~15~
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich hab den Kerl.«
Triumphierend griff Seargent Bloumberg nach einem der Donuts, die eigentlich Gregs Frühstück hatten werden sollen, die er aber für ihre anstehende Ermittlungs-Session allen Anwesenden gespendet hatte. Ihm drehte sich vor Aufregung und Scham immer noch der Magen um, da hatte er sowieso keinen großen Hunger. Oft hatte er sich vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn alles es wussten. Dass er mit Mycroft zusammen war, der in den Gefilden der Polizei geradezu verhasst war für seine eiskalten Aktionen und seine versnobte Art. Er hatte sich vorgestellt, wie sich alle von ihm abwandten und er alles verlieren würde, doch jetzt saßen sie nur am großen Konferenztisch, aßen Donuts und hackten irgendeinen Computer. Es war kein Weltuntergang gewesen - zwar war es extrem peinlich - aber er lebte noch. Hieß das womöglich, dass sie ihre Beziehung öffentlich machen konnten? Aber halt, das war eine ganz andere Dimension als ein paar eingeweihte Arbeitskollegen. Es war einen ganzen Meilenstein schwerer und ganz England würde mit dem Finger auf sie zeigen können - es war wohl doch eine grauenhafte Idee, da konnte der Polizist sich nichts vormachen.
»Tatsächlich hat sich unser Täter keine große Mühe gemacht, seine Spuren zu verwischen - oder er wusste es einfach nicht besser«, führte die Schwarzhaarige ihre Überlegungen weiter aus und haute wie wild auf die Tasten des Computers ein; Greg hatte zuerst nicht geglaubt, dass diese Frau auch noch eine Hackerin war, immerhin machte sie nicht im Geringsten den Anschein ein Computer-Nerd zu sein, aber er war heute schon zu oft von ihr überrascht gewesen, um das noch weiter auszuführen.
»Der Kerl muss jedenfalls echt gruselig sein, immerhin ist er einfach in ein fremdes Haus eingebrochen«, meinte derweil Officer Anthony Higgins nachdenklich und rührte in seiner Kaffeetasse.
»Das muss auf jeden Fall geplant gewesen sein. Aber warum schickt er uns dieses ... Video? Richtige Stalker beobachten einen doch nur heimlich, es bringt eher einen Nachteil, sich so preiszugeben.«
»Vielleicht hat derjenige noch ein anderes Motiv. Klar ist nur, es geht dem Täter explizit um Sie, Chef, sonst hätte er das Video an Holmes geschickt. Den hätte er erpressen können, aber auch das war nicht sein Ziel«, überlegte Seargent Marry Clocks weiter und biss ebenfalls nachdenklich in ihren Donut. Greg gab ihm innerlich Recht - was dieser komische Stalker oder was auch immer tat, ergab wirklich keinen Sinn.
»War es vielleicht Rache? Auch wenn ich nicht glauben kann, das jemand auf den Chef sauer sein könnte«, spekulierte Sally wenig überzeugt von ihrer eigenen Theorie, während im selben Moment Seargent Sean Murdock durch die Tür kam. Greg war ihm heute noch nicht auf dem Revier begegnet, doch er sah seinem jungen Untergebenen an, dass dieser über sein pikantes Geheimnis schon informiert war.
»Ah, Sean, da bist du ja wieder«, begrüßte Seargent Blake Green den dazugestoßenen Kollegen und stand promt auf.
»Während du weg warst, haben wir uns entschlossen ... für den Chef zu ermitteln. Du weißt schon, um was es geht.«
»Ja, alles klar.«
Sean warf Greg kurz einen undeutbaren Blick zu, wahrscheinlich, weil ihm die Angelegenheit so peinlich war wie auch dem Rest der Anwesenden, und setzte sich dann zu ihnen. Greg schob versöhnlich die Donutpackung in Richtung des jungen Kommissars, da dieser nicht ganz so wirkte als hätte er Lust auf diese Ermittlung. Mehr als dieses Friedensangebot konnte er seinen eifrigen Kollegen im Moment nicht bieten.
»Was haben wir denn bisher für Hinweise?«, fragte Sean jedoch nur und ließ die Donuts links liegen.
»Seinen Aufenthaltsort«, meinte Seargent Bloumberg triumphierend und grinste, während sie ihre vom Tippen steifen Hände ausschüttelte.
»Ich hab es gerade geschafft, sein technisches Gerät zu hacken.«
»Und wo befindet er sich?«, fragte Greg mit klopfendem Herzen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass alles so schnell gehen würde, doch er hoffte wirklich, dass das hier keine Finte war und sie diesen Fall so schnell wie möglich abschließen konnten.
»Wie es aussieht, befindet er sich ... Im St. Bartholom's Krankenhaus.«
Bloumberg runzelte ungläubig die Stirn.
»Also entweder hat jemand unseren Stalker schon windelweich geschlagen oder er arbeitet dort.«
»Das klingt doch gut. Dann nichts wie hin.«
Eifrig stand Greg auf und spürte, wie sich in ihm dieses Kribbeln ausbreitete, was er sonst nur fühlte, wenn sie kurz davor waren einen Mörder zu schnappen.
»Ich würde sagen, es reicht erstmal, wenn Seargent Bloumberg, Green und Donovan mit mir zum Krankenhaus fahren, um zu sehen, was dort zufinden ist. Der Rest von Ihnen kümmert sich bitte um Fälle, die gerade reinkommen. Auf ein gutes Gelingen!«
Mycroft wusste, dass er gerade einen Fehler machte. Aber er konnte sich selbst einfach nicht davon abhalten, ins Auto zu steigen und durch die belebte Londoner Innenstadt zurück nach Hause zu fahren. Seine Gefühle hatten ihn übermannt und er gierte nach … Rache. Rache an jemandem, der in ihr Haus eingedrungen war, der sie gefilmt und der damit ihren einzigen sicheren Zufluchtsort zerstört hatte. Würden sie jetzt jedes Mal, wenn sie in der Küche standen, daran denken müssen, wie jemand damit fast ihr Leben zerstört hatte? Oder besser sein Leben als Politiker, denn insgeheim wusste er eigentlich, dass Gregs Leute bei der Polizei die Sache nicht so eng sahen. Zwar würde man sich vielleicht ein oder zwei Mal in der Klatschzeitung das Maul über ihn zerreißen, aber das war an sich leicht zu überstehen. Einzig die Britische Regierung war es, die sich selbst im Weg stand - Mycroft war feige und das wusste er. Nur konnte er es einfach nicht ertragen, wenn jemand wie der Wirtschaftsminister ihn ansah und es wusste. Ihn abschätzte und herabwertete, was er ganz genau in seinem Blick erkennen würde. Allein beim Gedanken daran, spürte er wie sich ihm der Magen umdrehte. Sie mussten diesen Stalker fassen, sonst war alles verloren. Er schreckte auf als plötzlich jemand gegen die Scheibe seines Wagens klopfte - er stand gerade an einer rotem Ampel im West End und als er durchs Autofenster schaute, erblickte er niemand anderen als seinen Bruder, der promt die Beifahrertür öffnete und zu ihm einstieg.
»Sherlock! Was um alles in der Welt machst du hier?«
»Mir eine Mitfahrgelegenheit organisieren. Ich habe soeben Scottland Yard mit meinen Fähigkeiten einen Dienst erwiesen und habe einen Mordfall geknackt. Nur leider war am Tatort niemand, der so nett war, mich mitzunehmen. Lestrade ist heute anscheinend anderweitig beschäftigt«, meinte der Detektiv wie aus der Pistole geschossen und wirkte unzufrieden damit, von Mycrofts knuffigem Ehemann sitzen gelassen worden zu sein. Dabei wusste Sherlock noch nichtmal, dass sie verheiratet waren. Mycroft würde sich am Liebsten selbst orfeigen. Er allein war schuld daran, dass Greg sich seit Jahren versteckte und jetzt auch noch irgendeinen gefährlichen Psycho suchen musste, der hoffentlich nicht Eurus war. Es war an der Zeit, dass sich zumindest stückweise etwas änderte.
»Dann werde ich wohl die Verantwortung übernehmen und dich nach Hause bringen müssen«, gab er schließlich seufzend nach und fuhr los als die Ampel grün wurde.
»Ich wollte dir sowieso noch etwas mitteilen - das ist schon eine Weile überfällig.«
»Ihren Eifer in allen Ehren, aber ich glaube nicht, dass wir so rasen müssen«, meinte Greg mehr oder weniger leicht traumatisiert, während er panisch nach etwas im Auto suchte, an dem er sich festhalten konnte. Seargent Blake Green war anscheinend doch kein so guter Fahrer, wie er mal geglaubt hatte.
»'Tschuldigung, Chef, ich bin nur so aufgeregt.«
Der Schwarzhaarige drosselte das Tempo des Wagens ein wenig.
»Ich will diesen gruseligen Typen nur endlich schnappen.«
»Das wollen wir wohl alle, nur müssen wir dafür am Leben sein.«
Sally schnaubte genervt und löste ihre Hände vom Anschnallgurt, den sie umklammert hatte, um nicht die ganze Zeit gegen Katy Bloumberg geschleudert zu werden, die wieder wie wild auf ihrem Computer herum tippte, um endlich die Frage zu klären, wen sie gleich eigentlich verhafften sollten. Greg hoffte inständig, dass es niemand war, den er kannte oder dem er vertraute. Und das war wahrscheinlich auch so, immerhin kannte er niemanden, der in dem Krankenhaus arbeitete, wirklich. Dennoch graute es ihm, in die kalten Augen von demjenigen zu sehen, der bei ihnen eingebrochen und sie beim Sex gefilmt hatte. Oh Gott, wahrscheinlich hatte dieser jemand sich das Video sogar angesehen. Wie sollte der Polizist ihn mit diesem Wissen nur ansehen können?
»Ich hab's!«, ertönte in diesem Moment Seargent Bloumbergs aufgeregte Stimme.
»Der Kerl, den wir suchen, arbeitet tatsächlich im Krankenhaus. Sein Name ist Doktor Abel Sheridan.«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro