Göttlicher Zorn |7|
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Eine Woche war vergangen, seit Ravin und Lita einen Pakt geschlossen hatten. Seitdem hatten Lita und Tiara kaum ein Wort gewechselt. Zwar versuchte sich Tiara immer wieder an Annäherungsversuchen und wollte sich mit ihrer Mitbewohnerin aussprechen, doch Litas Wille war eisern. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es nichts und niemanden, der sie aufzuhalten vermochte.
Auch Valerius war ihr die letzten Tage mit voller Absicht aus dem Weg gegangen. Vermutlich hatte sie diesen Umstand Gabriel zu verdanken. Jedenfalls wollte ihr Ravin klar machen, dass Gabriel keineswegs der nette Kerl war, der er vorgab zu sein. Lita wusste nicht so recht, wem sie vertrauen sollte. Ihren Instinkten oder doch Ravin? Sollten sich Ravins Aussagen jedoch als richtig erweisen, hätte Lita einen Grund mehr Gabriel als Lügner zu entlarven.
Lita war keineswegs entgangen, dass Deimos und Artemis -Gabriels beste Freunde- wie Kletten andauernd an Valerius hafteten und ihr gesamtes Augenmerk auf ihn legten. Zwar vermisste Lita es mit Valerius Zeit zu verbringen, doch die Freundschaft von Ravin war ihr mittlerweile auch sehr wichtig geworden. Ravin klärte sie über einige Zaubersprüche auf und bot ihr sogar an m Zauberunterricht bei ihm zu nehmen, so dass Lita die wichtigsten Sprüche schon vor Beginn der Schule beherrschte und den anderen Schülern um nichts nachstehen würde.
An dem heutigen Tag wollte sich Lita mit seiner Hilfe an ihrem ersten anspruchsvollen Zauberspruch versuchen. Dazu wollten sich Ravin und sie nach dem Frühstück beim großen Waldsee treffen, wo sie ungestört waren.
Gerade als Lita ihren Frühstücksteller vorne bei der Küche abgestellt hatte, ging Ravin unauffällig vorbei und gab ihr mit den Augen ein Signal, dass sie ihm folgen sollte.
Lita nickte und ging Ravin mit einigen Metern Abstand hinterher, als sie plötzlich von einem anderen Schüler aufgehalten wurde.
Innerlich fluchte Lita. Das konnte doch nicht wahr sein! Valerius hätte sich keinen schlechteren Augenblick aussuchen können, um sie anzusprechen. Denn sie hatte nicht nur im Moment ganz andere Pläne, sondern Gabriel kam im selben Moment mit Artemis und Deimos in den Speisesaal, dem einzigen Ort, an dem alle Schüler aus den verschiedenen Refugien täglich zusammenkamen.
»Hey, Lita! Warte kurz! Sag mal, meidest du mich aus irgendeinem Grund?« Der Junge war ihr hinterher geeilt und versperrte ihr nun den Weg aus dem Saal, während Gabriel, gefolgt von seinen Freunden, langsam an ihnen vorbeigingen.
Lita lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sich Gabriels und ihr Blick trafen. Für einen Augenblick verging alles wie in Zeitlupe. Dann platzte die Blase ihres schrägen Unterbewusstseins und sie konnte Valerius' Stimme wieder hören.
»Ich weiß alles ist für dich noch sehr neu und ich will echt nicht aufdringlich wirken oder so, aber ich hatte dich doch zu mir eingeladen, und da es heute eh viel zu heiß ist, um das Gelände auszukundschaften, hatte ich mir eine kleine Überraschung für dich überlegt...«, sprach Valerius mit einem winzigen Hauch von Aufregung, den man ihm kaum anmerkte.
Mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck sah er das Mädchen an. In ihrem Augenwinkel bemerkte sie, wie Gabriel mir verschränkten Armen dastand und jede ihrer Bewegungen genauestens beobachtete.
Nervös lächelte das Mädchen und nickte schließlich. Sie hatte Valerius insgeheim schrecklich vermisst, sich aber bewusst von ihm ferngehalten, um Gabriels Unmit nicht zu erregen. Lita wollte es sich nicht eingestehen, doch wenn sie ehrlich mit sich war, musste sie zugeben, dass sie in Gabriels Gegenwart stets ein mulmiges Gefühl verspürte. Sie konnte es nicht beschreiben. Es war eine Mischung aus Angst und Faszination und der stetige Drang sich ihrer Faszination hinzugeben und sich ihrer Angst auszuliefern.
»Eine Überraschung sagst du? Da kann ich ja wohl schlecht absagen!«
Valerius' Wangen waren leicht errötet, als er Litas Hand nahm und sie an seine Seite wirbelte. Das Mädchen lachte erheitert und lehnte sich an die Brust des Jungen. »Da hast du recht. Ich freu mich schon, gleich deinen Gesichtsausdruck zu sehen.«
Lita sah neugierig zu Valerius auf. »Was? Die Überraschung ist hier? Im Schloss?«
Valerius schwenkte den Kopf hin und her. »Fast... ich würde eher sagen vor dem Schloss.« Noch bevor Lita etwas erwidern konnte, nahm Valerius ihre Hand und eilte fidel mit ihr durch die Gänge des Schlosses.
Als sie vor dem Tor der Schule angekommen waren, stellte sich Valerius hinter das Mädchen und legte seine Hände auf ihre Augen.
»Wo bringst du mich hin?«, kicherte Lita, während Valerius sie über die Brücke führte, bis Lita schließlich Gras unter ihren Füßen spürte und der Schüler stehen blieb.
Langsam nahm er seine Hände von ihren Augen und hauchte ihr leise, mit seiner rauen Stimme zu: »So, jetzt darfst du schauen.«
Lita konnte es kaum erwarten, so aufgeregt war sie. Sie öffnete sofort die Augen und glaubte nicht was sie vor sich sah.
Ihr Herz setzte für einen Moment aus vor lauter Schock und ihr stockte der Atem. Mit einem fassungslosen Ausdruck im Gesicht stand sie einige Augenblicke nur da, bis sie realisiert hatte, dass sie nicht bloß träumte.
»Nein oder...«, begann sie schließlich ungläubig zu sprechen.
»Das ist nicht möglich.« Ihr Lächeln wurde immer breiter. Sie wirbelte benebelt vor Überraschung zu Valerius um und schenkte diesem ihr hellstes Strahlen.
»Das ist Eldingar«, sagte Valerius und drehte Lita an ihren Schultern wieder dem lackschwarzen Pegasus zu, der sich majestätisch vor ihnen aufgebaute.
»Eldingar«, wiederholte sie den Namen, woraufhin das Pferd seine Ohren spitzte und mit augestelltem Hals auf sie zu stolzierte.
»Ist das deins?«, fragte sie und ließ ihre Finger vorsichtig über das glatte Fell des Tieres gleiten.
»Ja, diese Tiere sind durch ihre Seltenheit sehr begehrt. Da sie vom Aussterben bedroht sind, werden sie schon seit Generationen von meiner Familie auf unserem Anwesen in Ealon gezüchtet.«
Ravin hatte Lita erzählt, dass Ealon die erste, der vier großen Zauberstädte war. Dadurch, dass sie als die exklusivste und modernste der Städte galt, wurde sie auch oft auch als die weiße Stadt bezeichnet.
Ealon war eine sehr angesehene Gegend mit großen Anwesen, vielen Akademien und war nebenbei bemerkt eine reine Zaubererstadt. Das bedeutete, dass Halbwesen dort nicht erwünscht waren. Sie durften die heiligen Tore der ersten Stadt unter keinen Umständen betreten.
Bei dem Gedanken an Ravin, bemerkte sie, dass eben jener an der Außenseite des Schulgemäuers lehnte und sich ungeduldig hinter einigen Büschen versteckt hielt. Er wartete auf Lita, doch als er ihren Blick auffing, schien auch ihm klar zu sein, dass heute nichts mehr aus dem Training werden würde.
»Hättest du Lust eine Runde zu drehen?«, fragte da Valerius und Lita sah diesen mit großen Augen an.
»Wie? Ich soll mich d-da drauf setzen?« Das konnte er nicht ernst meinen.
Ein teuflisches Grinsen erschien auf Valerius' Gesicht. Er packte Litas Körper und setzte sie kurzerhand auf Eldingar, der bereits in den Startlöchern stand.
Als auch Valerius sich auf den Rücken des geflügelten Pferdes geschwungen hatte, breitete er seine Arme um Lita aus, die wie paralysiert auf den Hals des Pferdes starrte, und hielt sich an der langen, dunklen Mähne seines Pferd an.
»Vola!«, rief der Zauberschüler. Der Rappe bäumte sich daraufhin wild wiehernd auf und breitete seine Flügel aus. Wie ein Flugzeug, das kurz vorm Abheben war, galoppierte Eldingar den Waldweg entlang, als er auf einmal abhob.
Die Schule hinter ihnen wurde immer kleiner und zum ersten Mal hatte Lita das Gefühl die gesamte Zauberwelt mit einem Blick erfassen zu können.
Am Rand des Waldes, unten im Tal, lag Sanhaile, dahinter erstreckte sich eine weite Graslandschaft. Lita eindeckte vereinzelt stehende Hütten und die größtenteils unberührte Steppe, in der sie einige Teiche und kleinere Schattenplätze entdeckte, bei denen sich frei lebende Tiere aufhielten. Aus dieser Höhe konnte sie diese allerdings nicht genau ausmachen.
Im Osten lagen die Berge und irgendwo zwischen diesen befand sich Foerdam. Die vierte Stadt der Zauberwelt. Vor allem Wolkenwandler lebten in den Bergen. Und unter ihnen gab es die sogenannten Heilkundler, die dort oben ihrer Arbeit als Heiler und Bergarbeiter nachgingen.
Lita hatte noch keinen Heilkundler in der Schule gesehen, doch in den Büchern, die sie bisher gelesen hatte, wurden sie als elfenartige Wesen kleiner Statur, die keine Haare, dafür aber sehr viele Falten und große Augen besaßen, beschrieben.
Über dem westlichen Gebiet hing ein dunkler Schatten. Der düstere Wald lag größtenteils im Nebel verborgen. Dortrach, die Schattenstadt, musste sich dort befinden. Diese dritte Stadt der Zauberwelt war die Heimat von den Ärmsten der Ärmsten. Kaum ein Zauberer lebte dort. Die alten Höfe und Hütten gehörten ausschließlich den Halbwesen.
Nach einiger Zeit in der Luft überflogen sie schließlich Ealon. Am Rand der Stadt, wo die Anwesen immer großflächiger wurden, setzte Eldingar schließlich zur Landung an.
Er steuerte auf ein riesiges Anwesen zu, das einen Hof, einen Schuppen, ein Lagerhaus, einige kleinere, separate Unterkünfte und sogar einen eigenen Hain auf einer umzäunten Grasfläche besaß.
Erst jetzt wurde sich Lita einer Tatsache bewusst: Valerius und seine Familie waren nicht einfach nur wohlhabend oder stinkreich. Sie lebten wie Könige. Vermutlich war das Geschlecht der Jax- Skandars sogar königlichen Ursprungs. Lita wurde plötzlich ganz klamm zumute.
»Ich dachte dein Vater ist der Rektor?«, fragte Lita, als Eldingar wieder den Boden erreicht hatte und sie von dem Pegasus abgestiegen waren.
Valerius nickte. »Ist er auch. Unsere Familie hat die Schule damals gegründet. Du wirst merken, dass alle Nachfahren der damaligen Gründer... naja so wohnen.«
»Das übertrifft alles was ich jemals gesehen hab«, begann Lita nachdenklich zu sprechen und sah sich neugierig um.
»Wer aller waren diese Gründer?«, fragte sie schließlich.
»Das waren zum einen die fünf Urgründer. Dazu zählten Felonius Jax- Skandar, Abraim Lorair, Katline Odeya, Samuel R.J. Atieno und Falk- Caesario Enesys«, zählte Valerius auf, während Lita bewusst wurde, dass sich Gabriels Freundeskreis ausschließlich auf die Nachfahren der mächtigen Gründerzauberer beschränkte.
»Und zum anderen die drei mächtigsten Familien der Halbwesen. Douglas Lope war der Vorsitzende für die Schattenwesen. Die französische Prinzessin Joséphine Mathieux für die Wolkenwandler und der Clan der Izumi für die Wasserdompteure.«
Lita staunte. Diese Namen klangen alle höchst eindrucksvoll. »Und was ist so besonders an diesen Gründern?«
Valerius lachte. »Wahrscheinlich gar nichts. Sie waren die mächtigsten der ersten Zauberer und Halbwesen. Sie haben dabei geholfen die Städte aufzubauen und bis heute machen sie den Großteil der Sitze im Zauberrat aus.«
Interessant, dachte sich Lita. Valerius' Familie hat also einen Sitz in diesem fragwürdigen Zauberrat... genauso wie Ravins Familie.
Den Nachmittag über verbrachten Lita und Valerius damit sich besser kennenzulernen. Lita erzählte von ihrem nervigen Bruder, ihren Freunden und der Menschenwelt. Valerius gab auch einiges aus seiner Kindheit Preis. Er und Gabriel hatten viel miteinander erlebt. Sie standen sich so nahe und das obwohl sie nicht verschiedener hätten werden können.
Nachdem Valerius Lita eine Führung durch das Haus gegeben hatte und sie in seinem Zimmer angelangt waren, wurde Lita auf ein ganz besonderes Buch aufmerksam. Es handelte sich um ein sehr altes Grimoire, das sämtliche Zaubersprüche, darunter auch selbst entwickelte, enthielt.
Während Lita durch die Seiten blätterte, sprang sie ein Zauber ganz besonders an. Es handelte sich um einen Offenbarungszauber, der gekreuzt mit einem Spiegelzauber verschiedene Erinnerungen festhielt und sie miteinander verband. Durch das reinigende Mondwasser konnten diese als eine Art Film abgespielt werden.
Lita holte ihr Handy heraus und schoss ein paar Fotos, als Valerius gerade nicht hinsah. Der Offenbarungsspiegelzauber seiner Familie war die ultimative Waffe gegen Gabriel.
***
Zahlreiche Sterne gaben sich am Himmel zu erkennen. Valerius hatte Lita wieder nach Catalane gebracht und saß nun vor den Toren der Schule.
Eigentlich war es strengstens verboten sich zu dieser Uhrzeit außerhalb des Schulgeländes aufzuhalten, doch da Valerius' Vater der Rektor war, galten andere Regeln für ihn.
Er hatte sich auf einem flachen Felsen am Waldrand niedergelassen und sinnierte, während sein Blick den Sternen galt.
Plötzlich hörte er ein Rascheln, gefolgt von einem Räuspern.
»Was machst du hier? Geh wieder rein, bevor dich jemand sieht«, sagte Valerius gelangweilt und ein wenig abweisend.
Die Person kam mit einem todernsten Blick näher auf ihn zu. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, fragte dieser kalt.
Valerius runzelte die Stirn. »Was denn?«
»Lita. Was hast du ihr alles erzählt?« Gabriels Kiefermuskulatur spannte sich an und er blähte die Nase wie ein mordlüsterner Drache.
»Gar nichts! Wir sind nur kurz über die Gründer zu sprechen gekommen. Sie fragte nach Namen.«
Gabriel gab einen verärgerten Laut von sich und stieß einen Wutzauber aus, der die Wiese an der Lichtung verbrannte. Er ballte seine Hände zu Fäusten.
»Du hast ihr also von dem Rat erzählt. Bist du vollkommen verrückt? Oder legst du es darauf an uns zu vernichten?« Der Gesichtsausdruck des Schülers war mörderisch und erfüllt von Wut.
Zwar ließ sich Valerius nicht leicht einschüchtern, doch bei Gabriels Anblick beschleunigte sich sogar sein Puls. Er schluckte tief und erhob sich von dem Felsen.
»Sie hat keine Ahnung, das verspreche ich dir. Und ich werde auch dafür sorgen, dass sie nie von der Blutnacht erfährt.«
Was in der Blutnacht letztes Frühjahr passiert war musste unter ihnen bleiben. Auch wenn das bedeutete, jemanden zu belügen, den man mochte. Valerius hatte schon einmal den Fehler begangen einer geliebten Person zu sehr zu vertrauen und er hatte es bitter bereut.
Gabriel atmete Ruhe sammelnd durch. »Das will ich auch hoffen. Für unser aller Wohl.«
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