39 - obit
Die ersten Tage im neuen Jahr waren tatsächlich so, wie Gemma es sich gewünscht hatte. Wir waren glücklich, gesund und ich verschwendete erstaunlicherweise nicht allzu viele Gedanken an Louis, was wirklich ziemlich gut tat. Ich konnte ein paar Gedanken und Sorgen einfach abschütteln, zumindest für den Moment. Natürlich geisterte er mir noch immer in meinem Kopf herum, auch die leise Stimme in meinen Gedanken wollte nicht verschwinden, aber es half schon ein wenig, die Tage im neuen Jahr einfach bei Zayn zu genießen. Frei von irgendwelchen Verpflichtungen, frei von der Schule, frei von den Sorgen um meine Mutter und frei von jeglichen Diebstählen und damit einhergehenden Aufeinandertreffen mit der Polizei. Kurz musste ich nicht darüber nachdenken, was nun genau Louis Beweggründe waren, warum er immer wieder auf mich zukam, Zayn hatte dazu eine Meinung, meine Gedanken hatten eine andere.
Was ich allerdings nicht vergessen konnte, war die Tatsache, dass ich Louis Hoffnungen auf ein Treffen in diesem Jahr gegeben hatte. Dies war auch so ziemlich das letzte, was ich zu ihm gesagt hatte, als wir uns an seinem Geburtstag bei mir auf der Arbeit das letzte Mal gesehen hatten. Ich kam nicht darum herum, mich zu fragen, wie sein Geburtstag und wie sein Weihnachtsfest wohl gewesen war, ob es mit seinen Geschwistern schön gewesen war und ob er um diese Zeit seine Mutter genauso sehr vermisste, wie ich meinen Vater. Das waren alles Dinge, die mich eigentlich nicht interessieren sollten, selbst wenn Louis eine Hilfe sein sollte, wollte ich solche Details aus seinem Leben nicht über ihn wissen. Das würde uns nur noch näher zusammenbringen und das war genau, was ich zu verhindern versuchte.
Allerdings, den Gedanken mich überhaupt mit ihm zu treffen, hatte ich noch nicht vollständig verworfen. Das ich Louis in der ersten Woche des neuen Jahres bisher noch nicht gesehen hatte, sollte mir eigentlich keine Hoffnungen machen, aber ich hoffte dennoch darauf, ihn vielleicht nie wiederzusehen. Das würde all meine Probleme, die er in mein Leben geschleppt hatte, lösen, aber so zu denken war viel zu optimistisch und das würde mein Leben mir nicht gönnen. Außerdem brauchte ich auch Antworten, ich musste wissen, ob meine Vermutungen wahr oder falsch waren und diese Antworten würde ich nur von Louis bekommen, weshalb ich das mit dem Treffen noch nicht verworfen hatte. Zayn hatte Recht, es war eine Chance. Er sah darin zwar eine andere Chance als ich, aber für den Moment war es zumindest ein Schritt in die gleiche Richtung. Allerdings war ich mir noch nicht ganz sicher, wie ich das mit dem Treffen angehen sollte, ich wollte es einfach geschehen lassen und nicht aktiv auf Louis zugehen. Das würde ihm nur die falschen Signale senden.
Nach etwas über einer Woche Ferien im neuen Jahr mussten wir am Montag, den achten Januar wieder zur Schule und alleine das brachte schon wieder einiges an Stress mit sich. In der Früh aufstehen, sich darum kümmern, das auch Gemma aufsteht, sie etwas zu Essen bekommt, sowohl Frühstück als auch etwas für die Schule, das war alles nicht so leicht zu koordinieren. Zum Glück waren wir bis zum zehnten Januar auf jeden Fall noch bei Zayn, der mir einiges an Aufgaben abnahm und mir damit unter die Arme griff. Das einzig positive daran war, das Gemma von alldem Stress nichts mitbekam. Sie freute sich sogar darauf, wieder in die Schule zu gehen, dort Henry wiederzutreffen und all ihre anderen Freunde und Lehrer, die sie gern hatte.
Bei mir war es eher weniger der Fall. Dies war zwar mein letztes Schuljahr, bald würde ich meine Abschlussarbeiten schreiben, aber das machte alles nur noch stressiger und ich wusste noch nicht genau, was ich danach machen sollte. Ich konnte nicht arbeiten gehen und mit Gemma woanders hinziehen, denn dann würde ich meine Mutter im Stich lassen und noch war Gemma auch nicht alt genug dafür, allein zu Hause zu bleiben, wenn ich den ganzen Tag arbeiten gehen würde. Studieren gehen kam für mich erst Recht nicht in Frage, ich hatte auch keine wirklichen Interessen und so blieb mir nichts anderes übrig, als so weiterzumachen wie bisher, mich einem enormen Risiko aussetzen, mich den Polizisten jedes Mal zum Fraß vorwerfen, um dafür zu sorgen, das meine Familie überlebt.
Montag und Dienstag in der Schule zogen nur so an mir vorbei, keiner hatte wirklich Lust auf Unterricht nach den Ferien und so gingen es die Lehrer auch noch relativ entspannt an. Mir war das aber so oder so egal, denn ich hing mit meinen Gedanken ganz woanders. Der Todestag meines Vaters rückte immer näher. Ich wollte mir nicht ausmalen, was meine Mutter gerade trieb und doch tat ich es. Ich sah sie in irgendwelchen Gassen liegen, zwischen Bierflaschen, hartem Alkohol und Glasscherben. Eigentlich war es meine Aufgabe, in dieser Zeit für sie da zu sein, wenn sie schon nicht für Gemma und mich da war, aber ich ertrug diesen Anblick nicht mehr, vor allem wenn ich daran dachte, das am zehnten Januar diese ganzen Szenarien nur noch schlimmer wurden.
Und dann war der Mittwoch da, der zehnte Januar, der Tag an dem ich vor sechs Jahren meinen Vater verloren hatte. Zum Glück war Gemma da gerade mal einen Monat alt gewesen, sie konnte sich also an nichts mehr aus dieser Zeit erinnern und sie war zwar traurig, bei dem Gedanken, dass sie ihren Vater nie richtig kennenlernen würde, aber damit hatte sie auch gelernt, umzugehen. Ich konnte derweil immer noch nicht mit der Schuld umgehen, die mich betraf, weil ich am Tod Schuld war. Wäre ich nicht gewesen, wäre das nie passiert, hätte ich nur einmal eine Sekunde nachgedacht, wäre das nicht passiert. Die Schuldgefühle und die Sorgen um meine Mutter lenkten mich ab. Ich konnte mir nicht ausmalen, wie viel meine Mutter heute trinken würde, ich hatte Angst um sie und konnte nur hoffen, dass keine Polizei sie aufgabeln, sondern sie noch in der Bar wieder ausnüchtern würde. Durch all die Gedanken kam ich nicht dazu, selbst zu trauern und das wiederum entging meinem besten Freund natürlich nicht.
,,Harry?", Zayn setzte sich neben mich auf sein Bett, Gemma war nach der Schule wieder mit zu Henry gegangen und ich hatte heute noch kein Wort gesagt. Zayn hatte sich bisher um alles gekümmert und mir meine Zeit gegeben. Ich sah Zayn an und wartete darauf, das er weitersprach. ,,Ich mache mir Sorgen. Du hast heute noch nicht geweint und ich meine, du musst auch nicht weinen, um zu trauern, aber du darfst trauern. Dich trifft keine Schuld, auch wenn du das glaubst, okay? Niemand hätte wissen können, das so etwas passiert, es trifft leider immer diejenigen, die es am wenigsten verdient haben und vor sechs Jahren hat es leider deinen Vater getroffen. Ich weiß, dass du gerade mehr an deine Mutter denkst, als dich selbst, aber du musst jetzt an dich denken und an deinen Vater. Weine, wenn du weinen möchtest, schrei alles heraus, wenn dir das lieber ist, aber bitte verkriech dich nicht", mein bester Freund sah mich flehend an, mit seinen Händen hatte er meine umfasst und drückte sie fest.
Eine Weile blieb es still, dann konnte ich mich nicht länger zurückhalten und ich brach vor Zayn zusammen. Die Tränen flossen, die Schluchzer waren teilweise so heftig, dass ich glaubte zu ersticken und dabei krallte ich mich an Zayn, als würde er mich vor einem tiefen Abgrund bewahren. ,,Ich vermisse ihn so schrecklich", war das erste, was mir am heutigen Tag über die Lippen kam. Ich hatte das Gefühl, Jahr für Jahr würde es einfach nur noch schlimmer werden und nicht gerade leichter. Der Verlust saß tief in den Knochen, vor allem wenn ich daran dachte, was durch den Tod alles geschehen war. Meine Mutter hatte sich dem Alkohol zugewandt, ich war die Vaterfigur für meine kleine Schwester geworden, ich wusste, wie man stiehlt, ohne erwischt zu werden und doch war das Risiko immer da, sich selbst zu überschätzen und am Ende hinter Gittern zu landen.
,,Ich weiß Harry, du hast auch allen Grund dazu, aber du darfst nicht vergessen, wie lieb er dich gehabt hat, wie lieb er dich immer noch hat und das er immer noch auf Gemma und dich aufpasst, egal was auch passieren wird", sagte Zayn ruhig, während er mich weiterhin im Arm behielt, bis mein Handy klingelte. Erschrocken zuckte ich bei dem Ton zusammen und schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen bevor ich es mir vom Nachtschrank nahm. Sobald ich die Nummer sah, drehte sich in meinem Magen alles auf den Kopf. Meine Hände begannen zu zittern und es war ein Wunder, dass ich es schaffte, den grünen Hörer zu betätigen. ,,Charlie, was ist los?", fragte ich den Chef meiner Mutter sofort, seine Anrufe bedeuteten nie etwas gutes. ,,Harry, du solltest lieber sofort in die Bar kommen."
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Was meint ihr, was ist wohl passiert? Warum soll Harry in die Bar kommen..? :(
All the love xx
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