Träume eines Vogelkinds
Werde ich fliegen?
Diese Frage pocht kaum an mein Bewusstsein, bevor sie mit der Tür ins Haus hineinfällt. Plötzlich ist sie so präsent, dass ich mich ihr nicht entziehen kann.
Könnte ich fliegen?
Die Mauer auf der ich stehe bricht nur Zentimeter vor meinen Fußspitzen ab und offenbart einen tiefen Abgrund, in dem sich langsam die Schatten der Dämmerung sammeln.
Wenn ich fliege, werde ich auch zu einem dieser Schatten.
Bin ich lebensmüde, weil ich über den Tod nachdenke? Oder bedeutet es eher, dass ich mir den Wert meines Lebens verdeutlichen möchte?
Eine Amsel fliegt vorbei, passiert einen leeren Baum nach dem anderen, bevor sie in der Dämmerung verschwindet.
Kann ich das auch?
Wenn ich jetzt einen Schritt vortue, dann werde ich vermutlich fallen. Aber ist es nicht das gleiche, irgendwie? Fallen ist nur Fliegen ohne Happy End.
Nennt man das Selbstmordgedanken, wenn man sich fragt "was wäre, wenn"? Ich fühle mich nicht lebensmüde. Ich bin nur... neugierig. Wie ein Kind. Ein Kind, das noch nicht ganz sicher ist, wie es mit der Welt umgehen soll.
Vielleicht kann ich sogar fliegen. Denn so häufig habe ich das Gefühl, den Boden unter meinen Füßen, die Bindung zum Jetzt schon längst verloren zu haben. Ich treibe ziellos zwischen meinen Gedanken und den Gedanken anderer hin und her, bis ich irgendwann nicht mehr unterscheiden kann, welches meine eigenen waren und welche aus anderen Köpfen in meinen geschlüpft sind.
Das Tageslicht ist mittlerweile fast vollständig hinter den Wolken verschwunden.
Wie an einer Perlenschnur reihen sich die Autolichter aneinander.
Sie werden auch fahren, wenn ich nicht mehr bin.
Die Sonne wird auch morgen ohne mich aufgehen.
Aber wenn ich fliege, werde ich nicht da sein, um das zu erleben. Ich werde nicht da sein, um es mit jemandem zu teilen.
Langsam trete ich zurück.
Heute werde ich nicht fliegen. Heute nicht.
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