17. Abschied vorerst
Langsam öffnete ich meine Augen, die Sonne ging langsam wieder auf. Warmen Lichtstrahlen trafen auf mein Gesicht.
Mein Blick wandte sich zu Victorio, der immer noch konzentriert fuhr, sein Blick auf die Straße gerichtet. Anscheinend konnte er doch gut fahren. Jedenfalls fuhr er nicht lebensgefährlich schnell.
»Du fährst doch ganz gut«, murmelte ich lachend, wobei ich meine verkrampften Arme ausstreckte.
Mein Rücken tat an der Stelle weh, wo ich getroffen worden war, wieder ein neuer blauer Fleck. Mittlerweile musste ich aussehen wie mit blauer Farbe bemalt, davon war ich überzeugt, aber es machte mir nichts mehr aus. Ich lebte, hatte die Hölle überlebt.
Victorio lachte leise.
»Siehst du, ich hatte recht«, gab er grinsend zurück, sein Blick blieb aber auf die Straße gerichtet.
Gespielt, genervt, verdrehte ich die Augen.
»Warum haben sie uns nicht verfolgt?«
»Der Sprengstoff hat seine Arbeit getan, jedenfalls bis jetzt. Aber wir sind in ein paar Minuten in Palermo«, erklärte er.
Palermo, meine Familie und die Liberta.
Ein Schaudern erfasste mich, auf einmal hatte ich wieder Angst. Was sollte ich tun, was würden sie tun?
Der Gedanke, ihnen wieder in die Augen zu schauen, ließ mich erschauern.
Ich musste in die Familiengeschäfte einsteigen und meine Familie mit Ehre erfüllen, es war meine Pflicht.
Egal was es war, es sollte ein Privileg für mich sein, aber es fühlte sich nicht so an.
Es fühlte sich so an, als würde ich von einem ins nächste Gefängnis wandern. Ich verdrängte die Gedanken wieder, da mir bewusst wurde, wie falsch es von mir war.
Meine Familie war das Einzige, was ich hatte, ich konnte sie nicht auch noch verlieren.
»Gehörst du auch zur Paura?«, fragte ich Victorio. Ich wusste nicht, ob er mir wirklich antworten würde, aber diese Frage ließ mich nicht los.
»Nein, ich kenne Damiano zufällig über unsere Schule, aber ich arbeite bei der Security.«
Überrascht zog ich meine Augenbrauen nach oben, Security? Es erklärte immerhin seine Fahrweise und das Scharfschützengewehr.
»Und du bist die Tochter des mächtigsten Mafiosis Siziliens«, schlussfolgerte Victorio.
Ich wandte beschämt meinen Blick auf die Straße ab.
Tochter von Fabio de Parisi, nicht mehr und nicht weniger und trotzdem war ich es nicht wert, gerettet zu werden.
Der Gedanke daran, wer ich war, holte mich wieder in die brutale Realität.
Realität war, meine Familie war brutal, grausam und vor allem herzlos zu jedem, der sich ihnen in den Weg stellte.
»Ja, aber wärst du und Damiano nicht gewesen, wäre ich jetzt tot.«
Das war die Wahrheit, mein Vater hätte mich sterben lassen, um seine Macht zu erhalten.
»Wir haben dir geholfen, aber du musst auf dich aufpassen, sonst bist du tot, glaub mir.«
Damit hielt Victorio an der Seite der Straße. Wir waren in Palermo, ein Schaudern durchzog meinen Körper, als ich die Arme fester um mich schlang.
Langsam öffnete ich die schwere Autotür. Meine Füße berührten den Asphalt des Bodens.
Ein letztes Mal drehte ich mich noch zu Victorio um.
»Danke, für alles.«
Ich wusste genau, in welche Gefahr er und Damiano sich begeben hatten, um mich zu retten. Wenn das herauskam, würden die beiden nicht mehr lange leben. Aber es war mir immer noch ein Rätsel, warum Damiano das getan hatte. Hochverrat begannen an seiner Familie.
Victorio verzog seine Lippen zu einem kleinen Lächeln.
»Pass auf dich auf, Ella.«
Einen Moment lang zögerte ich, bevor ich aus dem Auto ausstieg und die Autotür hinter mir zuschlug.
Ohne mich weiter umzuschauen, lief ich weiter über den Bürgersteig, dabei hörte ich die Geräusche der Autos, die an mir vorbeirauschten.
Mein Blick schweifte über die Straße, überall sah ich Menschen, die alle genau wussten, wo sie hin sollten. Die zielstrebig den Bürgersteig entlang liefen.
Nur ich nicht.
Sollte ich zum Anwesen meines Vaters gehen?
Oder durch die Stadt irren?
Ich hatte nur eine Wahl, ich musste zurück, Leute wie ich konnten nicht frei sein und würden es nie sein. Würde ich nicht zurückgehen, wäre ich so gut wie tot, wenn mein Vater oder die Paura mich aufspürten.
Schon jetzt konnte es für mich jeden Moment lebensgefährlich werden.
Der einzige Ausweg, war zu meinem Vater gehen, zurück zu meiner Familie.
Langsam ging ich weiter durch die Straßen und versuchte den Leuten so gut es ging auszuweichen.
Bis auf einmal ein in schwarz gekleideter Mann sich mir näherte. Mein Blick glitt sofort zum Boden, doch meine Beine begannen bereits zu zittern, während ich mich zwang, so normal wie möglich weiterzulaufen.
Die Angst ist nicht real, es ist nur eine Illusion.
Der Mann lief, ohne dass etwas passierte, an mir vorbei.
Sofort atmete ich erleichtert wieder auf, das Zittern in meinen Beinen ließ nach.
Aber das beklemmende Gefühl blieb, immer wieder schaute ich mich durch die Sonnenbrille um, als könnte mich die Angst einfach nicht loslassen.
Tief in mir wusste ich genau, dass sie mich nie wieder loslassen würde.
Meine Schritte beschleunigten sich noch mehr, als ich das Ende der Straße erreichte.
Dahinter begann die Straße meiner Familie, jeder wusste das, sogar die Polizei, weshalb sich auch meistens keiner an die Häuser wagte. Oder auch nur in die Nähe dieser Straße, denn hier herrschten unser Gesetz.
Das Gesetzt des Stärkeren, des Brutaleren.
Aber ich hatte keine Wahl, keinen Ort, wo ich hin konnte außer zurück zu meiner Familie.
Also lief ich weiter, betrat die Straße mit den prächtigsten Villen in ganz Palermo. Die Gebäude waren riesig, sahen fast wie Paläste aus, mit ihren großen verzierten Fenstern. Doch ich wusste, dass alles nur Show war, hinter der sich die Hässlichkeit verbarg, ich hatte sie am eigenen Leib erfahren.
Langsam lief ich weiter, dabei wurde ich mir der Aufmerksamkeit, der Wachposten, in den Schwarzen Autos, bewusst.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während ich weiter lief, bis ich die Villa meines Vaters erreichte. Ich konnte nur hoffen, dass er hier war.
Ohne Zögern klopfte ich an das zwei Meter hohe Tor, der Schutz vor der Außenwelt.
Ein Knacken kam aus der Gegensprechanlage.
»Chi è là?« Wer ist da?
Einen Moment lang zögerte ich. Geh einfach.
Mein Blick drehte sich zur Straße um.
Doch es war zu spät, sie hatten mich bereits gesehen. Beobachten jede kleinste meiner Bewegungen, analysierten meine Person.
»Ella de Parisi«, antwortete ich mit fester Stimme.
Sofort wurde das Tor vor mir geöffnet. Ohne die Sonnenbrille abzunehmen, ging ich weiter zum Eingang der riesigen Villa, vorbei an den Wachposten.
Ich konnte ihren Blick förmlich in meinem Rücken spüren, doch ich versuchte es auszublenden. Stattdessen versuchte ich mir die Geschichte zu überlegen, eine, in der weder Damiano noch Victorio vorkommen.
Bei dem Gedanken an Damiano durchfuhr mich ein Stich, alles, was ich von ihm hatte, waren Erinnerungen, die ich immer behalten würde.
Die weiße Tür wurde wieder geöffnet und ich durchquerte den Flur des Hauses. Ohne an dem Arbeitszimmer meines Vaters anzuklopfen, trat ich ein.
Er saß hinter seinem Schreibtisch, während sein Gesicht erstarren zu schien, als er mich sah.
Der Fremde im Raum starrte mich ebenfalls an. Die Augen meines Vaters waren von dunklen Augenringen untergraben, die man trotz seiner sonnengebräunten Haut erkennen konnte. Dieser Anblick versetzte mir Genugtuung, zu sehen, wie er gealtert war.
Meine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Una giornata fantastica, per me.« Ein fantastischer Tag für mich.
Das Gesicht meines Vaters wurde noch blasser, aber er sagte nichts.
Stattdessen starrte er mich an, ohne etwas gegen das Schweigen zu tun. Der andere Mann im Raum starrte mich ebenfalls nur an. Weshalb ich kehrt machte, sein Büro verließ und im Flur stehen blieb.
Ich war seine Tochter, also konnte ich mich frei bewegen.
Das Einzige, was ich fühlte, war eine unglaubliche Wut und Traurigkeit, es schien, als ob dieser Ort mir immer schon fremd gewesen war.
Statt nach meiner Mutter oder nach meinen Brüdern zu suchen, ging ich zurück zu meinem alten Zimmer.
Langsam öffnete ich die Tür.
In dem lichtdurchfluteten Raum stand nur noch mein Bett und beschriftete Kisten, die sich in der Mitte des Raumes stapelten.
Sie hatten meine Sachen gepackt, als wäre ich schon tot.
Mit Tränen in den Augen wandte ich meinen Blick zu meinem Kleiderschrank ab.
Langsam ging ich zu ihm und öffnete die Tür.
In dem Schrank hing nur noch eine einzige Sache.
Ein langes schwarzes Kleid.
Vorsichtig nahm ich es vom Bügel.
Es war bodenlang, mit einem Beinschlitz und trägerlos.
Sie hatte es als Zeichen, dass ich tot war, hängen gelassen, vielleicht für meine Beerdigung.
Es versetzte mir wieder einen Stich, aber ich begann trotzdem das T-Shirt auszuziehen, Damianos T-Shirt.
Darunter trug ich immer noch seine Schutzweste. Plötzlich fielen mir seine Worte wieder ein.
Das Geheimfach.
So schnell ich konnte, zog ich die Weste aus. Das Gefühl des Gewichtes auf meinen Schultern ließ endlich nach.
Darunter kamen die alten Verbände zum Vorschein sowie die Narben, doch ich beachtete sie nicht weiter, sondern konzentrierte mich auf die Weste.
An der Innenseite der Weste war wirklich ein Fach angebracht. Langsam öffnete ich es.
In meinen Händen hielt ich meine Kette, die Kette, die ich seit der Folter nicht mehr hatte.
Vorsichtig strich ich über das goldene Kreuz mit den vier Rubinen, ich trug es, seit ich denken konnte. Es war ein Andenken an eine Zeit, die schön war, in der mein Vater noch mit uns am Meer gespielt hatte. Obwohl diese Zeit so lange her war und so surreal war, trug ich die Kette jeden Tag, als Zeichen für Hoffnung und als Andenken an das kleine Mädchen, das in mir gestorben war.
Tränen traten mir in die Augen, während ich es mir wieder anzog. Vorsichtig blickte ich in den Spiegel, die Kette gab mir das Gefühl, wieder ganz zu sein, überlebt zu haben.
Damiano, er hatte sie nicht vergessen.
Bei dem Gedanken an ihn erschütterten mich wieder Tränen.
Warum war das Schicksal so?
Er war der einzige Mensch in meinem Leben, der mir so nah gewesen war und trotzdem wusste ich, dass es für uns niemals eine Zukunft geben würde, egal wo.
Meine Finger lösten die Verbände um meinen Oberkörper, bis ich schließlich nur noch in Slip vor dem Spiegel stand. Ich sah aus, als wäre ich durch die Hölle gegangen, doch ich schämte mich nicht mehr dafür.
Im Gegenteil, die Narben waren Zeichen dafür, dass ich überlebt hatte.
Langsam zog ich mir wieder das schwarze Kleid an.
Es betonte meine Figur und drückte meine mit Narben übersäten Brüste nach oben, doch ich band meine Haare nach hinten in einen Dutt zusammen.
Sie sollten sehen, was sie getan hatten, ihre eigene Tochter zerstört.
~1725
Ich weiß gar nicht was ich sagen soll...
Ella tut mir unglaublich Leid, hätte ihr euch für das Gleiche entschieden?
„Draw the cat eye, sharp enough to kill a man"
~Vigilante Shit von Taylor Swift
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