*30*
Lucas' Sicht
Sie ist zusammengebrochen. Ich habe es ja vorausgesagt.. Wirklich stolz sollte ich wohl aber nicht darauf sein.. Und nicht einmal jetzt schien sich hier irgendwer für Emily zu interessieren. Simon sah einfach nur genervt aus, Jacob ein wenig überrascht, Alex zufrieden und Tobi, er hatte seine unlesbare Mine aufgesetzt. Die gleiche, die ich auch benutzte. Denn sonst könnten sie alle sehen, wie ich mich fühle: verzweifelt und schockiert.
„Was hat sie?", durchbrach Jacob die mehr als unangenehme Stille.
Sie ist verständlicherweise durchgedreht, bei dem was ihr beziehungsweise wir hier veranstalten. Und sie ist wahrscheinlich total unterkühlt bei der Kälte und der wirklich sehr unpassenden Kleidung. Ach, das hätte ich fast vergessen, wir haben mittlerweile elf Uhr und sie hat jetzt fast den ganzen Tag lang irgendwelche Pakete ausgepackt. Da wird man auch nicht müde oder so..
Natürlich sagte ich das nicht laut. Ich wollte schließlich nicht umgebracht werden, wie es ihr komischer Vertrag vorsah...
„Sie stellt sich doch bestimmt nur an. Wir können sie ja anzünden und gucken, ob sie dann aufwacht.", schlug Simon, wer auch sonst, sehr motiviert vor.
War das deren Ernst? Dachten die wirklich, Emily stellt sich an? Das konnten die doch nicht wirklich glauben!! Und anzünden, war das nicht eine Nummer zu groß? Wobei das hier alles mehrere Nummern zu groß war.. Aber trotzdem..
Als Simon dann wirklich mit einem Feuerzeug auf Emily zu lief, brach ich das erneute Schweigen. Ich meine, ich konnte doch nicht zulassen, dass diese Idioten einfach einen Menschen abfackeln. Einen unschuldigen Menschen. „Ähm, seid ihr euch sicher, dass ihr sie anzünden wollt? Denn dann könnte es passieren, dass sie wirklich nicht mehr aufwacht."
„Ach Lucas, sei doch kein Spielverderber!", neckte mich Alex. Sie fanden das alle ziemlich lustig, aber ich hatte nicht geplant, an einem Mord beteiligt zu sein. Ich wollte etwas aus meinem Leben machen und nicht einen Großteil davon im Knast hocken.. Vor allem aber wollte ich nicht an dem Mord von ihr - einem unschuldigen Mädchen beteiligt werden.
„Also ich denke Lucas hat Recht. Wir sollten es wirklich nicht übertreiben.", unterstützte Tobi mich. Vielleicht war ich ja doch nicht der einzige hier mit einem gesunden Menschenverstand..
„Ruhe! Wir werden sie nicht anzünden, zieht ihr wärmere Kleidung drüber und dann versuchen wir sie vorsichtig aufzuwecken. Habt ihr das verstanden?", wollte Jacob wissen.
Leise hörte man ein gemurmeltes JA.
„Sollen wir sie ganz ausziehen und ihr dann was neues drüber ziehen?", fragte Simon mit einem ekligen Grinsen auf dem Gesicht. Ich hätte es ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen, aber dann läge ich wahrscheinlich kurz danach bewusstlos auf dem Boden.. Und das wollte ich umgehen. Deswegen war ich wohl oder übel darauf angewiesen, dass sich jemand anderes für Emily einsetzte. Aber das war doch eher unwahrscheinlich. Vor allem, da ich hier umgeben war von irgendwelchen Idioten... Blöd nur, dass ihnen jetzt zu vertrauen meine einzige Chance war.
„Nein Simon, Lucas und Tobi werden ihr warme Sachen drüber ziehen.", wies Jacob an. Seine Stimme klang gepresst und ihm schienen Simons Aussagen auch nicht wirklich zu gefallen.
Vielleicht steckte ja doch noch etwas Menschliches in Jacob..?
Zusammen mit Tobias zog ich Emily vorsichtig eine dicke Jacke an und streifte ihre eiskalte Haut nur dann, wenn es wirklich nötig war. Das Blut an ihren Armen klebte jetzt auch an mir, aber das störte mich nicht. Neben der Jacke haben wir Emily noch mit einer warmen Decke zugedeckt. Ob das reichen würde, damit sie wieder aufwacht?
„Gut, und jetzt weckt sie vorsichtig auf!", befahl Jacob. Jetzt war er wieder komplett emotionslos und kalt. Mal im Ernst, ich verstand diesen Typen einfach nicht..
Dennoch führte ich seinen Befehl aus, er war ja schließlich mein Anführer. Und ehrlich gesagt fiel mir auch nichts besseres ein, was man sonst machen könnte..
Leicht rüttelte ich an Emily's Schultern, bis sie ihre Augen langsam öffnete. Ernst schweifte ihr Blick müde durch die Halle, aber als sie uns erkannte wandelte sich der Ausdruck in ihren Augen zu Panik um. Sie versuchte von uns zurück zu weichen, war aber zu schwach.. Es liefen immer noch vereinzelte Tränen ihr Gesicht entlang, vermutlich hatte sie im Schlaf geweint..
„Jetzt mach das, wofür du hier bist. Öffne das Geschenk.", forderte Simon spöttisch. Er wusste, dass sie es nicht konnte, selbst wenn sie wollen würde.
„Es, es geht nicht.", hauchte Emily mit ihrer dünnen und zerbrechlichen Stimme.
Simon wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, als Jacob ihn mit einem einzigen Blick zum Schweigen brachte.
„Okay, du wirst zur Hilfe eine Schere und ein Messer bekommen. Aber komm ja nicht auf dumme Gedanken, das würde nicht gut für dich enden.", meinte Jacob kalt. Na ja, etwas anderes als kalt konnte der Typ ja auch nicht....
Emily's Sicht
Hätte ich nicht einfach nicht mehr aufwachen können? Das hätte wirklich alles vereinfacht. Es war so schön dort, wo ich war. So friedlich, wie es noch nie in meinem ganzen Leben war.
Und jetzt war ich wieder hier in dieser riesigen Halle und ich wusste wirklich nicht, wie lange ich noch durchhalten konnte. Ja, ich hatte jetzt eine Schere und ein Messer und das half mir wirklich enorm, meine äußeren Wunden nicht noch größer zu machen. Schließlich hatte ich schon genug Blasen und Kratzer vom Auspacken an meinen Händen... Aber die Wunden in mir drin, die wuchsen trotzdem weiter. Es schien fast so, als wäre in mir drin einfach nur noch eine riesige klaffende Wunde. Als wäre ich ein einziges Wrack, was bei jedem Schritt, den ich machte, untergehen könnte. Der Schmerz lies sich nicht mehr abstellen und drohte mich zu überwältigen. Ich fühlte mich so, als würde der ganze Schmerz, den ich über die ganzen Jahre verdrängt hatte, jetzt hoch kommen. Es war einfach zu viel. Mehr als ein Mensch ertragen konnte und sollte. Niemand sollte in seinem Leben so viel Schmerz ausgesetzt werden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro