Kapitel 5
Und ein weiteres Mal an diesem Abend klappte meine Kinnlade hinunter.
„Willkommen Martina, Lorel", er nickte mir zu. „Was führt euch...", doch noch ehe er seinen Satz vollenden konnte, fiel Mum ihm ins Wort.
„Wir wurden Angegriffen, wahrscheinlich einer von den Killers. Paul ist noch im Haus, ich sollte Lorel in Sicherheit bringen", sie ratterte, die kurze Zusammenfassung des Abends, ohne auch nur einmal Luft zu holen, runter. Ich verstand kein Wort. Wer oder was war ein Killer. Ich kannte Killers nur aus Filmen. Die Bösewichte ohne Gefühle die Menschen, ohne mit der Wimper zu Zucken, töten konnten. Doch in der Realität hatte ich noch nie was von einem Killer gehört und wollte lieber auch keinem begegnen.
Ich fühlte mich wie in einem schlechtem Film.
Erik nickte, zückte sein Handy und tippte eine Nachricht.
„Ich hab alle in meinem Büro zusammen gerufen", sagte er dann. Meine Mum nickte, sie verstand offensichtlich was Erik damit meinte.
Ich hingegen verstand gar nichts.
„Was passiert hier, könnt ihr mir bitte sagen, was das alles zu bedeuten hat", ich meldete mich nun, dass erste mal seit der Ankunft zu Wort. Ich hatte mich nun schon die ganze Zeit geduldet. Jetzt wollte ich endlich wissen, was hier los war.
„Wir werden es dir erzählen, nur hat dein Vater gerade oberste Priorität", Mum klang Verständnisvoll, doch lag auch ein Hauch Ärger in ihren Worten.
Ich nickte, natürlich wir mussten Dad erst in Sicherheit bringen.
„Lasst uns in meinem Büro warten", Erik trat zur Seite und hielt uns die Tür auf. Ich folgte Mum ins Innere des Gebäudes.
Erik öffnete die erste Tür neben uns. Das Büro war kleiner als erwartet. Bei dieser prunkvollen Fassade hatte ich auch einen anderen Ausmaß der Räume erwartet.
Dennoch war die Einrichtung, des Büros, sehr elegant. Der robuste Schreibtisch, der mit Papierkram übersät war, stand in Türrichtung am Ende des Raumes.
Ein nachgemaltes Bild von Vincent van Gogh ˋdie Sternennacht', hing hinter dem Schreitisch und wurde gerade, zum Teil, von einem ledernen Bürostuhl verdeckt. Rechts an der Wand, stand ein Zweisitzer in der selben Farbe. Wer auch immer das Büro eingerichtet hatte, hatte einen guten Geschmack.
„Setzt euch", Erik deute auf die beiden Stühle vor dem Tisch. „Sie sollten gleich alle da sein".
Ich wusste nicht wen genau er mit alle meinte, doch tat ich es meiner Mutter gleich und setzte mich. Gerade als ich es mir bequem gemacht hatte, öffnete sich die Tür. Eine Schar von Menschen trat ein. Junge und auch mittelalte Frauen und Männer, befüllten nun den jetzt fast schon zu kleinen Raum. Einige nickten und lächelten Mum zu. Die geistesabwesend zurück grüßte.
Gerade als Erik begann der Menge zu erzählen, was Mum ihm davor geschilderte hatte, öffnete sich erneut die Tür.
Zwei Männer traten ein, aufgrund der Menschenmenge konnte ich beide nur kurz sehen, doch dieser eine Blick genügte. Denn einen der beiden kannte ich. Ich würde ihn immer erkennen, dieses markante Gesicht, die bernsteinfarben Augen, in die ich mich jederzeit verlieren konnte.
Noah.
Mein Gehirn setzte aus, doch ich musste mich konzentrieren. Vater war jetzt wichtiger.
„Also ihr wisst wie es abläuft", vollendete Erik schon. Was er davor gesagt hatte wusste ich nicht, doch wahrscheinlich hatte er lediglich die Situation erläutert.
„Ich komme mit", Mum stand auf und sah Erik entschlossen an, der protestierend die Arme hob.
„Martina, nein...", Mum unterbrach ihn.
„Du wirst mich nicht davon abbringen", sie war so ein Sturkopf.
Erik nickte zögerlich, wahrscheinlich kannte er auch diese Seite von Mum. Wenn sie sich was vorgenommen hatte, würde sie es auch umsetzen.
„Mum, kann ich auch mit?", ich wollte sie begleiten. Ich wollte sie nicht allein ziehen lassen, ich wollte nicht , dass sie mich verlies. Nicht nachdem ich gesehen hatte, wie korrupt der Angreifer gewesen war. Ich wollte nicht schon wieder einen geliebten Menschen allein lassen, nicht nachdem ich es schon bei Dad getan hatte. Und außerdem konnte ich, falls nötig, erste Hilfe leisten.
„Nein", ertönte es gleichzeitig von Mum und Erik.
„Es ist gefährlich, wir würden dich nur in Gefahr bringen. Ich werde dir alles erzählen, wenn ich wieder zurück bin",versprach sie. Sie würde mich in Gefahr bringen? Aber tat sie es nicht auch? Sie würden sich doch alle in Gefahr bringen, wenn sie jetzt aufbrechen würden. Doch sagte ich nichts dazu.
Wenige Minuten später saß ich mit Erik allein im Büro. Er trommelte unsicher mit den Fingern auf dem Marmortisch.
„Ich weiß jetzt gar nicht was ich sagen soll", äußerte er sein Unbehagen.
„Sag mir endlich was hier los ist und hör bitte auf mit deinen Fingern zu trommeln, dass macht mich nervös".
„Tschuldige", sofort nahm er seine Hand vom Tisch. „Sollen wir nicht warten bis deine Mutter wieder kommt?", immer noch schaute er mich befangen an.
„Bitte Erik, ich hab jetzt lang genug gewartet", ich wollte nicht länger warten. Und bis Mum zurück war, konnte es noch dauern und solang wollte ich mich nicht mehr gedulden.
„Ok", er hielt inne. „Wo soll ich anfangen".
Ich ließ ihm die Zeit, um sich zu sortieren.
„Es begann schon vor langer Zeit, wann genau es begann kann ich dir gar nicht sagen. Die Anführer dieser Gruppe gehen auf deine Familie, mütterlicherseits, zurück. Es wurde bereits unter drei Generationen weitergegeben".
„Du bist mein Onkel?", unterbrach ich ihn geschockt.
„Nein, nein. Ich bin nicht dein Onkel, deine Mutter hat keine Geschwister. Aber ich erzähle dir alles von Anfang an. Also wie du wahrscheinlich weißt, war dein Ururgroßvater auch Arzt, Neurologe und Psychiater."
Ich nickte.
„Außerdem forschte er viel auf dem Gebiet der Medizin und entwickelte, zur therapeutischen Zwecken, eine Art Maschine. Diese Maschine löscht Emotionen und das Denken eines Menschen, ohne körperlichen Schaden zuzufügen. Der Mensch ist äußerlich kaum verändert, er kann laufen, essen, sich waschen. Aber er hat eben keine Gefühle mehr, er kann sich nicht mehr an die Vergangenheit erinnern, er folgt Anweisungen, weil er keine eigenen Entscheidungen mehr treffen kann."
„Willst du mich auf den Arm nehmen? Das ist unmöglich", mein Menschenverstand hatte eingesetzt, Medizinisch gesehen war es unmöglich. Die Medizin war sehr weit fortgeschritten, und heutzutage konnte man sehr viel, aber das Bewusstsein und das Denken zu löschen war unmöglich. Und in der Zeit meines Ururgroßvaters waren selbst Appendektomien, wahrscheinlich, noch undenkbar.
„Nein, nein, dass ist nicht meine Absicht. Ich weiß wie sich das anhört, anfangs hatte ich auch nicht geglaubt, dass es möglich ist, weil es gegen alle Medizinischen Erkenntnisse verstoßt. Aber dann traf ich einen, der durch diese Maschine eben kein Mensch mehr war, einen sogenannten Killer. Und du hast heute auch einen getroffen".
Er hielt kurz inne. Eigentlich wollte ich ihm widersprechen, ich wollte ihm sagen, dass er aufhören sollte mir so einen Quatsch zu erzählen. Das Nervensystem und das Gehirn waren viel zu komplex, um lokal das Denken und die Gefühle auszulöschen. Außerdem wie konnten Bewegungsabläufe dann vorhanden bleiben? Die wurden auch vom Gehirn gesteuert. Wie sollte das denn gehen?
„Dein Ururgroßvater hatte es bei einem Patienten getestet, der im Anfangsstadium einer Demenz war. Der Patient bekam wohl mit, wie die Störung des Gedächtnis, des Urteilsvermögens, der Orientierung immer mehr Abnahm. Als Arzt musste er seinen Patienten aufklären und eben auch, dass Alzheimer nicht heilbar ist. Das traf ihn so sehr, dass er in die neuartige Therapie, die nur dein Ururgroßvater anbot, einwilligte. Doch das Resultat hatte dein Ururgroßvater so nicht gewollt. Wahrscheinlich hatte er geplant, dass nach der Auslöschung nun der neu start kam, doch der kam nicht. Der Patient war nun die Perfekte Waffe.
Ab dem Zeitpunkt forschte dein Ururgroßvater nun an eine Maschine, die sein Fehler wieder rückgängig machte. Doch bis heute wissen wir nicht, ob ihm das gelungen ist.
Er räusperte sich.
