V i e r z e h n
„Was ist das?" konnte ich nur noch schreien, bis ich mir stöhnend die Hände vor meine Ohren schlagen musste.
Der Boden unter mir dröhnte und verzweifelt versuchte ich mich aufzurichten.
Erst nach mehreren Anläufen gelang es mir.
Trotz meiner schützenden Hände, schrillte der Ton dennoch in meinen Ohren. Es war das Schrille Piepsen und Gekreische, das ich schon einmal gehört hatte.
Als ich zusammengebrochen war.
Ein erneutes Beben brachte den Boden unter meinen Füßen zum erzittern und im letzten Moment konnte ich verhindern, wieder hinzufallen.
Angst breitete sich in mir aus, als die Geräusche immer lauter wurden, in einem lauten Knall endete.
Doch die neue, unheimliche Stille war beängstigend.
In meinen Ohren piepste es immer noch nach und die Erdbeben nahmen mir meine Standhaftigkeit. Verwirrt versuchte ich mich zu orientieren.
Der von den Bäumen herunter gefallende Schnee hatte die Äste unter sich begraben, die Feuerstelle verschwinden lassen und Louis Baumstumm konnte man nur noch erahnen.
„Louis?" fragte ich ängstlich, doch meine Stimme wurde von einem erneuten Knall übertönt.
Ich zuckte zusammen und hob meinen Blick in Richtung des Himmels.
Was ich dort sah, ließ mich zwei Schritte nach hinten taumeln, über irgendetwas stolpern und auf meinen Hintern fallen.
Der Himmel hatte seine babyblaue Farbe verloren und wolkenähnliche Gebilde zogen auf. Er wurde von Sekunde zu Sekunde dunkler und bedrohlicher, aber was mir am meisten Angst einjagte, waren die silbrig-grauen Fäden die sich wie Blitze über den Himmel schoben.
Als würde der Himmel Risse bekommen...
„Louis." Rief ich panisch, konnte meinen Blick aber nicht von diesem Schauspiel lösen.
„Was ist hier los?" Meine Stimme zitterte, genauso wie es die Erde im nächsten Moment tat.
Ich bekam keine Antwort und stirnrunzelnd drehte ich mich auf der Suche nach Louis um.
„Louis?"
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Und als ich ihn nicht sofort entdeckte machte sich Panik in mir breit.
Wo war er hin?
Ein erneutes Schrilles ließ mich zusammenzucken.
Verdammt, wo war er hin?
Eben lag er doch noch genau neben mir!
„Louis!" schrie ich gegen den Lärm ab und kämpfte mich wieder auf meine Füße. Panisch stampfte ich durch den Schnee und drehte hektisch meinen Kopf hin und her.
Weiterhin fiel Schnee von den Bäumen und ich konnte vor Weiß kaum meine Hand vor meinen Augen sehen.
„Louis? Wo bist du?" schrie ich erneut. Doch in meinen eigenen Ohren klang es viel zu leise. Leise und verzerrt im Gegensatz zu diesem Lärm.
Zu diesem Lärm aus Piepen und Metall.
Nun rannte ich beinahe von Angst und Panik getrieben einmal über die ganze Lichtung und schrie immer wieder nach Louis.
Doch auf einmal stolperte ich über etwas und landete auf dem Boden.
Jemand stöhnte auf und erleichtert fuhr ich zu Louis herum, über den ich eben gestolpert war.
„Oh mein Gott, Louis!"
Louis hatte seine Knie angezogen und seine Hände auf seine Ohren gepresst. Leises Stöhnen entwich immer wieder seinen Lippen.
„Louis, komm stell dich nicht so an. Ich kann dir unmöglich wehgetan haben. Wir müssen hier weg."
Ich griff nach seinem Arm und wollte aufstehen, doch er reagierte in keiner Weise. Ein erneuter Knall ließ mich nach oben blicken. Wenn ich es nicht schon war, war spätestens jetzt mein Gesicht kalkweiß.
Der Himmel war beinahe pechschwarz und die silbrigen Fäden zogen sich wie ein Spinnennetz über den ganzen Himmel.
Und mit jeder Sekunde fraßen sie sich ihren Weg weiter durch das Schwarz. Instinktiv wusste ich, dass das nicht gut enden würde.
„Louis!" Meine Stimme wurde drängender und diesmal zog ich an seinem Arm, bis ich ihn halb auf die Beine gezogen hatte.
„Louis?" Er reagierte immer noch nicht, seine Augen waren zusammen gekniffen und es hörte sich an, als würde er vor Schmerzen aufstöhnen.
Schmerzen?
„Louis, wir müssen hier weg. Bitte." Mein Blick huschte immer wieder von dem Himmel zu Louis hin und her.
Ich konnte ihn kaum noch stützen und ich bemerkte erst, dass ich Louis erneut mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, als er flatternd seine Augen aufmachte.
Erleichtert darüber, dass er zumindest beim Bewusstsein war, ignorierte ich die Tatsache, dass ich schon wieder gewalttätig geworden war.
„El." Murmelte er und griff nach meinen Arm. Seine Pupillen waren unnatürlich geweitet und huschten hin und her.
„El." Krächzte er erneut und unsicher antwortete ich: „Was ist los, Louis? Wir müssen hier weg."
Langsam schüttelte er seinen Kopf, krallte sich an meinen Arm fest, dass es eigentlich schmerzen sollte.
„Nicht du, nicht du. Nein...."
Louis sackte in sich zusammen und nur mit Mühe konnte ich ihn gerade noch abfangen.
„Shit." Fluchte ich und stemmte mich gegen ihn, damit wir nicht beide wieder hinflogen.
„Louis, was in aller Welt ist los?" Er hatte wieder die Augen geschlossen und lehnte sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen mich.
Falls Louis mich später als gewalttätig bezeichnen würde, hätte ich zumindest einen Grund dafür, warum ich ihn jetzt erneut geschlagen hatte.
Denn dieser Schlag gegen seine Wange, ließen ihn erneut seine Augen aufreißen.
„Verdammte Scheiße, El! Wenn du mich noch einmal sch..."
Erleichtert atmete ich auf und unterbrach ihn, indem ich ihm um den Hals fiel. Was mich genau dazu brachte, wusste ich selbst nicht.
Ein Aufblitzen am Himmel ließ uns aber beide zusammenzucken und verwirrt und gleichzeitig fasziniert blickte Louis gebannt auf die silbrige Konstruktion im Himmel.
„Was ist das?" fragte er, doch ich griff nur nach seiner Hand und rief: „Wir haben keine Zeit mehr. Ich hab keinen blassen Schimmer, was das ist, aber wir müssen von hier weg."
Louis stolperte mir über die Lichtung hinterher und wollte sich aus meiner Hand lösen, doch ich schüttelte meinen Kopf.
„Wir dürfen uns nicht verlieren!"
„Wie sollen wir uns denn..."
Weiter kam er nicht, da es um uns herum auf einmal pechschwarz wurde. Und nur eine Millisekunde später setzte wieder der Lärm ein, gefolgt von blitzartigem Aufleuchten des silbrigen Himmelnetzes.
„Verdammte Scheiße."
Sofort schloss sich Louis Hand fester um meine und überholte mich. Über seine Schulter schrie er mir gegen den Lärm an: „Folg mir, ich weiß einen Ort, wo wir vielleicht sicher sind."
Und ab da rannten wir.
Und zum ersten Mal in diesem Schneelandschaft-Leben verfluchte ich mein immer noch schlagendes Herz, sowie meine immer noch funktionierende Lunge, da ich viel zu schnell außer Atem geriet.
Doch Louis und meine Panik drängten mich zum weiterrennen.
Und das taten wir.
Louis zerrte mich teilweise durch Gestrüpp und unter Ästen hindurch, an denen meine Haare hängen blieben.
Es wurde immer dunkler und schließlich versuchte ich es einfach auszublenden und konzentrierte mich darauf, Louis Hand nicht zu verlieren.
Ein erneuter, viel zu schriller Schrei von Metall, dass mich an den aus meiner einzigen Erinnerung erinnerte, brachte mich zum straucheln.
Als ich auf den Boden fiel, rutschte meine Hand aus Louis', der fluchend seinen Lauf stoppte und zu mir zurückkam.
„Steh auf, El."
Ich wollte es. Wirklich.
Doch plötzlich war es, als hätte alle Kraft mich verlassen, meine Beine konnten mich unmöglich weiter tragen.
Doch ich wusste, dass wir weiter mussten. Schwerfällig setzte ich mich auf.
„Verdammte Scheiße, El. Wir haben keine Zeit mehr. Also beweg deinen Arsch hoch oder ich lasse dich hier liegen."
Gleichzeitig griff er aber schon nach meinen Arm, zerrte mich hoch und schließlich weiter. Diesmal rannte ich genau neben ihm, da mein Arm immer noch in seinem Klammergriff war.
Es klang beinahe so, als würde mein Herz im Takt der Knalle schlagen. Aber dennoch rutschte es mir vor Angst bei jedem weiteren tiefer nach unten. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und stolperte Louis mehr hinterher, als dass ich richtig rannte.
Ich wusste nicht, ob er deswegen fluchte oder nicht. Oder ob er überhaupt etwas sagte, denn das einzige, was ich hören konnte, war diese ohrenbetäubende Lärm, der wellenartig durch meinen ganzen Körper dröhnte und mein Herzschlag noch weiter beschleunigte.
Und dann passierten zwei Sachen gleichzeitig.
Gerade als Louis mir zuschrie, dass er glaubte, dass wir gleich da sein müssten, erfüllte ein heftiges Grollen die Luft und ließ den Lärmpegel um das Dreifache ansteigen. Ausgelöst wurde es durch das erneute Zittern der Erde, das uns den Boden unter den Füßen wegriss. Ich schrie auf, doch mein Schrei wurde sofort verschluckt, genauso wie ich vom Schnee, der in einer kleinen Lawine vom Baum fiel.
Ich wollte erneut schreien, doch ich konnte es nicht.
Ich war vollkommen bedeckt mit Schnee und Eis und bekam kaum noch Luft.
Was für eine Ironie, dass sich der Schnee so angenehm kühl auf meiner Haut anfühlte und mich zumindest teilweise vor diesem nervenzerreißenden Lärm bewahrte, mir aber gleichzeitig die Luft zum Atmen nahm.
Was geschah eigentlich, wenn ich hier erstickte?
Lief ich dann einfach mit einer verkümmerten Lunge herum, so wie Louis es mir mit der verbrannten Pommes klar machen wollte?
Oder wartete vielleicht etwas anderes auf mich?
Das sollte ich zumindest nicht sofort herausfinden, da ich mit einem Ruck von Louis aus dem Schneeberg herausgezogen wurde.
Automatisch schnappte ich nach Luft und unterdrückte den Instinkt, mir meine Hände schützend vor meine Ohren zu schlagen.
Mein Kopf dröhnte und nur schwer konnte ich irgendetwas in dieser Dunkelheit sehen. Die einzige Lichtquelle waren die silbrigen Streifen, die sich bedrohlich immer weiter verbreiten.
Was um Himmels Willen passierte hier?
Durch einen Schubser von Seiten Louis wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und hart landete ich auf meinen Knien.
Keuchend rappelte ich mich auf, stieß mir aber so gleich meinen Kopf an. Verwirrt blinzelte ich nach oben. Stein.
Um etwas besser sehen in dieser Dunkelheit sehen zu können, blickte ich mich um. links, rechts, oben und unten war Gestein.
„Ein kleiner Vorsprung aus einem kleinen Steinberg." Beantwortet Louis meine unausgesprochene Frage, als er sich neben mich in den kleinen Hohlraum zwängte.
Langsam nickte ich.
Meine Beine zitterten so stark, dass ich mich hinhocken musste, bevor ich einknickte.
Mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals und krampfhaft umschlag ich meinen Oberkörper mit meinen Armen.
„Was passiert dort draußen?" Ich nickte zu dem Ausgang. Vereinzelt sah man das Aufflackern von silbrigem Licht und den Schnee, der in Massen von dem Bäumen fiel.
Der Lärm drang nur seltsam verzerrt bis zu uns her. So als wäre er sehr weit weg und würde nur vom Wind zu uns hergetragen werden.
Aber so war es nicht.
Oder?
„Woher soll ich das wissen?" murmelte Louis. Es ertönte ein leises Zischen und im nächsten Moment erhellte die kleine Flamme von seinem Feuerzeug die kleine Höhle.
„Der Zigarettenfabrik sei Dank, dass sie mich abhängig gemacht hatten. Ansonsten würden wir hier wohl im Dunkeln hocken."
Ich ging gar nicht erst auf seine Äußerung ein, sondern meinte hartnäckig: „Du musst doch was wissen! Ist sowas zum ersten Mal passiert? Diese Geräusche..."
„Verdammt! Ich habe doch gerade gesagt, dass ich nicht weiß, was hier vor sich geht. Vielleicht geht diese scheiß Hölle endlich unter und erlöst uns von diesem beschissenen pseudo Zweitleben. Es passieren erst diese ganzen komischen Sachen, seitdem du da bist!"
Ich zuckte zusammen und beobachtete sein Gesicht im Schein der Flamme.
Sein Mund war wütend zusammengekniffen, seine Haare hingen ihm strähnig im Gesicht, aber in seinen Augen lag ein Ausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte.
Angst.
Louis fürchtete sich.
„Was ist denn alles passiert, außer meinen Zusammenbruch?" meine Stimme klang rau und zum Ende hin, wurde sie von einem erneuten Knall verschluckt.
Wir zuckten beide gleichzeitig zusammen und für einen kurzen Moment ging das Feuerzeug aus und hüllte uns in Dunkelheit.
Unser Atem ging schwer und blinzelnd versuchte ich mich zu orientieren, bis Louis wieder die Flamme auflodern ließ.
Louis schüttelte seinen Kopf und presste seine Lippen noch mehr zusammen.
Was war los mit ihm?
Was war vorhin mit ihm los?
„Louis?" fragte ich vorsichtig. Keine Antwort.
„Louis, was war vorhin los?"
„Nichts war vorhin los." Erwiderte er zickig.
„ Du hattest Schmerzen, ich habe es doch gesehen."
Louis verdrehte seine Augen, doch ich blieb hartnäckig: „Ich hatte auch Schmerzen gehabt, als ich zusammengebrochen bin. Hattest du vielleicht eine kleine Erinnerung? Hast du vielleicht etwas gehört oder gesehen? Oder..."
„Kannst du nicht einfach mal still sein?" Er klang genervt. Aber in seinen Augen lag immer noch die Angst. Und vielleicht fragte ich genau deshalb weiter nach: „Louis, ich kann dich verstehen, denn..."
Doch er unterbrach mich. Er unterbrach mich mit einer Handvoll Wörtern, die mich erstarren ließen und mich den Lärm und das silbrige Netz aus Fäden am Himmel vergessen ließen.
„Nein, El. Du verstehst es nicht. Du warst da. Ich habe dich gesehen."
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(01.05.2015)
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