SPEECHLESS
Als ich die Augen aufschlug, durchflutete Sonnenlicht das Schlafzimmer. Nialls Seite des Bettes war leer, die Schlafzimmertür stand halb offen. Leise Stimmen drangen zu mir herein, Harrys und Nialls.
„Nur weil du mit deiner eigenen Freundin nicht zurechtkommst, musst du dich nicht gleich an meine ranschmeißen.", giftete Harry gerade.
„Ich schmeiße mich hier an niemanden ran. Meine beste Freundin hat mich gebraucht, weil ihr Freund sie wiedermal verletzt hat und ich war für sie da.", feuerte Niall zurück.
„Was heißt hier wiedermal verletzt?", zischte Harry.
„Was sollte das mit Tay überhaupt? Und wo warst du die ganze Nacht?", Niall ignorierte seine Frage.
Mein Herz setzte für einen Moment aus. Er war die ganze Nacht weggewesen?
„Ich wüsste nicht was dich das angeht.", antwortete Harry spitz.
„Seit wann erzählen wir uns nicht mehr alles?", fragte Niall ruhig.
„Seitdem wir in das gleiche Mädchen verliebt sind, schätze ich.", Harrys Antwort war so eiskalt, dass ich eine Gänsehaut bekam.
Niall keuchte lautstark. „Hazza.", stammelte er bloß.
Doch Harry fuhr ihn weiter an: „Nein Niall. Du hast sie schon immer gemocht, das ist kein Geheimnis. Du bist damals zurückgetreten, als das zwischen Ella und mir ernst wurde. Lottie war doch nur ein Versuch, von ihr loszukommen. Louis mag in dieser Hinsicht blauäugig gewesen sein, aber ich habe das erkannt. Glaub mir Niall, sie liebt dich nicht. Nicht so wie sie mich liebt.".
Ich saß wie versteinert da. So hatte ich Harry noch nie erlebt. So wütend, so kalt. Das was er sagte ergab keinen Sinn. Doch Nialls Antwort ließ mich erschrocken aufschreien und aus dem Bett springen.
„Und wieso erzählt sie dir dann nicht, dass sie ihre Stiefschwester kennengelernt hat, die ihr Vater ihr seit fünf Jahren verheimlicht? Wieso erzählt sie dir nicht von dem Problem, dass sie seit Tagen am meisten beschäftigt?".
Ich rannte hinaus in den Flur und starrte beide fassungslos an.
Niall hatte sich die Hand vor den Mund geschlagen und Harry starrte mich ebenso fassungslos an, wie ich ihn.
„Ariella. Was redet er da?", flüsterte er.
Ich hatte mich schnell wieder gefangen und straffte meine Schultern. Ich wusste nicht, was Harry gestern Nacht getan hatte, aber er hatte sich gestern und jetzt gerade unglaublich daneben benommen. Und Niall hatte in die unterste Schublade gegriffen um es Harry heimzuzahlen, nur leider auf meine Kosten und das fand ich ebenso daneben wie Harrys Verhalten.
Ich drehte mich wortlos in der Tür um und schloss sie lautstark.
Ich zog mich hastig an und schnappte mir meine Tasche.
Weiterhin schweigend, riss ich die Tür wieder auf und rauschte an den beiden vorbei.
„ELLA! BLEIB HIER!", hörte ich Harry schreien, doch ich ignorierte ihn. Wäre er doch gestern bei mir geblieben, dann wäre dieser Morgen anders verlaufen.
Harrys Eltern, Gemma und meine Mum saßen um den Frühstückstisch versammelt und sahen mich verwirrt an. Bis auf Gemma, ihre Augen funkelten gefährlich.
„Liebes, setzt du dich zu uns?", fragte Anne.
„Nein, sorry. Ich muss hier raus Anne.", murmelte ich und schlüpfte eilig in meine Stiefel.
„Ich bring ihn um.", zischte Gemma. Ich hörte wie sie ihren Stuhl nach hinten schob und aufsprang.
„HAROLD EDWARD STYLES!", war das letzte dass ich hörte, bevor ich die Tür hinter mir schloss und in Tränen ausbrach.
Als ich aus der Lobby des Hauses stürmte, sah mich der Portier, der mir die Tür aufhielt, verdutzt an.
Ich sprang in das nächstbeste Taxi und nannte den einzigen Ort, der mir einfiel um allein zu sein, das Empire State Building. Hoch über der Stadt, nur von Touristen umgeben, erschien es mir einfacher, meine Gedanken zu sortieren.
Als ich oben ankam, waren meine Tränen getrocknet und mein iPod von Liam an. Ich stand am Geländer und starrte hinab auf die Stadt. New York sah aus wie ein schwarz weiß Bild. Die graue schmutzige Stadt und darauf der weiße unberührte Schnee auf den Dächern. Ohne weiter nachzudenken, machte ich ein Foto und schickte es an Mel. Sie konnte doch gar nicht mehr böse sein auf mich.
Liam hatte mir eine New York Playlist auf den iPod geladen, stellte ich lächelnd fest, als New York State of Mind erklang. Billy Joels gefühlvolle Stimme ließ mich die tolle Aussicht vergessen und an Harry und Niall denken.
Was hatte Harry gestern gemacht? War er wirklich bei Taylor geblieben? Wieso war sie überhaupt bei ihm? Wieso zum Teufel war er mir nicht nachgelaufen um mir alles zu erklären? Wenn schon nicht gestern, wieso dann nicht zumindest heute? Ich musste mit ihm sprechen, doch in mir sträubte sich alles, ich hatte Angst vor der Antwort.
Und was er zu Niall gesagt hatte... War Niall tatsächlich in mich verliebt? Lottie konnte unmöglich nur eine Notlösung gewesen sein, so etwas würde Niall niemals tun. Noch dazu war sie Louis Schwester! Harry war nur sauer und wollte ihn verletzen.
Die Tatsache dass Niall mich an Harry verraten hatte, schmerzte jedoch auch enorm. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Ich wollte es ihm selbst sagen, nachdem ich alles selbst geklärt hatte.
Eigentlich sollte ich mich ihm anvertrauen können, aber sein Drang mich zu beschützen und mein Leben für mich zu regeln war zu stark. Er konnte mich nie auch nur eine Sache alleine machen lassen. Mein Weihnachtsgeschenk war das beste Beispiel. Er hatte einfach für mich eine Universität ausgesucht und bereits die Gebühren bezahlt. Dabei hatte ich mir selbst noch gar keinen Plan zurecht gelegt. Er hatte es einfach entschieden, eine meiner wichtigsten Entscheidung für die Zukunft.
Niall würde so etwas nie tun, schoss es mir durch den Kopf.
Ich war selbst über meine Gedanken erschrocken. Was war nur los mit mir?
Jemand rempelte mich von hinten unsanft an, erbost drehte ich mich um und erstarrte.
Das graue Augenpaar, das mir entgegen leuchtete war mir nur allzu bekannt, doch es waren nicht Harrys Augen. Es waren Jasons.
Er zog langsam an meinen Kopfhörern, bis sie mir aus den Ohren fielen und musterte mich eingehend.
„Oh Gott, was machst du denn hier?", fragte er mich, seine Finger spielten mit den Kopfhörern.
Ich erwachte aus meiner Starre und antwortete leise: „Das selbe könnte ich dich fragen.".
Er lachte leise: „Ich bin mit meinem Vater hier, er hat geschäftlich in der Stadt zu tun und ich habe die Chance genutzt um New York zu sehen.".
Ich nickte matt, er runzelte leicht die Stirn: „Aber was machst du hier? Solltest du nicht bei deinem Starfreund in London sein und nicht alleine auf dem Empire, tausende Kilometer von England entfernt?".
„Wir sind zusammen hier.", hauchte ich, „Also in New York, nicht hier oben.", fügte ich hinzu, als er sich suchend umsah.
„Und wieso bist du alleine hier? Und wo ist deine Mum? Hast du sie ernsthaft alleine gelassen zu Weihnachten?".
„Meine Mutter sitzt mit Harrys Mutter am Frühstückstisch in Harrys Appartement.", antwortete ich patzig.
Er verdrehte die Augen und schüttelte grinsend den Kopf: „Aufbrausend wie eh und je Elli, schön dass du noch die Alte bist. Aber was machst du hier ganz alleine?".
„Ich hatte Streit mit Harry und Niall.", gab ich seufzend zu.
„Hab' ich mir schon gedacht. Ich weiß, ich bin vielleicht die letzte Person die du sehen willst, aber wie wäre es mit einem Frühstück? Ich wäre echt dankbar über ein bisschen Gesellschaft und vielleicht können wir ein bisschen reden?", er klang hoffnungsvoll, nett, so wie früher.
Bevor ich groß nachdachte willigte ich ein.
Jason ließ mich das Café auswählen. Das war eine angenehme Abwechslung, die Männer in meiner Umgebung waren für gewöhnlich doch sehr dominant und entschieden gerne für mich. In allen Lebenslagen.
Als die heißen dampfenden Tassen vor uns standen, blickte Jason mich ernst an.
„Ich bitte dich jetzt, dass du mir zuhörst Ella. Okay?", ich nickte verunsichert, war ich bereit für so ein Gespräch? Nach den letzten Ereignissen? Doch er legte bereits los.
„Ich möchte mich entschuldigen, die Person im Sommer, das war nicht ich. Du weiß wie ich eigentlich bin, es ist unentschuldbar was ich dir angetan habe und wie ich mich verhalten habe. Ganz ehrlich gesagt haben die Jungs und ich im Sommer mit Drogen experimentiert, ich bin ein bisschen abgedriftet und habe die Kontrolle verloren. Aber davon wird Mel dir bestimmt erzählt haben. Als das mit dir in Australien passiert ist und plötzlich die Polizei vor meiner Tür gestanden ist, da wusste ich dass ich zu weit gegangen war. Du wärst beinahe gestorben und ich war Mitschuld. Das war unverzeihlich. Ich wusste dass du mich nicht wiedersehen und schon gar nicht mit mir oder einem der anderen reden wolltest, dass du nicht mal zu Mel ins Krankenhaus gekommen bist, hat uns das deutlich gezeigt. Aber ich nutze, die Chance jetzt einfach hier und entschuldige mich für alles was ich dir angetan habe." Er blickte mich erwartungsvoll an.
In meinen Ohren rauschte es. Das waren zu viele neue Infos. Drogen in meinem Freundeskreis? Mel, die davon wusste? Die Polizei? Doch der einzige Satz der mir über die Lippen kam war ein entsetztes: „Mel im Krankenhaus? Was redest du?".
Jason hob verwundert die Augenbrauen. „Ella, Mel ist in einer Entzugsklinik.".
Das Rauschen wurde lauter, ich kralle mich an der Tischplatte fest und blickte ihn ausdruckslos an.
„Ariella?", er legte seine Hand auf meine, die Berührung durchzuckte mich wie ein Stromschlag und weckte mich aus meiner Starre.
„Deswegen ruft sie mich nicht zurück.", flüsterte ich.
Mitleidig sah mich Jason an, „Ich dachte du wusstest davon, sie ist doch jetzt in dieser schicken teuren Klinik. Wir dachten immer du bezahlst ihr das.".
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das muss jemand anderes sein.".
„Wen kennt sie denn noch, der ihr so etwas bezahlt?", hakte Jason nach.
Ich riss meine Augen entsetzt auf. Das konnte bloß einer der Jungs sein. Irgendjemand verheimlichte mir hier etwas.
„Ich weiß es nicht.", sagte ich und massierte die Stelle zwischen meinen Augen mit Zeigefinger und Daumen. Ich bekam langsam Kopfweh von diesem Morgen, das war schlimmer als jeder Kater.
„Wieso ist sie in einer Entzugsklinik Jason?".
Er sah mich wieder verwundert an. „Du wusstest gar nichts von den Drogen, oder? Es hat alles mit ein bisschen Gras begonnen, doch man fängt an immer mehr Zeug zu probieren. Mel hat zum Schluss anscheinend Heroin genommen. Ich bin zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Szene ausgestiegen gewesen, aber anscheinend hatte sie sich nicht mehr unter Kontrolle. Als sie im November aus London zurückgekommen ist, hatte sie eine Woche später ihren Absturz, ihre Mutter hat sie gefunden und eingewiesen.".
Das war nicht real, das war nicht wahr. Er log. Mel nahm keine Drogen, ich kannte sie. Das würde sie nie tun. Das hätte ich doch bemerkt. Sie war meine Schwester, meine bessere Hälfte, meine Seelenverwandte. Sie hätte sich bei mir gemeldet. Mich um Hilfe gebeten. Er log.
"Ella, das tut mir leid. Ich dachte du wusstest davon", er wirkte ehrlich bedrückt.
"Das kann nicht stimmen Jay.", ich benutzte unbedacht seinen Spitznamen, seine Mundwinkel zuckten leicht, als er es registrierte, doch sein Blick wurde sofort wieder ernst.
"Doch. Sie ist in der Bayford Klinik. Du kannst dort anrufen, wenn du mit ihr sprechen möchtest. Du bist sicher auf ihrer Kontaktliste und sonst frag doch ihre Mutter.".
Ich notierte mir den Namen der Klinik und blickte stumm auf meine Finger.
Mein Freund hatte mich vielleicht betrogen, mein bester Freund hatte mich verraten und meine beste Freundin war anscheinend ein Drogenjunkie. Frohe Weihnachten allerseits.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro