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"Who hurt you?" "My own expectations.
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Plötzlich hörte ich Schritte auf mein Zimmer zukommen. Ich packte hektisch das Buch zurück in die untere Schublade und legte mich ins Bett. In dem nächsten Moment wurde die Tür quietschend aufgeschlossen und geöffnet. Der merkwürdige Mann stand im Raum und schloss die Tür erneut hinter sich. Erst jetzt konnte ich ihn erst wirklich erkennen, er hatte blonde kurze Haare und war etwa Ende vierzig. Er trug vollständig weiße Kleidung und hatte wieder sein Lächeln aufgesetzt. Ich sagte ja er hatte irgendeinen Tick.. " Hallo, Miss Miller, wie geht es ihnen denn heute?" Ich hatte keine Lust auf seine gestellten Freundlichtuereien. „ Wo ist Benjamin? Und warum um alles in der Welt schließen sie mich hier ein?" " Miss Miller, wenn sie meine Fragen nicht beantworten, können wir sie nicht zeitnah behandeln und sie müssen umso länger bleiben. Wollen sie das etwa?" Ich zischte wütend: "Sie Idiot." "Die einzige, die sich hier wie ein Idiot verhält sind sie und das wissen sie auch genau. Oder möchten sie noch ein bisschen darüber nachdenken?" Er machte Schritte in Richtung Tür. Ich gab mich geschlagen. Die Vorstellung, noch länger in diesem Raum sein zu müssen, hatte mich mehr als überzeugt.. " Na schön, was wollen sie wissen?" "Na endlich. Schön das Sie nun auch bereit sind, zu kooperieren. Das macht die Sache erheblich einfacher...Zunächst muss ich wissen, wie es ihnen geht." „Mir geht es gut." Ich hatte weder Lust mit diesem Mann zu reden noch länger als eh schon hier verbringen zu müssen. „ Sie langweilen mich mit ihrem Aussagen zutiefst, Miss Miller." „Ich bin doch auch nicht hier um sie zu bespaßen, oder habe ich irgendetwas verpasst, Mister Schmidt?" „Fahren wir endlich fort. Körperlich gesehen geht es ihnen auch gut, dass heißt sie dürfen das Krankenhaus verlassen, wenn sie schwören.." „Wenn ich was schwöre?", unterbrach ich ihn. Musste ihm jeder Patient etwas schwören? Vermutlich nicht.. „Wenn sie schwören, niemandem von unserer Begegnung zu erzählen.", erklärte er. „Seit wann muss man schwören, dass man seinem Arzt nie begegnet ist?", fragte ich spöttisch. „Ich sagte bereits, dass sie kooperieren müssen, wenn sie hier zeitnah herauswollen." „Aber das ist doch lächerlich, finden sie nicht auch?", fragte ich lachend. „Sie müssen wissen, dass meine Geduld sehr begrenzt ist, Miss Miller." Mit diesen Worten verließ er den Raum. Na toll Emily, du wärst hier raus gekommen, du hättest einfach nur schwören müssen. Das ist doch nicht viel verlangt. Aber jetzt sitzt du hier was weiß ich wie lange fest.. Mein Unterbewusstsein hatte Recht und ich ärgerte mich extrem über mich selbst.... Ich wusste nicht, wie lange ich hier noch warten müsste, aber es würde sicher eine Weile dauern, bis er wieder kam. Wie ich das alles doch hasste. Wie ich ihn hasste.. Und mich selbst, da ich einfach zu dickköpfig war... Leider war ich auch keine geduldige Person, weshalb mich dieses Warten quälte.
Diese Stille war unerträglich, ich hörte nichts außer mein eigenes Atmen. Keine Autos, keine Stimmen, nicht einmal das Ticken einer Uhr. Einfach nichts. Diese Ruhe machte mich fertig. Es fühlte sich an als würde ich in ihr ersticken. Langsam und qualvoll. Atemzug für Atemzug weniger Luft bekommen. Langsam von der Panik überwältigt werden. Nichts dagegen tun können. Völlig hilflos sein.. Genauso fühlte es sich an, in diesem Raum zu sein. Und ich war tatsächlich kurz davor, Panik zu bekommen. Mein ganzer Körper zitterte und meine Gedanken fassten nur eine Erkenntnis: Ich war eingesperrt. Es war nicht die Einsamkeit, die mich fertig machte. An das einsam sein war ich bereits gewöhnt. Es war auch nicht die Stille. In meinem Leben war es schon immer ungewöhnlich still gewesen. Das wirklich unheimliche war das eingesperrt sein. Denn das war neu für mich. Ich war zuvor noch nie eingesperrt. Wusste nicht, wie man sich zu verhalten hatte. Wusste nicht, wie man die Hoffnung behalten konnte.
Das Zittern hatte nachgelassen und hatte eine Erschöpfung hinterlassen. Unbemerkt fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Das Knarzen einer Tür weckte mich. Ich guckte mich verwirrt in dem kleinen Raum um. Alles sah aus wie vorher. Die Wände, die Uhr, das Bett, eine kleine Kommode. Verschlafen rieb ich meine Augen. Erschrocken merkte ich, dass ich eine Ecke übersehen hatte. Dort stand ein Mann. Nein, eigentlich nicht irgendein Mann, es war genau der von gerade. Der, der mich eingesperrt hatte. Ich konnte ihn an seinem ekligen Grinsen erkennen. Er war es, das stand fest. Ich zuckte zusammen und versuchte, möglichst weit weg von ihm zu kommen. „Ach Emily, sie müssen doch keine Angst vor mir haben. Ich lasse sie gehen, wenn sie diesmal die Frage richtig beantworten. Na, glauben sie, dass sie das schaffen? Oder brauchen sie noch etwas Übungszeit?", fragte er, während er ein Schritt in Richtung Tür machte. „Oder ich schreibe eine Empfehlung für eine Psychiatrie. Ich meine sie sind in einem Gewitter zusammengebrochen. Und gegebenenfalls könnte ich noch ein paar Aspekte hinzufügen.. Also was sagen sie zu der Idee?", fragte er neugierig, während er immer weiter zur Tür lief. „Nein, warten Sie. Ich hatte genug Zeit zum Nachdenken und möchte in keine Psychiatrie. Ja, ich schwöre ihnen, ich werde niemandem etwas von unserer Begegnung erzählen." Ich fand diese ganze Sache immer komischer, aber ich wollte einfach nur raus hier. Und auf keinen Fall in eine Psychiatrie. Ich meine, wer will da schon freiwillig hin? Deshalb war ich dazu bereit, alles zu tun, was er von mir wollte.
Als er die Tür öffnete, rannte ich an ihm vorbei, ehe er es sich wieder anders überlegen konnte. Ich hatte nichts bei mir, was es schwierig machen würde, nach Hause zu kommen. Der komische Arzt hatte irgendetwas von Westphalen-Lippe gesagt, aber das lag Stunden entfernt von meiner Heimat. Ich rannte hinaus aus der modernen Klinik und gelangte auf eine Hauptstraße. Ich musste irgendwie telefonieren, aber ohne Handy und Geld war das leichter gesagt als getan. Letztlich entschloss ich mich, wildfremde Leute zu bitten, mich kurz telefonieren zu lassen. Es dauerte eine Stunde und 53 Personen, bis eine junge Dame mich telefonieren lies. Wenn nun niemand abnehmen würde wäre diese ganze Situation hoffnungslos. Aber zum Glück nahm Benjamin ab: "Hallo, mit wem spreche ich da?" Ich entgegnete:"Ich bin 's, Emily. Du musst mich unbedingt abholen, ich bin gerade in Westphalen-Lippe." Er entgegnete sehr verwundert:" Westphalen Lippe? Wie kommst du denn nach Westphalen-Lippe?" Das war eine gute Frage.. Ich wusste es selbst nicht.. Sie hätten mich einfach in das nächste Krankenhaus bringen können.. Ich erwiderte müde: „ Ist eine lange Geschichte, erzähl ich dir später. Kannst du mich bitte einfach abholen?" „Wir treffen uns am besten an der Kirche.. Es dauert aber ohne Stau voraussichtlich drei Stunden. Ich mach mich direkt auf den Weg. Pass auf dich auf! Bis gleich.." Ich flüsterte noch: „ Bis gleich.", ehe das Telefonat beendet wurde und ich das Handy erneut der Dame gab. Drei Stunden, ich hätte erwartet ich wäre nicht so weit weg von zuhause. Ich sah auf die Kirchturmuhr: es war zehn Uhr morgens. Ich wusste nicht, wann ich zuletzt etwas gegessen hatte, aber es musste ziemlich lange her sein, da ich ziemlich großen Hunger hatte. Hunger, aber kein Geld. Ich setzte mich auf eine Bank mit Sicht auf die Kirche. Die Kirche entstammte voraussichtlich dem 19. Jahrhundert. Sie hatte einen gotischen Baustil und die Säulen waren genial ausgearbeitet: Es hüpften und schwebten kleine Engelchen auf ihnen herum. Aber die konnten mir auch nicht helfen, denn es gab keine Engel so wie es auch keine Teufel gab. Hoffentlich. Ich blickte erwartungsvoll auf die Kirchenuhr: Es war fünf nach zehn. Wenn die Zeit weiter so schleichen würde, würde ich wahrscheinlich verrückt werden. Ich entschloss mich dazu, eine Bibliothek aufzusuchen. Da würde die Zeit ja vielleicht schneller vergehen.. Sofern es hier überhaupt eine Bibliothek gab. Hier in dieser grässlichen Stadt. In dieser grässlichen Stadt, die nicht einmal einen Stadtplan besaß. Ich meine, jede Stadt hatte einen Stadtplan. Aber wenn ich einmal einen brauchte, gab es ihn nicht.. Da mir nichts anderes übrig blieb, fragte ich Passanten nach dem Weg.
Der eine schickte mich in die eine Richtung, der andere in die gegenüberliegende, manche kannten den Weg nicht, da sie nicht hier wohnten und einige hatten es zu eilig. Ich lief einfach in irgendeine Richtung, da es ja anscheinend egal war in welche. In dieser kleineren Gasse befanden sich ein paar Dekor Läden, kleine Cafés und Friseurstudios. Nur wenige Leute verliefen sich hierher. Ich blickte erneut auf die Kirchenuhr hinter mir: Es war zwanzig nach zehn. Ich fragte immer mal wieder nach dem Weg, bis ich an einem Gebäude ankam, das eine Bibliothek sein musste. Vorsichtig ging ich hinein. Es war ein großer weiter Raum mit vielen Verschachtelungen. Dort waren Unmengen an Regalen und noch mehr Bücher. Die Regale waren aus altem Holz gefertigt und ragten hoch bis zur Decke. Alle paar Meter standen Hocker, damit auch die obersten Bücher erreicht werden konnten. Ich begab mich zu dem Genre Thriller und fuhr mit meinen Fingern sanft über die Buchrücken im Regal. Sie griffen nach einem Buch und ich zog es heraus: Verloren. Der gleiche Titel wie in dem Krankenhaus. Ich hätte das Buch beinahe fallen gelassen, wie konnte das sein? Handelte es sich um einen Zufall oder stimmte irgendwas nicht mit mir. Neben dem Buch war der erste Teil dieser Reihe: Gefunden. Dies war das Buch, das ich bei meiner Mutter heimlich gelesen hatte. Ich schlug die erste Seite des Buches „Verloren" auf. Dort war wieder eine handschriftliche Widmung mit derselben Schrift wie im Buch vom Krankenhaus, aber es stand etwas anderes geschrieben:" Es wird grausames geschehen und es wird an diesem Tag anfangen." Welcher Tag war dieser Tag? Spielte mir irgendjemand einen Streich? Wenn ja, lustig war es keinesfalls. Das Buch fing an:
Für die einsame Tochter
Kapitel 1: Böse sein ist nichts Schlimmes. Du stehst dabei nur zu deinem wahren Ich. Versuchen gut zu sein hingegen ist ein Verbrechen, denn du machst dir vor es gäbe in dir keine böse Seite. Du baust dir ein trügerisches Leben auf und dann wenn es am schönsten ist, wird das Böse kommen und dir alles nehmen. Du kannst dich nicht dagegen wehren. Du kannst gar nichts tun. Nur hilflos dabei zusehen, wie dir alles genommen wird.. Aber du kannst böse sein und dir wird nichts geschehen. Denn dann wirst du nichts haben, das man dir wegnehmen kann.
Ich schlug das Buch wieder zu. Wer um alles auf der Welt hatte so etwas geschrieben? Ich blickte auf die Uhr. Es war viertel vor elf. Ich stellte das Buch zitternd zurück an seinen Platz, das war genug Horror für einen Tag. Eigentlich schon für ein ganzes Jahr... Oder ein ganzes Leben. Jetzt brauchte ich wirklich etwas anderes. Dieses Buch klang so wie ein Text auf einer Web-Site für Terroristen. „Bekennt euch zum Bösen. Ihr werdet in den Himmel kommen, wenn ihr vor eurem Tod möglichst viele Menschen umgebracht habt." Das war einfach nur gruselig.
Ich ging zu der Abteilung für Komödien. Ich las selten Komödien, aber für alles andere war ich gerade viel zu geschockt. Es sprang mir sofort ein Buch ins Auge: Verloren. Wie kam dieses Buch in die Abteilung für Komödien? Das Buch war alles andere als eine Komödie. Und warum hatte die Bibliothek mehrere Ausgaben von diesem Buch? Mir war die Lust auf Komödien schlagartig vergangen... Ich ging herüber zur Kinderecke. Ja, ich ging wirklich als 16- jährige in die Kinderecke. Aber ich musste es einfach wissen. Auf dem Boden war ein bunter Flickenteppich und die Regale waren in bunten Farben gestrichen. Es gab viele verschiedene Bücher, aber wieder bemerkte ich ein Buch, das eindeutig nicht hierher passte... Ich wollte schnell aus diesem Gebäude heraus. In jedem Regal sah ich dieses Buch. Ob in der Bastelabteilung, Kochrezepte, Witze-Bücher, Weltrekorde, Wissenschaft, es war überall. Ich hastete zwischen den Wänden aus Büchern her, die mir den Weg versperrten.. Ich versuchte, keine Panik zu bekommen, was aber leichter gesagt war als getan.. Ich meine, das ging weit über einen harmlosen Scherz hinaus. Nach einiger Zeit fand ich den Ausgang und schmeckte endlich wieder frische Luft.
Ich hasste diesen Tag, ich hasste ihn. Und er war noch nicht einmal zur Hälfte vorbei. Normalerweise war ich schon immer ein Optimist gewesen, aber die letzten Tage waren sehr düster gewesen, sodass es lächerlich wäre, sich einzureden sie wären toll gewesen. Ich blickte erneut auf die Kirchenuhr: 11.30. Benjamin würde frühestens in eineinhalb Stunden kommen und ich hatte neuerdings Angst vor Bibliotheken. Super, das war der einzige Ort zu dem ich ohne Geld Zugang hatte. Neben den anderen Bibliotheken, die hier noch irgendwo sein mussten. Wobei, da war noch ein Ort. Die Kirche. Ich hatte Kirchen früher eigentlich eher gemieden. Meine Mutter hatte mich nicht religiös erzogen und auch später sprach mich das Ganze nicht sonderlich an. Man verlässt sich sein ganzes Leben lang auf etwas, von dem man nicht einmal weiß, ob es überhaupt existiert. Und wenn du dein Leben nach diesem Etwas gerichtet hast, es aber in Wahrheit gar nicht existiert, was ist denn dann dein Leben für eine traurige Lüge. Und falls dieses Wesen existiert, und wenn es doch so gütig und allmächtig ist, wie kann es dann all die Gewalt zulassen? Ich sah die Kirche eher als eine Art Museum, in dem man sich die Überzeugungen verschiedenster Leute ansehen kann. Auch fand ich die Einrichtung und Bauweise vieler Kirchen sehr interessant. Dies war auch der Grund, weshalb ich in Richtung dieser Kirche lief.
Die Gassen waren verlassen, eine schläfrige Mittagspause hatte sich auf die Stadt gelegt. Viele machten eine Pause und genossen diesen wunderbaren Tag. Für sie wunderbar und für mich wunderbar schrecklich. Wie ungerecht diese Welt doch war. Wie gern ich jetzt in ein anderes Leben schlüpfen würde, irgendwo hin, egal wo hin. Hauptsache weg von hier.
Durch die langen Schatten wirkte diese Gasse noch viel düsterer und schmaler. Schon seit einiger Zeit hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Es wirkte so, als würde aus jedem der dunklen Häuser an den Seiten ein Augenpaar herausschauen. Vielleicht würde ich bald wirklich verrückt. Oder ich hatte ein ernstes Problem. Ich wusste es nicht. Aber jedes mal wenn ich mich umblickte sah ich Schatten, die sich bewegten. Hoffentlich waren es auch nur Schatten...
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