72. Kapitel - Häuser der Heilung
990 Jahre später:
Als die Sonne hinter dem Mindolluin sank, den ganzen Himmel in ihrem roten Licht entflammte, war die Schlacht vorüber. Die Hügel, Berge und Pelennor-Felder sahen blutgetränkt aus und der Fluss schien einer roten Quelle zu entspringen. Die Abendsonne funkelte auf seiner Wasseroberfläche und es ließ sich nicht erahnen, dass bis vor kurzem noch etliche Feinde ihr Leben im Gewässer gelassen hatten. Nun war kein Feind mehr am Leben und die wenigen, welche geflohen waren, waren außer Sicht. In Zukunft würden nur mehr wenige überhaupt dieses Land je wieder betreten und ins Südland der Haradrim würde schon bald Bericht der Schlacht gelangen. Sie müssten schon verrückt sein, wenn sie je wieder einen Fuß in den Norden setzten – Gondor hatte sich bewiesen, war als Sieger hervorgegangen.
Wie immer blieb nach einer Schlacht zwar der Sieg für eine Seite, doch auch die Schrecken, die deutlicher wurden, wenn die Freude des Sieges nachließ. In diesem Moment bemerkte ich nun erst die Müdigkeit, die in meinen Knochen saß, und zu dritt wanderten wir durch die vielen Toten. Viele lagen verletzt, verstümmelt und tot auf dem Schlachtfeld und auch waren viele bekannte Personen gestorben. Von den meisten hatte ich als Elbin noch nie etwas gehört, doch sie schienen bekannt unter ihrem Volk zu sein, sodass die Barden in der nächsten Zeit über sie sangen:
Wir hörten ein Horn aus den Hügeln schallen,
Die Schwerter rief es zur Schlacht im Südreich.
Auf Sturmesflügeln nach Steinland eilten
Reiter in der Mark, ihre Rosse ermüdend.
Théoden fand den Tod, Thengels mächtiger Sohn,
Und niemals sah er den Norden wieder.
Die grünen Wiesen und die goldene Halle
Der Heerkönige. Harding und Guthláf,
Dúnhere und Déorwine und der düstere Grimbold
Fochten und fielen im fremden Land dort:
Unter bemoosten Hügeln bei Mundburg ruh'n sie,
Gleichgeachtet den Edlen von Gondor.
Nicht sieht Hirluin der Schöne die grünen Hänge,
Nicht Forlong der Alte die Flüsse und Täler
Von Arnach wieder mit den Augen des Siegers,
Nicht Derufin und Duilin die dunklen Teiche
Im Morthondtal, die Meister des Bogens.
Tod von früh bis spät vertilgte die Männer,
Fürsten wie Volk. In der Ferne deckt sie
Lang schon das Gras. Der große Anduin,
Silbern glänzend, tränengrau gleitend,
Wallte da rot auf und warf Wellen
Ans Ufer, blutige Gischt in der Abendsonne.
Wie Leuchtfeuer flammten und lohten die Berge,
Und rot fiel der Tau in der Rammas Echor.
»Ah!«, stieß ich aus, ein Zischen verließ meinen Mund. Ich funkelte Legolas an, der sich gewillt meine Schulter ansehen wollte, und kurz war ich davor gewesen, ihn zu schlagen. Er hatte es eigentlich auch verdient, und so tat ich es einfach. Meine gesunde Hand schlug gegen seine rechte Hand, die meinen Mantel zur Seite ziehen wollte, um meine Verletzung zu sehen. Sofort zuckte der Elb erschrocken zurück und Gimli lachte ihn aus. Ein tiefes Lachen verließ den Zwerg, der sich über die verschwitzte Stirn wischte. Er hatte seinen Helm unter seinen einen Arm geklemmt und man sah ein paar Dellen auf dem glänzenden Metall. Feinde hatten ihm von oben auf den Kopf geschlagen, doch sein Dickkopf zerbrach sogar die stärkste Klinge.