„Eines Tages als er nach Hause kam, waren der Killer und seine Frau beide verschwunden, auch die Maschine hatten sie mitgenommen. Nur sie hatte von seiner Erfindung gewusst. Dein Großvater hatte nun nicht nur eine Tochter, um die er sich jetzt, alleine, kümmern musste, sondern auch das Problem, dass mit seiner selbst gebauten Waffe, nun die Menschheit in Gefahr war. Also gründete er diese Organisation, um seine Maschine, mit Menschen denen er vertraute, wieder zurückzuholen. Er wusste nicht, wohin seine Frau damit verschwunden war und zu welchem Zweck die Maschine nun eingesetzt wurde. Bis er die Killer im Kampf begegnete. Sie wurden immer mehr, produziert von jemandem, den wir bis heute nicht ausfindig machen konnten. Wir vermuten, dass es ebenfalls eine Organisation ist, die böse Absichten haben".
Er hatte mich immer noch nicht überzeugt. „Angenommen ich glaube dir, aber was hat es mit meiner Familie zutun. Also meine Vorfahren waren, nach deiner Erzählung, der Kopf dieser Sache, doch was hat es heute mit uns zutun?"
„Anfangs hatte ich ja gesagt, dass der ˋAnführertitel' von Generation zu Generation, in deiner Familie, weitergegeben wurde. Deine Mutter war das einzige Kind von deinen Großeltern, als wurde sie nach dem ableben beider zur Anführerin."
„Meine Mutter war hier Anführerin?", irgendwie war dass hier alles so surreal.
Er nickte. „Und dein Vater war hier Kämpfer".
„Kämpfer?"
„Ja, wir kämpfen darum die Menschheit zu erhalten und die Maschine deines Ururgroßvaters in Sicherheit zu bringen. Darum nennen wir uns Kämpfer".
„Gegen was kämpft ihr genau?", ich hatte schon verstanden, dass sie hauptsächlich gegen Killer kämpften, aber wer erschuf diese?
„Und wie besiegt ihr die Killer, tötet ihr die?", sie konnten ja keine eigenen Entschlüsse mehr treffen. Also kämpften sie nicht willentlich.
„Nein, wir betäuben sie beim Kampf und nehmen sie dann mit. Nach der Betäubung ist ihr Auftrag gelöscht. Wir haben ein Quartier, hier auf dem Geländer, für sie errichtet, indem sie bekommen was sie brauchen. Sie sind hier am Sichersten aufgehoben, weil so gut wie alle Kämpfer hier leben. Damit sind die Killer hier gut bewacht und geschützt.
Doch brauchen wir endlich etwas, was uns hilft die Menschen wieder zurückzuholen. Wir sind drei Ärzte, zwei Neurologen und ich. Wir versuchen unser Bestes, doch gelingt es uns nicht. Wir wissen nicht, wie die Maschine das Gehirn so verändern kann, eigentlich dürfte es nicht funktionieren", Erik atmete hörbar aus und plötzlich sah er unfassbar müde und traurig aus. Die Fassade des lebensfrohem, gut gelauntem Erik aus dem Krankenhaus war nun gesunken, er war plötzlich ein anderer.
„Warum ist Mum nicht mehr die Anführerin?"
„Als sie mit Aaron schwanger war, entschlossen sie beide, dein Vater und deine Mum, auszutreten. Sie wollten eine Familie, die nicht ständig im Kampf leben muss. Sie wollten euch eine unbeschwerte Kindheit, ein unbeschwertes Leben ermöglichen. Was bis heute auch gut gelungen ist."
„Ich verstehe nicht warum sie uns bis jetzt in Ruhe gelassen und jetzt erst angegriffen haben?"
„Es besteht schon seit längerem eine Hypothese, dass die Forschungsergebnisse deines Ururgroßvater immer noch existieren. Es wird angenommen, dass nur einem, aus eurer Familie, der Durchbruch gelingen wir. Dass nur ihr eine Maschine entwickeln könnt, die die Menschen wieder heilen, das Gedächtnis wieder herstellen kann. Deine Eltern wurden bisher in Ruhe gelassen, weil von ihnen keine Gefahr ausging. Beide haben keine Kenntnisse in der Medizin. Doch bei dir sieht es anders aus und ich denke, dass der Killer nur deinetwegen da war. Er wollte dich auslöschen, damit du nicht zur Gefahr wirst".
„Ich zur Gefahr?", wieso sollte ich zur Gefahr werden? Ich hatte mein Studium ja noch nicht mal abgeschlossen und von der Idee, das Gedächtnis eines Menschen zu verändern, war ich ganz weit entfernt. Ich war ja immer noch davon überzeugt, dass es nicht mal möglich war. Wie sollte ich da zur Gefahr werden?"
Ich erschrak, als Eriks Handy plötzlich klingelte.
„Erik", meldete er sich. Dann wurde er kreidebleich.
„Paul ist tot?"
Ich sprang von meinem Stuhl, stürmte zu Erik und riss ihm sein Telefon aus der Hand.
„Dad ist tot?"
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