Kapitel 4
N O L A N
Ihre ozeanblauen Augen gingen mir nicht mehr aus meinem Kopf.
Sie glichen der Wasseroberfläche des Pools, in den ich sie nach ihrer verlorenen Wette mit dem größten Vergnügen hineingeworfen hatte, allerdings kam selbst der Pool nicht an die Farbe des freien Ozeans heran. An die Farbe, die in ihren Augen strahlte wie das Wahrzeichen von Paris.
Allerdings hatte sie sich die letzten drei Tage nicht mehr gemeldet. Ihre raffinierte Freundin Manon hatte meine Handynummer in Camilles eingespeichert, als Camille selbst damit beschäftigt gewesen war sich mit dem Handtuch abzutrocknen, sodass sie es nicht bemerkt hatte.
Doch diese trickreiche Aktion hatte sich noch nicht bezahlt gemacht. Vielleicht hatte Manon auch vergessen es ihr zu erzählen, sodass sie erst in einigen Wochen oder Monaten per Zufall über meinen Namen in ihrer Kontaktliste stolpern und sich den Kopf zerreißen wird, wer ich denn noch einmal gewesen war und woher sie mich denn überhaupt kannte.
Zumindest wird sie zu dem Zeitpunkt mit meinem Nachnamen nichts anfangen können, da ich ihr diesen nicht erwähnt hatte auf der Party. Genauso, wie mir ihrer noch verschlossen geblieben war. Nur dass sie um ein Jahr älter war als ich blieb mir glasklar vor den Augen stehen, sodass ich glattweg hindurchschauen konnte. Aber was waren denn schon so wenige Monate im Vergleich zu denen, die in unserem Leben noch vor uns lagen?
»Ich glaube, ich werde langsam alt.«, stöhnte eine vertraute Stimme neben mir. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie sich der Schwarzhaarige neben mich auf die Bank setzte, bevor er sich seine Schlittschuhe auszog. »Du? Ich bin älter, nur so nebenbei.«, grinste ich meinen Kumpel mit einem Stoß in die Seite an, bevor auch ich meine Schlittschuhe auszog, sie vor mir auf dem Boden ablegte und mich aus meiner Schutzausrüstung befreite. Meinen Mundschutz hatte ich vorhin bereits in seine Box verstaut, da das Sprechen damit im Mund störender war, als einige es vermuteten. Meine Beinschützer fielen neben meinen Schlittschuhen auf den Boden, als ich dessen Verschluss öffnete und auch meine Handschuhe legte ich neben mir auf die Bank.
»Ja, aber du bist ja auch Assistenzkapitän, du darfst nicht nörgeln. Ich schon.«, erwiderte der Braunäugige, ehe er sich auch seiner Schutzkleidung entledigte. Das A vorne links auf der Brust auf meinem Trikot, welches mich auf dem Feld auffälliger kleidete als meine Mitspieler, bestätigte die Worte von ihm. Allerdings war im Spiel das Wirrwarr schnell genug, sodass der Fokus auf ein einzelnes A auf einem Spielfeld mit zwölf Personen schnell verloren ging.
»Wie sieht's eigentlich mit deiner Perle aus? Hat sie dir immer noch nicht geschrieben?«. Ich erinnerte mich, dass Wang Jian, mein wahrscheinlich ältester Kumpel in dieser Großstadt, ebenfalls auf der Party von Inès gewesen war. Er hatte sich allerdings mit seiner Perle aus dem Staub gemacht, ehe ich Camille alleingelassen und verloren in der Küche gefunden hatte.
Und dieses blonde Mädchen machte mir mehr Gedanken, als ich es zugeben wollte.
Mit einem Kopfschütteln verneinte ich seine Frage, ehe ich meine restliche Schutzausrüstung, die ich in der Zwischenzeit ausgezogen hatte, in meine große, schwarze Sporttasche verstaute, mir meine weißen Air Max anzog und die Tasche schulterte. »Vielleicht hat sie einen Filmriss.«, sagte ich schulterzuckend und gespielt desinteressiert genug, um seine Aufmerksamkeit von ihr zu lenken. Eigentlich war sie auch kein großes Thema gewesen, immerhin war sie nicht das erste Mädchen, mit dem ich Kontakt aufgebaut hatte. Oder zumindest wollte ich mir dies oft genug einreden, um nicht irgendwann zu bemerken, was für einen Eindruck sie tatsächlich bei mir hinterlassen hatte. Mit ihrer amüsanten und zurückhaltenden Art, ihrem gefassten Mut, als sie aus ihrer Komfortzone herausgeschlichen war und ihrer Ausstrahlung, als sie glücklich war. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass sie es war.
»Vielleicht will sie dich ja auch gar nicht wiedersehen.«, witzelte er, ehe auch er aufstand und seine Tasche nahm. Ich zog lediglich eine Augenbraue in die Höhe, schüttelte erneut meinen Kopf - diesmal aus Amüsement -, und verließ mit ihm die Männerumkleide des Sportzentrums.
Dass Paris eine Sportanlage in diesem Zentrum für Eishockey eröffnet hatte, lag gar nicht einmal so lange in der Vergangenheit zurück. Es gab generell nur wenig Orte in ganz Frankreich, in denen solche Anlagen überhaupt vorhanden waren, da diese Sportart nur zu den Randsportarten gehörte und gegen andere Sportarten wie Fußball keine Chance hatte. Allerdings war sie durch ihre Seltenheit auch einzigartig genug, um weitaus interessanter zu sein als Fußball. Jian und ich spielten nicht ohne Grund in der Pariser Eishockeymannschaft und vielleicht irgendwann auch im nationalen Kader - ein großer Wunsch wäre es zumindest.
Und sich vorzustellen mit Hey, ich spiele Eishockey punktete besser bei der weiblichen Zuhörerschaft als Hey, ich spiele Fußball, so wie jede Person in diesem Land auch. Zumindest konnten mein Kumpel und ich dies so aus eigener Erfahrung bestätigen.
Zu einer festen Beziehung hatte mich dies allerdings nicht geführt. Jian tatsächlich schon, er und seine Freundin waren mittlerweile ganze drei Jahre zusammen - und dies nur wegen des Eishockeys. Vielleicht war dies ja die Sportart zum Verlieben in der Stadt der Liebe.
»Wie sieht's aus? Heute Abend bei mir?«, fragte Jian, als wir draußen vor dem Haupteingang des riesigen Zentrums zum Stehen kamen. Ich kniff meine Augen bei der Einwirkung der Sonnenstrahlen zusammen, da der Helligkeitsunterschied zwischen diesem grellen Mai draußen und dem dunklen Eingangsbereich drinnen im Zentrum ein enormer Unterschied war.
Ebenso presste ich meine Lippen aufeinander und schüttelte meinen Kopf. »Ich kann nicht, ich muss noch einige Vorlesungen von heute nachholen, die ich verpasst habe.«,
»Verpasst oder geschwänzt?«, hinterfragte er mit einem schelmischen Grinsen, das mich direkt ansteckte. »Ich sehe da keinen Unterschied.«, war meine einzige Antwort.
Somit verabschiedeten wir uns voneinander, schlugen unterschiedliche Heimwege ein und vergrößerten die Distanz zwischen uns um ein paar Stadtbezirke, ehe ich bei mir in der Wohnung auf meinem Schreibtischstuhl saß mit meinem Laptop auf dem Tisch und meinem Tablet als Papierersatz vor mir liegend.
Das Positive an dieser Einzelwohnung war definitiv, dass ich rund um die Uhr meine Ruhe hatte. Ab und an ertönten zwar Geräusche meiner Nachbarn über mir durch die Zimmerdecke hindurch - ja, Möbel verrücken und sexuelle Geräusche mit eingeschlossen -, allerdings war dies noch leise genug, um nicht wahnsinnig zu werden. Die Wände waren breit genug, um den meisten Lärm der niemals ruhenden Stadt abzuschirmen und Métro-Stationen waren ohnehin unterirdisch, sodass man sich diesbezüglich keine Sorgen machen musste wie bei einer S-Bahn-Station genau unter dem Zimmerfenster.
Es war eine perfekte Wohnung zum Lernen. Also, eigentlich. Ich legte nicht zu viel Engagement in mein Studium. Nicht, weil es mir egal war und es mich nicht interessierte - das tat es durchaus! -, sondern weil ich meine Zeit, die ich schon immer für den Sport investiert hatte, nicht wegen des Studiums verkürzen wollte. Nichts in dieser Stadt könnte mich dazu bringen, den Sport zu vernachlässigen, da er einfach meine einzige Möglichkeit war, um den Alltagsstress abzulegen und mich einfach auf das zu konzentrieren, was mir wirklich Spaß bereitete. Auch, wenn die Mannschaft von unserem Trainer manchmal über das Eis gehetzt wurde wie eine Herde Rehe auf der Jagd.
Ich wusste erst als mein Benachrichtigungston meines Handys klingelte, wie lange ich bereits vor dem Laptop saß. Das grelle Tageslicht von heute Nachmittag hatte sich in eine wohltuende Dämmerung verwandelt, die noch vage durch meine Fenster meine Wohnung flutete. Als Ausgleich dazu schaltete ich einige kleine Lämpchen an, um eine gemütliche Atmosphäre um mich herum zu erschaffen.
Mit einem flüchtigen Blick auf meinen Sperrbildschirm erhaschte ich dann die Nachricht, die mir von einer unbekannten, nicht eingespeicherten Nummer geschickt wurde.
Unbekannt: Mein Kater am Samstag hat mir einen ganzen Tag meines Lebens geraubt. Danke dafür :)
Meine sich hebenden Mundwinkel wussten eher, um wen es sich hinter der Nachricht handelte, als mein Kopf es begreifen konnte. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm ich nun mein Handy auf und öffnete den Chat.
Ich: Also hast du doch keinen Filmriss und kannst dich noch an mich erinnern?
Es dauerte auch keine zehn Sekunden, ehe sie antwortete.
Camille: Jemand, der mich betrunken in einen Pool schmeißt, bleibt wohl oder übel in meinen Gedanken.
Mein Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen, als ich das Szenario in meinen Erinnerungen nochmals abspielte. Ihre Freundin Manon hatte ihr Handy genommen, da es nicht wasserdicht gewesen war, bevor ich sie mit Kleidung, Brille und Schuhen in Inès' Pool geworfen hatte. Dieser Anblick, als sie aufgetaucht und sich das Wasser aus ihren Augen gerieben hatte, bevor sie klitschnass nach ihrer Brille gesucht hatte, war wirklich ein Lacher wert gewesen. Und so etwas hatte ich zuvor auch noch nicht mit einem Mädchen gemacht.
Die meisten hätten sich wahrscheinlich Sorgen um ihr Make-Up gemacht.
Aber ihre Sorge war mitunter ihre Brille gewesen.
Ich: Sorry not sorry :D
Weiter kam die Konversation nicht, da sie nicht antwortete und mich somit zwang, meine Notizen von der aufgenommenen Vorlesung weiter aufzuschreiben.
Erst nach weiteren zwanzig Minuten, als das Vorlesungsvideo sein Ende gefunden hatte, legte ich den Stift für mein Tablet beiseite, schaltete es aus und lehnte mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück.
Erschöpft von dem heutigen Montag atmete ich tief aus und ließ für wenige Minuten meine Spotify-Playlist auf dem Laptop laufen, während ich meine Augen schloss und mich entspannte. Als ich meine Augen wieder öffnete, wanderte mein Blick auf den schwarzblauen Eishockeyschläger an der Wand vor mir, den ich dort bei meinem Einzug mühsam aufgehängt hatte. Es war mein alter Schläger gewesen, der mich als Jugendlicher in meiner Jugendzeit auf dem Eis treu begleitet hatte und obwohl er ramponiert und abgenutzt aussah, so strahlte er immer noch wie am ersten Tag, als ich ihn mit meinem Vater im Sportladen gesehen hatte.
Schwarzblau.
Schwarz wie die mysteriöse Nacht und blau wie der Ozean.
Blau wie ihre Augen.
~
Weitere zwei Tage vergingen, in denen Camille und ich einige Nachrichten ausgetauscht, uns gegenseitig GIFs geschickt und uns mit Witzen und Sarkasmus zum Lachen gebracht hatten. Ebenfalls hatte ich sie überzeugen können, mir ihren Benutzernamen auf Instagram zu nennen.
»Wenn ihr eine der beiden Sprachen wählen müsstet, welche würdet ihr lernen - Luxemburgisch oder Laotisch?«, riss mich Jians Stimme zurück in die derzeitige Situation, in der ich mich befand. Inès und ihr Kumpel André saßen mir am Mensatisch gegenüber, währenddessen mein Schwarzhaariger Eishockeykumpane neben mir saß und mit seiner Gabel in der Luft herum stocherte, während er seine Frage weiter betonte und uns dreien einen eindringlichen Blick zukommen ließ. Ich schaute dem Blondhaarigen gegenüber von mir ins Gesicht, als er Gestiken zu Antworten machte.
Seine lockigen Haarsträhnen wirkten rauchig, als wären sie von Asche bedeckt worden. Seine dunklen Augen währenddessen harmonierten mit seinen dichten Augenbrauen und gaben ihm einen kraftvollen Ausdruck.
»Luxemburgisch. Wahrscheinlich werde ich niemals einen Fuß auf laotischem Boden setzen.«, war seine Antwort, hervorgebracht durch seine tiefe Stimme. Er klang so, als hätte er den Stimmbruch direkt zweimal erlebt und das doppelte Ergebnis daraus erzielt. Er klang weitaus älter, als er wahrscheinlich in Wirklichkeit war - mit seinem Milchbubi-Gesicht ohne Bart wirkte er zumindest jung.
Wie alt er aber in Wirklichkeit war, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass er in Inès' Alter sein musste - um die fünfundzwanzig Jahre alt.
»Ja, ich auch. Luxemburg ist direkt nebenan, wäre praktisch.«, äußerte Inès mit einem zustimmenden, verlockenden Grinsen zu André, welcher als Reaktion darauf einen Arm um sie legte und sie kurz an sich drückte. Dass er mit ihr flirtete - nicht nur jetzt gerade, sondern generell zu jeder Gelegenheit -, lag glasklar auf der Hand. Selbst eine blinde Person würde dies erkennen - oder spüren. Aber sie waren kein Paar - noch nicht. Interesse an ihr hatte er nämlich eindeutig schon.
»Und du, Nono?«, adressierte mein bester Freund nun mich. Ich fand diesen Spitznamen noch immer eigenartig, da ich kein großer Fan von solchen Abwandlungen war, allerdings hatte er mich bereits seit dem Anfang unserer Freundschaft so genannt, sodass ich es ihm nun nach all den Jahren schlecht verübeln konnte.
Dennoch war ich innerlich froh darüber, dass kein anderer mir einen Kosenamen gegeben hatte.
»Laotisch.«, war meine Antwort. Es wurde kurz still zwischen uns vieren, sodass nun die Geräuschkulisse um uns herum deutlich zu hören war. All die verschiedenen Stimmen um uns herum wuchsen zusammen zu einem Knäuel an unendlichen Worten und Stimmlagen. All die Menschen in dieser großen, geräumigen, hallenden Mensa waren verschmolzen zu einer Kulisse.
»Warum das?«, kam zuerst von André. Meine Begründung war simpel und Jian wusste sie wahrscheinlich auch bereits, zumindest schaute er mich dementsprechend an, seine Neugierde war nämlich bei weitem nicht so groß wie sonst.
»Ich bin der luxemburgischen Sprache bereits mächtig.«, erklärte ich mühelos.
»Warum lernt man als Grafikdesigner Luxemburgisch?«, hakte der Dunkelblondhaarige nach mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. War es pure Verständnislosigkeit gewesen oder heimliche Faszination gegenüber diesem winzigen Land?
Mit einem Schulterzucken beantwortete ich ihm seine Frage. »Meine Mutter kommt ursprünglich aus Luxemburg.«.
»Du bist also bilingual aufgewachsen?«. Ich nickte André vor mir zu, der doch weitaus interessierter zu sein schien, als ich es dachte. Luxemburg war ein winziges Land im Vergleich zu seinen Landesnachbarn, also konnte ich seine Faszination darüber als jemand ohne Bindung zu diesem Land nur schwer nachvollziehen.
Mich faszinierten Länder wie Swasiland und Laos immerhin auch nicht.
»Korrekt.«, nickte ich.
»Welche Sprache würdest du wählen, Jian?«, adressierte ich nun den Fragesteller selbst. Er zögerte nicht und antwortete Luxemburgisch.
»Und welche würdet ihr zwischen Koreanisch und Japanisch wählen?«, wandelte Inès mit ihrem hinreißenden, engelsgleichen Lächeln die Frage um. Ihre schwarzen, gepflegten und glänzenden Korkenzieherlocken fielen ihr über die Schultern, während sie das Deckhaar zu einem Dutt am Hinterkopf geknotet hatte. Ihre Ohren kamen dadurch trotz ihres Haarvolumens zum Vorschein und enthüllten ihre goldenen Ohrringe, die ihr das Licht reflektierend wie Spiralen ihren typischen luxuriösen Touch verliehen.
Egal wie sie aussah und was sie trug, Inès hatte immer etwas an sich, das sie luxuriös und wohlhabend wirken ließ. Etwas, das den Stand ihrer Familie in der Gesellschaft verkörperte und widerspiegelte.
»Koreanisch. Dann verstehe ich endlich mal, was meine kleine Schwester immer für nervige Musik hört.«, antwortete André erneut zuerst. Ich hob eine Augenbraue als Reaktion und sah in seine dunklen Augen, die weitaus dunkler waren als meine. Seine Pupillen konnte man von der Iris kaum unterscheiden.
»Deine Schwester hört K-Pop?«,
»Sie hört es nicht nur, sie singt es auch lautstark mit. Aber sie kann die Sprache sprechen, deshalb klingt wenigstens ihre Aussprache fließend... also, glaube ich.«, nickte er mir zu.
Da hatten wir dann doch eine Gemeinsamkeit, wenn ich an meine beiden Schwestern dachte. Zwillinge, die eigentlich unterschiedlicher nicht sein konnten und doch den gleichen Musikgeschmack hatten.
Bis zu meinem Auszug und Umzug in diese Hauptstadt musste ich mir auch täglich diese Sprache anhören, die lautstark aus deren jeweiligen Zimmertüren gedröhnt war. Allerdings musste ich gestehen, dass koreanische Poplieder einen interessanten Rhythmus hatten und irgendwie anders klangen als andere Poplieder - anders als amerikanische, französische oder britische Poplieder.
Sie hatten ihren ganz eigenen Charme.
»Japanisch.«, war meine intuitive Antwort. Auch wenn ich eigentlich keinen Bezug zu Asien hatte, so juckte mir Japan doch am meisten in den Fingern.
Inès ging mit Japanisch mit und Jian entschied sich für Koreanisch - auch nur, weil er Japanisch bereits sprechen konnte.
Es faszinierte mich auch immer, wie viele Sprachen es weltweit gab und welche Person vor einem welche Sprache sprechen konnte, obwohl sie gar nicht den Anschein danach erweckte.
Jian, halb Franzose, halb Chinese, wurde auch bilingual erzogen, sodass er - Englisch dazu addiert - auf vier Sprachen kam.
Ich kam auf drei, Inès ebenso - sie sprach zusätzlich noch Portugiesisch, die Amtssprache in Angola, der Herkunft ihrer Mutter - und André wie es sich herausstellte auf zwei - Englisch und Französisch.
Nach unseren weiteren ausgedachten Fragen verloren wir uns alle in den Displays unserer Handys, sodass wir zeitweilig verstummten. Ich erkannte auch eine Nachricht von Camille, die sie mir vor wenigen Minuten geschrieben hatte. Als ich die Nachricht öffnete, erkannte ich allerdings ein Bild mit einem Titel, welches sie mir geschickt hatte, anstatt einer einfachen Textnachricht.
Camille: [.jpg]
Camille: Ich wäre übrigens für eine Revanche.
Ich klickte auf das Bild, um es im kompletten Format erkennen zu können. Im Vordergrund war ein mintgrüner Controller abgebildet von einer Nintendo Switch und im Hintergrund ein kleiner Beistelltisch mit winzigem Fernseher, auf dem Mario Kart im Einspielermodus dargestellt war. Der Charakter, den ich erkannte, war Link - derselbe, den Camille auf Inès' Party ausgewählt hatte. Es war der Regenbogen Boulevard, auf dem sie gerade das Rennen fuhr und auf dem sie auf Platz Eins lag. Der Boulevard, auf dem sie ihre Wette gegen mich verloren hatte.
»Hat dein Blondschopf dir geschrieben, oder warum das Grinsen in deinem Gesicht?«, beugte sich Jian interessiert und neckend zu mir herüber, um auf mein Handydisplay zu schauen. Instinktiv zog ich es von ihm weg und schaute ihm in sein verspieltes Gesicht.
»Ja, sie hat mir geschrieben.«, antwortete ich wahrheitsgemäß, ehe ich ihm nun doch den Chatverlauf zeigte.
Konzentriert las er sich ihn durch, hob neugierig eine Braue und schaute dann wieder in mein Gesicht. Seine dunklen Augen funkelten amüsiert, während seine Mundwinkel nach oben wanderten.
»Sie will dich wiedersehen.«.
»Ich kann zwischen den Zeilen lesen, aber Danke für deine Hilfe.«, lachte ich kurz auf. Der Gedanke, Camille wiederzusehen, verschaffte sich gerade eine Unmenge an Platz in meinem Kopf, der alles andere in den Hintergrund verbannte.
Dieses kleine, blonde Mädchen mit ozeanblauen Augen und einem mysteriösen Charakter. Sie wiederzusehen wäre selbst wider meinem Willen eine hohe Priorität.
»Also? Wann wirst du sie treffen?«, hakte er weiter nach.
»Wer? Nolan hat eine Freundin?«, wurde nun auch Inès hellhörig, die ihr überdimensional großes iPhone - es war glaube ich das 12 Pro Max, so wie sie es mir einmal erzählt hatte - auf den Tisch legte und mir nun ihre komplette Aufmerksamkeit schenkte.
Ich bemerkte auch erst jetzt, dass wir eine komplette Gruppe aus braunäugigen Menschen waren. Sechs braune Augen waren nun auf mich gerichtet und spannten mich durch ihre Intensität beinahe auf die Folter - und das, obwohl ich derjenige war, der etwas preisgeben sollte.
»Keine Ahnung. Ich werde bald mal ein Treffen mit ihr arrangieren, schätze ich.«, zuckte ich wenig organisiert mit den Schultern. Spontanität war noch nie meine große Stärke gewesen. Ich konnte nicht urplötzlich etwas entscheiden und das dann geradlinig durchziehen - außer auf dem Spielfeld natürlich. Aber als Person auf einem der dutzenden, weißen, flexiblen Mensastühlen und vor einem der dutzenden, weißgrauen Mensatischen, wovon einige ekelhafterweise Kaugummis auf der Unterseite kleben hatten, konnte ich diese Spontanität nicht kontrollieren. Dafür dachte ich zu oft über Entscheidungen nach, ehe ich sie durchzog.
»Bald mal? Warum nicht heute Nachmittag? Heute ist sowieso kein Training, also hast du nichts zutun.«, drängte Jian. Ich seufzte bei seinem Blick, als müsste er mir gerade beibringen, wie man ein Treffen mit einem Mädchen arrangierte.
Wie erwähnt war sie nicht die erste weibliche Person, mit der ich Kontakt und an der ich Interesse hatte.
»Woher willst du wissen, dass ich nichts zutun habe?«,
»Heute ist Mittwoch, du hast weder Eishockeytraining, noch deinen digitalen Fotografie-Kurs. Du wirst ansonsten eh nur Netflix anschalten und Serien suchten, du Junkie. Ich kenne dich.«. Seine harten Worte trafen gerade genau auf mein inneres Ego - und sie trugen zugleich die Wahrheit in sich.
Ich konnte nicht leugnen, dass ich ein Serienjunkie war und mich gerne in meine dunkle Wohnung zurückzog, um mich von der belebten Stadt und deren Menschen zurückzuziehen. Ich war zwar weitaus extrovertierter als introvertiert, allerdings brauchte auch ich manchmal Auszeiten - da ich mittwochs nur selten feste Termine hatte, waren dies eben diese Auszeiten.
»Also?«, drängte er weiter.
»Heute ist es zu spontan. Und nachher soll es ohnehin regnen - das meinte Alexa heute morgen zumindest. Aber-«,
»-du willst gerade verneinen, weil dein Sprachservice von Amazon dir das Wetter vorhergesagt hat?«, unterbrach er mich impulsiv, worauf Inès leise kicherte und André amüsiert schnaubte.
