- Kapitel 1 -
29.April 2023, Freitag/ Toby
„Hey, da bist du. Ich hab dich schon gesucht.", diese Stimme, tief wie das Ende einer Klippe, aber dennoch warm wie der verführerische Sonnenschein, der einen an heißen Sommertagen nach draußen lockt. Doch ich habe diese Stimme nicht unabsichtlich mit einer Klippe verglichen, denn sie ist ebenso gefährlich. Mein Blick wandert zu der Quelle, die sich als mein bester Freund entpuppt. Clayton.
Seine Statur ist großgewachsen, vielleicht um die 1,80 Meter groß, wenn ich richtig schätze. Er ist schlank gebaut und doch weiß ich, dass sich unter seinem weißen Pullover sichtbare Muskeln befinden. Seine Haare besitzen eine dunkelblonde Färbung und sind leicht gewellt, sodass sie unfassbar weich wirken.
Meine Augen bleiben erst an seinem Lächeln hängen. Es ist ansteckend und führt immer dazu, dass sich eine bestimmte Wärme in meiner Bauchgegend breit macht. Kurz sehe ich höher auf seine Nase. Auf dieser und über seinen Wangen sind helle Sommersprossen verteilt, was ich ziemlich süß finde. Wie als hätte man braunen Zucker über sein Gesicht gestreut. Manchmal frage ich mich welches Bild wohl entstehen würde, wenn man jeden einzelnen Punkt miteinander verbindet. Mein Blick gleitet noch höher, trennt sich ungern von den nahezu perfekten Zähnen, die von seinen rosigen Lippen umrandet werden und heftet sich an seine Augen.
Ein helles grün, dass an weite Grasflächen erinnert, an volle Baumkronen in einem Wald zur Sommerzeit und an glücksbringende Kleeblätter. Ich liebe diese Farbe, diese Ausstrahlung die sie besitzen, aber Wälder sind auch tief und man kann in ihnen verloren gehen.
Leider verliere ich mich sehr oft in ihnen...
„Toby?", holt mich Claytons Stimme wieder aus meinen Tagträumen. Verdammt, wie lange hatte ich ihn wohl gerade angestarrt? Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus. Hoffentlich hat er es nicht bemerkt.
„Ähm, was gibt es denn?", frage ich nach, denn falls er mich etwas gefragt haben sollte hatte ich es definitiv nicht gehört und fahre mir nervös mit meinen Fingern durch meine bräunlichen Haare. Ich vergleiche sie gern mit der Farbe von dem Holz der Schwarz-Eichen, die hier an einigen Stellen in der Prärie von Florida wachsen.
„Hast du Lust bei meinem Fußballtraining heute Nachmittag zuzuschauen? Wir könnten danach noch etwas zusammen machen.", schlägt Clayton fröhlich gestimmt vor und mein Gesicht hellt sich augenblicklich auf. Zeit mit dem Jungen verbringen, der mein Herz höher schlagen lässt? Da sage ich nicht nein.
Mit einem erfreuten Nicken stimme ich seiner Idee zu und stehe von einer der Holzbänke auf, die auf dem Pausenhof unserer Schule verteilt stehen. Passend dazu ertönt das Läuten der Schulglocke, um das Ende der Pause zu verkünden. Clayton legt einen Arm um meine Schultern, was er öfter tut, da ich eine guten Kopf kleiner bin als er und zieht mich mit ihm ins Schulgebäude. Es ist eine einfache Berührung, nicht viel dahinter und dennoch erhöht sich mein Puls und ich kann spüren, wie meine Wangen heißer werden.
Clayton trägt sein typisches Parfüm, dass mir sofort in die Nase steigt. Ein holziger Duft mit einer blumigen Note, Marke Playboy. Ich fühle schon seit längerer Zeit eindeutig mehr für meinen besten Freund als ich sollte. Täglich rede ich mir selbst auch ein, dass ich nicht so für ihn fühlen darf, nur zu meinem eigenem Schutz. Wir kennen uns seit wir sieben Jahre alt sind.
Ich zog nach Florida in die kleine Stadt am Meer, Pace.
Nicht weit weg steht das Haus von Claytons Familie, dadurch lernten wir uns schnell kennen und ich war froh einen Freund gefunden zu haben. Mit der Zeit wuchsen wir immer enger zusammen, teilten Hobbys und Gedanken, verbrachten unsere Freizeit miteinander, vertrauten uns blind und waren unzertrennlich. Deshalb weiß ich auch, dass Clayton in einem Haushalt lebt, der diese Art von Liebe nicht akzeptiert und somit hat er sich diese Meinung seiner Eltern angeeignet.
Aber seit kurzer Zeit baut er häufiger Körperkontakt auf als sonst, sei es wie jetzt nur ein Arm auf meinen Schultern oder eine Hand auf meinem Kopf. Manchmal machte er mir auch Komplimente zu meinem Aussehen, häufig bezog sich dies auf die Farbe meiner Augen.
Clayton meinte mal sie ähneln geschmolzener Vollmilchschokolade.
Sobald es aber zu viel wird für ihn fängt er an zu lachen und das Ganze als einfache Scherze abzustempeln.
„Jeder flirtet mal mit seinen Freunden zum Spaß.", ist seine Hauptantwort darauf. Doch es gibt mir leider auch immer ein wenig Hoffnung eine Chance bei ihm zu haben, wenn auch nur dieser winzige Funken und es schmerzt zu wissen, dass es mir letztendlich das Herz brechen könnte.
Clayton zieht mich durch die Gänge unserer Schule, vorbei an den anderen Jugendlichen bis hin zu unserem Klassenraum. Erst dort nimmt er seinen Arm von meinen Schultern, öffnet die Tür und betritt nach mir den Raum. Wir sitzen immer zusammen in der letzten Reihe am Fenster, da ich häufig die Zeit im Unterricht nutze um hinauszusehen und in Tagträumereien zu versinken. Aufpassen war noch nie meine Stärke, viel zu schnell lasse ich mich von irgendetwas ablenken und bin deswegen froh, dass Clayton neben mir sitzt, denn er sorgt dafür dass ich mitbekomme, wenn der Lehrer mich etwas fragt. Dementsprechend liegen meine Noten eher im Mittelfeld und auch beim lernen für Tests muss ich mich viel mehr anstrengen als manch anderer, da meine Aufmerksamkeitsspanne nicht besonders lang ist, was dieses Thema betrifft. Mein bester Freund ist das komplette Gegenteil. Er schreibt gute Noten, kann sich neunzig Minuten am Stück konzentrieren und ist immer perfekt vorbereitet.
Bewundernswert, wie ich finde.
Während des Unterrichts wandern meine Augen von der sauber geputzten Fensterscheibe zu Clayton rüber. Er schreibt mit, sieht konzentriert nach vorne, wobei sich seine Augenbrauen zusammenziehen und beißt nachdenklich auf seine Unterlippe.
Der hellblaue Kugelschreiber zwischen seinen schmalen Fingern bewegt sich mühelos über das linierte Blatt seines Schreibblocks und hinterlässt dabei schwungvolle Linien, die leserliche Buchstaben zum Vorschein bringen.
Plötzlich hält der Stift inne, die Mine hebt sich von dem Papier und der Block wird mit einer schnellen Handbewegung zu mir rüber geschoben. Der Lehrer hat mir eine Frage gestellt und ich habe mich soeben nicht mit den Aufgaben über den amerikanischen Bürgerkrieg befasst, sondern lieber die Hand meines Sitznachbarn studiert. Der Blonde deutet mit seinem Stift auf einen Satz, was ich als Zeichen nehme diesen vorzulesen.
„Der Bürgerkrieg dauerte vom 12. April 1861 bis zum 9. Mai 1865 an.", lese ich vor und zupfe mit meinen Fingern am Saum meines karierten Hemdes, um die Anspannung zu lockern die sich in meinen Nervenbahnen aufgebaut hat. Ich habe das Gefühl alle starren mich an und das führt beinahe dazu dass sich mein Magen umdreht.
Der Lehrer nickt zur Bestätigung der Antwort, woraufhin ein erleichtertes Seufzen über meine Lippen kommt. „Danke.", flüstere ich an Clayton gewandt. „Ich rette dir immer wieder gerne deinen Hintern.", erwidert er ebenso leise, gefolgt von einem Schmunzeln.
Den Rest der Stunde versuche ich, mich doch auf den Lehrer zu konzentrieren, aber Geschichte liegt mir genauso wenig wie Naturwissenschaften. In das eine Ohr rein und aus dem anderen direkt wieder hinaus, sodass nichts sonderlich in meinem Kopf hängenbleibt.
Es ist wie ein Fluch.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro