44. Schwestern
Unruhig stand ich vor dem riesigen Gebäude des antiken Theaters. Die Sonnenstrahlen fielen warm auf mein Gesicht.
Aber das ungute Gefühl wollte mich einfach nicht mehr loslassen, genauso wie die Anspannung in meinem ganzen Körper.
Suchend sah ich mich zwischen den Touristen um und hielt Ausschau nach Bella. Ich wusste nicht, wie lange es noch dauern würde, bis sie es hierher schaffte. Aber ich hoffte inständig nicht lange, denn je länger ich hier stand, desto wahrscheinlicher würde mich jemand entdecken.
Ich versuchte mich auf die Menschen, um mich herum zu konzentrieren, verbannte jeden Gedanken aus meinem Kopf. Einfach normal wirken, wie die Touristen.
Die meisten Menschen standen in kleinen Gruppen vor dem Gebäude, bestaunten die Architektur und machten unzählige Fotos. Einfache Touristen eben, die ihren Urlaub genossen. Mein Blick fiel auf eine junge Frau mit dunklen Haare, die ihre Arme in den Nacken, eines größeren Mannes legte und dabei bis über beide Ohren grinste. Der Mann setzte die Sonnenbrille ab, lehnte sich vor und küsste sie.
Ein Stich erfasste mich bei dem Anblick, der Nähe und Vertrautheit zwischen den Beiden. Es war alles, was ich heute verloren hatte, für immer. Also wandte ich meinen Blick wieder von den Beiden ab.
Ich durfte jetzt nicht an ihn denken.
Noch während meines Gedankens spürte ich eine Berührung an meiner Schulter. Erschrocken drehte ich mich um und erkannte Bella die vor mir stand.
Sofort breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus, als sie mich in ihre Arme schloss. Wie lange hatten wir uns nicht mehr umarmt? Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an.
Wir lösten uns wieder voneinander, sodass ich erst jetzt realisierte, dass sie ihre Haare gefärbt hatte.
Ihre langen braunen Haare waren zu einem blonden Bob, dessen Haare gerade so ihre Schultern berührten, geworden. Zu meiner Überraschung sah es unglaublich gut aus, denn die hellen Haare hoben ihre grünen Augen hervor, und die markanten Wangenknochen.
»Du siehst so gut aus, Bella.«
Auf ihrem Gesicht breitete sich ein verschwörisches Grinsen aus.
»Mutter ist vor Schock fast gestorben, als sie meine Haare gesehen hat, aber ich liebe sie«, erzählte sie schadenfroh grinsend.
Ich konnte auch nicht anders und musste auch lachen, bei der bloßen Vorstellung meiner Mutter, wie sie Bellas Haare sah.
Meine Mutter hasste Veränderungen, vor allem wenn es um unsere Haare ging. Sie war immer der Meinung, mit natürlichen Haaren, würden wir bessere und mächtigere Ehemänner finden.
Gefärbte Haare waren etwas für andere Mädchen, nicht für uns.
Nur machte es keinen Unterschied, ob wir gefärbte Haare hatten oder nicht, denn die Entscheidung lag bei unserem Vater. Sein Wort war Gesetz.
»Es war der mit dem Prada Mantel, oder? Er hat Giulio umgebracht und dich gerettet«, schlussfolgerte Bella, ohne mich aus den Augen zu lassen und wechselte damit knallhart das Thema.
Sie wusste viel zu viel, nur woher? Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.
»Es war die Paura, aus Rache, dass ich überlebt habe«, gab ich zurück, ohne auf ihre Frage einzugehen und ohne auf Damiano einzugehen.
Ich konnte ihr das nicht alles sagen, es könnte sie in Lebensgefahr bringen. Vor allem, da ich Bella genau kannte, sie war sich der Gefahr, in der wir schwebten, nicht bewusst.
Hier war es besser weniger zu wissen um zu überleben.
Bella verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust.
»Und was willst du jetzt tun? Vater wird dich umbringen nach dieser Hochzeit, er schäumt nur so vor Wut. Er weiß von Damiano, Ella, er weiß, wer dich gerettet hat und er wird ihn finden.«
Ein Schaudern durchlief meinen ganzen Körper.
Ich wusste, mein Vater musste Bescheid wissen, aber was sollte ich tun?
Schließlich konnte ich Damianos Leben nicht aufs Spiel setzen, genauso wenig wie ich ohne einen Plan fliehen konnte. Ich konnte nur zurück zu meiner Familie, ich hatte keine Wahl.
Egal wie viel Angst der Gedanke mir bereitete, ich musste das tun.
»Ich kann nichts anders machen, Bella! Vater wird mich so oder so wieder in seine Finger bekommen«, hielt ich dagegen, versuchte es ihr verzweifelt zu erklären.
Aber Bella legte nur kopfschüttelnd ihren Kopf schief.
»Würdest du mir einmal in deinem Leben zuhören, Ella! Ich bin hier, um dir hier heraus zu helfen«,verriet Bella mit gesenkter Stimme.
Ungläubig starrte ich sie an, realisierte erst langsam, was das bedeutete. In was zog ich Bella hier eigentlich hin ein?
Das war ein riesiger Fehler gewesen. Wenn meine Flucht offensichtlich wurde, war Bella dem Zorn meines Vaters ausgesetzt.
Ich wollte etwas sagen, doch Bella zog mich an meinen Arm weiter in den Schatten eines Baumes, noch bevor ich etwas sagen konnte.
»Es ist alles schon organisiert, Ella, du musst nur mitkommen. Niemand wird dir etwas antun können«, versprach sie.
Entsetzt starrte ich sie an. Das konnte nicht wahr sein.
Was hatte Bella bloß getan? Verdammt, ich hätte besser auf sie aufpassen müssen.
Denn wenn sie eine Fluchtmöglichkeit für mich hatte, musste sie mit jemandem zusammenarbeiten oder Informationen weitergeben.
Das war Hochverrat an unserer Familie.
Ich riss meine Hand von Bella los.
»Du begehst Hochverrat, Bella, warum? Du weißt, was das bedeutet, dein Leben steht auf dem Spiel!«, konfrontierte ich sie, meine Stimme bebte vor Wut.
Doch Bella wich mir nicht aus, im Gegenteil, sie sah mir weiter in die Augen und stritt es nicht ab. Stritt den Hochverrat nicht ab, sondern stellte sich mir bewusst.
»Aber es ist der einzige Ausweg El. Ich rette uns damit das Leben, sowie du deins gerettet hast mit Hilfe von Damiano.«
Ich schnaubte nur, es war kein Ausweg für mich. Sondern nur ein Weg, Bella noch weiter in Schwierigkeiten zu bringen.
Ich war ein Risiko für Bella, ohne mich waren ihre Chancen besser. Ihre Chancen auf ein Leben in Freiheit, ohne Gewalt. Als ihre große Schwester, musste ich sie beschützen. Denn sie war die Einzige Person in meinem Leben, die ich nicht verlieren durfte, niemals.
»Vergleich das nicht mit ihm, das ist etwas ganz anders! Kennst du die Person überhaupt? Wer ist es, verdammt nochmal?«, fragte ich, meine Stimme bebte immer noch vor Wut.
Einen Moment lang wich Bella meinem Blick aus, bevor sie mich wieder ansah und antwortete:
»Ein Freund, er kennt sich mit so etwas aus und kann uns helfen. Ich vertraue ihm. Vertrau mir, Ella dieses eine Mal ... bitte.«
Ich konnte das nicht.
Darauf vertrauen, dass alles gut werden würde, denn ich wusste, wie die brutale Realität aussah. Mein Vater suchte mich und wenn Bella mir zu einer Flucht verhalf, würde ihr Name auch auf die schwarze Liste gesetzt. Und nicht nur mein Vater würde sie suchen sondern auch die Paura, wenn ich bei ihr blieb.
Früher oder später kam alles heraus, das hatte ich auf schmerzhafte Art und Weise gelernt.
Zu allem Überfluss wusste ich nicht einmal genau, worauf sich Bella überhaupt eingelassen hatte. Ob die Person loyal war, oder doch nur ein Spiel spielte.
»Bella du musst gehen, alleine. Die Paura sucht nach mir und Vater, sie werden uns beide verfolgen. Wenn ich mit komme ist es viel gefährlicher für dich und das kann ich nicht zulassen«, erklärte ich und wollte nach Bellas Hand greifen. Doch Bella befreite ihre Hand aus meinem Griff, wich ein paar Schritte zurück. Vergrößerte den Abstand zwischen uns.
»Du hast immer nur Angst Ella! Ich gehe mit oder ohne dich, Ella, aber ich werde mein Leben nicht mehr so leben, ich will frei sein! Das ist deine letzte Chance auf Freiheit, Ella.«
Schockiert starrte ich sie an.
Jeder Muskel in meinem Körper erstarrte, als wir uns gegenseitig anstarrten.
Sie wusste nicht, was sie da sagte. Sie wusste nicht wie unsere Welt war.
Was sie damit auslöste.
Trotz der Wut und Verzweiflung in mir fühlte ich einen Stich in mir. Bella war mutig genug, das Risiko einzugehen, während ich es nicht eingehen konnte. Dafür war sie mir zu wichtig.
Eine Träne trat in meine Augen, als ich einen Schritt zurücktrat. Bella blieb aber stehen. Ich wusste genau, sie würde nicht mehr zurückkommen, ihre Entscheidung stand fest und nicht einmal ich konnte sie davon abhalten.
»Ella, du musst leben, irgendwann wird jeder von uns sterben«, flüsterte Bella, streckte ihren Hand nach mir aus.
Hin- und hergerissen stand ich da, inmitten der Touristen. Mein Herz wollte gehen, doch ich konnte es nicht.
Ich hatte nicht das Recht dazu, noch mehr zu zerstören. Das Einzige was ich tun konnte war sie zu beschützen.
Ein Kloß stieg in meinem Hals auf bei dem Gedanken, mich stellen zu müssen, den Konsequenzen und Bella möglicherweise nie wiederzusehen.
Wie in Trace trat ich einen Schritt zurück, versuchte dabei zu lächeln, ein letztes Mal wenigstens.
Obwohl ich kläglich an dem Versuch scheiterte. Das konnte ich an den Tränen sehen, die in Bellas Augen traten, als sie ihre Hand zurückzog. Mit einer Hand wischte sie die Tränen von ihrer Wange, doch sofort flossen neue Tränen nach.
»Sie sind Monster, und Monster kennen keine Gnade«, warnte sie mich, dabei zitterte ihre Stimme hörbar.
Es zerriss mich, sie so zu sehen, denn Schmerz in ihren Augen beinahe körperlich zu spüren.
»Ich muss mich den Monstern stellen oder sie holen mich und dich.«
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Doch ich spürte, wie sie meine Wangen hinab liefen, als ich noch einen Schritt zurücktrat.
»Wenn du gehst, darfst du nie wieder zurückkommen.«
Selbst wenn ihr die Flucht gelang, ein falscher Schritt und sie wäre tot.
Bella verschränkte ihre Arme noch fester ineinander, wollte etwas sagen, doch ich unterbrach sie.
»Ich werde sie so lange es geht hinhalten.« Damit wandte ich mich von ihr ab, ließ sie gehen. Meine Finger gruben sich so fest in meine Haut, dass die Knöchel weiß anliefen, doch ich spürte den Schmerz kaum.
Das Gefühl der Leere überdeckte alles.
Und doch war das einzig Richtige. Ich beschleunigte meine Schritte, um mich nicht noch einmal nach Bella um zu drehen.
Ich musste weiterlaufen, bevor ich sie noch in eine viel größere Gefahr brachte, als sie sowieso schon war.
Ein Schrei ließ mich zusammenfahren, Bellas Schrei. Ohne zu zögern, drehte ich mich um.
~1656
„I don't wanna say goodbye"
~In The Stars von Benson Boone
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