Kaleidoskop (Auszug)
Die anderen Seiten der Wirklichkeit befasst sich mit den Themen Gott, Tod, Unsterblichkeit auf eine Weise, wie ich es noch nie vorher in einer Geschichte ausdrücken konnte.
Stephy hat ja ganz zu Beginn dieser Diskussion die Frage gestellt, in welcher Weise "Gott" zum Gegenstand einer Geschichte gemacht werden darf. Wenn ich den aktuellen Part meiner Überarbeitung vom 4. und 5. Teil der Geschichte betrachte, kann ich nur für mich selbst antworten: In jeder nur möglichen, überhaupt denkbaren Weise, frei von allen Tabus!
"So könnte es sein, Keoma. Sie kehren zurück in der Zeit, und sie tun das vor meinen Augen! Sie sehen aus, als seien sie mein eigener Sohn, als liefen sie weit mehr Gefahr geboren zu werden als zu sterben. Und sie müssen alles erzählen, wenn sie allem bewusst werden wollen. Es gibt keinen anderen Weg."
"Ja, so muss es wohl sein, Peter. Von dieser Hölle gehört mir jeder Quadratzentimeter.
Ich tötete also meine Frau, meine Frau in dieser Welt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ich tat es ohne Bedauern, ohne den geringsten Anflug eines Gefühls, tat es, weil es getan werden musste. Ich öffnete ihre Kehle und trennte mich von meiner Vergangenheit in dieser Welt, bereit aufzubrechen - dunkel ahnend, was ich getan hatte. So kam ich zu Ihnen.."
"Sie gaben ihrer Frau den Tod CORAZONS, nicht wahr?"
"Ich entfernte ihre Grenzen, ja. Ich wandelte sie um, zerschmetterte ihre Schale, zertrümmerte ihre Erinnerungen. Doch ich tat es, ohne zu wissen, ob sie dafür bereit war! Ich tat es einem Impuls folgend..."
"...und sind nun in unserer Welt ein Mörder. Ein ganz besonderer Mörder: Einer, dem nicht so leicht beizukommen ist. Sie sind ein Raubtier in unserer Welt."
Peter Bolton sagte das ganz nüchtern, völlig ohne Wertung.
"Was geschah im INNEREN KREIS, Keoma? Welche Bedeutung kam den 'Roten' zu?"
Keoma Lewis war tief in Erinnerung versunken, als er weitererzählte:
"Von Ihnen ging alles aus. Ich durfte nicht teilnehmen, war bewegungslos an meinem Platz. Sie gab mich frei - hörte auf, mich zu lutschen, wie Mirella gesagt hätte -; ihr rotflackerndes Licht fiel auf meinen Körper. Sie lächelte mich an aus ihren gelben Katzenaugen, glitt zurück in das Gewimmel der Körper wie rotglühende Lava. Ihr Körper von nicht so fester Konsistenz, wie es den Anschein hatte. Sie wurde von einer Art unsichtbarem Sog erfaßt, dessen Quelle im Zentrum des INNEREN KREISES auszumachen war. Ich sah Tanias leidenschaftlichen, schweißglänzenden Körper, sah, wie ihre Bewegungen völlig unkontrolliert wurden.
Ich sah, wie SIE sich aufbäumte in einem gewaltigen Orgasmus, keuchend, stöhnend und wimmernd. Ich sah Zorans Sperma, das sich im Gespinst ihrer langen, glänzenden Haare verfing.
Und das Licht begann sie alle zu verzehren. Es brach sich Bahn aus ihren rotglühenden Körpern, wurde zu verzehrenden Flammen, die gierig um sich griffen, um andere Körper zu erfassen - violette, blaue, schwarze, alle Farben der Welt - Körper, die nicht innehielten in ihren orgiastischen, kopulierenden Zuckungen, völlig entkleidet jedes auf sich selbst begrenzten Ich-Empfindens.
Es war ein großartiges Sterben, das sich vor meinen Augen vollzog! Ich hörte mich selbst schreien, mein Entsetzen, meine Freude hinausschreien angesichts dieses gigantischen Schauspiels, das den INNEREN KREIS selbst entkleidete von seiner ursprünglichen Form, ihn hinausschleuderte aus Zeit und Raum: Ich sah die gewaltig kreisenden, sich verschlingenden Wasser...in- und auswärts kreisend, mit und entgegen der Zeit, und damit: Jenseits aller Zeit...
Der ewige Malstrom, der allvernichtende und allerhaltende innere Kreis.
Es schoß in dieses Zentrum, mein Bewusstsein. Es kreiselte und wirbelte um seine eigene, festgefügte Achse. Zersplitterte in Tausend, zersplitterte in Abertausend. Nicht zu zählen und doch völlig eins, als ich IHR in die Augen sah, IHR Gesicht nur zwei Handbreit von meinem entfernt, mild und sanft lächelnd, eingerahmt von ihrem engelgleichen Haar.
„Beruhige dich doch, Keo, beruhige dich!" Sie redete mir zu wie einem verängstigten Kind, einem Kind, das gerade aus einem schlimmen Traum erwacht ist. Ihre Hände hielten mich an den Schultern fest, drückten mich auf den Erdboden. Der Mond stand über ihrem Kopf und verlieh ihrem Haar einen seltsamen, unirdischen Glanz.
„Oh mein Gott, sag nicht, dass ich nur geträumt habe! Nein, SAG, DASS ICH NUR GETRÄUMT HABE! Aber rette mich vor diesem Wahnsinn..."
Doch ich war immer noch dort, Peter. Ich war immer noch im Dschungel.
Solange ich dort war, musste ich mit allem rechnen.
Und alles passierte..."
Darf man so über Lust, Liebe und Tod schreiben? Es ist möglich, also ist es auch in Ordnung. Gott hat mich nicht getötet für meine Art der "Blasphemie".
"Blasphemie" ist zudem ein Begriff, der nicht nur widersinnig ist, sondern meines Erachtens eine völlig unmögliche Handlung beschreibt.
aus: Kaleidoskop
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