~24~
»Ich denke, Sie wissen alle, warum wir hier sind.«
Gregs Stimme zitterte leicht und er war nervös wie auf einer Pressekonferenz, doch er hoffte, dass sein souveräner, ernster Gesichtsadruck dies wie meistens wettmachte. Im kleinen Konferenzraum, der sich für dieses eher inoffizielle Treffen noch als frei erwiesen hatte, roch es nach einer Mischung aus Kaffee, Tee und den Donuts, die Seargent Wilkerson in einer braunen Papiertüte mit rein geschmuggelt hatte, bisher aber so sehr mit seinem Leben beschützte, dass er wohl nicht die Absicht hegte, sie mit seinen Kollegen zu teilen. Außerdem, na ja, es war ein gewöhnlicher Nachmittag in England und wenn hier jemand nicht sein warmes Heißgetränk - das vielleicht nicht immer Tee war - und zumindest etwas trockenes Gebäck bekam, wurde die Situation schnell ungemütlich. Sally hatte jedenfalls die alten Biscuits aus ihrer Schreibtischschublade beigesteuert, die wahrscheinlich schon seit ihrer Seargentprüfung abgelaufen waren, was sich Greg allerdings nicht wirklich traute, Officer Higgins zu sagen, der diese Dinger gerade quasi inhalierte, wahrscheinlich um seinen bedrückten Kollegen nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Der Polizist selbst wäre jetzt auch lieber gegangen, allerdings würde die Sache für immer im Raum stehen bleiben, wenn er einfach nichts tat. Außerdem wollte er die Wahrheit wissen, wer hier das unloyale Leck war, auch wenn er rechtlich nichts gegen diese Person unternehmen würde. Nur das Vertrauensverhältnis wäre für immer zerstört. Seufzend ließ er seinen Blick über den langen, weißen Tisch schweifen und sah sich die Verdächtigen, die normalerweise eher seine Freunde waren, genau an; Seargent Wilkerson und Officer Higgins mümmelten unruhig ihr Gebäck, Officer Knight starrte betrübt in die Luft, Sally knabberte zappelig an ihren Fingernägeln, was sie sich eigentlich wie das Rauchen längst abgewöhnt hatte, Anderson sah ihr dabei zu als machte er sich immer noch Hoffnungen, das ihre gemeinsame Affäre wiederaufleben könnte, Seargent Bloumberg trank mit wachsamem Blick ihren Kaffee, Seargent Green starrte nachdenklich in seine Tasse, Seargent Clocks nippte offensichtlich traurig an ihrem Tee und Seargent Murdock vegetierte mit blassem Gesicht und rot umränderten Augen so vor sich als würde er krank werden. Vielleicht war ihm der Wetterumschwung nicht bekommen oder er hatte schon heute morgen was von Sallys Biscuits probiert. Aber egal wie harmlos hier gerade alle wirkten, einer von ihnen hatte das Video geleakt, als die Datei noch frisch gewesen war und das einfach so. Dabei war es Greg bisher gar nicht so vorgekommen als gäbe es bei ihnen einen Spitzel der Presse, denn es waren schon seit einiger Zeit keine Informationen mehr ungewollt nach außen gesickert.
»Heute sind wirklich einige unerfreuliche Dinge passiert«, begann der Polizist schließlich zu reden und seine Hände wurden schweißnass.
»Und auch wenn ich zumindest bei einer Sache nicht vorhabe, ihr weiter nachzugehen, muss ich das Thema dennoch anschneiden, um die Dynamik des Teams nicht zerfallen zu lassen. Der Punkt ist, jemand hier hat das Video, was heute früh an unsere Abteilung gesendet wurde, im Laufe des Vormittags an die Presse gesendet, dem Daily Star, um genau zu sein. Sie sind all diejenigen, die in dieser Zeitspanne hier im Büro anwesend waren und ich muss auch für künftige Ermittlungen wissen, wer etwas damit zutun hatte. Es drohen keine Konsequenzen, jedoch ist es mir wichtig, die Sache aufzuklären.«
Greg biss sich betreten auf die Lippe und setzten diesen traurigen Blick auf, der Mycroft in der Regel immer unverzüglich dazu verleitete, so gut wie alles zu tun, worum er ihn bat. Doch jettzt erntete er nur angespanntes Schweigen. Und hatte keine Ahnung, was er jetzt noch sagen sollte, denn für einen Plan B, falls die Bitte-Bitte-Methode nicht klappte, war keine Zeit mehr zum Austüfteln geblieben. Außerdem war das hier ja auch kein normales Verhör, wo er seinen Gegenüber gezielt provozierte und ihn gnadenlos über Stunden hinweg weichkochte. Er konnte und wollte sich seinen Kollegen gegenüber nicht so hart verhalten, weil - fast - keiner von ihnen sowas verdient hatte. Schließlich schien Sally seine Bredouille zu bemerken und räusperte sich, bevor sie sagte:
»Wir können ja erstmal rekonstruieren, wer von uns wann genau heute Vormittag gekommen ist. Also ich wollte noch einen Bericht fertig schreiben und war relativ früh, dabei bin ich Officer Knight und Seargent Murdock begegnet, der Rest kam glaube ich etwas später.«
Die beiden anderen Polizisten nickten zustimmend.
