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Kapitel 6 - Licht und Schatten

Ein paar Herzschläge lang starrte Loreley auf die offene Tür. Dann zischte sie leise, schob die Beine aus dem Bett und griff nach ihrem Zauberstab unter ihrem Kopfkissen. Der lange Zauberstab war mit 16 Zoll einige Zentimeter länger als die Pendants ihrer englischen Zauberei-Kommilitonen. Der Griff bestand aus weich geschliffenem Marmor, dessen goldene Ornamente auf das nachtschwarze Holz übergingen und am Knauf einen kleinen, blauschimmernden Labradoriten in seiner zartgliedrigen Fassung hielten. Er lag kühl und vertraut in ihrer Hand. Das Zedernholz aus dem er bestand, war hart und unnachgiebig – so wie sie – und der Kern war aus Lindwurm-Zahn. Ein treuer Begleiter in den letzten Jahren und auch heute.

Mit festen, schnellen Schritten überbrückte Loreley den Abstand bis zu der Pforte, riss die Tür ein Stück weiter auf und trat durch den Bogen.

Im Turmflur war es vollkommen still. Die hölzernen Treppen führten zu ihrer rechten spiralförmig nach unten und links weiter nach oben. Schatten lagen schwarz und finster in den Ecken wie lauernde Raubtiere. Allein eine gusseiserne Laterne enthielt eine magische Flamme, die mit ihrem schummrigen Licht die Treppenaufgänge gerade ausreichend erhellte, damit man nicht über die eigenen Füße und hinunterstürzte.

Aber außer Schatten und Laternenlicht... war da nichts. Das und Stille.

„Was soll das für ein dummer Streich sein?", zischte sie in das Dunkel und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Das lange Nachthemd aus Baumwolle kitzelte an ihren Waden, während sie den Stab ein wenig fester griff.

Verärgert kräuselte die junge Hexe die Lippen. Sie war nicht aufgelegt für Streiche, erst recht nicht seit dem Sommer. Vielleicht hätte sie vor einiger Zeit noch mit den Schultern gezuckt und wäre einfach zu Bett gegangen. Aber dieser dümmliche Scherzkeks war ihr schon im letzten Jahr zu nehmend auf die Nerven gegangen. im vorherigen Schuljahr in Hogwarts hatte sich die Tür zu ihrem Zimmer auch mehrfach geöffnet – und es dauerte fast zwei Monate, bis Septima und Astoria ihr glaubten, dass sie die Wahrheit sagte und sie nicht für dumm verkaufte. Dieser Unsinn passierte ständig und sie hatte gehofft, derjenige der diesen Mist für lustig empfand, würde einfach den Spaß verlieren, wenn sie sich nicht mehr darum kümmerte. Scheinbar hatte sie sich jedoch geirrt – und nun war sie zusätzlich müde und gereizt.

Also waren ihre Hände eiskalt, doch ihr Blut hingegen fühlte sich an, als stünde es in Flammen. Es war eine befremdliche und krude Mischung aus Furcht und Zorn. Insgeheim ließ sich die Angst nicht ganz vertreiben. Frostige Furcht davor, dass dort etwas lauern könnte. Noch dazu eventuell das gleiche Etwas, das ihnen bereits ihre Mutter geraubt hatte. Gleichzeitig schwelte in ihr der Zorn, dass es vielleicht schlichtweg Ravenclaw-Mitschüler gab, die diesen Unsinn für witzig empfanden. Sollte sich Letzteres als wahr erweisen, würde sie eines Tages einiges an Strafarbeiten erledigen müssen – denn dann würde sie diesen Idioten eine ziemlich unsanfte Lektion erteilen.

„Zeigt euch, ihr Feiglinge!", forderte sie in die gesichtslose Finsternis und schickte in einem festen Tonfall ein „Lumos!" in das Dunkel. Ein leises, kaum hörbares Summen erklang, dann bildete sich ein weißer Lichtschein, der von der Spitze ihres Stabes in den Treppenaufgang strahlte und die Schleier der Schatten zurücktrieb. Wie eine Taschenlampe glimmte das Licht und Loreley schwenkte es einmal wachsam umher – in der Hoffnung, vielleicht einen verräterischen Schatten zu entdecken.

„Revelio!", befahl sie und spürte kurz darauf die kleine, feine Druckwelle, die durch den Turm glitt. Der Zauber tastete an Wände und Geländer, über den Boden und stieß summend an Gestein, ehe er sich in der Ferne an der Grenze ihres Wirkungsbereiches verlief, wie Wellen es an einem Sandstrand taten.

Gespannt konzentrierte sie sich auf das Gefühl der kribbelnden Magie, die in ihrem Stab wieder hallte wie ein mutmachendes Murmeln – bereit, den nächsten Zauber zu wirken, wenn sich auch nur das geringste Anzeichen einer Person offenbarte.

Aber sie hoffte vergeblich. Zu ihrer Frustration offenbarte sich kein getarnter Zauberer, keine der Hauselfen oder etwas annähernd Vergleichbares. Nur ein schlichtes, enttäuschendes Nichts. Dabei hoffte sie inständig auf irgendetwas. Ein Kichern vielleicht oder das Knarzen einer Diele, weil jemand sein Gewicht unbedacht verlagerte.

Verstimmt runzelte Loreley die Stirn. Mist. Wie es schien, war der Scherzkeks also – wieder einmal - entkommen.

„Loreley! Was soll denn dieser Lärm? Bei Morganas Morgenmantel, es ist mitten in der Nacht!", zischte es verstimmt aus dem Innern ihres eigenen Schlafraumes.

Ihre nackten Füße hinterließen ein leises Knarzen auf dem Holzboden des Treppenhauses, als die Hexe auf dem Absatz kehrt machte. „Jemand hat unsere Zimmertür schon wieder geöffnet", raunte sie leiser in das Dunkel, wo sich Astoria auf den Ellbogen gestützt hatte. Loreley erkannte die schwarzen Locken, die ihr nun wild und verwuschelt um das pausbäckige Gesicht fielen.

„Schon wieder?", seufzte die andere Ravenclaw und ließ sich stöhnend in die Kissen zurücksinken. Ihre Stimme war durchdrungen und beschwert von Schlaf, sodass sie nahtlos in ein lang gezogenes Gähnen überging. „Wirk' einen Colloportus und geh wieder ins Bett."

Loreley hatte kein sonderlich befriedigtes oder beruhigtes Gefühl, während sie die Holztür wieder schloss, den Lichtzauber, mit einem „Nox", beendete und den Stab dann auf das Schloss richtete. „Colloportus."

Das Türschloss gehorchte widerstandslos.

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Loreley griff nach dem kupferfarbenen Griff und drückte ihn einmal nach unten und zog an dem Holz – die Tür blieb verschlossen. So, wie sie es sollte. Zufrieden wandte sich die Hexe daraufhin wieder ab und ließ sich kurze Zeit später wieder in ihr Bett sinken. Astoria war bereits wieder eingeschlafen und die nervenaufreibende Stille war zurückgekehrt.

Obwohl nichts mehr geschah, lag Loreley noch lange wach. Sie starrte an die Unterseite des Bettes über sich, drehte sich zur Seite und ließ den Blick durch den nun halb geöffneten Vorhang immer wieder in den Raum schweifen. Nur etwas Regen wagte es später verhalten, an die Fensterscheiben zu klopfen und sie mit den Klängen von Windflüstern und Regentropfen in den Schlaf zu begleiten.

Als Loreley am nächsten Morgen von dem schrillen Klingeln ihres Weckers geweckt wurde und sich gähnend auf den Weg in die Mädchen-Waschräume machte, waren Astoria und Septima bereits verschwunden. 

Wäre sie ein wenig früher wach gewesen, hätte sie noch mitbekommen, worüber die beiden Mädchen sich im Flüsterton unterhielten, als jene die Stufen des Ravenclaw Turmes zum Frühstück hinunterstiegen. Nämlich, dass am frühen Morgen, als Septima als erste der drei Ravenclaws erwachte, jene die Zimmertür weit geöffnet vorgefunden hatte.

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