s e v e n.
s e v e n.
Sometimes a song says so much more about a person than words ever will.
Die Tür, die wohl einmal knallgrün gewesen ist, quietscht gewaltig, als ein Mann heraustorkelt und uns irritiert ansieht, bevor er auf den Gehweg direkt vor meine Füße kotzt. Quietschend weiche ich zurück und sehe ihn angewidert an.
Wir hatten nicht einmal ein Uhr mittags und er war schon besoffen.
Ashton bleibt ruhig vor dem Mann stehen und beachtet ihn gar nicht weiter, sondern zieht mich näher zu der Tür. Selbstsicher betritt er den Raum.
„Ashton? Das hier ist eine Bar", stelle ich verwirrt fest und klammere mich fester an seine Hand.
Die Blicke der Leute sind mir nicht geheuer. Und die Leute selbst ehrlich gesagt auch nicht.
„Ich weiß. Du wolltest ein Abenteuer, oder?", erkundigt sich Ashton bei mir.
Ich nicke zweifelnd und lasse zu, dass er mich an den Tresen führt.
Achtlos kickt Ashton eine Bierflasche weg und zieht mich weiter. Er bewegt sich so sicher hier, dass ich mir sicher bin, dass er genau weiß, was er hier tut.
Dass gibt auch mir ein gewisses Gefühl der Sicherheit, obwohl mir die ganzen neugierigen Blicke nicht geheuer sind.
„Und was genau sollen wir hier für ein Abenteuer erleben?", frage ich vorsichtig, denn ich habe noch nichts entdeckt, was hier nach Spaß oder Risiko aussieht. Es sei denn, man zählt die besoffenen und grölenden Männer an einem der Ecktische hinzu, vor denen man sich sicherlich in Acht nehmen sollte.
„Wir singen. Das hier ist eine Karaoke Bar."
„Oh. Äh, ich kann nicht singen", protestiere ich, als er mich weiter in den Laden hereinzieht und auf ein erhöhtes Podest zusteuert.
„Hey! Ashton! Bring mir noch was zu saufen", brüllt einer der Männer auf einem der Barhocker, während wir an ihm vorbei gehen. Er einen tiefen Schluck aus einem Glas nimmt, in dem sich dem Geruch nach zu urteilen mit Sicherheit etwas Stärkeres als Bier befindet und sieht Ashton auffordernd an.
Ash zuckt zusammen, sieht den Mann aber nicht an.
„Oh, ich versteh schon. Bist mit deinem Mädchen hier, was? Mädchen, warum hast du nicht nen bisschen Spaß mit mir? Ich bin sicher, ich kann es dir besser besorgen als Ashton." Dreckig lachend sieht er mich an.
Ich merke, wie Ashton rot anläuft, bin mir allerdings nicht sicher, ob es aus Wut oder aus Verlegenheit geschieht. Sein Griff wird fester und er wird schneller, als er mich an dem Mann vorbei zieht.
Schaudernd folge ich ihm, wobei ich so viel Abstand wie es geht zu dem Betrunkenen halte.
„Wieso kennt er deinen Namen?" Ich sehe Ashton an und mir wird bewusst, dass ich trotz den einigen wenigen Fragen unseres Spiels so gut wie nichts über ihn weiß.
„Ich bin öfter hier", meint er ausweichend.
„Wieso?", erkundige ich mich stirnrunzelnd. Ashton scheint mir nicht wirklich hier reinzupassen.
Ja, er ist gemein und verschlossen gewesen, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Und ja, bei den nächsten Begegnungen war er nicht selten ein Arschloch gewesen.
Aber mittlerweile habe ich verstanden, dass das nur eine Seite von ihm ist. Diese Seite hätte vielleicht in diese Bar gepasst.
Der Ashton allerdings, der etwas mit mir unternahm, einfach um mir zu helfen, mein Leben zu leben, der seinen Bruder mehr als alles andere liebte, dieser Ashton hätte einen Ort wie diesen nicht in hunderttausend Jahren betreten.
„Keine Ablenkungsmanöver mehr, Jul."
„Wieso habe ich das Gefühl, dass du hier gerade das Ablenkungsmanöver startest?"