Ich für meinen Teil sah Legolas in seine blauen Augen. Der Elb stand vor mir und seine blonden Haare waren noch vom Regen feucht. Er hingegen blickte mir mit erhobenen Brauen entgegen, erhob seine Stimme: »Wenn ich es mir nicht ansehen darf, dann geh' zu einem Heiler«, zickte er und ich rollte mit meinen Augen. Nicht einmal die Freude über den Sieg schaffte es, dass ich den Elben nicht nervig fand, wenn er sich Sorgen machte.
»Dann geh' auch du zu einem Heiler!«, zickte ich zurück, drückte ihm gegen seinen linken Oberarm, wo ihn eine Klinge gestreift hatte. Sein Elbenmantel verdeckte seinen Oberarm nicht, sodass ich genau auf die Stelle drückte, wo seine Tunika einen Schnitt hatte.
»Ah!«, stieß nun auch er aus und ich sah ihn wissend an.
»Tut weh, nicht?«, spottete ich und meine Augen funkelten. Er packte meine Hand am Handgelenk, dann sahen wir uns an. Wir beide hatten unsere Brauen erhoben und in diesem Moment trafen unsere beiden Egos aufeinander.
»Nicht einmal eine gewonnene Schlacht schafft es, dass sich das alte Ehepaar nicht anzickt!«, lachte Gimli und war kurz vorm Umkippen. Meine Augen schnellten zu ihm und ich zischte: »Da hat wohl einer zu viele Hiebe auf den Kopf bekommen!«, doch er lachte einfach weiter und nichts schien seine Laune trüben zu können. Wenigstens ließ Legolas mein Handgelenk los, welches ich sofort an meine Brust drückte und weiterhin mit erhobenem Haupt in Legolas' Augen blickte.
»Ich habe aber keinen Pfeil in meine Schulter bekommen!«, meinte er. Im Hintergrund bemerkte ich, dass die ersten Menschen aus der weißen Stadt strömten und mit Liegen die Verletzten vom Feld trugen.
»Meine Verletzung kann warten. Viele andere sind schlimmer verletzt«, sprach ich und dieses Mal klang meine Stimme ruhiger. Legolas aber schien wenig überzeugt zu sein, obwohl etwas Einsicht schien er doch zu haben. Im Vergleich zu vielen waren wir beinahe unverletzt durch die Schlacht gekommen und dies, obwohl wir direkt an der Front gekämpft hatten.
»Die Wunde muss trotzdem gewaschen werden und sie blutet immer noch«, argumentierte Legolas und auch ich sah den bereits großen Blutfleck auf meiner Tunika und Elbenmantel.
»Ich muss Legolas recht geben«, mischte sich Gimli ein, weshalb ich aggressiv aufseufzte, »Irgendwo gibt es sicher einen Heiler, der es sich schnell ansehen kann. Danach bist du geschwind wieder einsatzbereit und kannst weiter zickig sein.«
»Ich bin nicht zickig!«, zickte ich dann doch zurück, was Gimli lachen ließ.
»Hört sich aber so an«, sagte der Zwerg ruhig und in der Zwischenzeit hatten wir unseren Weg fortgesetzt.
»Gut!«, ich schnaubte, »Dann lasst uns einen Heiler finden!«, endete ich, würdigte die beiden keines Blickes. Innerlich regte es mich auf, denn neben einen besorgten Legolas um mich zu haben, konnte ich einen belustigten Gimli ebenso auf die Liste schreiben von Dingen, die ich nicht leiden konnte. Nichtsdestotrotz war ich tief in meinem Inneren glücklich, dass wir die Schlacht für uns entschieden hatten. Das Gefühl, wenn man wusste, dass man seinem Feind einen Schlag ins Gesicht verpasst hatte, war herrlich. Zwar spürte ich immer noch ein Kribbeln in meinen Händen und war bereit, Feinde niederzustrecken, doch trotzdem war ich müde.
