Nelphae-a-mîn ☆ Minuî lû
Eine Stunde
Der nächste Tag kam. Die Sonne ging im Osten auf, wo dichte, dunkle Wolken hingen. Sie erschien wie ein roter Feuerball, der von Rauch umgeben war, doch als die Sonne von Rot zu Weiß wechselte, wurde der Tag weniger furchterregend.
Ich streckte mich ausgiebig, atmete die frische Morgenluft ein. Über uns kreisten Vögel und die gefiederten Tierchen sangen das Lied des Morgens. Ich lag in meinem Schlafplatz, war sogar von ganz allein wach geworden, was leicht gewesen war. Denn nicht atmeten Zwerge nur laut, nein, auch lachten sie laut.
Nachdem ich mich aufgesetzt hatte, ging mein Blick zu Gimli. Der Zwerg stand neben Legolas und die beiden schienen aufgrund etwas, für das es viel zu früh war, erheitert zu sein. Gimli hielt sich seinen Bauch, lachte ausgiebig, wobei er sich mit seiner flachen Hand gegen den Oberschenkel schlug.
Ich auf meiner Seite war überaus dankbar für diesen Wecker, also eine sarkastische Dankbarkeit. Ich fuhr mir über mein Gesicht, um an etwas anderes zu denken, als den Zwerg erwürgen zu wollen.
Im Anschluss darauf löste ich den Zopf, der meine Haare zusammenhielt, und fischte aus meiner Tasche einen Holzkamm heraus. Der Kamm hatte viele Verzierungen, sah demnach viel zu schön aus, um ihn auf eine solche Reise mitzunehmen. Ebendeswegen war er auch das Einzige gewesen, was ich aus meinem Gemach im Düsterwald mitgenommen hatte.
Ich dachte nicht mehr über den Kamm nach, sondern benutze ihn, musterte die anderen Gefährten: Aragorn redete mit Sam und Frodo; Merry und Pippin schienen gerade, so wie ich, wach zu werden; Legolas und Gimli hatten sich wieder beruhigt. Der Einzige, der meine Aufmerksamkeit erregte, war Boromir, denn dieser saß ganz allein neben seinem Schlafplatz. Sein Blick ging Richtung Aragorn und den zwei Hobbits.
Natürlich war dies allein nicht seltsam, wenn sein Blick nicht nur auf Frodo gelegen hätte. Boromirs Augen lagen schon fast lauernd auf dem Hobbit. Etwas Dunkles glitzerte kurz in jenen auf. So kurz, dass es im nächsten Moment so aussah, als ob alles wieder normal wäre. Normal, trotzdem brachte es mich zum Schmunzeln.
Zwar hatte ich dem Menschen nie reichlich Beachtung geschenkt, da er für mich wie alle seiner Art war. Zu stolz und eingebildet, und zwar eine Einbildung, die auf einem viel zu kurzen Leben beruhte. Dermaßen kurz, weshalb Boromir für mich erst ein Kind war, und doch schien sich etwas in ihm verändert zu haben.
Als ich zurückdachte, fiel mir aber nicht viel ein, womit man den Menschen belasten könnte. Ja, er hatte ein paar unangebrachte Dinge gesagt, auch hatte er Frodo immerzu im Auge gehabt, jedoch waren diese Vorfälle nie von Bedeutung gewesen.
Nun, bis zu diesem Blick, den ich gerade gesehen habe...
Ein Blick, der bereits Vergangenheit war, denn im nächsten Moment stand der Mensch auf und gesellte sich zu Aragorn. Sie fingen zu plaudern an, alles war beim Alten. Trotzdem entschied ich, dass ich Boromir im Auge behalten würde, was nach diesem Tag aber sowieso irrelevant sein könnte. Heute würden wir entscheiden, welchen Weg wir gingen, und wenn Frodo direkt nach Süden gehen wollte, dann würde Boromir in seine Heimat zurückkehren.
Ich warf meine Gedanken beiseite und war in diesem Augenblick mit meinen Haaren fertig geworden, die indessen offen und hinter meinen Ohren geflochten waren. Ich erhob mich, dehnte meinen Rücken ordentlich durch. Die Sonne hatte die Wolken vertrieben. Nach diesem Blick in den Himmel schritt ich zu Legolas und Gimli herüber.
»Morgen!«, rief Legolas aus, als ich bei ihm angekommen war, doch mein Gesicht war noch nicht dazu bereit, Regungen zu zeigen, warum ich nur leicht nickte.
»Ein lauter Morgen. Gimli.«, mein Blick schnellte zum Zwerg hinunter, der mich unschuldig ansah. Legolas hingegen grinste und klärte Gimli auf, während ich mich zu Aragorn und den anderen gesellte. Es sah so aus, als ob sie gerade frühstückten. Dies hellte meine Stimmung auf.
Nachdem wir eine kleine Mahlzeit zu uns genommen hatten, rief uns Aragorn zu sich.
»Der Tag ist gekommen«, sagte er, »wo wir die Entscheidung treffen müssen, die wir so lange aufgeschoben haben. Wie soll die Fahrt weitergehen, nachdem wir uns so weit gemeinsam durchgeschlagen haben? Sollen wir mit Boromir nach Westen gehen und in die Kriege um Gondor ziehen? Oder nach Osten, dem Schrecken und Schatten entgegen? Oder sollen wir die Fahrtgemeinschaft auflösen und jeder geht nach eigenem Ermessen hierhin oder dorthin? Was wir auch tun, wir müssen es bald tun. Wir können nicht lange hierbleiben. Der Feind ist auf dem östlichen Ufer, so viel wir wissen. Ich befürchte aber, dass die Orks auch schon auf diesem Ufer sein könnten.«
Der Mensch hatte das Offensichtliche erklärt, doch alle schwiegen. Jeder sah mehr oder weniger Frodo an, denn seine Worte hatten großes Gewicht.
»Nun, Frodo«, redete Aragorn schließlich, »Ich fürchte, die schwerste Last ist dir auferlegt. Du bist der vom Rat ernannte Ringträger. Welchen Weg du selbst nehmen willst, kannst nur du entscheiden. Dazu kann ich dir keinen Rat geben. Ich bin nicht Gandalf und obgleich ich versucht habe, seinen Platz auszufüllen, weiß ich nicht, welche Absicht oder Hoffnung, wenn überhaupt eine, er für diese Stunde hegte. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Entscheidung, auch wenn er jetzt hier wäre, dennoch bei dir läge. Dies ist nun 'mal dein Schicksal.«
Der Ringträger schien noch keine Antwort zu haben und wollte eine Stunde für sich allein nachdenken. Eine Stunde, die ihm gewährt wurde, darauf hieß es warten.
Während Frodo im Schatten unter den Bäumen verschwand, saßen wir Gefährten beisammen, warteten. Zu anfangs schwiegen wir, dann kamen langsam Versuche des Sprechens zur Geltung, doch nie verlor jemand ein Wort über die Entscheidung. Nur über das, was Frodo wohl sagen würde, aber nie, was wir selbst wollten.
Wir fragten stattdessen Aragorn nach dem Reich von Gondor und seiner alten Geschichte aus, nach den Bauten und Anlagen, deren verfallene Reste in dem Grenzland der Emyn Muil noch zu sehen waren. Folglich sprachen wir über die steinernen Könige, danach war Ruhe eingekehrt.
»Erzählt ihr zwei doch 'mal etwas über euch«, forderte Pippin auf. Seine Augen funkelten in Legolas' und meine Richtung. Der Hobbit schien neugierig zu sein, auch die anderen fanden die Idee gut.
Ich sah zu Legolas nach oben, da ich seinen Oberschenkel als Kissen benutzte, und blickte in seine blauen Augen, die über meinen schwebten. Der Elbenprinz hörte auf, meine Haare zu flechten, was er angefangen hatte zu tun, als niemand mehr etwas gesagt hatte. Nun hatte ich ein paar schöne Flechten.
