Force
Erneut vergingen einige Wochen, in denen nicht so viel passierte. Bora hing immer mehr auch mit den restlichen Jungs ab, weil sie Yeonjun oft besuchte und als sie den Jungs mal bei einer Probe zugehört hatte, freundete sie sich auch irgendwie mit ihnen an. Es war für Bora sehr ungewohnt, von so vielen Menschen umgeben zu sein, ohne in ihrer Krankenschwesteruniform zu sein. Sonst waren nur dann so viele Menschen um sie herum und redet mit ihr, wenn sie arbeitete. Selbst Kai sprach mittlerweile etwas mit ihr. Es war nicht viel, aber immer ein bisschen mehr. Manchmal kam er mir wirklich wie ein Rehkitz vor, dass das erste Mal die Welt entdeckte.
Die Jungs wussten auch weiterhin nichts von Boras Vergangenheit, weil Yeonjun der Meinung war, wenn sie wollen würde, dass es Taehyun und die anderen erfuhren, würde sie es ihnen erzählen. So wie sie es Yeonjun erzählt hatte. Bora hatte schon einige Male darüber nachgedacht, ließ es dann aber immer bleiben, weil ihr Beomgyu, Taehyun und Kai einfach noch zu jung für solche ernsten Themen vorkamen.
Es war ein Abend wie jeder andere und da Bora ein paar Tage Urlaub bekommen hatte, weil sie zu viele Überstunden hatte, waren sie und die Jungs im Kino gewesen. Bora konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie zuletzt im Kino gewesen war. Klar, ohne Freunde geht man nicht ins Kino.
Es war bereits dunkel draußen. Sie fuhren die kleineren Straßen Seouls entlang, weil sie zurück zu Yeonjuns und Soobins Haus wollten. Es war Wochenende und Beomgyu, Taehyun und Kai wollten übernachten. Eigentlich. Doch das, was jetzt passierte, änderte ihre Pläne.
Im Auto wurde sich intensiv unterhalten, doch Soobin sah verträumt aus dem Fenster und hörte bei den Gesprächen nur zur Hälfte zu. Dann sah er eine schlanke Frau neben einem Container an eine Hauswand lehnend. Die Straßenecke, in der sie saß, war stockduster und Soobin konnte nur ihre Umrisse sehen. Darum war er sich auch nicht sicher, ob es eine Obdachlose war oder nicht. Er dachte sich seinen Teil und hatte ein ungutes Gefühl, doch ließ es dabei.
Allerdings sah Bora die Frau auch, da sie im Auto hinter Soobin saß und sich die Frau auf ihrer Seite der Straße befand. Bora schien ein ähnliches Gefühl wie Soobin gehabt zu haben und tippte dem fahrenden Yeonjun auf die Schulter: „Yeonjun, bleib mal bitte stehen"
„Ist irgendwas?", fragte er sofort.
„Ich weiß es nicht", antwortete Bora ehrlich.
Kaum war Yeonjun stehen geblieben, stieg Bora aus und lief zu der Frau hin. Als Soobin sah, zu wem sie ging, stieg auch er aus.
„Hä? Was ist denn jetzt los?", wunderte sich Taehyun, der neben Bora gesessen hatte.
„Müssen die zwei pinkeln?", kam es von Beomgyu.
„Als ob. Wir sind doch gleich zuhause", schüttelte Yeonjun den Kopf, gurtete sich ab und folgte Soobin und Bora.
Taehyun, Beomgyu und Kai sahen einander an und stiegen ebenfalls aus.
Bei der Frau angekommen, erschraken Bora und Soobin. Vor ihnen saß eine schlanke, junge Frau, ungefähr in ihrem Alter, komplett blutverschmiert, mit leichenblassen Gesicht und zerzausten, kastanienbraunen, bis zu den Schulterblättern reichendem Haar. Ihre Gesichtsfarbe war so blass, dass sie in der Dunkelheit so hell leuchtete wie der Mond über ihnen. Bora war sofort klar, was ihr widerfahren war.
Sie kniete sich vor die Frau und versuchte mit ihr zu sprechen, ohne sie zu berühren: „Hi, ich bin Lee Bora. Ich bin Krankenschwester im nahe gelegenen Krankenhaus" Sie rang nach Worten. Diese Frau zu fragen, was ihr geschehen war, erschien Bora total unnötig. So weh es Bora tat das zuzugeben, aber diese junge Frau war nicht die erste blutverschmierte, halbtote Frau, die Bora in ihrem Leben gesehen hatte. Sie konnte es sich vorstellen, was passiert war. „Meine Freunde und ich werden dich jetzt zu mir ins Krankenhaus bringen, okay?" Die Frau antwortete immer noch nicht. Bora seufzte. „Ich werde deinen Puls fühlen, okay? Nicht erschrecken"
Während Bora den Puls der Frau fühlte und dabei auf ihre Uhr blickte, fragte Kai verstört: „Ist sie überfallen worden?"
Bora schnaubte unzufrieden auf, blickte von ihrer Uhr auf und antwortete ihm: „So was ähnliches vermute ich mal. Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen. Ihr Puls ist viel zu niedrig. Wenn sie nicht bald behandelt wird, stirbt sie" Bora schüttelte den Kopf. „Sie muss schon lange hier liegen"
„Dann bringen wir sie dorthin", sagte Yeonjun bestimmt.
„Ja, ein Krankenwagen dauert zu lange", sagte Bora ernst und sah die Jungs an: „Könnten sich zwei von euch ganz hinten hinsetzen, damit wir sie auf die Rücksitzbank legen können? Einer von euch muss halt ein bisschen gequetscht sitzen" Die Jungs nickten und Bora wandte sich wieder der Frau zu: „Kannst du gehen?"
Endlich sah die Frau sie mit ihren leeren Augen an und sagte schwach und sehr leise: „Bitte nicht ins Krankenhaus"
„Hier kann ich dir nicht helfen", antwortete Bora ruhig. „Hast du Angst ins Auto zu steigen? Wir zwei können auch ein Taxi nehmen" Bora sagte dies, obwohl sie bezweifelte, dass ein Taxi schnell genug hier sein würde. Doch sie wollte die Frau beruhigen.
Diese schüttelte den Kopf. „Ich will nicht ins Krankenhaus. Bitte. Lasst mich in Ruhe"
Bora seufzte schwer aus. „Du wirst sterben, wenn wir dich nicht ins Krankenhaus bringen"
Mit zittriger Hand berührte die Frau sie. „Bitte nicht"
Bora und sie sahen einander in die Augen und schließlich gab Bora nach. Es gefiel ihr gar nicht, vor allem, weil sie nicht wusste, welche Ausrüstung Yeonjun und Soobin zuhause hatten, aber wenn sie noch länger mit ihr diskutierte, starb sie. Auf der Straße. Neben einem Container.
Schließlich half ihr Bora aufzustehen und zum Auto zu gehen. Soobin fragte immer wieder, ob er ihr nicht helfen sollte, doch Bora lehnte es ab. Natürlich würde es so schneller gehen, aber sie bezweifelte, dass sich die Frau von Soobin anfassen lassen würde. Allerdings verstand sie nicht, warum sie nicht ins Krankenhaus wollte. Doch Bora betete einfach, dass alles gut gehen würde.
Weil Taehyun etwas kleiner und zierlicher war, setzte er sich auf die Rücksitzbank neben der Frau und Kai und Beomgyu setzten sich auf die ganz hintersten Plätze. Yeonjuns Auto hatte nämlich vorne den Fahrer- und den Beifahrersitz, auf der Rücksitzbank vier Sitze und vor dem Kofferraum schließlich nochmal zwei.
Bora hatte der Frau währenddessen ihre Jacke untergelegt, damit Yeonjuns Rücksitzbank nicht vollgeblutet wurde. Während sie zu Yeonjun und Soobin nachhause fuhren, versuchte Bora die Frau zu beruhigen und schaffte es sogar, ihr ihren Namen zu entlocken.
„Kim Seori. Ich bin 20", kam es sehr leise und kraftlos von ihr.
„Warum warst du um diese Uhrzeit alleine unterwegs?", fragte Bora vorsichtig.
„Ich kam von der Bibliothek meiner Uni. Die hat zum Glück" Sie hustete. „die hat zum Glück samstags offen"
„Was studierst du?", fragte Bora.
Die Fragen waren wichtig, um Seori zu beruhigen, ihr die Angst zu nehmen und sie, wenn möglich, von den Schmerzen abzulenken.
„Finanzmanagement", antwortete sie knapp.
Endlich waren sie beim Haus angekommen und Bora wollte ihr erneut helfen, aus dem Auto zu steigen und zum Haus zu gehen, doch kaum hatte Seori einen Fuß aus der Tür gesetzt, brach sie zusammen. Zum Glück stand Soobin nahe bei ihr und fing sie sekundenschnell auf und trug sie ins Badezimmer.
Bevor Bora Soobin folgte, drehte sie sich zu den anderen um: „Ich glaube, ich muss heute Nacht hierbleiben und auf sie aufpassen. Ist das in Ordnung?"
Eigentlich hätte Yeonjun hier wahrscheinlich einen Witz ala „Ich habe dich gern in meiner Nähe, das weißt du doch" gebracht, doch er nickte einfach nur ernst.
Bora erwiderte sein Nicken ebenfalls mit einem Nicken und folgte nun Soobin ins Badezimmer.
Yeonjun wandte sich an den Rest: „Hört mal, Jungs... es tut mir leid, aber ich glaube, es ist besser, ich fahre euch nachhause"
Taehyun lächelte versöhnlich. „Ist doch kein Problem. Dann machen wir es einfach wann anders"
Als Soobin wieder vom Badezimmer zurückkam, teilte ihm Yeonjun mit, dass er Beomgyu, Taehyun und Kai wieder nachhause fuhr.
Währenddessen tat Bora das ihr mögliche. Es war nicht viel, was sie tun konnte, da Yeonjun und Soobin natürlich nicht mal ansatzweise die Ausstattung eines Krankenhauses hatten, aber es reichte. Seoris Puls erhöhte sich wieder, ihre Gesichtsfarbe wurde wieder menschlicher und ihre Lippen färbten sich von blau zurück auf rosa. Nichtsdestotrotz hatte sie viel zu viel Blut verloren und Bora war sich nicht sicher, ob Seori die Nacht überlebte. Doch wenigstens schlief sie endlich ein. Allerdings konnte sie wirklich nicht in der Badewanne liegen bleiben und ihr wieder die blutige Kleidung anzuziehen war auch nicht richtig. Also ging sie vor die Tür und fragte Yeonjun und Soobin, die davor auf sie warteten, ob sie einen Bademantel oder so etwas für Seori hätten. Bora selbst hatte natürlich auch nur die Klamotten dabei, die sie selbst trug, also war das auch keine Option. Soobin gab ihr seinen Bademantel, welcher Seori natürlich hoffnungslos zu groß war, aber wenigstens hatte die erschöpfte Studentin etwas an, was nicht blutdurchtränkt war und es verdeckte alles, was es verdecken sollte.
Vor der Tür besprach Bora den restlichen Ablauf mit Soobin und Yeonjun: „Sie kann nicht in eurer Badewanne bleiben"
„Sie kann in meinem Bett schlafen", bot Soobin ruhig an.
Bora sah ihn an. „Wirklich? Und wo schläfst du dann?"
„Auf der Couch. Die ist zwar etwas zu klein für mich, um darauf zu schlafen, aber für eine Nacht ist das nicht so schlimm" Er lächelte süß.
„Aber zu zweit werden wir auf der Couch keinen Platz haben", überlegte Bora.
„Du kannst bei mir schlafen", schlug Yeonjun vor. Allerdings bin selbst ich mir nicht sicher, ob er einen Hintergedanken hatte oder nicht.
Bora zog eine Augenbraue hoch. „Das hättest du wohl gerne"
„Ich weiß was", sagte Soobin. „Wie wärs, wenn ich bei Yeonjun schlafe und du auf der Couch, wenn dir die Couch lieber ist?"
Bora nickte. „Das klingt vernünftig"
Yeonjun war schon etwas enttäuscht, dass sie nicht mal in Erwägung gezogen hatte, sich mit ihm ein Bett zu teilen, aber auf der anderen Seite verstand er es auch. Die beiden waren kein Paar und in Südkorea schlief man nicht einfach so mit dem anderen Geschlecht in einem Bett, wenn man nicht zusammen war.
Nachdem sie das geklärt hatten, trug Soobin die schlafende Seori in sein Schlafzimmer, deckte sie zu und fühlte sich immer noch schlecht, weil er sich nichts dabei gedacht hatte, als er sie am Boden sitzend gesehen hat. Er hatte geglaubt, es sei alles gut. Doch dem war nicht so.
Bora blieb mehr als die Hälfte der Nacht wach, weil sie immer wieder nach Seori sah und einfach viel zu nervös wegen ihr war, um in Ruhe schlafen zu können. Doch schließlich war selbst sie so erschöpft, dass sie endlich auf der Couch einschlief.
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Mit diesem Kapitel bin ich leider hoffnungslos über meinem Maximum drüber, aber ich konnte es einfach nicht auf zwei Kapitel aufteilen, weil der Cut sonst bestimmt an einer doofen Stelle gewesen wäre. Aber na ja. Es passiert auch viel in dem Kapitel ^^ Ich hoffe, es stört euch nicht, dass es fast 1800 Wörter hat.
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