»Okay.«
Greg hing einen Moment etwas in der Luft, weil diese Vorgehensweise seiner Meinung nach wahrscheinlich gar nichts brachte, aber irgendwo mussten sie ja anfangen, weshalb er sich mit fragendem Blick an den Rest der Truppe wandte.
»Ich bin so um halb neun mit Officer Higgins angekommen und dort waren alle schon … etwas aufgeregt. Nach uns kamen dann glaube ich noch Green, Wilkerson und zuletzt Anderson«, überlegte Seargent Clocks also weiter und zuckte die Schultern.
»Jedoch ist die Reihenfolge wohl eigentlich egal, wir haben immerhin alle das Video gesehen und hatten bei der Arbeit die Zeit, die Datei weiter zu versenden. Auch dass Sie, Chef, mit Seargent Green, Donovan und Bloumberg zusammen losgefahren sind, sagt nichts aus, immerhin wäre schon vorher genug Zeit für die ganze Aktion gewesen.«
»Heißt das etwa, du verdächtigst mich?«, fiel ihr da Seargent Green etwas ungehalten ins Wort. Er konnte manchmal durchaus etwas ungehalten werden, wenn er irgendwas als ungerecht befand, doch das letzte, was sie jetzt brauchten, war Streit. Das schien auch Seargent Clocks zu verstehen, denn sie sagte ruhig:
»Nein, aber ich will sagen, dass jeder von uns es theoritisch gewesen sein könnte und wir noch niemanden ausschießen sollten.«
»Aber das heißt dann durch die Blume, dass wir uns doch alle gegenseitig verdächtigen sollen«, warf da Anderson ein, der wie immer den Ernst der Lage nicht ganz verstanden zu haben schien.
»Und das obwohl wir lange genug zusammen arbeiten, um zu wissen, wer auf keinen Fall ein Motiv hat. Ich zum Beispiel wüsste nicht, was mich irgendein Video überhaupt interessieren sollte.«
»Na ja, du bist wahrscheinlich ja auch nicht mal kompetent genug, eins zu verschicken, auch wenn du es wolltest«, schoss da Seargent Wilkerson trocken zurück und widmete sich dann wieder seinem Oreo-Donut, der wirklich einfach zum Anschmachten lecker aussah. Normalerweise zählte der Brünette auch eher zur Fraktion der Kühlen und Vernünftigen, aber er konnte Dummheit einfach auf den Tod nicht ausstehen, weshalb er dann sehr gern seine Schlagfertigkeit spielen ließ. Greg wollte gerade versuchen, die Gemüter wieder zu beschwichtigen, da redete plötzlich Officer Knight schon weiter:
»Wenn wir nach unserem Gefühl gehen, dann bist du wirklich der Erste, der hier verdächtig ist, Christian. Solange alle dir nützlich sind, bist du vielleicht höflich, aber wenn dich eine Person nicht weiter bringt, lässt du sie das spüren. Du bist hier der größte Egoist von allen, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich meine, sieh dich doch an! Du würdest uns alle töten, damit wir die Finger von deinen Donuts lassen, weil dir sowas wie Teamarbeit einfach fremd ist.«
»Lieber beschütze ich mein Essen mit dem Leben als es durch Sallys komische Biscuits zu verlieren. Hast du vielleicht mal aufs Haltbarkeitsdatum geschaut? Das ist zweitausendzwölf abgelaufen.«
Officer Higgins hörte geschockt auf zu kauen und starrte unsicher das harte, trockene Gebäck in seiner Hand an als würde ihm zum ersten Mal auffallen, dass daran etwas komisch war. In diesem Moment schien auch Anderson endlich zu schalten und sprang wütend auf, während er anklagend in Seargent Knights Richtung sah.
»Moment, hast du gerade gesagt, ich sei nicht nützlich?!«
Sally seufzte im Hintergrund und versuchte, Anderson zurück auf seinen Stuhl zu ziehen, doch da schien Seargent Green der Kragen zu platzen.
»Mann, als hättest du das erst jetzt geschnallt. Ich kann echt verstehen, dass Christian nicht mit dir reden und dich auch nicht als Ermittlungspartner will, immerhin müssen wir dann auch immer deine Arbeit machen.«
»Exakt.«
Seargent Wilkerson deutete mit seinem Donut einen Moment bestätigend in Greens Richtung, doch da stand Marry Clocks auf, die mit ihrer zweiten Berufung als Mutter durchaus die Kompetenzen besaß, diese Kindergarten-Situation endlich zu schlichten.