Auf unserem Weg zum Tor kamen wir an ein paar toten Olifanten vorbei und Genugtuung flammte in mir auf. Zu wissen, dass mit dem Fall der großen Tiere die Schlacht für die Feinde vorbei gewesen war, fühlte sich großartig an. Noch besser wurde das Gefühl, wenn ich daran dachte, dass Legolas und ich hauptmäßig dafür verantwortlich gewesen waren. Die Rohirrim hatten ebenfalls den ein oder anderen Mûmakil zu Fall gebracht und jetzt lagen sie tot am Boden, neben den gefallenen Feinden.
Wir kamen dem zertrümmerten Tor Minas Tiriths entgegen, als plötzlich ein Pferd von der Seite aus auf uns zuritt. Seine Hufschläge trommelten über den Boden und das Tier wurde von zwei weiteren Pferden begleitet. Im nächsten Augenblick hielten die Pferde vor uns und sofort saß ein gut gelaunter Aragorn ab. Die anderen beiden waren Éomer und ein Mann, den ich nicht kannte. Er hatte dunkle Haare, meergraue Augen und war von einem hohen Wuchs. Sein bartloses Gesicht strahlte Schönheit aus und irgendwie schien es mir so, als ob der Mann Elbenblut in sich trug.
»Es ist toll, euch alle wohlauf zu wissen!«, freute sich Aragorn und hätte uns am liebsten erdrückt. Ich stellte fest, dass auch die drei unverletzt waren, obwohl ich in ihren Augen die Müdigkeit von der Schlacht entdecken konnte. So lange hatten die meisten von uns nämlich noch nie gekämpft, doch es hatte sich gelohnt.
»Auch ich bin froh, euch wohlauf zu sehen«, meinte ich. Aragorn schien meinen fragenden Blick zum Fremden zu bemerken und erhob seine Stimme: »Dies ist Imrahil, meine Gefährten«, begann er und machte eine ausschweifende Handbewegung in Richtung des Braunhaarigen, der respektvoll seinen Kopf neigte. Auch ich neigte meinen Kopf, dann sprach Aragorn fort: »Imrahil ist der Sohn des Fürsten Andrahil von Dol Amroth. Euch sagt es aber mehr, wenn ich ihn euch als den Onkel von unserem gefallenen Gefährten Boromir vorstelle«, erklärte er, folglich sah er zu Imrahil und wieder zu uns, »Dies sind meine Gefährten Gimli vom Erebor und Legolas und Lithil aus dem Elbenkönigreich des Düsterwaldes.«
»Man sieht sofort, dass Ihr elbisches Blut in Euch trägt«, begann Legolas und hatte denselben Gedanken wie ich, »Es ist lange her, seit das Volk von Nimrodel die Wälder von Lórien verließ, und man kann sehen, dass nicht alle von Amroths Hafen aus nach Westen über das Meer gesegelt sind.«
»Für mich ist es eine Ehre zu wissen, dass das Elben- sowie Zwergenvolk an dem heutigen Tag mit uns gekämpft haben«, sprach der Mann und hatte eine melodische Stimme.
»Es hat sich bereits herumgesprochen, dass ihr drei gegen Ende beinahe die westliche Flanke allein gehalten habt, bewundernswert«, sagte jetzt Éomer und hatte recht.
»Es war eine Leichtigkeit, die viel Freude gebracht hat!«, meinte Gimli. Legolas stieß Luft aus.
»Die Bescheidenheit der Zwerge«, witzelte er folglich und die anderen sahen Gimli amüsiert an.
»Heute ist Gimlis Hochmut jedoch berechtigt«, lachte Aragorn, doch dann trafen seine hellen Augen auf mich und er setzte fort: »Ich habe von Elladan über Halbarad erfahren und ohne dich hätte ich einen guten Freund verloren, Lithil«, Aragorn legte seine Hand auf meine gesunde Schulter, »Er muss jetzt gegen seine Verletzungen ankämpfen, doch schon jetzt weiß ich nicht, wie ich dir danken soll.«
»Dafür musst du mir nicht danken, einen Verbündeten lässt man nicht sterben«, war meine Antwort und als wir uns ansahen, bemerkte Aragorn meine Verletzung.
»Du solltest damit zu einem Heiler«, sprach er ruhig und als Gimli losprustete, sahen die drei Menschen ihn komisch an. Sie hatten unser vorheriges Gespräch nicht mitbekommen und auch bemerkte ich einen stechenden Blick von Legolas auf mir, den ich ignorierte. Aragorn sah verwirrt zwischen uns allen hin und her, aber schnell hatte sich Gimli wieder beruhigt.
Aragorn machte sich keine weiteren Gedanken darüber und setzte fort: »Geht zu den Häusern der Heilung. Ein Lazarett außerhalb der Stadt wird bereits eingerichtet und die Verwundeten vom Feld und die, welche es zum Hafen geschafft haben, werden bald versorgt. In den Häusern der Heilung solltest du schnell behandelt werden können, bevor die Welle der Verwundeten einströmt. Ihr findet sie im sechsten Ring der Stadt an der südlichen Mauer, nah der Veste«, erklärte er und ich nickte.
»Danke«, meinte ich ehrlich und der Mensch schwang sich wieder auf sein Pferd.
»Ich werde gewiss ebenso bald dort vorbeischauen, doch zuerst wollen wir die ersten Berichte über die Verluste einbringen. Bis zum nächsten Treffen!«, verabschiedete sich Aragorn, im Anschluss darauf ritten die drei Menschen an uns vorbei, während wir unseren Weg fortsetzten.
Kurze Zeit später standen wir vorm Torbogen von Minas Tirith. Er war zertrümmert und hatte viel Schaden durch den Angriff erhalten. Überall war Verwüstung ringsum und wie Aragorn gesagt hatte, machten sich die Ersten daran, neben der Stadt das Feld zu räumen. Bald würden Zelte aufgeschlagen werden und bereits konnte ich Heiler sehen, die ihre Kräuter und Verbände brachten. Auf der anderen Seite ließ sich die Verwüstung besser erkennen, denn überall lagen Leichen und viele Belagerungsmaschinen waren in die Gräben gefallen. Die Luft roch nach Brand, Rauch und Blut, wobei alle Brände in der Stadt, verursacht durch Katapulte, durch den Regen, aber auch durch die Menschen gelöscht worden waren. Viele Olifanten lagen samt Belagerungsturm halb verbrannt vor den Mauern und die ganze untere Stadt lag noch in den Qualm von Schwelbränden gehüllt. Die ersten unverletzten Männer arbeiteten daran, die Kriegstrümmer zu beseitigen und besseren Zugang zur Stadt zu schaffen.
Im nächsten Moment betraten wir die Stadt, gingen in der Menge nicht unter. Wir gaben eine komische Konstellation ab, doch wir setzten unseren Weg fort. Die Straßen waren noch feucht und überall lagen Trümmer herum. Als wir die Hauptstraße hinaufgingen, die zur Zitadelle führte, zählte ich Ring für Ring.
Legolas ging schweigend neben mir und gelegentlich spürte ich seinen Blick auf mir ruhen. Sagen tat er bis zum sechsten Ring nichts, als wir die Häuser der Heilung erreichten, die nicht zu verkennen waren, da schon einige Verletzte zu sehen waren. Mit jedem Ring waren wir weiter nach oben gegangen und die Luft roch weniger nach Rauch. Das Gebäude lag in einem Garten, der von vielen Bäumen umsäumt war und bis zu den Zinnen der südlichen Mauer reichte. Vor dem Eingang erblickten wir zwei Wachen, wobei ein Mann klein und der andere groß war, aber auch ein bekanntes Gesicht.
Erfreut rief ich: »Pippin!«, sofort sah der Hobbit auf und kam gleichermaßen erfreut auf uns zu. Seine nackten, beharrten Füße liefen übers Gras hinweg, dann über den Weg, bis er bei uns ankam. Gleich wurde er begrüßt, doch neben der Freude schien Sorge sein Gesicht zu zieren.
»Ich bin so froh, dass es dem Schlingel gut geht!«, freute sich Gimli und trug indessen wieder seinen verbeulten Helm. Es schien zur Gewohnheit zu werden, dass er nach jeder Schlacht einen neuen Helm bräuchte.
»Was macht du denn hier, bist du verletzt?«, fragte Legolas und Pippin klärte seine Kehle: »Nein, aber Merry. Er und Frau Éowyn sind beide von einem Ringgeist verletzt worden und nun sehr schwach. Fast hätte ich ihn gar nicht allein hier hochgebracht, wenn mir nicht ein Junge geholfen hätte«, erzählte er und Sorge brannte in meinem Herzen.
»Warte, ist Éowyn am Leben? Und Merry ist hier?«, fragte ich und musste daran denken, dass Éomer immer noch dachte, dass seine Schwester in der Schlacht gefallen war.
»Ich wusste nicht einmal, dass sie in die Schlacht gezogen ist. Dass man ihr dies erlaubt hat«, merkte der Zwerg an und ich sprach: »Sie haben es nicht gewusst, sie hat sich ins Heer geschlichen«, erklärte ich und Pippin nickte schnell.
»Ja und Merry ist mit ihr geritten. Zusammen haben sie den Ringgeist besiegt, doch befürchte ich, dass es ihnen nun zum Verhängnis wird«, der Kleine klang besorgt.
»Eine erstaunliche Leistung und noch mehr wächst meine Bewunderung für die beiden«, sagte Legolas und Pippin nickte wieder, hörte gar nicht mehr damit auf, dann erhob er seine Stimme: »Warum seid ihr aber hier?«, fragte er und ich sprach meine Antwort: »Ich habe einen Pfeil abbekommen und werde gezwungen, hier zu sein«, meine Stimme klang trocken und aufgrund Legolas' strengen Blick konnte sich der Hobbit ein kleines Lächeln abringen.
»Dann lass deine Schulter versorgen und wir zwei reden draußen miteinander. Viel gibt es auf beiden Seiten zu berichten«, meinte Gimli und sah Pippin an. Anschließend spazierten die beiden in den Garten und als ich den Weg zum Eingang ging, folgte mir natürlich Legolas. Wer hätte es anders erwartet.
Zusammen betraten wir das Haus der Heiler und drinnen angekommen, entdeckte ich die ersten Verwundeten. Von einfachen Brüchen bis hin zu fehlende Gliedmaßen war alles dabei und zwischen den Verletzten bewegten sich Frauen. Sie schienen als Krauterkundige trotz des Krieges weiterhin zu arbeiten, obwohl alle anderen Frauen, Kinder und Alten aus der Stadt gebracht worden waren. Die Luft roch, ganz wie zu erwarten, nach Blut, Schweiß und Kräutern. Ein sachter Luftzug wehte durchs Gebäude und Kerzen tauchten alles in ein warmes Licht. Die Liegen wurden von dünnen Vorhängen voneinander getrennt und ich entdeckte einige Räume, in welchen weitere Betten sein müssten.
Ein gewisser Elb wich mich mir nicht von der Seite und schien mein Schatten zu sein. Bevor ich jedoch viel zu laut aufseufzen konnte, entdeckte uns eine Heilerin und kam auf mich zu. Sie trug helle Kleidung und ihre dunklen Haare wurden von einem weißen Tuch verdeckt. Sie schien bereits älter für einen Menschen zu sein, doch so etwas konnte ich nicht einschätzen. Ihre hellen Augen funkelten interessiert auf, als sie bemerkte, dass vor ihr zwei Elben standen. So stolz und anmutig das Elbenvolk war, machten wir als Krieger einen noch größeren Eindruck und die Heilerin schien zurückhaltend zu sein. Legolas' Blick sah auch nicht einladend aus und der meine war ebenso etwas starr, da wir uns gerade nicht leiden konnten.
