
~19~
»Greg, hörst du mich noch? Geht es dir gut?«, fragte Mycroft zögerlich ins Handy und ignorierte das unangenehme, brennene Flattern, das sich in seiner Magengrube ausbreitete. Fast wünschte er sich, Mrs Hudsons vorhin noch so abgöttisch guten Schokokuchen doch nicht gegessen zu haben, denn nun wurde ihm schlecht von der teigigen Süße, die noch immer an seinem Gaumen klebte. In der Leitung raschelte es kurz, dann ertönte zögerlich die blechernde Stimme des Polizisten:
»Ja, ich hör dich. Mir geht es … Ich bin so …«
»Erschlagen. Fassungslos«, half der Politiker beklommen aus und seufzte, ehe er sich mit der Hand beruhigend die Schläfen massierte, um anschwellende Kopfschmerzen und Sorgen vorerst zu vertreiben. Aus Sherlocks Wohnzimmer erklangen leise Stimmen, er war nach fürs Gespräch hinaus auf den Flur gegangen, damit ihm das Elend dabei nicht so anzusehen war. Nein, es war kein Weltuntergang, dass sie endlich geoutet waren - das hatten sie ja sowieso irgendwann vorgehabt. Doch die Art war es, die alles kaputt machte und ihnen beschämende Schlagzeilen in der Klatschpresse beschehrte. Ihr Leben war zu einem Skandal geworden, an dem sich das ganze Land nur zu gerne laben würde.
»Genauso fühle ich mich.«
Greg versuchte sich an einem verzweifelten Lachen, das Mycrofts Herz kurz einen Stich versetzte. Die Sache war seine Schuld, er hätte sich nie zu einer geheimen Beziehung hinreißen lassen sollen, egal, was Greg gesagt hatte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte der Polizist jetzt und klang dabei keinen Deut besser als eben.
»Ich weiß es nicht … Den Reportern aus dem Weg gehen, bis wir eine Lösung finden. Hast du inzwischen schon was rausgefunden?«
»Könnte man so sagen. Wir haben einen Doktor Abel Sheridan verhaftet, der mich im Krankenhaus behandelt hat. Das Video wurde von seinem Laptop verschickt und in seinem Büro haben wir ein paar Minikameras gefunden, die wahrscheinlich in unserer Küche installiert waren. Aber … Ich glaube einfach nicht, dass er es war. Er hat kein Motiv und hat sich nie sonderlich für mich interessiert.«
»Du meinst, jemand anders hat ihm die Sache untergeschoben?«
»Vielleicht denkt jemand, wenn ein Mensch Mycroft Holmes' Zorn auf sich gezogen hat, verschwindet dieser für immer von der Bildfläche. Allerdings sieht es nicht aus als hätte Sheridan Feinde.«
»Dieser Eindruck kann täuschen … Aber du könntest recht haben, wohl möglich hat jemand ihm aus der Not heraus alles untergeschoben, um nicht verdächtigt zu werden. Und wer auch immer es war, arbeitet wahrscheinlich im Krankenhaus«, schlussfolgerte Mycroft pragmatisch, auch wenn es ihm nicht behagte, dass der Täter wahrscheinlich noch auf freiem Fuß war. Besonders nicht, wenn jener vielleicht noch einen weiteren Plan verfolgte.
»Das wäre auch meine Vermutung«, bestätigte Greg und hörte sich nun noch fertiger an.
»Aber hier arbeiten so viele Leute und vielleicht hatte ich mit der Person auch nicht direkt zutun … Außerdem beschäftigt mich die Frage, wer das Video wirklich geleakt hat. Wenn es der Plan unseres Täters gewesen wäre, uns zu entblößen, hätte er es doch gleich öffentlich machen können.«
»Du meinst, jemand aus dem Revier könnte das Video weiter geleitet haben?«
Ein unangenehmes Gefühl machte sich in Mycroft breit. Das würde bedeuten, dass zwei unabhängige Menschen gleichzeitig gegen sie agierten und einer davon kam aus ihren eigenen Reihen und war vielleicht sogar Gregs Freund, der sich für ein bisschen Geld hatte hinreißen lassen. Jemand hatte sie verraten, jemand hatte besonders Greg verraten, der für seine Kollegen doch immer alles gab.
»Ich vertraue meinem Team«, antwortete der Polizist, aber es klang rechtfertigend und insgeheim unsicher. Mycroft beschloss, das Thema damit fürs erste zu beenden - das letzte, was sie jetzt noch brauchten, war Streit miteinander.
»Ich weiß. Wo bist du gerade?«
»Immer noch im Krankenhaus, wir fahren gleich Sheridan ins Revier. Und du?«
»Ich bin bei Sherlock. Ich habe ihm und John - und auch Mrs Hudson, dieser neugierigen Frau - alles über uns gebeichtet, noch bevor das mit dem Video bekannt war. Ich weiß, ich hätte dir das früher sagen müssen, tut mir leid. Es war eine spontane Entscheidung«, gestand der Politiker ehrlich erleichtert, dass die Wahrheit aus ihm heraus gebrochen war. Auch wenn es keinen Unterschied mehr machte, hätte er sich schlecht gefühlt, Greg deshalb zu belügen.
»Schon okay, es ist sogar besser, dass sie es von dir Erfahren haben.«
Gregs Stimme klang weich und zum Glück schien er nicht sauer, was Mycroft vorerst beruhigte. Genau, sie mussten ruhig bleiben und ordentlich handeln, dann würden sie die Sache schon schaukeln.
»Naja, Mrs Hudson zwingt uns jetzt zu einer richtigen Hochzeitsfeier und Sherlock will Trauzeuge werden, vielleicht sollten wir das nicht als gut bezeichnen.«
Der Polizist lachte leise am anderen Ende der Leitung und es klang schon etwas besser. Zusammen waren sie stark.
»Okay, dann haben wir ja noch ganz schön zutun. Ich bin gespannt, was dein Bruder dann alles erzählen wird, aber jetzt muss ich zurück zu Sally und den anderen die warten schon.«
»Sei vorsichtig. Ich liebe dich«, meinte Mycroft, etwas traurig, dass sie nicht mehr Zeit hatten, miteinander zu reden. Er vermisste Gregs Stimme schon jetzt.
»Ich dich auch, bis heute Abend. Ich bring uns was leckeres zuessen mit«, verabschiedete der Polizist sich da sich da auch schon und legte auf, nicht ohne zumindest ein kleines tröstendes Gefühl in Mycroft zu hinterlassen. Er freute sich schon aufs Abendessen.
Bryan Cunningham öffnete seufzend seinen beigefarbenen Trenchcoate und fächelte sich Luft zu. Inzwischen vertrieb die Sonne die Reste des Winters mit aller Macht und im Vergleich zum frostigen Morgen war es warm wie im Backofen seiner Mutter, der manchmal so viel Wärme verströmte, dass die Heizung unnötig wurde. Zusammen mit ein paar anderen Klatschreportern stand auch er vor New Scottland Yard und wartete. Wartete auf einen gewissen DI Gregory Lestrade, der laut der neuesten Online-Ausgabe des Daily Star eine Affäre mit einem Politiker pflegte. Einem männlichen Politiker, wie Cunningham naserümpfend registriert hatte als sein Chefredakteur - wütend, diese Nachricht nicht als erster gefunden und ausgeschlachtet zu haben - ihn hier auf die Lauer geschickt hatte. Blöd nur, dass gerade absolut nichts passierte, man wusste nichtmal, ob Lestrade überhaupt im Haus war, und er sich in der Aussage seiner Exfreundin bestätigte fühlte; er war nur ein langweiliger und unsichtbarer Klatschreporter, der keine Initiative zeigte und wahrscheinlich einen Mutterkomplex hatte. Super. Er seufzte und spazierte rastlos vorm Eingang des Polizeigebäudes hin und her, das leise Knurren seines Magens vernehmend. Vielleicht sollte er sich erstmal einen Kaffee und was zuessen besorgen, hier passierte gerade sowieso nichts spannendes.
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Die Ereignisse überschlagen sich und es macht richtig Spaß, sich die neuen Plottwists auszudenken, die euch hoffentlich überraschen werden. Was glaubt ihr, wer das Video geleakt hat und was hat wohl unser neuer Charakter Bryan damit zutun? Lasst mich gerne in den Kommentaren wissen, was ihr vermutet. :)
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