*14*
Drei Monate später:
Ich stand vor dem Spiegel. Eigentlich hätte ich müde sein müssen, da ich in der Nacht nicht schlafen konnte. In den Nächten davor war es nicht anders gewesen.. Meine Augenringe sahen sehr besorgniserregend aus, aber ich war dennoch nicht müde... Auch nicht wirklich wach.. Ich spürte einfach nichts.. Meine Haare hingen zerzaust meinen Kopf herunter, sie sahen genauso schrecklich aus, wie ich mich fühlen würde, wenn ich denn etwas fühlen würde.. Aber ich hatte schon vor einiger Zeit jegliche Emotionen verloren.
Da ich auch auf mein Äußeres keinen Wert mehr legte, machte ich mich wie in Trance auf den Weg zur Schule. Ich lief zwar gerade einen Weg entlang, aber es war so, als wäre ein wichtiger Teil von mir nicht anwesend und würde fehlen. Aber selbst das war mir egal. Auch die Person, die ständig hinter mir herlief, war mir mittlerweile egal. In den ersten Wochen hatten mich diese Gestalten noch genervt und ich hatte versucht, ihnen zu entkommen, aber auch das war nun vorbei.. Ich war sogar mehrmals vor ihnen weggerannt, aber sie haben mich jedes Mal eingeholt.. Ich hatte aufgehört, Leute zu grüßen und anzulächeln. Meistens war das Lächeln sowieso nicht echt gewesen... Ich hatte mich dazu entschieden, den Menschen zu zeigen, wie es mir wirklich ging. Ich versteckte mich nicht mehr hinter einer Mauer..
Meistens konnte man aber in meinem Gesicht keine Emotionen sehen, da ich aufgehört hatte, zu fühlen.. Und wenn ich doch ein Gefühl zuließ, dann war es mir egal, ob es jemand bemerkte.. Meinetwegen konnten sie alle sehen, was sie aus mir gemacht haben... Was für ein Wrack ich nun war.. Wegen ihnen..
Im Bus bekam ich einen Sitzplatz. Die meisten Menschen machten einen großen Bogen um mich, man könnte auch sagen, sie hatten Angst vor mir. Früher hätte ich bestimmt auch Angst vor der Person gehabt, zu der ich geworden bin.. Aber ich wollte niemals so werden. Es blieb mir gar keine andere Wahl, denn irgendwann wurde es einfach zu viel. Ich wollte immer stark bleiben und kämpfen, aber an einem bestimmten Punkt fehlte mir die Kraft dazu. Es war viel leichter, einfach aufzugeben. Und das habe ich auch getan... Aufgegeben.. „Entschuldigung, ist der Platz neben dir noch frei?", wollte ein kleines Mädchen von mir wissen. Mich hatte lange keiner mehr angesprochen, auch Alice und Benjamin hatten akzeptiert, dass es zwecklos war. Und ich fand es gut, von keinem angesprochen zu werden. Das machte das Leben einfacher... Dementsprechend störte es mich sehr, dass das kleine Mädchen sich traute, mich anzusprechen.. Damit mich weiterhin keiner ansprach, musste ich dem Mädchen also eine Lektion erteilen. Und ich wusste bereits, wie... „Nein, der Platz neben mir ist besetzt. Und wenn du noch einmal wagst, mich anzusprechen, wirst du es bereuen.. Und jetzt verschwinde, bevor ich mir noch etwas besseres ausdenke.", warnte ich sie gehässig. Es war lange her, dass ich gesprochen hatte und meine Stimme hörte sich ungewohnt fremd an.. Es klang so, als würde nicht ich sprechen, sondern ein anderer Mensch.. Bei meinen Worten zuckte das kleine Mädchen zusammen.
Wahrscheinlich hätte in diesem Moment jeder mit diesem kleinen Mädchen Mitleid gehabt, aber mir war sie egal, solange sie nie wieder mit mir sprach.. Weil das Mädchen in eine Art Starre verfallen war, zischte ich bedrohlich: „Ich sagte doch verschwinde! Oder willst du Probleme haben? Wirklich, die kann ich dir verschaffen.. Mit Vergnügen sogar. Also, was sagst du?" Das Mädchen war mittlerweile den Tränen nahe und stotterte: „Tsch.uuldi..ggung, kommt nicht noch einmal vor." Danach ging sie eilig in die andere Ecke des Busses, möglichst weit weg von mir.. Ja, ich war zu einem Monster geworden, aber ich konnte nichts dafür. Ich wurde zu dem gemacht, was ich jetzt bin...
Der Bus hielt an und ich lief an die frische Luft. Wieder machten alle einen großen Bogen um mich, was mir sehr recht war. Ich setzte mich hinter eines der Gebäude. Wieder wurde ich von einer dieser Gestalten beobachtet, aber daran hatte ich mich bereits gewöhnt.. Es war die gleiche, die mich auch im Bus bewacht hatte.. Ja, mittlerweile konnte ich schon einige von ihnen auseinanderhalten. Und das, obwohl sie alle genau das gleiche trugen und immer eine Kapuze aufhatten..
Auf dem Schulhof fragte mich ein weiteres Mädchen, wo die Toiletten waren. Was wollten die denn heute alle von mir? Sie müssten doch wissen, wer ich war! Aber anscheinend brauchten sie alle noch mal eine kleine Auffrischung.. Deshalb zischte ich:" Du wagst es, mich anzusprechen? Das wird dir noch Leid tun! Man hält sich fern von mir!" Das Kind antwortete schüchtern: „Tut mir leid, ich wusste das nicht.." „Du wusstest das nicht? Jeder hier weiß das!" , stellte ich klar. Anschließend kam ich ihr bedrohlich nah und sie wollte nach hinten ausweichen. Da war aber eine Wand.. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.. Ich flüsterte nah an ihrem Ohr, während ich ihr kleines Herz ängstlich pochen hörte: „Wagst du, oder irgendjemand von deinen Freunden, mich anzusprechen, dann werdet ihr dafür bezahlen. Versprochen." Lächelnd blickte ich in ihre panischen Augen.. Ja, ich war wirklich ein Monster. Aber das war mir egal.. Plötzlich kam jemand von hinten, der mich wegzog. Ich sah nur noch, wie das kleine Mädchen schnell wegrannte. Kluge Entscheidung..
Ich war wütend, dass ich einfach weggezogen wurde. Und ich konnte ziemlich unangenehm werden, wenn ich wütend war.. Als ich mich umdrehte, sah ich, wer mich weggezerrt hatte. Aber damit hatte ich nicht gerechnet.. Es war einer von ihnen.. Einer von diesen Gestalten. Und genau die hatten mich zu dem gemacht, was ich bin.. Das machte mich gerade noch wütender.. „Was willst du?", zischte ich. Bis jetzt hat mich noch niemand von ihnen angesprochen.. „Es reicht, Emily.", meinte er. „Erstens verstehe ich dich nicht, wenn du in Rätseln sprichst und zweitens hast du mir gar nichts zu sagen.. Reicht es euch jetzt nicht mehr mich komplett zu Überwachen? Wollt ihr mir jetzt auch noch vorschreiben, was ich zu tun habe?", fragte ich spöttisch. „Ob du mir glaubst, oder nicht, ich will dir helfen.", versicherte er mir. „Gut, ich glaube dir nicht. Ich muss jetzt übrigens zur Schule, da meine Stunde jetzt anfängt. Ich würde ja sagen es hat mich gefreut, mit dir zu sprechen, aber das hat es ganz sicher nicht.", erklärte ich ihm.. „Auch gut, dann zerstör dich ruhig, aber lass die ganzen anderen Menschen daraus. Sie können nichts dafür."„Was? Das hast du jetzt nicht gerade gesagt. Ich zerstöre mich nicht, die Aufgabe hat schon immer jemand anderes übernommen und du weißt genau, wer. Du und deine dummen Freunde. Ihr habt mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich konnte noch nie etwas dafür! Und jetzt wagst du es, mir die Schuld zu geben!?" . „Ich verstehe, dass du sauer bist, aber es ist wichtig, dass du die anderen Leute da raus lässt!", erklärte er energischer. „ Du verstehst gar nichts. Und was ist, wenn ich die anderen Leute nicht daraus lasse?", fragte ich schnippisch. „Ach, uns fällt da bestimmt etwas ein.. Wie du weißt sind wir alle ja sehr kreativ.", „Ich hasse euch. Euch alle.", sagte ich, bevor ich mich rasend vor Wut in die Klasse begab. Es war neu für mich, wieder Gefühle zu empfinden, aber ich hätte nicht gedacht, dass das erste, was ich fühle, Wut sein würde... Ich hatte eher auf Freude gehofft.. Aber das war sehr unrealistisch.. Gerechnet hatte ich aber mit Trauer.. Aber bekanntlich lagen Wut und Trauer nicht weit auseinander, also lag ich gar nicht so falsch..
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