Ich sollte ihm öfters meine Haare machen lassen, ging es mir durch den Kopf, doch Pippin hatte eine Forderung gestellt.
»Oh, ja, das will ich auch hören! Wie ihr euch zum Beispiel kennengelernt habt; eine tiefe Freundschaft habt ihr nämlich in der Tat!«, rief Merry begeistert aus, der ebenfalls im Gras gelegen war, doch nun kerzengerade saß. Seine stichelnde Betonung ließ ich außen vor.
Ich hob eine Braue, dann zuckte ich mit meinen Schultern, jedoch, als Legolas seine Stimme erheben wollte, fiel ich ihm ins Wort: »Ich werde es erzählen, bei dir kommt nur Unsinn zustande. Du würdest mich schlecht dastehen lassen«, argumentierte ich. Mein bester Freund öffnete gespielt schockiert seinen Mund.
»Ich würde doch nur die Wahrheit erzählen«, provozierte er, dann war es bereits zu spät, »Die Wahrheit, wie ich dich bei unserer ersten Begegnung davor bewahrt habe, dich von einem Ork umbringen zu lassen.«
Legolas hatte das ausgesprochen, was ich vermeiden hatte wollen, und Gimli lachte los. Nicht einmal mein tödlicher Blick brachte ihn zum Schweigen, obwohl er sterben hätte sollen. So saß er quicklebendig da. Sein kleiner Brustkorb bebte vor Lachen.
Er würde auch beben, wenn ich auf ihm herumspringen würde, dachte ich und presste meine Lippen aufeinander.
Auch die anderen schienen amüsiert zu sein, selbst Aragorn lachte leicht.
»Schön, dass euch dies so viel Freude bringt«, nörgelte ich, verschränkte meine Arme vor meiner Brust. Trotzig schaute ich gen Himmel und ignorierte Legolas, dessen Kopf sich von oben in mein Sichtfeld schob.
»Gut, dann erkläre deine Sichtweise?«, schlug der blöde, Elb vor. Ich seufzte.
»Nein, nein. Es wurde alles gesagt«, erwiderte ich und der Ausdruck auf seinem Gesicht gefiel mir gar nicht.
»Ach, alles gesagt?«, Legolas hob eine Braue.
Meine Augen wurden größer. Sofort schossen mir Szenen durch den Kopf: Ich, ohne Waffen, auf der Flucht, mit einem verletzten Fuß und getragen von Legolas.
»Ja, alles gesagt!«
Ich warf einen strengen Blick zu Legolas und setzte mich auf, infolgedessen sprach ich fort: »Aber, um eure Neugier zu befriedigen, ich habe nicht gewusst, dass Orks im Wald sind. Ein Kampf war ganz in der Nähe und Legolas' Truppe hat mich gefunden. Zu dieser Zeit habe ich noch nicht den Umgang mit Waffen erlernt gehabt. Jedenfalls, ich bin vom nordwestlichen Düsterwald, wo ich früher gelebt habe, aus unterwegs gewesen, dann hat mich Legolas gefunden. Darauf kam ich ins Königreich.«
»Warum geht man in den Wald, wenn man dessen Gefahren nicht kennt?«, wollte Gimli wissen.
Ich sah, wie Boromir in den Wald verschwand. Wahrscheinlich, um ein Geschäft zu erledigen, doch Gimli erwartete eine Antwort, und so erhob ich meine Stimme: »Wenn man vor etwas wegläuft, ist es einem egal, ob man ins Grauen läuft. Wenn man einem anderen Grauen wegläuft, dann ist alles andere besser.«
Der Zwerg verlor sein Lachen.
»Oh, dies wusste ich nicht...«
Ich winkte ab.
»Konntest du nicht wissen. Ich komme aus keiner Familie von hohem Stand, und so war mein Leben beschwerlich in den ersten Jahren meines Lebens. Meine Mutter, Hera, sie war keine Elbin. Zwar gehörte sie den Dúnedain an, doch die Beziehung zwischen Elb und Mensch hat meinem Vater nicht gutgetan. Er hat nach ihrem Tod alle Lebenslust verloren und mich büßen lassen. Zu dieser Zeit war ich als Elbin jedoch noch sehr jung«, erzählte ich und alle hörten mir neugierig zu. Es passierte nicht oft, dass Elben von ihrem Leben erzählten. Vor allem erzählten wir es Sterblichen selten, denn die Weite unserer Erinnerung konnten sie sich nicht vorstellen.
»Ich bin fortgegangen und dann ist das passiert, was Legolas angesprochen hat. Zurückgedacht ist es eine lustige Geschichte und erstaunlich, dass ich nicht gestorben bin. Ich habe Legolas getroffen und alles kam, wie es eben kam und zur Gegenwart führte. Im Königreich hat sich alles entwickel. Seit fast tausend Jahren diene ich jetzt nun im Heer. Gewiss hat mir Legolas diesen Anfang ermöglicht, mir diese Möglichkeit gezeigt. Wir führen heute zwar eine innige Beziehung, doch am Anfang habe ihn nicht leiden können«, spottete ich und wollte die Stimmung nicht trüben.
»Oh, dieses Gesicht!«, lachte Gimli. Er zeigte mit dem Finger auf den Elb, der in Tat ziemlich lustig aussah.
Herrlich.
»So schlimm war ich damals gar nicht!«, verteidigte sich Legolas.
»Wirklich?«
»Ja. Du warst nicht besser«, versuchte Legolas, von sich selbst abzulenken. Natürlich mit der Philosophie, dass er mir einen Spiegel vorhalten wollte, doch warum er sich nach all den Jahren immer noch mit mir anlegte, wusste ich nicht.
»Wenn ich so schlimm war, warum hast du dann immerzu meine Nähe gesucht?«
»Und? Wenn sie dich so gestört hat, warum hast du sie dann zugelassen?«
Ich war überrascht, dass er überhaupt etwas darauf erwidern hatte können. Selbstverständlich war ich nicht mundtot gemacht worden, nein, ich war gerade erst warm geworden.
»Über irgendwen musste ich mich halt lustig machen und mein zweiter Schatten hat sich dazu ziemlich gut angeboten.«, ich klimperte mit meinen Wimpern.
»Da hast du dir eine tolle Elbin ausgesucht«, witzelte Gimli und Legolas, dem übrigens nichts mehr einzufallen schien, murmelte leise vor sich hin.
»Vor kurzer Zeit hätte ich mir gar nicht vorzustellen vermocht, dass Elben Humor besitzen.«, Gimli zwinkerte mir zu.
Aragorn erhob das Wort: »Du hast auch das Glück, dies zu erleben, Gimli. Das Elbenvolk ist meist unter sich und nun haben wir die Ehre, dass Lithil und Legolas mit uns ihre Geschichten und auch Humor teilen.«
»Weise Worte sprichst du, Freund Aragorn«, sagte Legolas, »und doch kam es nur dazu, da wir diese Reise angetreten haben.«
»Überall gibt es Licht, auch im Dunkeln«, erwiderte ich. Die anderen stimmten mir zu.
Legolas nahm einen Schluck von seiner Wasserflasche. Ich machte mich bemerkbar, dass auch ich Durst verspürte, und wollte die Wasserflasche haben, doch Legolas zog eine Braue nach oben.
»Ich weiß nicht, ob ich mit jemandem meine Flasche teilen möchte, der sich über mich lustig gemacht hat.«, er nahm zur Provokation noch einen Schluck von seiner Flasche.
Mir standen nun zwei Optionen zur Verfügung: Meine eigene Flasche holen oder Legolas zu überreden, mir seine Flasche zu geben, wenn auch mit Gewalt.
Natürlich klang die zweite Option interessanter, warum ich meine Stimme klingen ließ: »Und wenn ich ganz lieb bitte sage?«
Legolas schien dies überaus lustig zu finden. Er verneinte ebenso lieb. Folgend versuchte ich, nach der Flasche zu greifen, doch er zog sie reflexartig weg. Der Elb hielt sie außerhalb meiner Reichweite. Grimmig seufzte ich auf.
»Gen ú-velin...« (Ich hasse dich), murmelte ich vor mich hin. Anschließend ging ich zu meiner Tasche, die noch bei meinem Schlafplatz lag. Er war zwar nur ein paar Schritte entfernt, trotzdem fühlte sich jeder wie eine Meile an.
Ja, eine Tragödie.
Als ich zurückkam und mich neben den Elben ins Gras setzte, sah ich stur geradeaus, als ich etwas trank. Gewiss ließ Legolas meine vorherige Beleidigung nicht vergessen, denn wie kleinlich wir gemeinsam sein konnten, musste er seinen Mund öffnen, sagen: »Mítho orch.« (Geh einen Ork küssen)
Ich hielt seinem folglich provozierenden Blick stand. Was die anderen taten, war mir in diesem Moment egal, obwohl ich glaubte, dass sie über das Auenland sprachen und uns zwei lustig musterten.
»Gerich thû sui orch« (Du riechst wie ein Ork), sprach ich meine Antwort.
Legolas grinste plötzlich blöd. Auch mir fiel auf, dass ich die kleine Konversationsschlacht verloren hatte.
»Das kann man jetzt zweideutig verstehen, Lithil«, meinte Legolas, immer noch in Sindarin. Er wies mich darauf hin, dass ich ihn als Ork bezeichnet hatte und seine vorherige Aussage nun einer Zweideutigkeit glich.
Der Elb hob beide Augenbrauen, schien neugierig zu sein, was nun meine Antwort sein würde. Er grinste mich keck an und meine Lippen wurden zu einer dünnen Linie. Nun blieb mir bloß mehr übrig so zu tun, als ob ich dies mit voller Absicht gesagt hätte, denn mein Ego würde eine Niederlage nicht verkraften.
»Und was, wenn ich es genauso gemeint habe?«
Doch Legolas kaufte mir dies nicht ab.
»Gib dich geschlagen, oder ist das zu schwer für dich?«
Mein Freund war sich im Klaren, dass er auf dem längeren Hebel saß. Er streute Salz in die Wunde, wusste, dass ich es hasste, wenn Leute mir sagten, dass ich etwas nicht konnte.
»Wer sagt, dass ich mich geschlagen gebe?«, fragte ich herausfordernd und wandte mich ihm zu.
Legolas stützte sich mit einer Hand hinter seinem Rücken ab. Deshalb konnte ich ihm direkt in die Augen blicken. Ich beugte mich etwas nach vorne und der Abstand unserer Gesichter verringerte sich. Meine Augen sahen weiterhin in seine blauen, dann ging mein Blick provokant zu seinen Lippen, anschließend wieder nach oben. Legolas' Miene war indessen steinern geworden, doch nur, um meine Provokation nicht an ihn heranzulassen.
»Würdest du mir das etwa nicht zutrauen?«, fragte ich flüsternd, versuchte, mein großes Ego zu vertreten.
Leider kamen Erinnerungen auf, als ich Legolas so nahe war, meinen Blick zu seinen Lippen schweifen ließ. Ich wollte zwar nicht an die Vergangenheit denken, doch es geschah. Ein komisches Gefühl überrollte mich, als ich die vergangenen Bilder vertrieb.
Ich wurde unsicher und dies bemerkte Legolas. Hatte er zuvor noch selbst mit sich kämpfen müssen, erklang nun seine Stimme: »Oh, ich traue es dir zu, Lithil«, flüsterte er ebenso leise zurück, sah mir stur in meine Augen, »doch hier und jetzt, da traue ich es dir nicht zu.«
Pf!
Nach diesen Worten warf ich Legolas einen giftigen Blick zu, entfernte mich schlussendlich wieder, denn er hatte recht. Ein leises Knurren verließ meine Kehle.
Nachdem ich kräftig eingeatmet hatte, sprach ich gezwungen: »Okay, du hast dies für dich entschieden und ich gebe mich geschlagen.«
Ich sah, wie ein viel zu großes Grinsen auf Legolas' Lippen auftauchte. Es stand ihm ganz und gar nicht.
Ich nahm wieder einen Schluck aus meiner Wasserflasche und verfolgte das Gespräch der Gefährten, das über Frodo handelte. Ich musste selbstverständlich nicht erwähnen, dass ich Legolas' Blick bis unter meine Haut spürte.
»Er ist unschlüssig, welches Vorgehen das verwegenste ist, glaube ich«, spekulierte Aragorn, »Und das ist in der Tat schwer zu entscheiden. Nach Osten zu geh'n, ist für den Bund jetzt aussichtsloser denn je, seit Gollum uns aufgespürt hat und wir befürchten müssen, dass das Geheimnis unserer Fahrt schon verraten ist. Aber Minas Tirith liegt dem Feuer, in dem die Bürde zu vernichten ist, nicht näher. Dort könnten wir eine Weile bleiben und uns nach Kräften unserer Haut wehren, doch der Statthalter Denethor mit all seinen Mannen kann nicht zu leisten hoffen, wovon selbst Elrond sagt, dass es seine Macht übersteigt. Entweder die Bürde insgeheim zu verwahren oder aber den Feind aufzuhalten, wenn er in voller Stärke anrückt, um sie sich zu holen. Für welchen Weg würde jeder von uns sich an Frodos Stelle entscheiden? Ich, für meinen Teil, weiß es nicht. Noch nie hat uns Gandalf so sehr gefehlt.«
Legolas nahm den Blick von mir und beteiligte sich am Gespräch: »Sein Verlust schmerzt, doch in der Not müssen wir uns nun ohne seinen Beistand entscheiden. Warum unterstützen wir Frodo nicht bei seiner Entscheidung? Ich für meinen Teil würde nach Minas Tirith gehen, aber lege ich Wert auf die Meinung des Hobbits. Wir könnten abstimmen?«
Langsam nickte ich, »Ich verstehe deine Worte. Abstimmen, um Frodo eine Übersicht zu verschaffen. Natürlich liegt aber die endgültige Entscheidung leider immer noch bei ihm.«
»Auch ich würde für Minas Tirith stimmen«, sagte der Zwerg, »doch, so wie Lithil gesagt hat, denn freilich wurden wir nur ausgesandt, den Ringträger auf seinem Weg zu begleiten, so weit jedem von uns beliebt. Niemand steht unter einem Eid oder Befehl, bis zum Schicksalsberg mitzugehen. Jetzt, da wir vor der letzten Entscheidung stehen, ist mir klar, dass ich Frodo nicht allein lassen kann. Ich ginge lieber nach Minas Tirith, doch wenn er anders entscheidet, folge ich ihm.«
Ich überlegte und fand die gleiche Überzeugung wie Gimli tief in mir.
»Ich würde auch mit ihm gehen«, sprach ich.
»Treulos wär' es, jetzt Lebewohl zu sagen.«, Legolas sah alle an.
»Es wäre wirklich Verrat, wenn wir alle ihn allein ließen«, erwiderte Aragorn, »Doch geht er nach Osten, so müssen nicht alle mit ihm gehen. Ich glaube auch nicht, dass alle es sollten. Dies ist ein verzweifeltes Unterfangen, für neun, ebenso wie für drei, zwei oder auch nur einen. Wenn ihr mir die Wahl ließet, würde ich drei zu seinen Begleitern ernennen: Sam, dem alles andere unerträglich wäre, Gimli und mich selbst. Boromir will in seine Stadt zurückkehren, wo sein Vater und sein Volk ihn brauchen und mit ihm sollten die anderen gehen, zumindest Meriadoc und Peregrin, wenn Legolas und Lithil nicht bereit sind, sich von uns zu trennen«, erklärte Aragorn seinen Standpunkt als Führer und schien den Weg zu suchen, bei dem die wenigsten sterben würden.
Aber sollte uns die Angst vor dem Tod stoppen?
»Kommt nicht infrage!«, rief Merry seine Proteste, beantwortete meine Frage, »Wir können Frodo nicht im Stich lassen! Pippin und ich hatten immer vor, überall hinzugeh'n, wo Frodo hingeht, und dabei soll es bleiben. Natürlich war uns zu Anfang nicht die Größe dieser Reise bewusst, doch Frodo jetzt allein gehen zu lassen, müssen wir verhindern.«
»Wir müssen ihn davon abhalten«, sagte Pippin streng, »Und eben darüber macht er sich aber Gedanken, da bin ich mir sicher. Er weiß, dass wir ihn nicht nach Osten geh'n lassen wollen, doch bitten, dass wir mit ihm nach Mordor gehen, will er auch nicht. Er steht also vor der Entscheidung, ganz allein zu gehen, aber stellt euch das alle 'mal vor!«
Der Hobbit schüttelte sich. Auch mir wurde bei dem Gedanken, ganz allein zum Schicksalsberg zu gehen, schwer ums Herz.
»Er müsste wissen, dass wir ihn nicht allein lassen, wenn wir ihn denn nicht aufhalten können. Ich meine, du verstehst meinen Chef überhaupt nicht. Er ist nicht im Zweifel, welchen Weg er nehmen soll. Natürlich nicht! Wozu soll Minas Tirith denn gut sein? Für ihn, meine ich. Verzeihung. Herr Boromir«, sprach nun Sam und wollte zu Boromir schauen, »Na, wo ist denn der hin?«, rief der Hobbit und schaute besorgt drein, »Der ist schon ein bisschen komisch in letzter Zeit, finde ich. Aber mit dieser Sache hat er ja sowieso nichts zu tun. Vielleicht ist er schon unterwegs nach Hause, wie er's immer gesagt hat, kann man ihm nicht verübeln.«
Sam machte eine kurze Pause. Ich erhob meine Stimme: »Boromir ist vor einiger Zeit im Wald verschwunden. Ich nehme an, dass er einem Geschäft nachgeht. Aber ich verstehe dich, Sam; für Frodo gibt es nur einen Weg.«
»Ich glaube, er hat einfach Angst. Zwar hat uns die Reise abgehärtet, sonst würde er vor Angst den Kopf verlieren und den Ring einfach in den Fluss schmeißen und dann die Beine in die Hand nehmen. Trotzdem traut er sich noch nicht, loszugehen, und er macht sich auch keine Sorgen darum, ob wir nun mit ihm geh'n wollen oder nicht. Dass wir's wollen, weiß er. Was ihm Sorgen macht, ist etwas anderes. Wenn er sich dazu durchringt, zu gehen, dann wird er allein gehen wollen. Denkt an meine Worte! Wenn er jetzt zurückkommt, dann kriegen wir Probleme. Denn durchringen wird er sich schließlich doch, so wahr er ein Beutlin ist.«
»Ich glaube, in dieser Sache bist du der Weiseste von uns allen, Sam«, Aragorn grübelte, »und was wollen wir tun, wenn sich herausstellt, dass du recht hast?«
»Ihn aufhalten! Ihn nicht gehen lassen!«, sah Pippin die Sache ganz klar.
»Ich weiß nicht«, warf Aragorn dagegen, »Er trägt die Bürde und was aus ihr wird, liegt bei ihm. Ich glaube nicht, dass es unsere Sache sein kann, ihn auf den einen oder anderen Weg zu stoßen. Und selbst wenn wir es versuchen, würde es uns nicht gelingen. Andere und weit stärkere Mächte sind hier am Werk.«
»Ich wünschte, Frodo würde langsam zurückkommen, damit wir's hinter uns bringen. Dies Warten ist grässlich. Die Zeit ist doch sicher schon um?«, fragte Pippin, sah den Menschen an.
»Ja«, antwortete Aragorn, »Die Stunde ist längst verstrichen. Der Vormittag geht hin. Wir müssen ihn rufen.«
Genau in diesem Moment tauchte Boromir wieder auf. Sein Blick ging durch die Runde, infolgedessen setzte er sich abseits hin und schaute gen Boden. Er sah düster und traurig aus.
Was ist passiert...?
»Wo bist du gewesen, Boromir?«, fragte der Waldläufer, »Hast du Frodo gesehen?«
Boromir zögerte eine Sekunde, dann erhob er seine Stimme: »Ja und nein. Ja, ich hab' ihn getroffen, ein Stück weiter oben auf dem Berg und mit ihm geredet. Ich habe ihm zugesetzt, mitzukommen nach Minas Tirith und nicht nach Osten zu geh'n. Ich wurde wütend und er hat mich verlassen. Er ist verschwunden. So etwas hab' ich noch nie erlebt. Ich dachte, das gibt es nur in Märchen. Er muss den Ring aufgesteckt haben. Ich konnte ihn nicht mehr finden. Ich dachte, er wäre zu euch zurückgekehrt.«
Zwar glaubte ich dem Menschen, doch auch schien er viel zu verschweigen. Warum sollte Frodo den Ring aufstecken, wenn er sich dessen Gefahren bewusst war?
Was hast du damit zu tun, Boromir, dachte ich und musterte den Menschen argwöhnisch.
»Ist das alles, was du uns zu sagen hast?«, fragte Aragorn scharf. Er sah Boromir alles andere als freundlich an. Auch er schien seiner Geschichte nicht kompletten Glauben zu schenken.
»Ja«, war Boromirs Antwort, »mehr will ich jetzt nicht sagen.«
»Das ist übel!«, rief Sam wehleidig, sprang auf, »Ich möchte wissen, was dieser Mensch im Schilde geführt hat. Warum sollte Herr Frodo das Ding aufstecken? Er soll es nicht tun, und wenn er's doch getan hat, muss schon allerhand passiert sein.«
»Aber er würde es doch nicht aufbehalten?«, sagte Merry, »Nicht, wenn er dieser unerwünschten Begegnung erst 'mal entgangen ist, so wie es Bilbo immer gemacht hat.«
»Doch wo ist er hin? Wo ist er?«, rief Pippin etwas verzweifelt, »Er ist nun schon eine Ewigkeit weg!«
»Wann hast du Frodo zuletzt gesehen, Boromir?«, fragte Aragorn in einem scharfen Tonfall.
»Vor einer halben Stunde in der Art«, war dessen Antwort, »oder vielleicht ist es auch schon eine Stunde her. Ich bin eine Weile herumgelaufen. Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!«, mit seinen Händen verdeckte er seinen Kopf und schien die Schuld ganz allein zu tragen.
»Eine Stunde, seit er verschwunden ist!«, brüllte Sam, »Wir müssen ihn sofort suchen. Kommt!«
Doch bevor der Hobbit seine Beine in die Hand nehmen konnte, hielt Aragorn ihn auf, versuchte es.
»Moment, Moment!«, schrie er, »Wir müssen uns verteilen und immer zu zweit- Hört doch, wartet!«, aber seine Worte brachten nichts. Sam war schon losgerannt, die anderen Hobbits ihm hinterher. Im Chor riefen sie nach Frodo.
»Jetzt können wir gleich vier von ihrer Sorte suchen...«, grummelte ich, erhob mich. Auch die anderen standen auf und ich packte das Schwert, das ich von Galadriel bekommen hatte. Ich wollte nicht ohne eine Waffe die Hobbits suchen.
»Wir werden uns völlig verstreuen und verlaufen«, stöhnte Aragorn, »Boromir, ich weiß nicht, welche Rolle du bei diesem Unglück gespielt hast, aber hilf mir jetzt! Lauf den beiden jungen Hobbits nach und pass wenigstens auf sie auf, auch wenn ihr Frodo nicht findet! Wenn ihr ihn findet oder irgendeine Spur von ihm, kommt hierher zurück! Ich bin bald wieder da.«, danach rannte er Sam hinterher.
Ich folgte mit den anderen in den Wald. Wahnsinn schien die Gefährten gepackt zu haben und nach Legolas und Gimli verschwand ich unter den Bäumen, die mich verschluckten.
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