Als die Frau bei uns angekommen war, rafften wir uns beide aber zu einem neutralen Gesichtsausdruck zusammen, infolgedessen sprach sie in der Gemeinsprache zu uns: »Folgt mir bitte«, meinte sie und ihre Stimme war tiefer als ich angenommen hatte. Sie nickte zur Begrüßung, dann verschwand sie weiter ins Gebäude und wir folgten ihr. Wir gingen an den vielen Verletzten vorbei und bei einem freien Bett angelangt, deutete sie mir, dass ich zum Bett gehen sollte. Sie hielt den Vorhang in ihren Händen und wusste nicht, was sie mit meinem Schatten machen sollte, also erhob ich meine Stimme: »Schon gut.«, dann kam Legolas näher und stellte sich auf die andere Seite der Liege. Ich begann, meine Waffen abzulegen, während die Heilerin den Vorhang zuzog, der bloß die Hälfte der Liege verdeckte, um den Verletzten etwas Privatsphäre zu geben, nicht aber den Heilkundigen die Sicht auf ihre Patienten komplett versperrte.
Als ich meinen Bogen vom Rücken nahm, verzog ich mein Gesicht, auch als mein Köcher und Mantel folgte. Ich stand der Frau gegenüber, die mindestens zwei Köpfe kleiner war, anschließend setzte ich mich auf die Liege. Von einem Tisch griff sie nach einer Schere und begann, den Ärmel meiner Tunika aufzuschneiden, nachdem ich den rechten Armschutz entfernt hatte. Gewiss hatte ich noch Ersatzkleidung in der Satteltasche im Hafen und auch war die Tunika schon an ihren Grenzen. Sie trug nicht nur das meine, sondern auch das Blut meiner Feinde. Der Regen hatte zwar vieles davon gewaschen, doch immer noch sah man, dass wir von einem Schlachtfeld kamen.
Die Heilerin zerschnitt den Stoff bis zu meiner Schulter, dann nahm sie den zerschnittenen Ärmel und machte damit unter meiner Achsel einen Knoten, sodass das Oberteil nicht verrutschte und auch würde so der Verband nicht dreckig werden, was passiert wäre, wenn ich die Tunika aus- und wieder angezogen hätte.
»Pfeilwunde«, stellte sie fest, begutachtete meine Schulter von hinten und vorne, »Selbst durchgestoßen und herausgezogen«, sprach sie weiter und lag richtig.
Nach ihrer ersten Begutachtung legte sie die Schere weg und griff nach frischen Leinen, die sie in Wasser tauchte. In diesem Moment hatte auch ich das erste Mal vollen Blick auf meine Wunde und stellte fest, dass sie noch blutete. Das Blut hatte sich im Laufe des Kampfes bis unter mein Lederoberteil ausgebreitet und später müsste ich mich gründlich waschen. Auch Legolas' blaue Augen lagen auf meiner Wunde und er sah mich so an, als ob meine Aussage, dass es nichts Schlimmes war, komplett verrückt wäre. Natürlich sah alles mit Blut schlimmer aus, und so konnte ich nur mit meinen Augenbrauen in seine Richtung zucken. Gleich darauf sog ich scharf Luft ein, da mir die Frau den Lappen gegen die Schulter drückte. Ein Brennen ging von der Wunde aus und am liebsten wäre ich sofort aufgestanden.
Der Schmerz ging bis in die Fingerspitzen und meinen Hals hinauf. Ich ballte eine Faust und konzentrierte mich auf meine Atmung. Die Heilerin tupfte die Wunde sauber, warf den Lappen in einen leeren Eimer und griff nach einer Schüssel mit einer klaren Flüssigkeit. Sie tunkte einen nächsten Lumpen ein und ich hatte eine böse Vorahnung, die sich bewahrheitete. Als sie mir den Lampen auf die Wunde drückte, zischte ich und wusste, dass es Alkohol war. Er fraß sich bis in die Wunde hinein und erst als mir etwas schwindelig wurde, bemerkte ich, dass ich ganz auf das Atmen vergessen hatte. Ich vertrieb schwarze Flecken vor meiner Sicht, die mich zu verspotten schienen. Nachdem sie fertiggeworden war, kam mehr Blut aus der Wunde heraus. Frisch und hell säuberte es die Wunde von innen und die Heilerin nickte.
»Die Wunde sieht nicht vergiftet aus«, sagte sie, während sie eine Salbe mit Kräutern und Honig anmischte, »Sie bleibt einstweilen offen und muss von innen nach außen heilen. Kommt in den nächsten Tagen wieder vorbei zum Auswaschen und Wechseln des Verbandes«, sprach sie und hatte denselben Akzent, wie auch Boromir und Aragorn ihn hatten. Ich versicherte ihr, dass ich ihrer Anweisung nachkommen würde, obwohl ich bestimmt von Legolas dazu genötigt werden würde.
Im Anschluss darauf schmierte sie die Salbe auf einen Verband und begann, ihn um meine Schulter zu wickeln. Nach der Schicht mit der Salbe folgte ein normaler Verband und sie erhob wieder ihre Stimme: »Ich bin nicht mit dem Elbenkörper vertraut, jedoch glaube ich zu wissen, dass die euren Heilfähigkeiten besser als die der Menschen sind. Die Wunde sollte gut heilen. Schont Eure Schulter, denn, obwohl keine wichtigen Nerven beschädigt sein sollten, heißt es noch lange nicht, dass es sich nicht verschlimmern kann«, dann ging ihr Blick zu Legolas, »Habt auch Ihr eine Verletzung?«
Noch bevor der Elb seine Stimme erheben konnte, kam ich ihm zuvor: »Einen Schnitt am linken Oberarm«, erklärte ich und er sah mich so an, als ob dies jetzt wirklich nötig war. Ich nickte, dann sprach er höflich an die Heilerin gewandt: »Er ist nicht tief und nur oberflächig.«
»Ich würde trotzdem gerne einen Blick darauf werfen, wenn ich dürfte?«, und als ich schon glaubte, dass er ihrem Wunsch nicht nachkommen würde, krempelte er seinen Ärmel nach oben und sie warf einen Blick auf den Schnitt, der in der Tat nur oberflächig war, wobei der Elb mir einen tödlichen Blick zuwarf.
»Wenn Ihr ihn regelmäßig auswäscht, solltet Ihr keine Probleme haben. Wenn Ihr eine Entzündung bemerkt, kommt vorbei«, erklärte sie mit einem Nicken. Dann bestand sie darauf, dass sie uns etwas zu trinken bringen würde, da wir seit der Früh keine Flüssigkeit mehr zu uns genommen hatten. Dagegen konnten wir nichts einwerfen und während ich meine Waffen wieder anlegen wollte, kam mir Legolas zuvor und hinderte mich daran: »Trag den Bogen in der Hand, du sollst deine Schulter schonen.«, ich rollte mit meinen Augen, doch kam seinen Worten nach.
»Zufrieden?«, fragte ich, deutete mit meinem Kinn Richtung Schulter und der Elb nickte.
»Sehr sogar«, gab er im gleichen Ton zurück und bevor wir uns anzicken konnten, wurde meine Aufmerksamkeit von der Tür eingenommen. In die Häuser der Heilung traten im nächsten Moment Aragorn, Éomer und Gandalf. Auch Pippin und Gimli waren unter ihnen. Sofort suchte Éomer seine Schwester. Er schien erfahren zu haben, dass Éowyn noch lebte, ob gar sie an der Schwelle zum Tod war. Denn, obwohl alles Wissen der Heilung der Menschen in diesen Tagen von seiner einstigen Höhe herabgesunken war, waren die Heilkundigen von Gondor immer noch kenntnisreich und tüchtig in der Behandlung von Wunden, Brüchen und allen Krankheiten.
Nun versagten all ihre Kunst und Kenntnis, denn viele litten an einer Krankheit, die sich nicht heilen ließ. Man nannte sie schon den Schwarzen Schatten, denn sie kam von den Nazgûl. Wer von ihr befallen war, versank langsam immer tiefer in einen Traum, wurde von Stille und tödlicher Kälte umfangen und starb.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro