2 - best friend
Nach einem Fußweg von zehn Minuten waren wir bei Gemmas Schule angekommen. Zum Abschied folgte eine dicke Umarmung, danach ließ ich sie los und beobachtete noch, wie sie lachend durch den Schnee zu ihren Freunden hüpfte, ehe ich weiter ging. Ich zog kurz mein Handy aus meiner Jackentasche, um zu sehen, ob ich pünktlich zum Unterricht kommen würde und zum Glück war das der Fall. Ich hasste es, zu spät zu kommen, man musste sich vor der ganzen Klasse entschuldigen und wurde außerdem angestarrt, als wäre man ein Alien. Darauf, wie ich in den Besitz des Handys gekommen war, war ich nicht stolz, es war wahrscheinlich auch das teuerste, was ich jemals mitgehen lassen hatte, aber es musste sein. Material für Hausaufgaben schickten die Lehrer meist per E-Mail, wenn Unterricht ausfiel, dann stand das auf der Internetseite der Schule und mit meinem einzigen, wirklichen Freund konnte ich so auch in Kontakt bleiben.
Ohne Handy war mir das alles nicht möglich gewesen, also war ich dieses Risiko eingegangen und hatte Erfolg gehabt. Natürlich fühlte es sich ganz und gar nicht gut an, aber was sollte man schon tun, wenn die Situation Zuhause so war, wie sie eben war? Für mich gab es keinen Ausweg, ich hatte keine andere Möglichkeit, mir wurde es nicht anders gezeigt und vielleicht waren das auch nur alles billige Ausreden, aber sie nahmen mir zumindestens mein schlechtes Gewissen. Seufzend zog ich mir den Handschuh an, den ich kurzzeitig ausgezogen hatte, um das Handy zu entsperren und setzte meinen Weg zur Schule fort. Der wenige Schnee knirschte unter meinen abgenutzten Schuhsohlen, doch war für mich die Unterhaltung auf meinem Weg, wie Musik es für andere in meinem Alter war, welche sie über Kopfhörer hörten.
Ich war froh, als ich im Schulgebäude ankam, es war schön warm und meine eingefrorenen Zehen tauten langsam wieder auf. Momentan war ich in der Oberstufe und wollte nächstes Jahr meine A-Levels schaffen, aber ob das wirklich gelingen würde, das würde sich noch zeigen. In der Schule war ich ein Niemand, aber darüber beschweren tat ich mich nicht. Ich war der Junge, der in der letzten Reihe saß, neben dem niemand sitzen wollte und der nur ab und an etwas zum Unterricht beitrug, um nicht vollständig vergessen zu werden. Früher war das anders gewesen, ich hatte viele Freunde gehabt, konnte mich gar nicht entscheiden, neben wem ich im Unterricht sitzen wollte und war sehr aufgedreht und quirlig gewesen. Doch nach der Wendung, die mein Leben gemacht hatte, war ich still geworden, hatte mich abgeschottet, alle meine Freunde verloren und erst nach einiger Zeit hatte ich einen Menschen gefunden, der zu mir hielt, jedoch ging er nicht mehr zur Schule, weshalb ich hier ganz alleine war.
Müde vom frühen Aufstehen setzte ich mich auf meinen Platz, war sogar erstaunlicherweise der erste im Klassenraum, aber auch nur, weil die meisten noch draußen standen, miteinander quatschten oder noch eine rauchten. Ich legte meinen Kopf auf der Tischplatte ab, wollte am liebsten einfach wieder schlafen, doch ich konnte nicht, ich musste diesen Tag hinter mich bringen. Um mich abzulenken, kramte ich schon einmal meine Sachen für die Unterichtsstunde aus meinem Rucksack, spitzte meinen Bleistift an und kritzelte damit auf dem Tisch herum, nur um es danach wieder wegzuradieren. Sobald meine Mathelehrerin reinkam, hörte ich damit aber lieber auf, sonst würde sie noch denken, ich würde das Eigentum der Schule beschädigen, was mir natürlich niemals in den Sinn kommen würde.
Der Schultag zog sich, Kaugummi war nicht einmal ansatzweise ein Vergleich dafür, wie langatmig er war und am Ende stand ich wirklich kurz davor einzuschlafen. Ich war nur froh, das Gemma heute mit ihrer Freundin aus der Schule zu ihr nach Hause gehen würde, so hatte ich eine Sorge weniger. Als die Schulklingel zum Ende der letzten Stunde ertönte und der Lehrer mal nicht den altbekannten Spruch brachte, das er den Unterricht beenden würde, packte ich erleichtert meine Sachen zusammen und verließ, so schnell es mir möglich war, das Schulgebäude. Der Montag wäre geschafft, nun gab es bloß noch vier weitere Tage, bis das ersehnte Wochenende wieder Einzug finden würde.
Draußen hatte der Schnee tatsächlich begonnen, zu schmelzen, weshalb die Straßen überdeckt waren mit Pfützen und Schneematsch, welchem ich lieber aus dem Weg ging. Ich hatte mein bestes Paar Socken an und wollte nicht, das es ruiniert wurde. So hüpfte ich mehr in die Innenstadt von London, als das ich lief, aber als ich mein Ziel erreicht hatte, fand ich meinen besten und einzigen Freund an seinem Stammplatz. Er hatte seine Gitarre in der Hand, zupfte an ihr herum und wollte, so wie es aussah, gleich einen weiteren Song singen. Eigentlich war er Künstler, dies brachte momentan bloß leider noch nicht so viel Geld ein, wie erhofft, obwohl er wirklich der talentierteste Zeichner und Maler war, den ich kannte. Als Straßenmusiker hatte er sich deshalb ein zweites Standbein aufgebaut, um seine Miete, sowie Lebensmittel zahlen zu können.
,,Hey Zayn", grüßte ich ihn, der Schwarzhaarige sah lächelnd auf und hörte auf, an seiner Gitarre zu spielen. ,,Harry, ich hab schon auf dich gewartet, wie war die Schule?", fragte er, umarmte mich währenddessen zur Begrüßung. ,,Wie immer, ziemlich öde. Und dein Vormittag?" ,,Gut eigentlich, ich hab einen neuen Song geschrieben und ihn heute das erste Mal gespielt. Damit hab ich einiges eingenommen, also werde ich heute das Mittagessen übernehmen", sagte Zayn, legte seine Gitarre in den Koffer und verstaute sie darin sorgfältig. ,,Zayn, das ist wirklich nicht notwendig." ,,Keine Widerrede Harry, jeder hat doch Hunger, wenn er aus der Schule kommt und du bist sowieso schon so dünn."
Mein bester Freund zog mich in den Supermarkt, vor welchem er immer spielte und in welchem ich das erste Mal etwas mitgehen lassen hatte. So hatten wir uns auch kennengelernt, denn nachdem ich den Müsliriegel eingesteckt hatte, war ich so nervös gewesen, erwischt werden zu können, weshalb ich so schnell wie möglich den Laden verlassen hatte. Dabei hatte ich jedoch nicht auf meine Umgebung geachtet und war dadurch mit Zayn zusammengestoßen, welcher gerade für etwas Geld Gitarre gespielt hatte. Auf Anhieb hatten wir uns gut verstanden und so war diese Freundschaft entstanden. Er kannte meine Situation, er wusste was ich tat, das ich ein Krimineller war, doch er verurteilte mich nicht. Natürlich fand er es nicht gut und er würde mir so gerne helfen, doch er hatte selbst nicht genügend Geld und selbst wenn, ich könnte das nicht annehmen. Es war mein Problem, nicht das von Zayn.
,,Worauf hast du Lust?", fragte Zayn, klimperte mit den Münzen in seiner Hand und zog seine Wege durch die Regale. ,,Weiß nicht, entscheide du", murmelte ich, merkte nicht, das Zayn stehen blieb und machte deshalb kurz darauf Bekanntschaft mit seinem Rücken. ,,Harry, was ist los?" Der Pakistani musterte mich, zog eine Augenbraue in die Höhe und weil ich ihn nicht belügen konnte, ohne das es auffiel, seufzte ich. ,,Gemma fragt immer wieder nach Mum, außerdem rückt Weihnachten näher und ich weiß nicht wirklich, wo mir der Kopf steht." ,,Oh Harry, Gemma wird sicher verstehen, wenn die Geschenke mal etwas kleiner ausfallen und das mit deiner Mutter, hast du noch einmal versucht, mit ihr zu reden?" ,,Aber Gemma hat doch schon einen Wuschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben. Es wäre nicht fair, wenn sie das nicht bekommt. Und ich versuche seit fünf Jahren mit ihr zu reden Zayn, ich glaube, es wird niemals in ihrem Gehirn ankommen."
Mein Gegenüber seufzte und setzte seinen Weg durch die Regale fort, auf der Suche nach unserem heutigen Mittagessen. Die Diskussion über meine Mutter hatten wir öfter, sie hatte bloß keinen Zweck, da würde nichts helfen, ich hatte in den letzten fünf Jahren schließlich schon alles probiert. ,,Ich denke weiterhin, nichts im Leben passiert ohne Grund und ich glaube, irgendwann wirst du wie ein Phoenix aus der Asche auferstehen", sagte Zayn, griff nach einer Packung Reis und brachte mich zum Lachen. ,,Du bist bescheuert Zayn, hast du das aus einem deiner Songtexte? Oh übrigens, deinen neuen Song will ich natürlich hören." ,,Nein ist es nicht, aber du hast Recht, daraus könnte ich einen Song machen. Und den werde ich dir bei mir Zuhause vorspielen", Zayn stellte die Packung Reis zurück und griff nach einer Packung Nudeln mit Soße, ,,komm." Ich folgte ihm und nachdem er an der Kasse bezahlt hatte, spazierten wir gemütlich zu seiner Wohnung. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, so jemanden wie Zayn in meinem Leben zu haben, denn ohne ihn wäre ich wahrscheinlich schon lange untergegangen.
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Nun haben wir Harrys besten Freund kennengelernt, Zayn. Was sagt ihr zu ihm?🌝
Danke für die bisherige Unterstützung, die es beim ersten Kapitel gegeben hat! Hat mich wirklich sehr gefreut❤
All the love xx
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