»Bitte, hört doch auf damit. Es hilft keinem weiter, jetzt zu streiten. Wir sollten lieber die Scherben der zerbrochenen Vase aufheben, anstatt darauf rumzutrampeln.«
»Sehe ich auch so«, meldete sich da Seargent Bloumberg, die das Schauspiel bisher schweigend beobachtet hatte. Sie war wie immer kühl und schien sich aus der angespannten Situation nicht viel zu machen, was vielleicht aber auch damit zu erklären war, dass sie laut Gregs Beobachtungen nie zu Emotionalität neigte.
»Dennoch hab ich gerade Hunger. Würdest du mir bitte einen Donut abgeben, Chris?«
Seargent Wilkerson hielt ihr die prall gefüllte Papiertüte hin und sie fischte sich einen mit Schokoglasur heraus, bevor sie sich zurück in ihre grazile und grade Sitzposition brachte, um ihre herrliche Beute gesittet und vollkommen ruhig zu verspeisen.
»Hey, wieso darf sie einen Donut und wir bekommen keinen?«
Anderson sah den Brünetten anklagend an und schien schon wieder vergessen zu haben, dass seine Kollegen ihn gerade als dumm bezeichnet hatten. Doch Wilkerson grinste nur verschlagen.
»Sie hat im Gegensatz zu euch nett gefragt, anstatt mich bloß feindselig anzustarren. Meine Donuts muss man sich halt verdienen.«
»Dann würde ich auch endlich gern wissen, was du so am Video verdient hast«, knurrte Officer Knight,der wahrscheinlich auch eher unfreiwillig zu den Donut-losen dieses Raumes gehörte, aufbrausend.
»Hey, Basil, das geht langsam wirklich zu weit«, sprang da endlich Higgins in die Bresche.
»Wenn du etwas essen willst, liegt hier auf dem Tisch doch auch etwas, das ist zwar … na ja, jedenfalls solltest du Chris nicht einfach fertig machen, weil er dir keinen Donut abgibt.«
»Es geht hier aber nicht um einen verdammten Donut, sondern darum, dass er respektlos ist!«
»Ja, also wenn es darum geht, könntest du genauso gut Seargent Green anschreien, der hat Anderson immerhin gerade gesagt, er wäre nutzlos«, mischte sich erneut Wilkerson ein, dem dieser Streit wirklich nichts auszumachen schien. Doch bevor hier nich irgendjemand irgendwas schreien oder sagen oder werfen konnte, griff Greg schließlich ein:
»Okay, das reicht. Ich … Das hier ist doch kein Kindergeburtstag und Sie sind eigentlich alle erwachsen genug, um nicht auf einander loszugehen. Außerdem geht es hier gerade weder ums Teilen noch um ungemachte Arbeit, es geht hier darum, dass jemand absichtlich mich und meinen Ehemann vor ganz England blamiert und bloß gestellt hat, um etwas dazu zu verdienen. Was glauben Sie, wie viele Reporter mich auf dem Weg hierher mit den schlimmsten Fragen bombardiert haben und was es kosten wird, diese Situation wieder gerade zu rücken? Alle denken jetzt, wir hätten nur eine schmutzige kleine Affäre und jede Zeitschrift wird uns und unser Leben komplett auseinander nehmen. Und als Ausgleich möchte ich doch bloß …«, Greg schluckte, da ihm Tränen in die Augen stiegen, »ich will doch bloß wissen, wer es war. Ich werde die Person weder anschreien, noch ihr etwas tun, ich möchte es einfach nur wissen. Aber dazu wird es nicht kommen, wenn Sie sich hier alle gegenseitig zerfleischen.«
Noch während seiner Ansprache sanken alle Übeltäter des Streits langsam zurück auf ihre Plätze und sogar Seargent Wilkerson hörte kurz auf zu essen und legte die Tüte mit den Donuts schließlich auf den Tisch, von wo aus er sie sanft in Andersons Richtung schob. Aber auch diese kleine Geste brachte Greg nicht wirklich mehr Freude. Gerade schien er sich nämlich zum ersten Mal bewusst zu werden, wie kaputt ihn diese Situation, an der einer seiner Kollegen schuld war, emotional machen würde und was es alles zu überwinden gab. Da war es doch wohl nicht zu viel von ihnen verlangt sich zusammenzureißen, dachte er und musste dann einfach Hals über Kopf aus dem Raum stürmen, weil er das alles nicht mehr aushielt. Ein paar warme Tränen brannten auf seiner Wange als er hinter sich die Tür zuschlug.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro