36. Zeit
Vor Panik wich ich vor dem maskierten Mann neben mir immer weiter zurück. Bis ich mich mit rasendem Herzen in die hinterste Ecke des Kofferraums presste.
Immer stärker drückte ich meinen ganzen Körper in die Ecke, versuchte, so viel Anstand zwischen uns zu bringen wie nur möglich. Er starrte mich durch den schwarzen Netzstoff vor seinen Augen an, in seiner Hand immer noch die Waffe. Vor Panik schlang ich meine Arme um meine Beine, um noch weiter von ihm entfernt zu sein.
Doch er machte keine Anstalten, mich daran zu hindern, stattdessen steckte er seelenruhig seine Pistole zurück in das Holster an seinem Oberschenkel. Trotzdem senkte meine Brust und hob sich immer noch viel zu schnell, während jeder Muskel in meinem Körper zitterte.
Aber ich wagte es nicht, mich zu bewegen, denn ich hatte keine Waffe, er im Gegensatz zu mir schon. Mein Blick fiel auf Giulios Ring um meinen Finger - Gold mit einem kleinen Diamanten. Vor mir sah ich, wie Giulios Blut sich auf seinem weißen Hemd ausbreitete. Meine Finger krampfen sich noch fester um den Stoff des Kleides, als ich mich dazu zwang, den Kopf zu heben. Der Mann, der an der Kofferraumtür lehnte, trug nur schwarz, sein Kopf war immer noch von einer Sturmmaske verdeckt, ebenso wie seine Augen.
In dem Moment zog er die Sturmmaske von seinem Kopf. Mein Herz setzte für mehrere Sekunden aus, als sich unsere Blicke trafen.
»Damiano ...«, brachte ich nur über meine Lippen, bevor ich mich aus meiner Starre löste, in seine Arme fiel.
Er breitete seine Arme aus und ich lehnte an seine Brust. Tränen traten in meine Augen, als Damianos Hände mich noch näher an sich heranzogen, mich festhielten, mir Halt gaben.
Ich spürte das schnelle Heben seiner Brust und seinen Atem, der auf meine Haare traf. Für mehre Sekunden schloss ich meine Augen, genoss das Gefühl ihn so nah an mir zu spüren.
Wir hielten uns aneinander fest, die Zeit schien still zu stehen, bis Damiano sich schließlich etwas von mir löste, damit wir uns in die Augen sehen konnten.
»Ich konnte es nicht, Ella. Ich konnte nicht zulassen, dass dich dieses Arschloch bekommt ...«, setzte Damiano zu einer Erklärung an, doch ich ließ ihn nicht ausreden, sondern unterbrach ihn: »Ohne dich hätte ich das niemals überlebt.«
Damianos Finger strichen langsam mein Kinn entlang.
»Als ich gesehen habe, wie er dich angefasst hat, dir weh getan hat. In dem Moment war ich so wütend auf mich, darauf, dass ich dich nicht vor ihm beschützen konnte.«
Bei dem Gedanken, wie Giulio mich berührte, versuchte mich zu vergewaltigen, durchfuhr mich ein Schaudern. Ich verbannte die Gedanken sofort. Damiano konnte nichts dafür, es war meine Entscheidung gewesen, nicht mit ihm zu gehen.
»Du hast mich vor ihm beschützt. Er ist tot und er kann niemandem mehr etwas antun«, beteuerte ich und versuchte Damiano das schlechte Gewissen auszureden.
Obwohl es falsch war, empfand ich eine unglaubliche Erleichterung, dass Giulio tot war. Nur so konnte er mir nichts mehr antun.
»Wenn ich könnte, würde ich ihn qualvoll sterben lassen«, betreute Damiano, seine Kiefermuskeln spannten sich dabei deutlich an. Ich wusste, hätte er die Chance dazu gehabt, hätte er es getan. Obwohl ich es diese Seite von Damiano nie erlebt hatte, wusste ich er hatte diese brutale Seite.
Um in dieser Welt zu überleben, musste man brutal sein. Sonst kam jemand, der noch brutaler und skrupelloser war, übernahm deinen Platz. Nur das es mir bei Damiano keine Angst machte.
Damianos Hände strichen langsam mein Gesicht entlang. Hinunter zu der Narbe, auf meinem Dekolleté, die unter dem durchsichtigen Stoff sichtbar waren.
Trotz des Drangs zurückzuzucken, tat ich es nicht. Seine Fingerspitzen fuhren sanft über die Narben. Dabei ließe er mich keine einzige Sekunde aus den Augen. Ich spürte, wie seine Hand wieder nach oben strich. Über meinen Nacken zu meinen Haaren, die in einem Knoten, aus dem ein paar Locken fielen, zusammengebunden waren.
»Sie fühlen sich so schön weich an, ich hatte ganz vergessen, wie sie sich anfühlen.«
Ich konnte gar nicht anders als zu lächeln bei seinen Worten.
Damiano zog langsam die Haarnadeln heraus, mit einer Vorsicht, die ich nicht erwartet hätte.
Er zog alle Haarnadeln nach und nach heraus, bis meine Locken offen über meine Schultern fielen.
»Ich habe dich so unglaublich vermisst, Ella, deine Locken, deine Stimme ... einfach alles.«
Mein Herz schlug noch schneller, aber nicht aus Panik, sondern weil tausende Schmetterlinge in meinem Körper aufsteigen. Langsam zog mich Damiano näher an sich heran, bis sich unsere Lippen fast berührten.
»Aber wir sind nicht gut für einander, Ella.«
Ich wusste, es war die Wahrheit - wir waren nicht gut für einander, denn wir waren Feinde und niemand konnte sich den Regeln unterziehen, ohne zu sterben. Was wir taten, war Hochverrat, an unseren Familien, an unseren Überzeugungen, an der einzigen Regel, an die wir uns halten mussten.
Und trotzdem konnten wir nicht loslassen voneinander, egal wie falsch diese Illusion auch sein mochte.
»Aber wir können trotzdem nicht anders«, sprach ich flüsternd die Wahrheit aus, bevor unsere Lippen endlich aufeinander trafen. Augenblicklich erfasste mich dieses elektrisierende Gefühl, sobald sich unsere Lippen taten, unsere Körper sich immer näher aneinander pressten. Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren, während sich unsere Zungen trafen. Dieser Kuss war genau das, was ich brauchte, keine Sanftheit, sondern reines Verlangen.
Schwer atmend lösten wir uns schließlich voneinander.
Ich hörte Damianos schweren Atem, während er meine Haare wieder losließ und etwas Raum zwischen uns brachte.
Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen, bevor ich sie wieder öffnete, doch mein Herz schlug genauso schnell wie zuvor.
Damianos Blick lag unverändert auf mir - aber auf dem Ring um meinen Finger. Sofort glitt mein Blick zu Giulios Ring, den ich immer noch an meinem Ringfinger trug.
Langsam hob ich meine Hand, zog den Ring ohne zu Zögern von meinem Finger. Eine unglaubliche Erleichterung durchfuhr mich, ihn nicht mehr tragen zu müssen.
»Er ist tot, ich bin nicht mehr seine Frau und bin es auch nie gewesen.«
Damit ließ ich den Ring auf den Boden des Kofferraumes fallen, ohne ihn weiter zu beachten. Mir war egal, was mit ihm passierte, denn Giulio hatte es geliebt, mich leiden zu sehen.
Stattdessen zog ich den Ring von Damiano unter meinem Oberteil hervor, denn ich wusste, es wäre nicht richtig ihn weiterzubehalten.
»Er gehört dir, Damiano, ich kann ihn nicht nehmen«, erklärte ich und wollte ihm den Ring wieder zurückgeben.
»Ich will, dass du ihn trägst, Ella, ich will an dich denken und diesen Ring um deinen Finger sehen.«
Auf Damianos Gesicht breitete sich ein kleines Lächeln aus, als er den Ring in die Hand nahm und meine Hand festhielt.
Er steckte den Ring an meinen Ringfinger an. Protestierend wollte ich meine Hand wegziehen, doch Damiano hielt sie fest, zwang mich dazu, ihm wieder in die Augen zu sehen.
»Damiano wir werden keine Zukunft haben, es ist unmöglich.«
Doch Damiano ließ meine Hand mit dem Ring immer noch nicht los.
»Aber wir haben das hier, jetzt, zusammen«, widersprach er, ließ meine Hand dabei immer noch nicht los. Für einen Moment sah ich zu Boden, denn ich hielt es nicht aus, Damianos Blick und dieses Verlangen, ihm wenigstens für diesen einen Moment zu glauben.
»Manchmal reicht das jetzt nicht aus.«
Damianos ließ mit einem Mal meine Hand los, packte mich an der Taille, zog mich auf ihn, bis sich unsere Oberkörper berührten und ich auf seinen Oberschenkeln saß. Aus Reflex wollte ich zurückschrecken, doch Damianos Hände hielten mich erbarmungslos fest.
»Verdammt Ella, reicht das dir nicht, dass ich versuche dich zu beschützen? Ich würde dich vor allem beschützen, wenn du mich nur lässt«, konfrontierte er mich, dabei konnte ich Wut und Verzweiflung aus seiner Stimme hören. Seine Finger hielten mich weiter fest und nahmen mir damit die Möglichkeit zu fliehen. Zu flüchten vor der Wahrheit.
Ich wich seinem Blick aus, als ich leise antwortete: »Wenn ich dich lassen würde, wird Blut fließen und ich werde dein Leben ruinieren.«
Ich hob mein Kinn und sah Damiano wieder an, sein Blick zerstörte mich in dem Moment. Denn ich sah die Verzweiflung und die Wut in ihm, eine Seite, die ich nicht von ihm kannte.
Es reichte mir, das, was wir zusammen hatten und doch war es nicht genug. Obwohl es mehr war als ich mir jemals wünschen konnte, reichte es nicht.
»Unser Leben ist immer ein Risiko, egal was wir tun«, hielt Damiano dagegen, ich konnte dabei die Verzweiflung zwischen uns fast körperlich spüren.
Natürlich hatte er recht, unser Leben bestand nur aus Risiken, doch ich hatte lernen müssen, dass manche Risiken es nicht wert waren einzugehen. Und doch schien mein Herz mit jeder weiteren Sekunde zu brechen, denn ich wusste nicht, was es wert wäre, ohne ihn weiterzuleben.
Nichts.
»Ich bringe dich erstmal an einen sicheren Ort, danach kannst du immer noch frei entscheiden. Vertrau mir dieses eine Mal, Ella, selbst wenn es das letzte Mal ist«, bat er mich, so als würde er meine innere Zerrissenheit spüren können.
Ich war hin- und hergerissen zwischen meinem Herzen und meinem Kopf. Aber ich wusste auch, dass ich nicht so schnell zurück zu meinem Vater konnte. Nicht ohne einen klaren Plan zu haben, wie ich das überleben sollte. Er hielt mich für eine Verräterin, seine Tochter, die seinen besten Mann ermorden ließ. Bei dem Gedanken erschütterte mich mein schlechtes Gewissen, ich war verantwortlich für die Schießerei, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte.
Aber ich drängte den Gedanken zurück und fasste mir ans Herz, als ich zu Damiano aufsah.
»Dieses Mal - du bist die Person, der ich am meisten vertraue, das weißt du.«
Bei meinen flüsternden Worten zog mich Damiano in seine Arme, drückte mich an sich, so als hätte er Angst, mich jede Sekunde verlieren zu können. Meine Finger krampfen sich um den weichen Stoff seines Oberteiles, hielten sich an ihm fest und gleichzeitig sprach ich die unausgesprochenen Gefühle zwischen uns aus. Die ich niemals sagen durfte.
»Du wirst es niemals bereuen, Ella.«
~1693
Ich finde die beiden zusammen so süß, aber die Frage ist, wie wird es jetzt weitergehen ?
„But why i love you, I'll never know"
~Why i love you von Jay-Z & Kanye West
❤️
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