F ü n f
Ein strahlend weißes Licht blendete mich.
Schützend wollte ich meine Arme vor meine Augen heben, doch ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen.
Was war los?
Was passierte gerade?
War dies das Ende?
Hatte Louis im Endeffekt doch Recht und nun war ich auf dem besten Weg völlig aus der Welt der Lebenden zu verschwinden?
Panik machte sich in mir breit und am liebsten wollte ich schreien, meine Augen zukneifen, wild um mich schlagen, nur damit der Schmerz, der immer noch durch meinen ganzen Körper wütete, verschwand.
Doch es schien beinahe so, als würde mein Körper nicht mehr zu mir gehören.
Schwerelosigkeit ergriff mich und der Schmerz dämpfte langsam ab.
Mein Atem klang in meinen eigenen Ohren seltsam verzerrt und viel zu schnell und auch mein Herz klopfte mir vor Angst bis zum Hals.
Doch von einem Moment in den anderen wich diese Schwerelosigkeit einem erdrückendem Gewicht, das sich auf meinen ganzen Körper legte.
Den Schmerz, den ich schon vorher kaum ertragen konnte, verdreifachte sich und am liebsten hätte ich vor Schmerzen geschrien.
Doch ich konnte es nicht, denn dieses Gewicht auf meinem Körper schnürte mir die Luft ab, sodass ich nur noch abgehackt atmen konnte.
Und es war laut.
Viel zu laut.
Überall piepste und kreischte es, es war ein riesiger Wirrwarr aus Geräuschen, die ich nicht zuordnen konnte.
Erneut übernahm der Schmerz die überhand und rückte alles andere in den Hintergrund.
„Louis! Bitte, du musst mir helfen, es tut so weh..."
Ich wusste nicht, ob ich es wirklich gesprochen oder nur gedacht hatte.
Aber ich wollte nur noch vor den Schmerzen fliehen.
Ich wollte mich zusammenkrümmen, meine Arme um meine Knie legen und mich hin und her schaukeln, doch mein bleischwerer Körper verhinderte dies.
Ein Ruck ging durch diesen und erneut wurden die Geräusche lauter.
Entfernt dachte ich, dass ich Stimmen hörte.
Aufgeregte Stimmen.
Doch auch diese wurden durch den allerfassenden Schmerz zu einem Piepen verzerrt und in den Hintergrund gestellt.
Louis...
Bitte...
Ein erneuter Ruck zuckte durch meinen Körper und der Schmerz bohrte sich direkt in mein Herz. Ich konnte regelrecht spüren wie dieses aus dem Takt kam, beinahe so, als würde mein Herzschlag stolpern, kurz aussetzen und dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter klopfen.
Die Geräusche wurden lauter, ich spürte etwas Eiskaltes auf meiner Haut und dann Schrie ich.
Ich schrie und schrie, wollte den ganzen Schmerz aus meinem Körper schreien, machte mir keine Gedanken über die Geräusche und der Tatsache, dass ich nun schreien konnte.
Ich schrie einfach weiter.
Und inmitten von meinem Geschrei vernahm ich eine weitere Stimme. Klarer und vertrauter, als sie eigentlich sein sollte.
„El!"
Louis, dachte ich, bevor auch dieser Gedanke zusammen mit seiner Stimme in meinem Geschrei und der plötzlich aufkommenden Dunkelheit verschwand.
Blonde Haarsträhnen.
Ein Lachen.
Ein Schritt in die falsche Richtung.
Quietschende Reifen.
Ein Zusammenstoß.
Und Gelächter wurde zu Geschrei.
Viele Schreie.
Dann nur noch ein Klirren, das zu einem schrillen Ton anschwellte.
Weiß, überall nur weiß...
Schreiend und wild um mich schlagend fuhr ich hoch. Immer und immer wieder tauchten diese Bilder auf. Sie sollten aufhören!
Das waren nicht meine Erinnerungen!
Nein!
„El, hör auf!"
Jemand griff nach meinem Arm und in voller Panik schlug ich die Hand weg.
„Geh weg! Geh weg von mir!" schrie ich und krabbelte rückwärts, bis ich mit meinem Rücken gegen etwas hartes knallte.
Der Schmerz, der von diesem Zusammenstoß eigentlich durch meinen Rücken zucken sollte, blieb aus.
Nur die Erinnerung an diesen unertragbaren Schmerz blieb.
„El, was ist los? Ich bin es!"
Meine Augen zuckten zu der Person zurück.
Es war dunkel, allein eine kleine Feuerquelle spendete Licht. Aber ich konnte nur seine Silhouette erkennen.
Langsam kam sie auf mich zu und panisch wollte ich den Abstand zwischen uns vergrößern.
Scmerzen.
Weißes Licht.
Komisch verzerrte Stimmen, die irgendetwas schreien.
Warum schreien sie?
Ein Ruck.
Louis Stimme.
„Ich bin es, El. Louis."
Und genau in der Sekunde erinnerte ich mich an alles. Zumindest an das, was passiert war, als ich in dieser Schneelandschaft aufgewacht war.
Die Erinnerungsfetzen.
Der Schnee.
Das Zusammenstoßen mit Louis.
Die Lichtung.
Das Diskutieren mit ihm.
Das Sortieren der Äste.
Die Nacht.
Das Lagerfeuer.
Der Verlobungsring.
Der Streit.
Und dann der Schmerz...
Der Schmerz, der alles in mir gelähmt hat und mich nicht loslassen wollte.
Innerhalb von einem Bruchteil einer Sekunde sprang ich mit wackeligen Beinen auf und warf mich in Louis Arme.
Und dann kamen die Tränen.
Ich drückte mein Gesicht an seine Brust und umklammerte ihn mit meinen Händen, als ob ich ohne ihn ertrinken würde.
Louis, der am Anfang überrumpelt war, gab mir mit seinen Armen, die er um meine Schulter legte, den Halt, den ich gerade so dringend brauchte.
Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich flatternd meine Augen öffnete, lag ich in Louis Wolldecke eingewickelt neben dem Lagerfeuer.
Die Haut von meinem Gesicht spannte unangenehm von den getrockneten Tränenspüren und leise zog ich meine Nase hoch, als mir klar wurde, was alles passiert war. Louis...
„Du bist aufgewacht." Stellte er fest und langsam drehte ich mich zu ihm um. Er saß auf seinem Baumstamm und hatte wieder mehrere Äste in der Hand.
Woher hatte er die denn immer?
„Ja." Flüsterte ich und wendete dann beschämend meinen Blick ab. Denn auf einmal war es mir peinlich, mich so an ihn geworfen und dann seine Jeansjacke vollgeweint zuhaben.
Sicherlich würde er noch eine sarkastische Bemerkung dazu machen...
Ich konnte hören, wie er die Äste beiseitelegte und spürte dann seinen intensiven Blick in meinem Rücken.
Ich jedoch versuchte ihn zu ignorieren und starrte in die Flammen des Lagerfeuers.
Ob wohl ich so dicht dran saß, spürte ich kaum die Hitze, geschweige denn musste ich von den kleinen Rauchschwaden husten.
„El."
Seine Stimme klang in meinen Ohren immer noch seltsam vertraut. Mein Name von ihm laut ausgesprochen klang seltsam vertraut.
Um diesen Gedanken, der sowieso keinen Sinn machte, aus meinem Kopf zu verbannen, starrte ich weiterhin in die Flammen und biss mir auf meine Lippe.
„El. Du musst mir sagen, was passiert ist."
Langsam wendete ich mich ihm zu und lange musterte ich ihn schweigsam.
Er hatte sich auf dem Baumstamm mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt und stütze seine Arme auf seinen Beinen ab.
Neugierig, aber auch bestimmerisch sah er mich mit seinen blauen Augen an.
„Ich muss es also?" fragte ich und hob eine Augenbraue. Ich mochte es nicht, dass er mich nicht danach gefragt, sondern mir eher einen Befehl erteilt hatte.
„Ja, musst du."
„Und warum?"
Er seufzte genervt auf und legte seinen Kopf schief. Diese strahlend blauen Augen sahen mich nun leicht wütend an.
„Du musst es mir erzählen, weil ich sowas noch nie erlebt habe. Naja, bis jetzt war ich auch der Einzige hier, aber du bist einfach so zusammen gebrochen und hast wie am Spieß geschrien. Im ersten Moment dachte ich, dass..." Er stockte mitten im Satz, schüttelte seinen Kopf und meinte dann: „Ach egal. Aber Tatsache ist, dass ich sowas noch nie erlebt habe. Und es gibt so gut wie gar nichts mehr, das ich noch nicht über diese Schneelandschaft weiß. Also erzähl es mir endlich und mach nicht so ein Theater."
Und da war er wieder. Der unfreundliche Louis, bemerkte ich grummelnd.
Es war komisch, wie schnell er sich doch verändern konnte...
Hin und her gerissen, ob ich es nun erzählen sollte oder nicht, gab ich schließlich unter Louis bösen Blick nach.
Bei der Erinnerung wickelte ich mir schaudernd die Decke enger um meinen Körper.
Innere Kälte gab es also doch noch...
„Ich weiß nicht... Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll." Stotterte ich und sah hilfesuchend umher.
„Man fängt gewöhnlich mit dem Anfang an." Spottete Louis und diesmal war ich diejenige, die wütend die Arme verschränkte und ihn böse ansah.
Entschuldigend hob er die Arme in die Luft und verzog seinen Mund zu einem kleinen Lächeln.
„Ist ja gut. Fang einfach da an, woran du dich als erstes erinnerst."
Das weiße Licht kam mir sofort in den Sinn und so fing ich an.
Ich erzählte ihm mit leiser Stimme von dem Licht, den Geräuschen, dem schwerelosen Gefühl, dem Schmerz, dem plötzlich erdrückendes Gewicht.
Und ich erzählte ihm auch von meiner Hilfelosigkeit, den Stimmen, die ich glaubte, gehört zu haben und von meinen Schreien.
Doch die Erinnerungsfetzen, die danach wie ein Daumenkino an mir vorbeigerauscht waren und mich schon seit dem Aufwachen hier in dieser Schneelandschaft begleiteten, verschwieg ich ihm.
Ich wusste nicht genau warum ich dies tat, doch mein Gefühl riet mir davon ab, es ihm zu erzählen.
Als ich geendet hatte, blieb Louis still.
Nachdenklich hatte er seine Stirn krausgezogen und er tippte sich mit seinem rechten Zeigefinger immer wieder gegen sein Kinn.
Dabei starrte er argwöhnisch und verwirrt zugleich in die Ferne.
Es machte mir Angst, dass er nichts sagte, denn insgeheim hatte ich gehofft, dass er mir vielleicht Antworten auf meine vielen Fragen geben konnte.
Doch er erschien mir genauso ratlos, wie ich mich fühlte.
„Louis?" flüsterte ich schließlich und beobachte ihn vorsichtig. „Weißt du, was das zu bedeuten hat?"
Langsam drehte er den Kopf in meine Richtung und betrachte mich nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf und meinte: „Meinst du, ich würde hier noch sitzen und schweigend in die Ferne starren, wenn ich wüsste, was das zu bedeuten hat? Ich glaube, die Schneelandschaft wollte uns nur noch einmal vor den Augen führen, dass wir tot sind. Und damit müssen wir leben. Naja, leben darfst du dabei nicht wortwörtlich nehmen, El."
Dann stand er auf, griff nach seinen Ästen und rief im Weggehen: „Ruh dich meinetwegen aus oder male Smileys in den Schnee, aber wehe du zerstörst noch einmal meinen Äste Stapel!"
Ohne mir zu sagen, wohin er ging, verschwand er in der Dunkelheit und ließ mich mit einem mulmigen und gleichzeitig wütenden Gefühl zurück.
(20.03.2015)
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