Ross‘ POV
Es war unser letzter Tag in Deutschland, als ich unwissend im Auto von Jassys Vater saß und ihrer Wegbeschreibung folgte. Sie hatte sich bislang geweigert, mir zu sagen, wo wir hinfuhren, aber ich würde vor ihr sicher nicht zugeben, wie neugierig ich auf unser Ziel war. Die Umgebung wurde immer hügeliger, aber sie würde doch wohl kaum mit mir wa
ndern gehen, oder? Sie mochte wandern doch gar nicht, also konnte ich mir kaum vorstellen, dass sie ausgerechnet heute damit anfing. „Hast du eigentlich nie Heimweh?“, fragte Jassy mich und wandte sich mir zu.
Ich schüttelte den Kopf: „Meine Familie ist doch so gut wie immer um mich herum. Manchmal fehlt mir das Haus zwar, aber als wir noch in Littleton gelebt haben, konnte ich mir das Leben in LA zuerst auch nicht vorstellen. Solange ich meine Familie um mich herum habe, wird alles zu meinem Zuhause.“
Klar, mein Leben war manchmal stressig, aber ich könnte und wollte es mir nicht anders vorstellen. Ich kannte so viele wunderbare Menschen, die ich ohne meine Karriere wahrscheinlich nie kennengelernt hätte.
Das alles war es definitiv wert. Wir schwiegen eine Weile, bis sie mir sagte, ich solle anhalten. Wir hatten auf einem riesigen Parkplatz mitten im Nirgendwo gestoppt und ich hatte noch immer keinen Schimmer, was genau wir hier machen würden.
Vielleicht würde ich ja eine Ahnung bekommen, wenn ich mich einfach genau umschaute. Die Wiese schien so gut wie leer, bis auf einen recht großen Schuppen gab es nicht einen einzigen Hinweis, was genau wir wollen könnten.
„Schau mal hoch.“ Stirnrunzelnd kam ich ihrer Aufforderung nach und blickte in den leicht bewölkten Himmel. In den letzten Tagen war es warm geworden und die Wolken von letzter Woche hatten sich verzogen.
Über uns in der Luft zogen Segelflieger ihre Kreise, von hier wirkten sie fast so klein wie Papierflieger. Grinsend schaute ich in Jassys blaugraue Augen: „Werden wir fliegen?“
Lächelnd nickte sie und ich griff nach ihrer Hand, um sie schneller in Richtung Schuppen zu ziehen. Ich liebte das Fliegen fast so sehr wie die Musik und ich konnte es kaum abwarten, die Aussicht über das Gelände zu genießen.
In der Umgebung gab es viele Wälder und vor allem diese sahen aus der Luft so unberührt und natürlich aus. Ich war schon geflogen, hatte sogar Flugstunden genommen, aber ich war trotzdem schon viel zu lange nicht mehr in der Luft gewesen.
Dort oben fühlte man sich immer so unbeschwert und frei, als gäbe es keine Grenzen. Im Grunde gab es die dort oben ja auch gar nicht, und das merkte man.
Jassys POV
Das Reden übernahm ich, als wir den kleinen randvollen Schuppen betraten. Auch so war hier drin schon kaum Platz, aber augenscheinlich fanden hier für gewöhnlich noch mehr der Segelflieger Unterkunft.
Ein Heizofen stand in einer Ecke und wärmte die drei Männer, die auf einer Bank daneben saßen. „Wir sind hier, wegen den Segelfliegern“, sagte ich höflich. Einer der Männer, er trug eine breite Nerdbrille und sah auch sonst aus, wie ein wohlgenährter Sheldon Cooper, sprang auf und schnappte sich einen Autoschlüssel.
„Bin sofort wieder da“, murmelte er hastig und eilte davon. Verwirrt blickte ich ihm nach, wandte mich dann aber wieder den beiden verbleibenden Männern zu. „Über die Kosten habe ich mich schon informiert, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was die Maximalanzahl der Insassen betrifft. Man kann doch zu dritt fliegen, oder?“
Einer der Männer nickte und rief einen Namen, den ich nicht verstehen konnte. Wenige Sekunden später tauchte ein Junge auf, der nur wenig jünger als ich sein konnte.
