Christian ihn gerade so liebevoll geweckt hatte, war der Wunsch diese Berührungen wieder spüren zu dürfen, nur noch gewachsen und brannte nun mit übermenschlicher Kraft in ihm.
Die Finger fest um den Filter seiner Zigarette geschlossen, stellte er sich neben Christian, der ihm wortlos mit einem Schnippen des Daumens Feuer gab.
Obwohl es Juni war und die Temperaturen tagsüber zum Baden einluden, waren die Nächte sternenklar und kühl. Eine hauchzarte Brise zerrte am Stoff seines Shirts und brachte ihn zum Frösteln, sodass er sich noch näher an den wärmenden Körper des anderen Mannes drängte. Dieser schien die Geste zu erwidern, sodass sich ihre Oberarme streiften. Schon dieser einfache Kontakt zwischen ihnen, brachte seinen Körper in Aufruhr und zeigte ihm sehr deutlich, wie sehr ihm ehrliche Intimität fehlte.
Der Schlaf steckte Michael noch in den Knochen und unter dem Schleier, der sich über seine Gedanken legte, fand sein Herz den Mut zu handeln. Vorsichtig drehte er seinen Körper, stand nun seitlich zu Christian, und legte seine Stirn auf dessen Schulter ab. Er dachte nicht mehr an die Zurückweisung, die er an all den anderen Abenden so gefürchtet hatte, sondern gab sich seinem Wunsch hin, die Nähe des anderen Menschen zu fühlen. Freundschaftliche Umarmungen oder ein Klopfen auf die Schulter waren schön, konnten aber sein Begehren nach echter Verbindung nicht stillen.
Dagegen erfüllte dieser simple Moment, in dem er sich gegen Christian fallen ließ, ihn mit einem unbändigen Glücksgefühl, das sich wie flüssiger Honig in die Fasern seines Körpers ausbreitete. Seine angespannten Schultern sackten nach unten, als er einen tiefen Atemzug nahm, der angefüllt war von Christians einzigartigem Duft. Die Zigarette zwischen seinen Fingern brannte hinunter, doch seine Aufmerksamkeit lag ganz auf der Stelle, an der sie sich durch den Stoff von Christians Shirt berührten.
Die Magie dieses Moments endete, als Christian seinen Filter gegen das Metall des Balkongeländers ausdrückte und ihm damit aus der Blase an Glückseligkeit riss. Wie sehr er sich wünschte, dass Christian neben ihm schlief, um ihm zu zeigen, dass er doch nicht so allein war, wie er sich seit Jahren fühlte. Aber insgeheim wusste er, er würde sich mit allem zufriedengeben, was er ihm zu geben bereit war.
Mit einem Blick auf seine Zigarette stellte er erstaunt fest, dass diese ebenfalls fast bis auf den Filter abgebrannt war. Nach einem letzten Zug stupste er ebenfalls die Überreste seiner Zigarette gegen das kühle Metall und dankte Christian im Stillen, dass er ihm diesen Moment geschenkt hatte. Gleichzeitig schöpfte er daraus eine Hoffnung, die er bereits verloren geglaubt hatte. Sie machte ihn dumm und unvorsichtig. Daher griff er nach Christians Handgelenk, als dieser gerade im Begriff war, seinen Platz am Fenster aufzugeben.
„Bleibst Du heute hier?"
Er konnte klar spüren, wie sich Christians Muskeln unter seiner Hand anspannten. Der andere Mann sah ihn zunächst nicht an, reagierte nicht.
„Bitte. Ich fände das schön und es ist doch schon spät", flüsterte Michael in die Stille des Abends und begann bereits, sich auf den Schmerz, der nun unweigerlich folgen würde, vorzubereiten.
„Okay", hauchte Christian allerdings nur und wandte sich zu ihm um.
Ein winziges Lächeln entspannte Michaels verhärtetes Gesicht, als auch er leise flüsterte: „Danke."
Christian räusperte sich und entzog schließlich seinen Arm aus Michaels Griff.
„Hast Du dann vielleicht eine Zahnbürste für mich? Und ein frisches Oberteil?"
Michaels Lächeln wurde vorsichtig breiter und schmolz die letzten Reste der Angst aus seinen Zügen.
„Freilich. Warte kurz, ich lege dir alles ins Bad!"
Er gab seinem Gast den Vortritt im Badezimmer, der schließlich nur in Unterwäsche und dem weiten, weinroten Shirt, das er ihm auf den Rand der Badewanne hinterlassen hatte, wieder ins Wohnzimmer trat. Wie der Stoff weich über seinen Körper fiel, war beinahe zu viel für Michael und er beeilte sich, sich an ihm vorbei ebenfalls ins Badezimmer zu begeben, um ihn nicht einfach anzustarren. Halbnackt war er sogar noch weitaus verführerischer als eben am Fenster im leichten Gegenlicht der Straßenlaternen.
„Mach's dir schonmal gemütlich", rief er noch über seine Schulter, bevor er die Tür hinter sich schloss, um tief durchzuatmen. In ihn tobte der Zwiespalt, Christian wieder näher kommen zu wollen oder einfach nur dankbar über jeden Moment zu sein, den sie zusammen hatten. Aber dass er die Nacht mit ihm verbringen wollte, war ein gutes Zeichen. Oder?
Selbst, falls er es nur freundschaftlich meinen sollte, war er anscheinend bereit Zeit für ihn zu investieren, was Michael unwillkürlich ein warmes Gefühl in der Brust bescherte.
Zurück im Wohnzimmer schlitterte allerdings sein Herz, welches eben noch freudig erregt gegen seinen Rippenbogen geklopft hatte, in einen unruhigen Rhythmus, denn Christian saß auf der ausgeklappten Couch, ein Kissen im Nacken und die graue Wolldecke über denen Beinen.
Der Stich, der ihn durchfuhr, beantwortete die Fragen, die er sich nur Minuten zuvor im Bad gestellt hatte, sehr eindeutig.
Nein, Christian auf seiner Couch war definitiv nicht das, was er sich wünschte, was er brauchte. Er schluckte schwer, überlegte, was er tun konnte, dass sein Gast vielleicht doch die freie Bettseite wählen würde. Oder sollte er sich vielleicht einfach zu ihm legen?
„Ist was?", fragte Christian, der eben noch auf seinem Handy getippt hatte und sah ihn direkt an. In seinen Augen schwamm noch immer der undefinierbare Blick, den Michael bereits zuvor erkannt hatte.
„Nein, nein, alles gut", stolperten die Worte aus seinem Mund. Dann, eine Idee. „Möchtest Du vielleicht noch einen Film sehen? Ich habe ja schon geschlafen, ich bin wieder wach."
„Okay. Hast Du etwas im Sinn?"
„Um ehrlich zu sein, nein. Aber Netflix hat bestimmt etwas Gutes für uns", sagte er hoffnungsvoll und wählte seinen Sitzplatz auf dem Polstermöbel strategisch aus. Langsam setzte er sich auf das Ende, an dem Christians Füße lagen. Da dieser seine Beine allerdings lässig angewinkelt hatte, war genügend Platz, um sich gemütlich neben ihn zu fläzen. Allerdings würden sie sich zwangsläufig berühren müssen, falls Christian seine Beine ausstrecken wollte. Besser gesagt, er würde sie auf Michaels Schoß legen müssen. Er biss sich auf die Lippe und hielt sich davon ab, seine Hand direkt nach ihm auszustrecken, zu unbeholfen saß er neben Christian, der wieder genervt auf sein Handy starrte.
Wie bei einem verliebten Teenager wurden Michaels Handflächen bei der Verheißung auf erneuten Körperkontakt leicht feucht, sodass er sie an seiner Jogginghose abwischte, bevor er zur Fernbedienung griff und sich durch die Filme des Streamingdienstes wühlte. Irgendwann bekundete Christian Interesse an einem Actionfilm, der noch neu im Angebot war und den er noch nicht gesehen hatte. Da es für Michael ohnehin zweitrangig war, welche farbigen Pixel über den Bildschirm jagen würden, wählte er genau diesen aus. Was zählte war, dass er sie nicht allein verfolgen musste.
Sobald der Film zu Ende war, hatte sich Christian noch immer nicht bewegt und seine Beine waren wie gehabt leicht angewinkelt aufgestellt. Nur ein wenig hatte er sich aufgerichtet, noch eines der Zierkissen hinter seinen Nacken gelegt, um bequem den Bildschirm sehen zu können und war damit eher von Michael abgerückt.
Das zweite Mal an diesem Abend ertönte nun die fröhliche Musik eines Abspanns aus dem Fernseher und überdeckte die Stille, die sich zwischen ihnen breit gemacht hatte, nachdem Michael auf Play gedrückt hatte.
Die Situation war ernüchternd, erdrückend. Christian war so nah an ihm, er brauchte nur seine Hand auszustrecken oder seine Sitzposition verändern, um ihn zu berühren, aber dennoch schien die Distanz zwischen ihnen mit jeder Minute zu wachsen. Was hatte er sich dabei gedacht, ihn zu bitten über Nacht zu bleiben? Er hielt sich nur weiter vor, was er niemals haben würde. Er war so nah und doch so fern. Der Film hatte nun endgültig sein Ende erreicht und gefror zu einem Standbild, das bläuliches Licht ins Zimmer warf. Die frische Nachtluft, die durch das geöffnete Fenster in einem stetigen Zug über seine Arme strich, versteifte seinen Körper nur noch mehr. Er fror. Seine Haut und sein Herz waren kalt, obwohl oder gerade, weil die Lösung für seinen Zustand hier bei ihm saß.
Die Welle der Einsamkeit, die auf ihn zurollte, presste ein ängstliches Japsen aus seiner Kehle, die sich unter dem Druck der Schwere zusammenzog. Es fiel ihm schwer durch den Schmerz über die Zurückweisung zu atmen und seine Brust hob sich nur noch unregelmäßig. Es war lächerlich, er war lächerlich.
Über Wochen hinweg hatte er sich bemüht, sich oft mit Christian zu treffen und ihm sein Interesse zu zeigen, aber Christian war vorsichtig und nutzte keine Gelegenheit von sich aus die Grenze der Freundschaft zu überschreiten. Natürlich verunsicherte Michael diese Zurückhaltung so sehr, dass auch er keinen Schritt auf ihn zu machte. Und jetzt? Jetzt lag Christian in sittsamen Abstand neben ihm auf seiner Couch und er würde sich gleich allein ins Bett legen. Wie konnte er nur so dumm sein? Ein weiteres Mal hoben und senkten sich seine Schultern in einem stummen Schluchzen. Zu groß war die Hoffnung gewesen, nachdem er ihn auch nach dem Desaster auf ihrem ersten Date in der Bar angerufen hatte.
„Michi?", fragte Christian leise und richtete sich weiter auf, sah ihn dabei eindringlich an. Kurz, nur kurz erlaubte es Michael, dass sich ihre Blicke trafen, und bereute es just in diesem Moment. Als er die Sorge in den dunklen Augen sah, drohte er die Fassung vollends zu verlieren. Diese Sorge, die er gar nicht erst verdient hatte, denn er hatte zerstört, was aus ihnen hätte werden können. Ein weiteres trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper und mit geschlossenen Augen ließ er seinen Kopf auf die Rückenlehne hinabsinken.
„Oh Gott, Michi, rede mit mir!", flüsterte Christian, ließ seine Beine von der Couch gleiten und rückte näher zu ihm. „Was- was kann ich für dich tun?"
Es gab so Vieles, das er tun könnte. Nach denen Michael sich aus tiefstem Herz sehnte. Aber er schüttelte nur den Kopf, unfähig sich zu offenbaren. Aber es sollte es, jetzt. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Ja, er war froh über alles, was Christian ihm gab, aber es reichte nicht. Nicht mehr. Immer deutlicher wurde der Wunsch,
Christians Hand war plötzlich auf seinem Oberarm, warm und wohlig. Ein weiterer gestohlener Moment.
„Brauchst Du irgendetwas?", die Sorge in seiner Stimme wuchs, das konnte Michael deutlich hören. Alle Muskeln spannten sich an, während er versuchte, seine Emotionen wegzuschieben. Er wusste, dass er das konnte. Zu oft hatte er sich so bereits aus solchen Situationen befreit, in dem er seine Wünsche und Gedanken in den hintersten Bereich seines Kopfes sperrte. Beinahe gelang es ihm, aber nicht alle Spuren seines Zusammenbruchs waren fort, als er die Augen wieder öffnete.
„Nein, alles gut", brachte er hervor, stoßweise und schief.
„Ich-, komm ich bringe dich ins Bett", Christians Hand wanderte an seinem Arm hinab, um ihn am Handgelenk zu umschließen und ihn mit sich von der Couch zu ziehen. Auf wackeligen Beinen stand Michael nun vor ihm, rang sich ein müdes Lächeln ab. Vielleicht war es doch besser ihn zu bitten, nach Hause zu fahren.
„Danke", seine Stimme war nur ein Hauch, kaum hörbar unter seinem schweren Atem. Christians Blick huschte zwischen seinen Augen hin und her, die unangenehm brannten, obwohl sie trocken geblieben waren. Raue Hände legten sich um sein Gesicht, deren kräftige Daumen über seine Wangen strichen, prüfend ob nicht doch silbrige Tränen seine Haut dort benetzten. Der zärtliche Kontakt schickte ein warmes Schaudern durch seinen Körper.
Was wollte Christian nur von ihm? Diese Geste war zu vertraut.
Schließlich zog Christian ihn in sein Schlafzimmer, drückte ihn aufs Bett und setzte sich zu ihm, bis er es geschafft hatte, seinen bebenden Körper unter die Decke zu navigieren.
„Möchtest Du allein sein?"
„Nein", überrascht von sich selbst, sprach er die Wahrheit aus und beobachtete Christian im Zwielicht. Seine Konturen verschwammen mit dem Hintergrund, doch seine Präsenz war im Raum war offenbar.
„Warte kurz", sagte dieser sanft und strich ihm eine verirrte Strähne aus der Stirn, eher er aufstand und dem Raum abermals verließ. Mit zwei Gläsern Wasser in der Hand kehrte er zurück, nachdem im Wohnzimmer auch das Licht des Fernsehers erloschen war.
Michael trank dankend das kühle Wasser, es war Balsam auf seiner ausgetrockneten Kehle, stellte dann sein Glas mit Mühe auf seinem Nachttischchen ab. Christians wanderte voll auf den Boden, bevor er sich ebenfalls ins Bett sinken ließ. Der Abstand zwischen den beiden war nicht groß, aber er war da und die Spannung in der Luft war dick und zäh.
„Komm her", forderte Christian ihn auf, streckte seinen Arm aus, um ihn an der Schulter zu fassen und ihn zu sich zu holen. Michael bewegte sich kaum, drehte seinen Körper nur unmerklich, erlaubte Christian aber nur zu gern, zu ihm unter die Decke zu rutschen und seine Nähe zu suchen.
Er fand sich in einer Wolke aus Wärme und dem süßem Orangenduft wieder, der wie immer an Christian haftete, obwohl dieser eines seiner Oberteile trug. Die Mischung aus seinem eigenen Waschpulver und Christians Geruch vernebelte ihm den Verstand. Ohne sein Zutun schmolz sein Körper in die Umarmung, seine Nase an der Brust seines Gastes vergraben. Süchtig nach diesem neuen, sensationellen Aroma sog er tiefe, lange Atemzüge in seine Lunge. Das langsame und bewusste Atmen gepaart mit den Fingern, die unablässig durch sein Haar kämmten, glätteten langsam, aber sicher seine Sorgen, denn in diesem Moment gab es nur noch ihn und den Mann, an dessen Gegenwart sein Herz verrücktspielte. Genau so, wie er es sich weit Wochen ausgemalt hatte. Dass es ausgerechnet nach seinem Moment der Schwäche so weit gekommen war. Er hätte es sich sehr gewünscht, dass Christian ihn auch so einfach in den Arm genommen hätte. Trotzdem war er froh, dass er gerade hier mit ihm im Bett lag, einfach ihm war.
„Danke", hauchte murmelte er deshalb in den Stoff, in den er sein Gesicht drückte.
„Nicht dafür", kam die Antwort sanft und nachdrücklich, ohne die Streicheleinheiten stoppten. „Aber... darf ich dich etwas fragen?"
„Alles", Michael dachte gar nicht daran, was kommen könnte, er schwebte in seiner eigenen Welt, in der eine leichte Brise um Orangenbäume strich.
„Du-, warum hast Du damals nicht mit mir geschlafen?"
Mit dem Öffnen der Augen waren die sonnigen Weiten verschwunden und es herrschte Dunkelheit um ihm. Er schluckte trocken, suchte mit seinen Händen Halt im Stoff an Christians Körper und vergrub seine Nägel darin. Die Antwort auszusprechen würde bedeuten, das Geheimnis preiszugeben, das er so akribisch hütete. Es nagte noch immer an ihm, denn er hätte es gern gewollt. Er wollte es auch noch immer, obwohl es nun so schien, als wollte Christian es nicht mehr.
„Ich mache mir immer noch Vorwürfe, dass ich dich so überrumpelt habe. Du hast damals so... zerbrechlich gewirkt und ich wollte nur vögeln. Mir tut das wirklich leid, weißt du?"
„Chris, was redest Du da?", Michael traute sich kaum zu ihm aufzusehen, drückte seine Nase nur noch tiefer an die feste Brust vor ihm. Er war doch immer verständnisvoll, immer zurückhaltend und er hatte nichts getan, was Michael unangenehm gewesen wäre. Er hatte sich gut gefühlt mit ihm - er fühlte sich immer hervorragend, wenn er bei ihm war.
„Ich hätte mir auch denken können, dass jemand wie Du kein Interesse dran hat, den Arsch hinzuhalten", seine letzten Worte sprach er mit unnötiger Härte, aber Michael glaubte nicht, dass sich diese gegen ihn richtete. Viel eher bestrafte Christian sich selbst.
„Stopp, bitte", presste er hervor und zwang sich etwas Abstand zwischen sie zu bringen, sodass sich ihre Blicke finden konnten. „Dass ich damals nicht mit dir geschlafen habe, liegt nicht an dir. Ehrlich. Ich war nicht bereit für... für eine schnelle Nummer. Es tut mir leid, dass ich dich überhaupt mitgenommen habe."
„Aber, ich habe doch Recht, oder?"
„Mit was?", Michael strengte das Gespräch an. Die Erschöpfung kroch weiter in seine Glieder, die sich schwer und bleiern anfühlten. Er wollte sich einfach nur an den warmen Körper neben sich kuscheln und nicht die schwierigen Themen sprechen. Er wollte, dass es endlich leicht wurde zwischen ihnen.
„Dass Du nie so mit mir schlafen würdest."
Warum musste Christian dieses Gespräch ausgerechnet jetzt suchen? Er holte tief Luft, ließ sich von dem Duft Mut zusprechen. Langsam ging ihm aber auch auf, warum Christian sich ihm nicht mehr näherte? Ging er wirklich davon aus, dass Sex für die beiden vom Tisch war?
„Ich würde es nicht anders wollen", die Aussage war einfach, aber er hoffte, dass Christian die Implikation dahinter hören konnte.
„Du- ehrlich?"
„Ja."
„Aber... was habe ich dann falsch gemacht, dass Du doch nicht wolltest?", Christian schien die Fakten nicht verbinden zu können. Michael seufzte und setzte sich auf - er ertrug es nicht, dass sich dieser wunderbare Mensch den Kopf über Dinge zerbrach, an denen er keinen Anteil hatte.
„Ich habe seit Simon mit keinem anderen Mann mehr geschlafen und ich dir nicht genug vertraut in dem Moment." Wahrheit, aber ohne Begründung. Feststellung, aber keine Erklärung.
„Das ist alles?"
„Nein", rutschte es ihm einfach raus.
Verdammt, verdammt, verdammt. Warum hatte er sich nicht besser unter Kontrolle? Was sollte er jetzt noch sagen? Christian nicht die ganze Wahrheit zu erzählen, war etwas anderes, als ihn direkt anzulügen. Andererseits - wer, wenn nicht er würde ihn verstehen?
Christian schien allerdings zu spüren, dass etwas nicht richtig sein musste, denn er schloss Michael wieder in seine Arme und zog ihm zurück auf die Matratze.
„Schon gut, Du musst mir nichts erzählen, wenn Du das Du nicht möchtest. Ich dachte nur... das war der Grund, warum zwischen uns beiden nichts mehr passiert ist, seitdem. Entschuldige meine Fragerei", wieder begann er Michaels Rücken zu streicheln. Die nonverbale Kommunikation zwischen ihnen vermittelte besser, als ihre Worte es gerade konnten.
„Nein...", Michael nahm sich zusammen, „schon in Ordnung. Weißt Du, es sind einfach unschöne Dinge passiert." Zaghaft schob er seine kalte Hand unter Christians Oberteil, um ihn deutlicher an sich zu spüren und Kraft zu tanken für die nächsten Worte. Die feine Brustbehaarung, durch die seine Fingerkuppen strichen war pur und männlich, gleichzeitig weich und einladend. Er konnte es nicht stehen lassen, dass Christian sich für etwas verantwortlich machte, was zwischen ihnen war.
„Das letzte Mal, als Simon und ich... zusammen waren, hat er mich ausgenutzt. Ich war völlig fertig. An dem Abend habe ich mich von meiner Exfrau getrennt, habe ihr das von meinem Freund erzählt und bin zu ihm. Seine Freundin war auch da. Ich wusste gar nicht, dass er nicht geoutet war oder sogar in einer Beziehung. Dass er genauso ein Heuchler war wie ich, weil die Heimlichkeiten zwischen uns immer von mir gekommen sind." Er schluckte wieder, presste seine Handfläche gegen Christians Brust. „Er hat seiner Freundin eine Geschichte aufgetischt und mich ins Gästezimmer verfrachtet. Nachts ist er dann aufgetaucht und... na ja, Du kannst es dir ja denken. Am Anfang dachte ich, ich wollte es auch, aber es war alles zu viel. Ich erspare dir die Details."
Am Ende war seine Stimme nur noch ein gebrochenes Flüstern. Es war das erste Mal, dass er überhaupt andeutete, was geschehen war und er riss damit die alten Wunden wieder auf. Dabei hatte er nur zaghaft den Kern dessen gestreift, was diese Nacht für ihn bedeutet hatte. Sein Schmerz lag trotzdem offen vor Christian, an dem es nun zu entscheiden war, welchen Weg ihre Beziehung einschlagen würde. Die Zeit verstrich quälend langsam, bis dieser sich regte.
„Danke, dass Du so ehrlich bist", krächzte er, jedes Wort geladen mit Emotionen, die Michael nicht lesen konnte. Plötzlich zog Christian seine Arme zurück, nur um seine Hände wieder um sein Gesicht zu legen und ihm leicht über die bärtigen Wangen zu streichen.
„Danke, dass Du immer noch hier bist", gab Michael zurück und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, obwohl er noch einige Male trocken schluckte, bis sich der Kloß aus seinem Hals löste.
Christian lag hier neben ihm, hielt ihn fest und während Michael in seinem Kopf seine dunkelsten Momente erneut durchlebte, ohne ihn weiter zu drängen. Christian gab ihm das Gefühl, dass alles wieder besser werden würde
Eng umschlungen versanken die beiden in ihren eigenen Gedanken, klammerten sich aneinander fest, um nicht in den Fluten ihrer Gefühle verloren zu gehen.
Irgendwann reichte es Michael nicht mehr, dass ihre Körper sich hinter Stoffbahnen verbargen, die ihre Nähe zueinander limitierten. Vorsichtig neigte er seinen Kopf, um in Christians Gesicht sehen zu können. Zwar erlaubte die Dunkelheit nur schemenhafte Umrisse wahrzunehmen, doch schon den fremden Atem auf seiner Haut spüren zu dürfen, half. Aber es war nicht genug.
„Küss mich", forderte er rau und musste nicht lang darauf warten, dass sein Verlangen gestillt wurde.
Weiche Lippen legten sich auf seine, fanden behutsam einen gemeinsamen Rhythmus, so federleicht und doch so dringlich, dass er den Kuss am ganzen Körper spürte. Die Schwere seiner Entspannung drückte ihn nach hinten in die Kissen, denn ihn überwältigten die tausend Dinge, die ihn dieser Moment fühlen ließ. Christian folgte, lehnte sich über ihn und erlaubte es nicht, dass ihre Lippen den Kontakt zueinander verloren.
Der Kuss war heilsam und gierig zugleich. Fühlte es sich so an, nach Hause zu kommen?
Seufzend fuhren seine Finger durch Christians schwarze Haare, massierten die Haut darunter, schlossen sich um die weichen Strähnen.
Sein Kopf war endlich leer, als er dem Mund öffnete, um die Verbindung ihrer Körper zu vertiefen. Ihre Zungen trafen sich, sanft und liebevoll. Es gab kein Necken, kein Spiel, keine Erregung, sondern sie kosteten einander einfach aus.
Dann zog sich Michael schmunzelnd zurück, brach den Kuss und brachte so Christian zu einem empörten Keuchen. Er zupfte am Saum seines eigenen Shirts am fremden Körper.
„Zieh das aus!"
Christian stutzte ob der erneuten Aufforderung, streifte sich dann aber den Stoff ab und warf ihn achtlos aus dem Bett.
„Du auch," ordnete er an und wartete geduldig, bis Michael ebenfalls nur noch in seiner Boxershorts im Bett lag, bevor er sich wieder zu ihm beugte und ihn küsste.
Das Gefühl nackter Haut auf nackter Haut war sinnlich und intensiv, die Küsse waren lang, tief und erfüllend, doch keiner der beiden machte den nächsten Schritt. Wie lange sie sich letztendlich küssten, war im Dunkel der Nacht nicht zu sagen.
Christians Bewegungen wurden mit der Zeit fahriger, erschöpfter, langsamer. Mit einem warmen Gefühl in der Brust drückte Michael ihn schließlich von sich, rollte mit ihm auf die kalte Bettseite und verwickelte ihn in einen letzten Kuss. Wieder wanderte der zarte Hauch der Leidenschaft über seinen Körper, bis ihn sogar ein leichtes Kribbeln in seinen Zehenspitzen kitzelte. Christian endlich auf diese Weise erleben zu dürfen, entfachte ein ganz neues Feuer in ihm, gleichzeitig war er so gesättigt, wie schon lange nicht mehr.
Bedächtig lächelnd löste er sich von ihm, nur um seine Nase erneut an seiner Brust zu vergraben. Christian schien es ähnlich zu gehen, denn er seufzte ergeben und zog ihn eng an sich. Dort ließ Michael sich von rauen Händen in den Schlaf streicheln. Solange es ging, folgte er in Gedanken dem Kraulen und versank endlich glücklich in traumloser Ruhe.
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