»Nein, ich will sie morgen einladen, weil es sonnig sein wird, sodass wir draußen ein Eis essen oder Kaffee trinken gehen könnten.«,
»Oh... Dieser Plan klingt gut.«, beruhigte er sich zufriedengestellt, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Sein kleines, zufriedengestelltes Lächeln auf seinen Lippen gab mir schlussendlich das Zeichen dafür, dass er keine weiteren Fragen diesbezüglich mehr stellen würde - oder zumindest keine Kritik mehr ausüben würde, Fragen könnten durchaus noch auftreten aufgrund seiner natürlichen Neugierde.
»Wie heißt sie denn?«, ließ Inès' sanfte Stimme dieses kurz verlorengegangene Gespräch neu auflodern, sodass mich erneut alle drei braunen Augenpaare gespannt ansahen. Natürlich wusste Jian den Namen von ihr bereits, allerdings war auch er neugierig, ihn erneut aus meinem Mund zu hören.
»Camille.«, war meine einzige, knappe Antwort. Weiteres konnte ich immerhin auch noch nicht nennen, ihr Nachname blieb mir noch immer verschwiegen.
»Das war die Blondhaarige, die er in deinen Pool geworfen hatte.«, erklärte Jian an meiner Stelle an Inès adressiert, worauf die Brünette gegenüber von mir am Tisch verschmitzt grinste und ihre Augenbrauen spielerisch zucken ließ.
»Ach, ich erinnere mich. Auf welche Uni geht sie eigentlich? Ich habe sie hier noch nie gesehen.«.
Na ja, auf dieser Universität waren genug Studenten unterwegs, um sich ihre Gesichter vielleicht einige Sekunden merken zu können, ehe sie in dem Schwarm der anderen dutzend Gesichtern um einen herum untergingen.
Man konnte froh sein, wenn man seine eigenen Freunde wiedererkannte in der ständigen Menschenmenge auf diesem Campus.
»Sie geht auf eine andere Universität hier in Paris.«, beantwortete ich flüchtig mithilfe meiner Erinnerungen.
Inès nickte nur verständlich, ehe sich das Gesprächsthema änderte und die drei sich über eine französische Berühmtheit unterhielten, die scheinbar einen Skandal in den sozialen Medien ausgelöst hatte. Da ich davon keinen blassen Schimmer hatte und mich die meisten Berühmtheiten - mit einigen Ausnahmen - nicht sonderlich interessierten, hörte ich die restliche Zeit auch nur noch schweigend zu.
~
Am späten Nachmittag fand ich mich genau dort wieder, wo Jian mich bereits heute Vormittag in seiner Prophezeiung gesehen hatte - auf meinem Bett mit meinem Fernseher gegenüber an der Wand auf dem Fernsehtisch angeschaltet, auf dem gerade das rote N in seiner vollen Pracht strahlte und mir stumm verdeutlichte, dass gleich mein Serienmarathon für den heutigen Abend starten würde. Einige Schritte von mir entfernt schlummerte meine Tiefkühlpizza im Backofen, während darüber auf der Arbeitsplatte meine transparente Teetasse die bordeauxrote Färbung des Früchtetees offenbarte, der noch einige Minuten ziehen durfte.
Ich hatte scheinbar wirklich nichts Besseres zutun, als mich an einem Mittwochnachmittag in meiner Wohnung zu verkriechen und Serien zu schauen, während ich meinem Körper ungesundes Essen bot und auf den Eintritt der Dämmerung wartete.
Allerdings hatte Alexa mich nicht angelogen heute morgen - an den Außenscheiben meiner Fenster lieferten sich die einzelnen Regentropfen Wettrennen bis zum unteren Ende der Scheibe, sodass die einigermaßen schöne Aussicht auf Paris nun mit Regentropfen und Nässe bedeckt war.
»Alexa, wie wird das Wetter morgen?«,
»Morgen wird es sonnig mit Temperaturen bis 23°C.«, war alles, was ich als Antwort hören wollte.
Ich nahm also mein Handy auf, öffnete den Chat von Camille und mir und blieb genau über der virtuellen Tastatur mit meinen Daumen stehen. Was genau sollte ich ihr schreiben?
Dass ich mich gerade wirklich fragte, wie ich einem Mädchen schreiben sollte, brachte mich zum Kopfschütteln. Menschen und ihre Fertigkeit mit Worten umzugehen waren immer wieder ein Wunder der Natur - denn manchmal verkackten wir es einfach mit Glanz und Gloria, obwohl wir sie tagtäglich benutzten.
Ich: Wie wäre es mit der Revanche morgen? Auf einen Kaffee? :)
Mochte sie überhaupt Kaffee? Vielleicht verabscheute sie das Getränk ja so sehr wie ich es eigentlich tat, immerhin war es kein Zufall, dass unweit von mir ein Früchtetee stand und mittlerweile von seinem Teebeutel erlöst werden konnte.
Wie wäre es mit Cappuccino? Er war angenehmer als Kaffee, weniger gestärkt und besser zu ertragen.
Oder einfach Tee?
Oder doch nur ein Eis? Mochte sie überhaupt Eis? Na ja, wer mochte bitteschön kein Eis?
Ob sie sich gerade freute, die Nachricht zu lesen? Ob sie insgeheim genauso nervös wurde wie ich beim Gedanken an ein Wiedersehen? Warum wurde ich eigentlich so verdammt nervös? Es war nur ein Mädchen.
Camille: Klingt gut :)
Das waren ihre einzigen Worte. Ich erkannte, wie sie einige Ansätze versuchte, um noch eine weitere Nachricht zu schreiben, allerdings verschwand das Schreib-Symbol relativ schnell wieder, sodass sie mich mit dieser Nachricht im Chat zurückließ. Widerwillig schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, welches ich zu verbergen versuchte, dabei wusste ich nicht einmal, vor wem ich es verbergen wollte.
Sie willigte also ein, wollte mich ebenso wiedersehen und bestätigte also, dass sie Kaffee mochte.
Mein Lächeln war auch noch auf meinen Lippen, nachdem ich mir meinen Tee auf meinen Nachtischschrank gestellt hatte, mir meine Pizza aus dem Backofen geholt, kleingeschnitten und auf einen Teller mit aufs Bett genommen hatte und nachdem ich meine derzeitige Serie auf Netflix herausgesucht hatte.
Selbst als ich mich mit vollster Aufmerksamkeit auf die Serie zu konzentrieren versuchte, schlichen sich meine Gedanken immer zu ihrer neusten Nachricht zurück.
Ich: Super. Präferierst du ein Café oder lässt du dich überraschen?
Überraschen lassen - ich kannte selbst keine großen, bahnbrechenden Cafés in Paris, obwohl ich hier schon seit drei Jahren wohnte. Na ja, das lag wohl wirklich daran, dass ich kein Kaffeetrinker war und diesbezüglich nie großartig auf Café-Suche war.
Als ich den ersten Bissen meiner Salamipizza nahm und mir beinahe meine Mundhöhle verbrannte, schrieb sie mir zurück.
Camille: Eine Überraschung klingt gut :)
Ich nahm einen ersten großen, entspannenden Schluck meines Tees, atmete tief durch, legte mein Handy kurz zur Seite, biss einen weiteren Happen meiner Pizza ab und starrte auf meinen 32-Zoll Fernseher. Die Szene auf dem Fernseher lief gerade an mir vorbei, da ich trotz Blick darauf keine Sekunde etwas von dem Inhalt und der Storyline mitbekam. Ich vertiefte mich in eine kurze Trance, ließ alles um mich herum kurz ruhen und versank in meine Gedanken.
Dann mussten wir uns beide wohl überraschen lassen.
So, da wäre Kapitel 4 auch endlich mal. In den letzten Tagen hatte ich wirklich keine große Motivation irgendetwas zu machen - Corona und die Beschränkungen verwandeln mich wirklich in eine Couchpotato o.O (Wobei ich jetzt nach der Weisheitszahn-OP wieder Sport machen darf und endlich mit Hanteltraining den Tag füllen kann).
Das erste Kapitel aus Nolans Sicht wurde vollbracht, ich will versuchen verschiedene Schreibstile für die Charaktere zu entwerfen, um die Sichtwechsel so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, aber ob es funktioniert werden wir erst in Zukunft sehen.
Zumindest kann ich aus Nolans Sicht ganz entspannt Farben beschreiben :D
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