Hier hätte ich mal arbeiten sollen, wenn eines dieser nervigen Praktiken anstand! Aber jetzt war es wohl zu spät dafür und ich sollte mich mit dem zufriedengeben, was ich gemacht hatte.
Ich hatte in einer Kanzlei ausgeholfen, was zwar nicht sonderlich spannend gewesen war, aber ich hätte es wohl weit schlechter treffen können. „Kann ich euch helfen?“, fragte er lächelnd.
Aus irgendeinem Grund kam er mir bekannt vor, vielleicht war er ja auf dieselbe Schule gegangen, wie ich. Er schien mich jedenfalls nicht erkannt zu haben. Falls ich ihn denn wirklich kannte, denn nicht einmal da war ich mir sicher.
„Wir beide wollten zusammen fliegen. Das geht doch, oder?“ Verunsichert schaute ich ihn an. Ich kannte mich nicht wirklich mit Flugzeugen aus und hatte blind darauf vertraut, dass man auch zu zweit mit einem Piloten in die Luft konnte.
So im Nachhinein hätte ich mich vorher vielleicht danach erkundigen sollen. Aber jetzt war es ohnehin zu spät. Der Junge lachte kurz: „Klar, wir haben ein Modell mit zwei Rücksitzen.“
Bei dem letzten Wort machte er Gänsefüßchen mit den Fingern in die Luft. „Perfekt. Soll ich vorher bezahlen, oder danach?“ „Wir machen das immer danach, da wir die Winde nicht voraussagen können. Manchmal kann ein Flug drei Stunden dauern, manchmal nur 10 Minuten. Da haben wir leider keinen Einfluss drauf. Ich gehe jetzt eure Maschine nach draußen schleppen, ihr könnt solang hier warten.“
Ross und ich entschieden uns dann aber doch, nach draußen zu gehen, um den Fliegern dabei zuzusehen, wie sie ihre Kreise drehten. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit, als ich feststellen musste, in welchen Höhen wir uns befinden würden.
Höhenangst hatte ich zwar nicht, aber eine gesunde Portion Menschenverstand hatte ich dann erstaunlicherweise doch. Sobald ich erst einmal dort oben war, würde sich das Gefühl sofort verabschieden, aber bis dorthin würde ich mich wohl überwinden müssen.
„Es ist wirklich toll dort oben“, redete nun auch Ross mir gut zu. Er hatte wohl gemerkt, dass ich ein wenig Angst vor dem Fliegen hatte. Zugegeben, ich hatte genug Szenarien in Filmen und Nachrichten gesehen, die zeigten, dass das Fliegen nicht wirklich ungefährlich war, aber es war dann doch ziemlich unwahrscheinlich, dass uns etwas passieren würde.
Und schon wenige Minuten später saß ich gegen Ross gelehnt in einem Segelflieger und zerquetschte meine eigenen Daumen zwischen meinen Fingern. Der Flieger wurde mithilfe einer Winde beschleunigt und hob dadurch ab, soviel hatte ich verstanden, aber ich konnte mir bislang noch nicht wirklich vorstellen, dass dieses doch ziemlich winzige Modell drei Menschen durch die Luft tragen konnte.
Mit einem Ruck setzte sich der Flieger in Bewegung und nahm Geschwindigkeit auf. Mein Magen blieb beim Abheben einfach auf der Erde und kam nach wenigen Sekunden wieder zu mir zurück.
Soviel dazu, dass es mich Überwindung kosten würde. Es hatte wirklich eine Winde gekostet. Um mich abzulenken, machte ich nun schon schlechte Wortspiele in meinem Kopf.
Also konzentrierte ich mich auf die atemberaubend schöne Aussicht, die mit zunehmender Höhe immer unglaublicher wurde.
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