Kapitel 13
Dienstag | 01.03. | 04.00 Uhr
Es war mittlerweile Dienstag. Gestern hatte ich einen wichtigen Brief zugestellt bekommen, den ich später mit James besprechen wollte, falls seiner auch schon angekommen war, doch bevor das geschah, musste ich mich erstmal fertig machen.
Da ich wie fast jede Jugendliche in der Früh einen Blick aufs Handy warf, entging mir die Nachricht von James nicht.
Guten Morgen, Prinzessin
Wollte fragen, ob das Angebot noch steht?
Wegen des Sparzierganges
Du kannst gerne kommen.
James kam online und schrieb sofort zurück.
In Ordnung
Bekomm ich kein Guten Morgen?
Guten Morgen, James.
Ich geh jetzt duschen
Bis gleich
Bis gleich
Somit beendeten wir das Gespräch.
Wie er wohl nackt aussieht? Er muss gut aussehen, denn er war bereits unfassbar heiß, wenn er etwas anhatte.
Wahrscheinlich könntest du deinen Blick nicht von ihm lassen, Madison. Stell dir mal vor, wie göttlich er aussieht, wenn ihm die heißen Wassertropfen über seinen nackten Körper laufen.
Etwas verstört von meinen eigenen Gedanken, schüttelte ich meinen Kopf und versuchte mich abzulenken, wobei das nicht wirklich gut funktionierte, denn eigentlich wollte ich duschen gehen.
Ich raffte mich auf und ging nach der wirklich erfrischenden Dusche in mein Arbeitszimmer, um die letzten Seiten eines Buches zu lesen. Doch bevor ich überhaupt im Zimmer ankam, wurde ich durch ein Läuten unterbrochen.
Ist James schon da?
Ich schaute auf die Uhr. 4:30. Ist das nicht zu früh? Ich dachte nicht länger darüber nach, sondern ging einfach zur Eingangstür, schaute durch den Spion, entdeckte James und öffnete ihm die Tür.
»Schön, dich zu sehen.«
Wir starrten uns kurz nur – besser gesagt, ich starrte ihn an. Er sah so gut wie immer aus, trug einen schwarzen Hoodie und eine blaue Jeans, schulterte seinen Rucksack und sah mich mit seinen schwarzen Augen an, als wäre ich das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Ich lächelte, woraufhin mich James umarmte. Zwar freute ich mich über den verfrühten Besuch, fragte aber trotzdem: »Wieso bist du so früh da?«
»Ich wollte nur sicherstellen, dass du frühstückst.«
»Wieso sollte ich frühstücken?«
»Ähm...zum Leben?«
»Wieso sollte ich leben wollen?«, stellte ich ihm die Gegenfrage.
Er erwiderte nichts, ging an mir vorbei und marschierte zur Küche.
»Was willst du machen?«
»Ein Spiegelei oder so etwas«, meinte er, »Und wir müssen reden.«
»Über was möchtest du sprechen?«
»Das erkläre ich dir später, jetzt komm mal her und zeig mir, wo der Toaster ist.«
»Willst du Eier toasten?«, fragte ich belustigt.
»Natürlich«, sagte James sarkastisch.
---
James und ich waren gerade auf dem Weg zum Friedhof, als ich ihn auf das vorhin angesprochene Thema aufmerksam machte. »Worüber willst du jetzt reden?«
Doch er schien nicht begeistert davon zu sein, dass ich sofort zu dem wichtigen Thema kommen wollte und meinte lächelnd: »Weißt du, ich freu mich hierauf.«
»Worauf?«
»Dass du mir deine Welt zeigst.«
In gewisser Weise bewunderte ich ihn dafür, dass er so offen für Neues zu sein schien – zumindest wenn es um mich ging – denn die allerwenigsten wären dazu bereit gewesen, mit einem bekloppten Mädchen um fünf Uhr in der Früh sparzieren zu gehen und das auch noch an einem Schultag.
»Lenk nicht vom Thema ab.«
Er atmete einmal tief durch und gestand dann: »Ich habe deinen Blutbefund bekommen.«
»Oh.«
»Lass mich ausreden, okay?«
»Ich lasse dich ausreden«, meinte ich. »Versprochen.«
»Ich war wieder bei der Ordination und habe mit der Ärztin über die Blutbefundergebnisse gesprochen. An sich ist alles in Ordnung, aber du hast einen ziemlich starken Eisenmangel. Sie hat gemeint, dass es nicht nur genetisch bedingt sein muss. Es könnte auch sein, dass deine Regelblutung das fördert, deswegen habe ich mich darüber informieren lassen, was für eine Frauenärztin du hast. Ich weiß, du willst das sicher nicht, aber der Termin steht eigentlich schon fest. Abgesehen davon hast du Eisentabletten bekommen, die du einnehmen sollst, weil deine Werte ziemlich schlecht sind.«
»Du. Hast. Einen. Dachschaden.«
»Ich mache mir nur Sorgen um dich.«
»Ich könnte dir so viel andere Gründe geben, um dir Sorgen zu machen.«
Zum Beispiel, dass ich mehrmals vergewaltigt wurde.
»Ich will dir nur helfen, dafür musst du mir vertrauen und dich etwas mehr öffnen, damit du mir erklären kannst, was los ist.«
Ich verstand nicht, wieso er das wollte, und da es noch extrem früh war, ich kaum Schlaf bekommen und absolut keine Nerven für ein solches Gespräch hatte, begann sich meine Laune schnell zu verschlechtern.
»James, du willst es einfach nicht verstehen. Es geht mir gut, ich fühle mich einfach nur einsam. Ich bin dauerhaft allein und deswegen verletze ich mich selbst. Irgendwann wirst du mit mir untergehen. Mag sein, dass du jetzt noch versuchst mir zu helfen, aber irgendwann wirst du daran zerbrechen. Es wird der Moment kommen, in dem dir bewusst wird, dass man mir nicht helfen kann. Du wirst mich verlassen, wie jeder andere es auch getan hat.«
»Ich werde dich nicht verlassen, Madison.«
Es gab noch nie eine Person, der ich diese Worte glaubte, und auch bei ihm änderte sich meine Meinung nicht. James, du wirst mich mit Sicherheit noch verlassen.
»Wieso sollte ich dir das glauben?«
»Ich weiß, dass du mir vertraust, auch wenn du das nicht willst. Lass deinen Gefühlen einfach freien Lauf und alles wird besser.«
»Es gab so viele Leute, die mich schon verletzt und verlassen haben. Ich glaube, allerspätestens in einem Jahr wirst du merken, dass du auch einer dieser Personen bist.«
»Madison...« Seine Stimme sagte eindeutig, dass ihn diese Worte sehr verletzten, doch ich ignorierte es einfach. Er sollte dich nicht mögen, Madison. Er hat wen Besseres verdient.
»James, du kannst mir nicht helfen. Ich bin es gewohnt traurig und allein zu sein. Ich hatte nie jemanden, der mich glücklich gemacht hat und das ist wirklich in Ordnung. Gib doch endlich auf, es ist nicht so schlimm.«
»Allein sein, sollte nicht zu deinen Gewohnheiten gehören.«
Die kommenden Minuten sprachen wir beide kein Wort mehr, weshalb der gesamte Weg zum Friedhof unangenehm und kaum zum Aushalten war. Doch James schien nicht aufgeben zu wollen und fragte einfach: »Gibt es wirklich keinen Grund, wieso du gerne zu Friedhöfen gehst? Ist irgendwer gestorben?«
»Ich mag es einfach nur, weil mich hier niemand stört und ich an der frischen Luft sein kann«, erklärte ich. »Was liegt dir mehr? Gräbnisse mit so Vampirkästen oder diese, bei denen man verbrannt wird?«
Ich verstand zuerst gar nicht, was so eigenartig war, doch als James' Blick immer belustigter wirkte, merkte ich, was ich gerade gesagt habe. Nicht einmal normal reden kann ich vor diesem Typen.
»Sei nicht so gemein«, meinte ich, während sich James zu Tode lachte.
»Erstens: Man sagt Gräber beziehungsweise das Grab. Zweitens: Der Vampirkasten heißt Sarg. Drittens: Das, was du gemeint hast, nennt man Urnen.«
»Ich hab's nicht so mit Fachausdrücken.«
»Das sind normale Wörter«, meinte James lachend.
»Du bist fies, weißt du das?«
»Ich habe dich auch lieb, Prinzessin«, erwiderte James, woraufhin mir die Worte vom gestrigen Abend wieder in den Kopf kamen.
»Können wir das Thema wechseln?«, fragte ich.
»Gerne.«
»Hast du den Blutbefund mit?«
»Ja«, meinte James, blieb stehen und holte eine Folie aus seiner Tasche. Er übergab sie mir, ohne auch nur ein Wort zu sagen, was mir etwas Angst machte.
»Soll ich dir den Befund erklären?«, fragte der Braunhaarige.
»Das wäre sehr nett.«
»Du hast eigentlich einen relativ starken Eisenmangel, aber die Hämatologie deines Blutes ist glücklicherweise trotzdem sehr gut. Man kann sich nicht wirklich beschweren«, meinte er. »Dreh den Zettel um.«
Ich machte das, was er wollte, wobei ich ihm sehr schnell nicht mehr zuhörte, weil ich ihn die ganze Zeit anschaute. Mir war bewusst, was die ganzen Pfeile, Werte und ähnliches bedeuteten, aber ich fand es bezaubernd, dass er sich die Mühe gegeben hatte, sich darüber zu informieren, denn für gewöhnlich kannte man sich nicht so gut aus wie ich. Es war niedlich, dass er sich so um mich kümmerte.
»Madison?«, riss mich James aus meinen Gedanken.
»J-Ja. Ja?«
»Alles in Ordnung?«
»Entschuldigung, ich war gerade etwas abgelenkt. Was hast du gesagt?«
»Ist nicht so wichtig«, meinte James lächelnd.
Ihm ist definitiv aufgefallen, dass du nicht ganz bei der Sache warst.
»Wieso sind da so viele rote Pfeilchen?«, fragte ich, auch wenn ich genau wusste, was sie bedeuteten.
»Das liegt daran, dass du zu wenig Eisen hast. Man sollte zwischen 35 und 150 Mikrogramm haben und du hast halt nur 25.«
»Und der andere Pfeil ist deshalb da, weil mein Eisenspeicher, Ferritin, bereits viel zu tief ist, somit wird sich mein Eisenwert innerhalb der nächsten Zeit noch mehr verschlechtern. Habe ich recht, James?«
»Natürlich hast du recht. Du bist schließlich meine Prinzessin.«
»Ich heiße-«
»Madison«, beendete James lachend meinen Satz. Ich konnte ihm nicht böse sein, weshalb ich auch etwas lachte.
»Deine Blutwerte sind gar nicht so schlimm, wenn man bedenkt, wie wenig du isst.«
»James, es ist erst seit Kurzem so, dass ich so wenig esse«, meinte ich. »Wir sollten darüber wann anders sprechen. Hast du gestern auch so einen Brief bekommen vom Bildungsminister?«
»Ja, wegen des Schulexperimentes, oder?«
Bevor ich schlafen gegangen war, hatte ich noch einen Blick ins Postfach geworfen und einen Brief entdeckt, der noch einiges änderte.
Ein Schulexperiment des Staates
Sehr geehrte Madison Baker!
Wir haben Sie aus weniger als 100 Schüler:innen für das Schulexperiment des Staates ausgewählt. Es wird vom 25.04 bis zum 02.05 stattfinden. In diesem Versuch werden Sie eine Woche lang gemeinsam mit einem Ihrer Mitschüler:innen allein in einer Wohnung verbringen, die auf Kosten des Staates gemietet wurde. In dieser Woche ist es Ihnen nicht erlaubt Ihr Smartphone und ähnliche Geräte mitzunehmen, Internet wird nicht vorhanden sein und es ist Ihnen nur erlaubt, sich in einer begrenzten Zone zu befinden. Voraussichtlich wir James Anthony Cayden Ihr Mitbewohner sein.
Mit diesem Test soll herausgefunden werden, wie selbstständig Jugendliche des 11. Schuljahres sind. Somit wird getestet wie sich zwei Jugendliche zurechtfinden, wenn sie eine Woche lang allein in einer Wohnung sind, ohne Smartphones und etc. und ohne Ihrer Eltern in einer fremden Umgebung.
Wir bitten Sie zusammen mit Ihrem voraussichtlichen Mitbewohner oder Ihrer voraussichtlichen Mitbewohnerin, zu entscheiden, welche Mahlzeit Sie an welchem Tag zubereiten wollen und eine Liste von den Zutaten zu machen und diese, eurem Klassenvorstand auszuhändigen. Je nach Schule können die eben angegeben Sachen variieren, weshalb wir Sie sich in Ihrer Schule darüber informieren sollten.
Mit freundlichen Grüßen
das Bildungsministerium
»Freust du dich darauf?«, fragte ich.
»Natürlich freue ich mich darauf. Ich darf eine Woche allein mit dem liebsten Mädchen der Welt verbringen. Freust du dich?«
»Um ehrlich zu sein, habe ich etwas Angst davor, eine Woche komplett allein zu sein.«
James runzelte verwirrt die Stirn und fragte dann: »Wie lange wohnst du allein?«
»Erst seit Ende September«, meinte ich. »Meine Eltern hatten die Wohnung immer gemietet, aber als sie ausgezogen sind, kauften sie sie. Das kam halt erst vor ein paar Monaten.«
»Du brauchst keine Angst haben, ich bin ja da«, munterte mich James auf, »oder hast du Angst davor, mit mir so lange allein zu sein?«
Er wird dir nichts antun, wenn du ihm ehrlich deine Angst gestehst.
»Ein wenig, ja.«
James blieb stehen, was ich ihm sofort gleichtat.
»Darf ich deine Hand nehmen?«, fragte er gelassen, was ich mit einem Nicken beantwortete. Ich schreckte kurz zusammen, als James meine Hände nahm, da seine wirklich extrem warm und meine quasi zugefroren waren.
»Ist das normal das deine Hände so warm sind?«, versuchte ich vom Thema abzulenken.
»Deine sind kalt«, erwiderte er. »Madison, ich möchte, dass du weißt, dass, wenn du dich unwohl fühlen solltest, weil ich dir zu nahe bin oder wegen Sonstigem, du mir das sofort sagen kannst. Es muss dir nicht peinlich sein, wenn du mal Abstand benötigst. Du musst es nicht einmal sagen, du kannst jederzeit auch einfach gehen. Ich lasse dich, und das musst du mir glauben, immer einen Moment allein, wenn du das möchtest. Das gilt übrigens nicht nur für dieses Schulexperiment. In Ordnung, Prinzessin?«
»Ja.«
Ohne James vorzuwarnen, ließ ich seine Hand los und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung leicht verwirrt, sagte aber nichts.
»Danke, James«, flüsterte ich.
»Nichts zu danken«, meinte er. Nachdem wir uns gelöst hatten, warf mein Mitschüler einen schnellen Blick aufs Handy. »Wir sollten langsam zurück. Es ist schon sieben Uhr.«
»Du meinst, wir sollten schnell zurück.«
---
Die Schultage vergingen wie ihm Flug.
Am Mittwoch hatte James eine Party angekündet, die auch ich besuchen durfte. Unglücklicherweise wurde sogar Scarlett eingeladen, aber James meinte, dass er sie nur deshalb kommen würde, da er unsere gesamte Klasse einlud – abgesehen von wenigen Freunden aus seinem alten Internat.
Nach der letzten Unterrichtsstunde am Donnerstag wollte ich nachhause gehen, doch James schien andere Pläne zu haben.
»Du kannst noch nicht nachhause, du hast heute den Arzttermin.«
»Ist der schon heute?«
»Um genau zu sein, ist der in einer Stunde.«
»Das heißt?«, fragte ich.
»Wir fahren jetzt zu deiner Frauenärztin.«
Ich musste kurz lachen und meinte: »Ich habe übrigens keine Frauenärztin. Außer du bist der Meinung, dass der Mann seit neustem eine Frau ist.«
»Du hast einen Frauenarzt?«
»Du hättest dichbesser informieren sollen. Gehen wir los!«, erwiderte ich belustigt.
***
Wieder einmal ein etwas ruhigeres Kapitel. Was hält ihr von dem Schulexperiment und der Party, bei der Scarlett (worauf wir alle Lust haben) auch dabei ist?
Meinung zum Kapitel oder zum Buch allgemein? Verbesserungsvorschläge?
Eure Larisa
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