Befremdliche Erinnerungen
Nervös stand Mia vor ihrem Haus. Sie hatte Samuel eine Nachricht geschrieben, dass sie gleich kommen würde. Er wartete sicher schon auf sie. Mia sah gedankenverloren auf die schöne Landschaft um sich herum. Sie mochte diese Jahreszeit, wo alles langsam wieder zum Leben erwachte. Die ersten Blüten erstrahlten in ihren Farben und gaben, den noch so leeren Bäumen und Wiesen, Hoffnung.
Eigentlich war dieser Kreislauf ein absolutes Wunder und es war schön zu betrachten, wie sich die Natur jedes Jahr neu erholte und neu aufbaute. Alles griff ineinander und jede Jahreszeit war so wichtig für die Natur. Ohne den Winter konnte es keinen Frühling geben, ohne den Frühling, konnte es keinen Sommer geben und so weiter. Jede Kleinigkeit in diesem Kreislauf war wichtig, wie Zahnräder griff alles ineinander.
Mia atmete tief ein und aus und betrat endlich das Haus. Leise ging sie durch den Flur und horchte, wo sich Samuel befinden konnte. Samuel sass im Wohnzimmer, traurig sah er in die Ferne und Mia wurde das Herz schwer. Sie hatte ihn nicht so traurig machen wollen.
Leise ging sie auf ihn zu und umarmte ihn von hinten. Er zuckte kurz zusammen, entspannte sich aber, als er sie erkannte.
„Es tut mir leid, mein Schatz. Es tut mir leid, dass ich so reagiert habe, dass ich geflohen bin, dass ich dich angeschrien habe."
Sie nuschelte, während sie sich an seinen Hals schmiegte und seine Wärme und seinen Geruch in sich aufnahm. Samuel seufzte und streichelte ihre Hand.
„Mir tut es auch leid, meine Schöne. Ich wollte dir nicht so vor dem Kopf stoßen. Ich habe es schon ziemlich lange in der Schublade liegen, aber irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt, es dir zu sagen. Heute hast du das erste mal darüber gesprochen, dass du gerne wissen möchtest, wo deine Wurzeln herkommen. Ich habe einfach gedacht, dass es der richtige Zeitpunkt wär."
„Das war es auch. Ich habe mal nur wieder wie eine Irre reagiert. Es ist ein große Geste von dir, dass du recherchieren lassen hast, aber wie immer, konnte ich das nicht sofort erkennen.
Was das Thema angeht, bin ich so Zwiegestalten. Einerseits möchte ich alles wissen, anderseits habe ich Angst...
Mir ging es noch nie so gut, wie in letzter Zeit und ich habe Angst, dass sich das ändern könnte. Schließlich wissen wir nicht, was uns erwartet, ob es gute Menschen sind, ob sie noch leben, ob sie mich kennen lernen wollen. Ich brauche viel Regelmäßigkeit und einen gewissen Alltag und das gibt es alles nicht mehr, seitdem wir uns kennen. Jeder Tag ist ein Abenteuer und es gibt Momente, wo mich das wirklich überfordert."
Samuel zog sie zu sich auf seinen Schoß und legte seine Stirn an ihre. Seine Augen waren geschlossen und ein sanftes Lächeln umspielte seinen Mund.
„Es tut mir leid. Ja, es war alles sehr aufregend in letzter Zeit und ich vergesse manchmal, dass du so deine Schwierigkeiten hast. Meist wirkt mittlerweile alles so normal...
Ich habe damals den Auftrag gegeben, nach deinen Eltern zu suchen, ohne darüber nachzudenken. Weißt du denn, ob du sie kennenlernen möchtest? Bist du dem gewachsen?"
Mia kuschelte sich an seine Brust und lauschte seinem stetigen Herzschlag. Wie sehr sie das immer beruhigte. Seit dem Tag, wo sein Herz kurze Zeit aufgehört hatte zu schlagen, konnte sie von diesem Geräusch nicht genug bekommen. Es schlug, für sie und ihres schlug für ihn.
„Ja, nein, ja? Ich weiß es nicht. Ich habe gedacht wir gucken uns erst mal zusammen die Mappe an und dann schauen wir weiter?"
Sie fühlte wie sie nervös bei dem Gedanken daran wurde, aber sie wusste auch, es würde ihr keine Ruhe mehr lassen. Erst recht nicht mehr, wo sie wusste, dass die Antworten auf seinem Schreibtisch lagen.
Samuel nickte, hob sie vorsichtig von seinem Schoß und ging ins Arbeitszimmer. Auf dem Weg zurück, hielt er an und goss zwei Gläser Wein ein.
„Aber ich muss doch gleich noch arbeiten."
Verwirrt sah Mia Samuel an und dieser schüttelte den Kopf.
„Ich kenne zufällig den Chef der Einrichtung und der hat dir heute frei gegeben. Ihm ist es wichtig, dass seine Mitarbeiter ihre privaten Dinge regeln. Den Tag musst du natürlich nachholen."
Verschmitzt grinste er und Mia sah ihn dankbar an. Sie fand es zwar nicht gut, dass sie den Bonus hatte, aber heute hätte sie sich nicht wirklich auf die Arbeit konzentrieren können. Ihr schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen, weil sie den Tag ja nachholen würde.
Er reichte ihr das Glas und setzte sich mit der Mappe neben sie. Nervös drehte sie ihr Glas in der Hand und sah auf die geschlossene Mappe.
„Soll ich sie für dich öffnen?"
Samuel sah sie liebevoll an und Mia atmete laut aus. Sie schmiegte sich näher an ihn und nickte. Sie krallte sich lieber weiter an ihren Wein fest. Samuel öffnete die Mappe und Mia sah als erstes ein Bild. Neugierig beugte sie sich näher und betrachtete die beiden Menschen auf dem Foto. Unter dem Foto erkannte sie zwei Namen. Ava und James Hensley. Mia atmete zischend aus und beugte sich weiter rüber.
Sie betrachtete die Fotografie. Das Bild schien älter zu sein. Die beiden auf dem Foto sahen relativ jung aus. Die Frau hätte Mia auf Anfang zwanzig geschätzt und den Mann vielleicht Ende zwanzig. Mia kniff die Augen weiter zusammen. Die Frau sah ihr auf unheimliche Art ähnlich. Die Augenpartie, die Nase und die Haare waren identisch zu den ihren. Der Mund und das Kinn wiesen Ähnlichkeiten zu dem Mann auf.
Verwirrt betrachtete Mia das Foto. Das also waren ihre Eltern, ihre Erzeuger.
„Das ist so seltsam, sie jetzt so zu sehen. Sie sind ein Teil von mir und mir doch so fremd."
Mias Stimme klang belegt und sie räusperte sich.
„Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, was gerade in die vorgehen muss. Es muss komisch sein, dieses Bild zu sehen. Sie sieht dir so ähnlich und doch auch wieder nicht."
Samuel strich ihr sanft über den Rücken und Mia nickte. Ja, das war definitiv ein komisches Gefühl. Samuel blätterte zur nächsten Seite. Auf ihr sahen sie einen Steckbrief der Frau namens Ava Hensley.
Sie war mittlerweile vierundfünfzig Jahre alt. Einhundertsiebzig Zentimeter groß, braune Augen, braune Haare und gelernte Immobilienmaklerin. Ihre Eltern lebten nicht mehr und sie hieß mittlerweile Ava Bennett. Das hieß wohl, dass sie neu geheiratet hatte.
Sie lebte dem Steckbrief nach, in Windsor. Das war gar nicht weit weg und Mias Herz begann wie wild zu schlagen. Sollte sie die ganze Zeit in unmittelbarer Nähe zu ihrer Mutter gewesen sein?
Samuel blätterte weiter und das Bild ihres Vaters war zu sehen. Mia schluckte und sie spürte einen Stich in der Brust, als sie las, dass er vor vierundzwanzig Jahren verstarb. Mia kniff die Augen zusammen. Das hieß sie war um die vier Jahre alt, als er verstarb. Wieso? Warum? Mia nahm Samuel die Mappe aus der Hand und scannte den Steckbrief, aber zu der Ursache seines Todes stand nichts. Dort stand nur, dass er Automechaniker war.
Mia spürte, wie sich Traurigkeit in ihr breit machte. Sie würde ihn nicht kennen lernen. Er war in sehr jungen Jahren verstorben. Er war ungefähr so alt, wie Mia jetzt gewesen.
Mia schlug die nächste Seite auf und spürte wie ihr die Tränen kamen.
Sie sah einige Bilder, auf denen sie zu sehen war, mit ihren Eltern. Einige zeigte sie bei den ersten Gehversuchen, andere an ihrem Geburtstag, zu ihrer Taufe. Das war so befremdlich, diese Bilder zu sehen. Sie konnte sich an nichts erinnern. Immer wenn sie versucht hatte, sich an irgendwas zu erinnern, war da eine große schwarze Wand gewesen.
Jetzt einen Teil zu sehen, der sich hinter dieser Wand befand, war sehr befremdlich und Mia spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Sie sah auf einigen Bildern glücklich aus. Sie strahlte und auch ihre Eltern strahlten.
Die letzten Bilder zeigten sie, da musste sie circa drei gewesen sein. Irgendwie wirkten die Augen ihrer Eltern da traurig und die Fröhlichkeit in den vorherigen Bildern, war nicht mehr zu erkennen. Irgendetwas schien passiert zu sein und Mia fragte sich, was es wohl war.
Nachdenklich betrachtete sie diese befremdlichen Erinnerungen. Alle Bilder hatten sie gezeigt, das hieß, sie hatte diese Fotos persönlich miterlebt. Aber sie konnte nichts damit anfangen. Wieso konnte sie sich nicht mehr daran erinnern?
„Samuel, siehst du das, was ich sehe?"
„Was genau meinst du, meine Schöne?"
Samuel sah fragend auf sie und die Bilder.
„Naja, zum einen ist es komisch die Bilder mit mir darauf zu sehen und ich erinnere mich einfach an gar nichts davon. Aber ich meine in erster Linie, die Unterschiede zwischen den Bildern. Anfangs sieht alles so schön aus, so glücklich. Die letzten Bilder, die ungefähr ein Jahr, vor meiner Heimzeit entstanden sein müssen, da sehen sie so traurig aus. Irgendwas hat die beiden belastet."
Samuel betrachte die Bilder eingehend und nickte dann.
„Du hast Recht, irgendwas scheint passiert zu sein."
Mia stand auf und lief unruhig im Wohnzimmer hin und her. Was war nur passiert? Warum war sie in einem Heim gelandet? Ihr Vater schien verstorben zu sein, aber ihre Mutter lebte noch? Wieso war sie nicht bei ihr groß geworden?
„Ich muss zu ihr, Samuel. Ich muss zu Ava, ich muss wissen, was passiert ist."
„Dann soll es so sein, meine Schöne."
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Wieder den ganzen Tag geschrieben 😂🙈🙈❤️ die Geschichte lässt mich einfach nicht los ❤️
Ich bin selbst gespannt wie es weiter geht ...
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