„Willst du jetzt weiter mit mir diskutieren oder einfach mitkommen?" Ashton sieht mich genervt an und dies ist das erste Mal, in dem er sich wieder annährend so benimmt, wie bei unserer ersten Begegnung.
So als wäre es eine Zumutung für ihn, Zeit mit mir zu verbringen.
„Wir können auch wieder gehen, wenn du keine Lust hierzu hast", meine ich kleinlaut. Ehrlich gesagt wäre das nicht allzu schade, denn ich hatte nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass ich nicht singen kann.
„Kneifen zählt nicht. Komm mit", meint er mit einem seiner schiefen Lächeln.
„Okay", seufze ich und frage mich, worauf ich mich gerade eingelassen habe.
Ashton lässt kurz meine Hand los, um auf das Podest zu klettern. Ich nehme an, es hat einmal eine Treppe hierfür gegeben, die allerdings nur noch aus drei schiefen, zusammengebrochenen Brettern besteht.
Dann streckt er mir seine Hand entgegen und hilft mir hoch. Unbehaglich bemerke ich, dass mich die sechs Männer, die sich außer uns ebenfalls in der Bar aufhalten, ansehen.
Einer der Männer leckt sich genüsslich über die Lippen, während seine Augen einmal über meinen Körper wandern und ich schaudere. Wie bitte war ich hier gelandet?
Unauffällig versuche ich meine Shorts ein Stück weiter nach unten zu ziehen.
Ashton scheint die Blicke nicht zu bemerken, sondern macht sich seelenruhig an der Karaoke Maschine zu schaffen.
„Jul?"
„Ja?" Hastig trete ich neben ihn, dankbar dafür, dass ich mich von den Blicken der übrigen Anwesenden abwenden kann. Ich weiß, dass es nur Einbildung ist, aber wenn ich sie nicht sehe, kann ich mir vorstellen, sie wären gar nicht da. Es ist ungefähr so, wie man als kleines Kind die Hände und Füße bloß nicht aus der Bettdecke herausgestreckt hat, weil man so das Gefühl gehabt hat, dass kein Monster kommen würde.
„Welches Lied willst du singen?"
„Äh, mir egal?"
„Das kann dir doch nicht egal sein! Komm schon! Was ist dein Lieblingslied?"
Ich zucke mit den Achseln. „Ich habe kein Lieblingslied. Komm schon, such du eins aus, Ash. Sonst stehen wir morgen noch hier."
„Wie kannst du kein Lieblingslied haben?" Ashton sieht mich entsetzt an, so, als hätte ich ihm gerade berichtet, dass ich jemanden umgebracht habe.
Ich kichere über seinen Gesichtsausdruck. „Ich habe halt einfach keins. Welches ist denn dein Lieblingslied?"
„Lullabies von All Time Low", antwortet mir Ashton. „Jedenfalls seit den letzten Jahren."
„Warum?"
Er wendet seinen Blick von mir ab und sieht stattdessen wieder auf die Karaoke Maschine. „Ich habe einen Song ausgesucht. Wir werden jetzt singen. Zusammen." Er schenkt mir ein Lächeln. „Gekneift wird nicht."
„Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du singen kannst, Ash?", beschwere ich mich.
Mittlerweile befinden wir uns wieder auf dem Rückweg zum Spielplatz. Ich bin froh gewesen, als wir die Bar endlich wieder verlassen und die ganzen zwielichtigen Gestalten hinter uns gelassen haben.
Nicht dass es in diesem Viertel auf den Straßen sonderlich besser aussieht als in der Bar selbst, aber immerhin ziehen mich die Blicke des einen Mannes nicht mehr förmlich aus.
Selbst wenn man mir Geld bieten würde, würde ich nie wieder in meinem Leben auch nur einen Fuß in diesen Laden setzen.
„Ich kann nicht singen. Nicht wirklich jedenfalls. Ich bin nur nicht schlecht darin, dass ist alles. Außerdem hättest du nicht gesungen, wenn ich es dir gesagt hätte", grinst Ashton und zieht mich um eine Pfütze herum.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Hundepisse oder Alkohol ist, denn es hat in den letzten Tagen nicht einmal geregnet. Angewidert gehe ich schneller, um dem Gestank zu entkommen.
„Ja, weil ich gewusst hätte, dass ich mich dann noch mehr blamiert hätte, als ohnehin schon", entgegne ich.
„Es ist ja nicht so, als wäre es wichtig, was einer der Männer, die dort waren, jetzt über dich denken, oder?", argumentiert er.
„Okay, du hast Recht. Aber ich werde trotzdem nie wieder singen, wenn du mich hören kannst." Ich merke, wie ich ebenfalls anfange zu grinsen. Dass tue ich in seiner Gegenwart sowieso öfter, als normalerweise. Was auch immer das zu bedeuten hat.
„Nie wieder? Dass ist eine wirklich große Zeitspanne", zieht er mich auf und weicht meinem gespielten Schlag gekonnt aus.
„Nie wieder, Ash. Nie wieder werde ich mich so vor dir blamieren", lache ich.
„Nun, dass werden wir sehen", grinst er.
Einen Moment später fragt er: „Spielen wir 20 Fragen weiter?"
Kopfschüttelnd sehe ich ihn an. „Was findest du bloß so faszinierend an diesem Spiel?"
Ashton zuckt mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Vielleicht weil man die Chance hat, Dinge über jemanden - und vermutlich auch über sich selbst - zu lernen, die man sonst nie erfahren hätte. Einfach weil man die richtigen Fragen fragt."
„Manchmal machst du mir Angst, weißt du das?", erwidere ich grinsend.
„Wieso?" Lächelnd sieht er mich an.
„Weil du manchmal klingst wie ein alter, weiser Mann anstatt wie ein Teenager", ziehe ich ihn auf.
Ashton sieht mich lachend an. „Komm schon, Jul. Stell deine Frage."
Ich nicke und schmunzele darüber, wie ernst er dieses Spiel nimmt.
„Also meine nächste Frage- "
„Deine vierte Frage", unterbricht er mich.
„Meinetwegen auch meine vierte Frage", antworte ich augenverdrehend. „Was ist dein Lieblingsfach in der Schule?"
„Musik", erwidert er, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen.
Nun, zumindest geht er in die Schule, wenn er sich dessen so sicher ist, denke ich. Denn ob er überhaupt eine Schule besucht, habe ich bis jetzt bezweifelt, da er jeden Mittag bei uns auf dem Spielplatz sitzt, anstatt in der Schule zu sein.
„Wann hast du deinen ersten Milchzahn verloren?", fragt er neugierig.
Kopfschüttelnd sehe ich ihn an. Ashton hat eine andere Sicht auf solche Dinge im Gegensatz zu allen anderen Menschen, mit denen ich je gesprochen habe. „Mit sechs Jahren, glaube ich."
„Warum bist du immer auf dem Spielplatz auf meinem Haus?", stelle ich meine nächste Frage.
Ashton bekommt wieder diesen abweisenden Blick, der mir im Herzen wehtut.
„Du musst mir nicht antworten. Ich kann auch etwas anderes Fragen", sage ich eilig, da ich ihn nicht in dieser Stimmung sehen will. Schon gar nicht, wenn ich der Grund dafür bin.
„Ist schon okay. Ich bin dort wegen einer Erinnerung", meint er.
Ich frage nicht weiter nach, froh darüber, dass er mir wenigstens so viel anvertraut hat.
„Hast du Haustiere, Jules?"
Ich schüttele den Kopf. „Nein. Aber ich wollte immer ein Haustier haben, als ich kleiner war. Ich habe nur nie eines bekommen."
„Weißt du was, wenn wir älter sind und du nicht mehr zuhause wohnst, dann kaufe ich dir eine Katze und in dreißig Jahren sitzen wir dann bei dir auf der Terrasse und bewundern deinen kleinen Privatzoo", grinst Ashton.
Wenn ich dann noch lebe, denke ich bitter und blinzele, um die austeigenden Tränen zu verdrängen. Für jeden anderen scheint diese Vorstellung völlig normal und nicht wichtig zu sein. Sie scheint so banal. Aber ich würde alles dafür geben, um in zwanzig Jahren zusammen mit Ashton auf meiner eigenen Terrasse zu sitzen. Ich würde alles dafür geben, um in zwanzig Jahren überhaupt noch am Leben zu sein.
„Ist alles okay? Habe ich etwas Falsches gesagt?" Ashtons Stimme klingt besorgt.
„Nein, schon okay. Alles super. Mir geht es gut", lüge ich und bin froh, als ich sehe, dass wir gerade in die Straße einbiegen, in der ich wohne.
Doch schon im nächsten Augenblick wünsche ich mir, dass ich nie wieder hierhingekommen wäre.
„Julie!", kreischt meine Mutter und stürzt auf mich und Ashton zu. „Wo zum Teufel bist du gewesen, Fräulein? Was fällt dir eigentlich ein? Denkst du, du könntest einfach alles machen, was du willst?"
Sie packt mich grob am Arm und schüttelt mich. Ich bemühe mich, mein Gesichtsausdruck vollkommen unberührt zu lassen, obwohl ein beißender Schmerz durch meinen Körper fährt.
Ich werde ihr nicht die Genugtuung geben und ihr zeigen, wie sehr sie mich unter Kontrolle hat.
Nicht heute.
„Ich habe dir gesagt, du sollst dich nicht mit diesem Abschaum abgeben." Abfällig wirft sie Ashton einen Blick zu und ich spüre, wie der Knoten in meinem Bauch größer und größer wird. Ich bin kurz davor zu explodieren.
„Er heißt Ashton. Und er ist ein besserer Mensch, als du es je sein wirst." Mein Blick bohrt sich in ihren und ich zwinge mich dazu, nicht als erste den Blickkontakt abzubrechen.
Im ersten Moment kommt es mir so vor, als wäre sie überrascht. Wahrscheinlich hat sie nicht damit gerechnet, je solche Worte aus dem Mund ihrer Vorzeigetochter zu hören.
Sie kneift ihre Augen zusammen und sieht mich bedrohend an.
Doch heute wird sie nicht gewinnen.
„Julie, du weißt doch gar nicht, worüber du redest! Sieh ihn dir doch an!", brüllt sie. „Bevor du es weißt, hat er dich ins Bett gekriegt mit seiner Schmeichelei und dich geschwängert! Oder betrogen! Er ist ein Nichtsnutz! Ein Arschloch! Genauso wie sein Vater!"
Mein Blick wandert zu Ashton, der unbehaglich neben mir steht und auf den Boden starrt. Ich wünsche mir verzweifelt, dass er all dies nie hätte hören müssen.
„Was weißt du schon über Ashton? Oder über seinen Vater?", brülle ich sie an.
„Glaub mir, ich weiß genug, Julie!"
Ich will nach Ashtons Hand greifen und sie beruhigend drücken. Ich will ihm das Gefühl geben, dass ich meiner Mutter kein Wort glaube. Ich will ihm zeigen, dass ich sie gerade mit jeder Zelle meines Körpers verabscheue.
Doch als ich die Hand in seine Richtung ausstrecke, zieht er seine zurück.
Ein weiterer Schmerz durchfährt mich. Doch während der Schmerz, den meine Mutter mir zufügt, nur körperlich ist, trifft mich dieser direkt ins Herz.
„Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe." Das ist alles was er sagt, bevor er sich umdreht und mich mit meiner Mutter zurücklässt.
„Wie kannst du nur? Warum musst du immer alles zerstören? Warum kannst du mir nicht einmal gönnen, glücklich zu sein? Wieso nicht? Nicht ein einziges Mal?", schreie ich, während sich Tränen einen Weg über meine Wange bahnen.
Wütend wische ich sie weg und sehe meine Mutter noch einmal mit all meinem Hass, den ich gerade empfinde, an, bevor ich in unser Haus renne und die Treppe hoch in mein Zimmer stürze.
Dort knalle ich die Tür zu, drehe den Schlüssel um und werfe mich heulend auf mein Bett.
Ich hasse meine Mutter. So furchtbar sehr. Es kommt mir so vor, als hätte sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, mein Leben immer mehr zu zerstören.
Und nun hat sie mir den einzigen Menschen genommen, der mich aufheitern konnte. Den einzigen Menschen, der mich alles andere vergessen ließ. Einen Menschen, den ich wirklich mochte.
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