Jeffrey Clark
Ich lag zusammengerollt auf dem Bett und fühlte mich schrecklich.
Mein Wange brannte noch immer, die langen, grünen Fingernägel hatten zwei neue Schrammen in meinem Gesicht hinterlassen.
Ich trug nicht mehr die durchnässten Klamotten, die ich getragen hatte, als Mr. Franklin mich an der Tankstelle aufgelesen hatte. Stattdessen hatte ich mir die nächstbesten Sachen aus dem gut gefüllten Kleiderschrank genommen und trug nun einen ausgeleierten, schwarzen Hoodie mit Totenkopfprint und ausgeblichene Skinnyjeans.
In dem Zimmer, auf das die Frau in Grün mich geschickt hatte, nachdem sie mit mir fertig war, fühlte ich mich einigermaßen wohl, zum ersten Mal seit ich mich erinnern konnte.
Die Wände waren rostrot und über und über mit Bandpostern und Skizzen beklebt. Das Bett war groß und gemütlich und auf dem Schreibtisch stapelten sich Notizbücher.
Und dennoch...
Mir war übel, ich war entsetzlich müde und meine Erinnerungen waren noch immer nicht zurückgekommen. Aber wenn das jedes Mal so wehtat wie beim letzten Mal konnte ich gut darauf verzichten.
Ich dachte mit Schaudern an den entsetzlichen Schmerz zurück, der mich auf dem Parkplatz beinahe um den Verstand gebracht hätte. Die Ohrfeigen der Frau in Grün waren nichts dagegen gewesen.
Meine Mutter. Ich stöhnte leise. Die Schläge hatten meine Kopfschmerzen noch verschlimmert.
Neben mir piepste etwas. Ich fuhr hoch und entdeckte ein Smartphone auf dem Nachttisch liegen, das offensichtlich gerade eine neue Nachricht empfangen hatte.
Ich griff danach.
Camilla (01:37):
Kann nicht schlafen. Telefonieren?^^
Camilla? Der Name kam mir bekannt vor, aber mehr auch nicht.
Ich seufzte und stellte das Handy auf lautlos.
Dann ließ ich mich auf das Bett zurückfallen und schlang die Arme schützend um die schmalen Schultern. Ich war unfassbar dünn und ziemlich schmächtig. Dazu die kränkliche, bleiche Gesichtsfarbe. Gesund war das bestimmt nicht. Ich hätte gerne etwas gegessen, doch die Frau in Grün hatte erklärt, ich könne nicht erwarten, jetzt noch etwas zu essen zu bekommen, nach dem, was ich getan hatte.
Ich überlegte, ob ich es riskieren sollte, nochmal heimlich in der Küche vorbeizuschauen, an der mich die Frau in Grün auf dem Weg zur Treppe vorbei gezerrt hatte. Ich entschied mich dann aber doch dagegen. Ich wollte nicht wissen, was mir drohte, wenn die Frau in Grün mich dort erwischte.
Obwohl ich unfassbar müde war, schaffte ich es nicht, einzuschlafen. Da waren einfach viel zu viele Gedanken, die sich in meinem Kopf angestaut hatten. Nichts passte zusammen, nichts ergab Sinn. Ich fühlte mich erbärmlich. Bis jetzt war alles, woran ich mich erinnern konnte, dass man mir nicht zugehört, mich herumgeschubst und verprügelt hatte.
Aber vermutlich war es ja zuvor genauso gewesen. In der Zeit vor dem Aufwachen, an die ich mich nicht erinnern konnte. Zumindest ließen die älteren Wunden in meinem Gesicht und die Selbstverständlichkeit, mit der Dinge geschahen, darauf schließen.
Die frischen Schnitte auf meiner Wange brannten, als eine einzelne, salzige Träne darüber rann und auf meine Hand tropfte. Ihr folgten weitere und schließlich verbarg ich den Kopf in den Händen und stieß ein dumpfes Schluchzen aus. Meine Schultern bebten und ich rang verzweifelt nach Atem.
Meine Augen brannten, ich zitterte unkontrolliert und mein ganzer Körper krampfte sich zusammen.
Zu viele Gefühle tobten in mir. Wut, Verzweiflung, Ratlosigkeit. Sie stauten sich auf und festigten sich zu einer brodelnden Masse aus Schmerz und Aggression.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich hatte das Gefühl, mit jeder Sekunde, in der ich meine Gefühle weiter zurückhielt, wahnsinniger zu werden. Ich sprang auf, meine Knie zitterten.
Dann stieß ich einen heiseren Schrei aus. Meine Faust schnellte nach vorn, ohne ein bestimmtes Ziel und traf die Wand.
Dumpfer Schmerz durchzuckte meine Finger und mein Handgelenk. Meine Knöchel pochten.
Ich schlug wieder und wieder zu, auch als meine Haut bereits aufgerissen war und blutete. Ich schrie und weinte. Vor Schmerz, aber auch Erleichterung. Ich bemerkte kaum, wie die Zimmertür aufgerissen wurde. Im Grunde war es sowieso egal.
Die Frau in Grün nahm ich erst bewusst wahr, als sie mich am Kragen packte, mich von der Wand wegzerrte und kräftig schüttelte.
Ich wand mich in ihrem Griff, Tränen rannen meine Wangen hinunter.
Sie schrie mich an, ich solle still sein und schließlich stieß sie mich von sich und ich krachte schmerzhaft auf den Boden. Meine Arme waren blutverschmiert, ich schluchzte noch immer.
"Ich glaube", stellte die Frau in Grün mit gefährlich ruhiger Stimme fest "es ist Zeit, Dr. Brown zu kontaktieren."
***
Dr. Browns Praxis war hell und fast vollkommen weiß eingerichtet und es roch nach Putzmittel und Kaffee.
Dr. Brown selbst war ein großer, dünner Mann mit grau meliertem Haar und einem breiten Lächeln, das meiner Meinung nach viel zu optimistisch war, für einen Mann, der den ganzen Tag mit geistig Gestörten zubrachte.
Er empfing mich wie einen alten Freund.
"Ah, Jeffrey! Ich hab länger nichts mehr von dir gehört. Alles gut soweit?"
Ich zuckte nur müde mit den Schultern.
Die Frau in Grün, die heute Ocker trug, blieb mit grimmigem Gesicht im Wartezimmer zurück, während Dr. Brown mich, durch einen mit schwarz-weiß Fotos vollgehängten Flur, zu seinem Behandlungsraum führte.
Um zwei durchgesessene Sofas herum standen Regale in denen sich Spiele und Puppen häuften. Er bedeutete mir, Platz zu nehmen und ließ sich dann mir gegenüber nieder.
"So, wie geht's uns denn?" Er sprach mit mir wie mit einem Dreijährigen.
"Was ist denn da passiert?"
Er wies mit einem Kopfnicken auf mein Gesicht.
"Ich... bin gegen eine Tür gelaufen", nuschelte ich.
"Gegen eine Tür, soso. Schon wieder?"
Dr. Brown runzelte misstrauisch die Stirn.
"Ich weiß es nicht", knurrte ich. "Ich kann mich an nichts erinnern."
Der Arzt beugte sich vor und musterte mich interessiert.
"An gar nichts?"
"Nichts. Alles weg", erklärte ich leicht genervt.
"Erinnerst du dich an mich?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Soso. Aber deinen Namen kennst du doch wohl noch."
"Ich heiße Jeffrey, aber das weiß ich nur, weil mir dieser Name auf gefühlten 1000 Dezibel ins Ohr gebrüllt wurde. Aber erinnern kann ich mich nicht daran", erwiderte ich mürrisch. Ich hatte eine anstrengende Nacht hinter mir und keine Lust, jetzt mit diesem Dr. Brown zu diskutieren.
Der schien aber genau das herauszufordern.
"Wie fühlt sich das denn an, jegliche Erinnerungen verloren zu haben?"
"Es fühlt sich mies an, wie auch sonst?"
Der Arzt schien zu warten, offenbar erhoffte er sich eine ausführlichere Antwort. Ich seufzte resigniert.
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