Göttlicher Zorn |6|
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Mit einem bitterbösen Gesichtsausdruck kam Ravin auf die neue Schülerin zu und baute sich vor ihr auf. Diese hatte ihre Aufmerksamkeit wieder hastig auf das Buch gelegt und tat so, als hätte sie Ravins Blick nicht bemerkt.
»Weißt du nicht, dass es unhöflich ist zu lauschen?«, bellte er sie an und riss ihr das Buch aus der Hand.
»Gib das wieder her! Ich hab nicht gelauscht.« Lita streckte die Arme nach ihrem Buch aus, doch der Junge hatte andere Pläne und zog es ihr vor der Nase weg.
»Was soll das?«, fragte die Schülerin augenrollend und schnaubte. Sie hatte ja nicht absichtlich gelauscht. Es war einfach passiert. So viel Aufsehen wie der Zweitklässler heute auf sich gezogen hatte, musste Lita seine geringste Sorge sein. Keiner Fliege tat sie etwas zuleide.
»Du sagst mir jetzt was du gehört hast!«, schnauzte er sie forsch an. Das reichte. Lita sprang von ihrem Sitzplatz auf, so dass Ravin automatisch zwei Schritte zurück wich und schnappte das Buch aus seiner Hand.
»Das werde ich sicher nicht!«, erwiderte sie in demselben Tonfall und zog sich aus der Gemeinschaftsstube zurück. Doch Ravin wollte einfach nicht locker lassen. Mit wenigen Schritten hatte er das Mädchen eingeholt und hielt sie nun am Unterarm zurück.
»Hey, warte«, sagte er mit viel weicherer Stimme, woraufhin Lita stehen blieb und sich dem Jungen zuwandte.
»Bitte, lass mich gehen. Ich hab jetzt keine Zeit für sowas«, seufzte diese.
»Meine Reaktion von eben tut mir ehrlich leid«, begann der Schüler zu sprechen. Lita hob überrascht die Augenbrauen und hörte sich an, was er noch zu sagen hatte.
»Ich bin sonst eigentlich ein echt netter Typ, aber heute bin ich mit dem falschen Fuß aufgestanden... na jedenfalls... bitte erzähl' nicht weiter was du gehört hast.«
Lita runzelte die Stirn. »Wegen mir brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich habe nicht vor zu tratschen und mit Gabriels Freunden habe ich auch nichts am Hut.«
Der Junge ließ Litas Arm los und legte den Kopf schief. »Bist du nicht Lita? Die, die neuerdings mit Valerius abhängt?«
Darauf war Lita nicht gefasst. Woher wusste er das? Sprachen die Leute etwa bereits über sie? »D-doch...«, stotterte sie. Ihr Gesicht errötete leicht. »Aber das tut doch nichts zur Sache. Und soviel ich weiß, sind er und Gabriel nicht mehr so gut wie früher von daher...«, murmelte sie.
Erstmals blinkte ein heimtückisches Funkeln in Ravins Gesicht auf. Seine Mundwinkel hoben sich kaum merklich und man sah ihm deutlich an, dass ihm irgendetwas durch den Kopf schoss.
»Ach echt?«, fragte er mit viel zu viel Begeisterung. Lita stockte für einen Moment der Atem. Ein Hitzeschwall überkam sie, wie ein plötzlicher Regenschauer.
Sie wollte kein Teil der Schulintrigen werden. Sie wollte nicht eine dieser Personen sein, die Gerüchte und Gemunkel verbreiteten. So war sie nicht und so wollte sie auch nie werden. Doch Ravins Gesichtsausdruck zu urteilen hatte er vor sich diese Information zueigen zu machen. Doch das durfte sie unter keinen Umständen zulassen.
»Warum tust du mir das an? Ich habe mich eben erst hier eingeschrieben und will nicht jetzt schon in das ganze Drama hineingezogen werden.« Lita senkte ihre Arme. Sie ließ das Buch aus den Händen gleiten und legte es auf den Tisch neben ihr.
»Ihr Erstklässlergören seid alle gleich. Einerseits stört ihr euch daran im Gespräch zu sein und andererseits genießt ihr es mit den beliebtesten Jungs der Schule gesehen zu werden«, stichelte er und verschränkte die Arme vor dem Körper.
Innerlich stöhnte Lita. Wie arrogant er doch war. Bezeichnete sich selbst als einen der beliebtesten Jungen der Schule. Wer war der Typ überhaupt? Sollte Lita diesen Lackaffen etwa kennen?
»Vergleichst du mich gerade mit dem Mädchen, das vorhin nicht schnell genug den Saal verlassen konnte, weil sie vor dir das Weite gesucht hat?« Wut glomm in Ravins Augen auf. Doch diesmal behielt er sie unter Kontrolle.
»Du hast nicht den blassesten Schimmer worum es geht, also sprich nicht über Timna, als wäre sie nur irgendein Mädchen.«
Es überraschte Lita wie sehr ihm diese Timna am Herzen zu liegen schien. Was sie vorhin so mitbekommen hatte, war wohl Gabriel für ihre Trennung verantwortlich. Erst hatte sie nicht wirklich Interesse gehabt, aber nun wollte sie doch wissen, was hier im Gange war und wieso Gabriel einen angeblichen Freund so behandelte.
»Ich weiß es geht mich nichts an, aber was genau ist eigentlich vorgefallen?«
Ravin stieß ein Knurren aus. »Du hast recht, es geht dich wirklich nichts an, aber da du früher oder später sowieso die Gerüchte hören wirst, kannst du die Geschichte auch gleich von mir hören.«
»Und die wäre?« Lita musterte den Jungen, der nun etwas nervös um sich blickte.
Als er niemanden in unmittelbarer Nähe ausmachen konnte, packte er Lita plötzlich am Arm und zog sie in einen Seitengang der Bibliothek. Überrumpelt taumelte das Mädchen hinter Ravin her und konnte noch im letzten Moment ihr Buch vom Tisch mitnehmen.
»Was soll das?«, zischte sie ihm Flüsterton, als Ravin einen Finger auf seine Lippen legte und ernst zu Lita hinuntersah. »Pscht, dieser verdammte Bastard hat seine Ohren überall.«
Lita zog eine Grimasse. »Hä? Wer?«
»Gabriel natürlich. Er hat Artemis dazu angestiftet mir einen Schlaftrank unterzujubeln und es so aussehen zu lassen, als hätten wir es miteinander getan«, flüsterte er scharf und konnte sich nur schwer dazu bringen Ruhe zu bewahren.
Ein Schlaftrank? In Litas Kopf qualmten Erinnerungen von ihrem Geburtstag auf. Dieser Plan hätte auch von Ilaria und ihr sein können.
»Wieso sollte sie sowas für ihn tun?« Gabriel kam ihr nicht so vor, als würde er jemanden zu etwas anstiften. Er hatte sicher seine Geheimnisse, aber er war anständig, zumindest wirkte er auf Lita so. Diese Artemis kannte sie jedoch nicht. Vielleicht war sie einfach nur eifersüchtig gewesen und Ravin beschuldigte seinen Freund zu unrecht.
»Weil Artemis alles macht, was Gabriel von ihr verlangt und er hat es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht meine Beziehung mit Timna zu sabotieren. Schon seit Wochen sät er immer wieder absichtlich Zwietracht, aber ich kann es ihm einfach nicht beweisen. Was jetzt aber eh egal ist, weil mir Timna sowieso kein Wort glaubt.«
Ein lauer Windzug, wehte durch das geöffnete Fenster am Ende des Gangs. Warme Sonnenstrahlen fielen vereinzelt durch den Lamellenvorhang und zeichneteten Linien auf den Boden. Die letzten Tage waren herrlich gewesen.
Lita wusste zwar, dass es ihr eigentlich hätte egal sein können, wenn ein Junge, den sie kaum kannte, Unglück in der Liebe hatte. Doch vielleicht könnten sie sich ja gegenseitig helfen.
»Dann bleibt dir nur eine Option. Du musst einen Weg finden Artemis als Lügnerin zu entlarven und Timna klar machen, dass du sie nie betrügen würdest.« Ravin verengte seine Augen zu Schlitzen.
»Hast du mir eben nicht zugehört? Timna hasst mich. Sie will nichts mehr von mir wissen.«
Lita verdrehte ihr Augen. »Jetzt sei mal nicht so dramatisch. Wenn ihr euch wirklich so viel bedeutet habt, dann könnte sie dich nie hassen.«
Es gab nur einen logischen Grund aus dem Gabriel seinen angeblichen Freund ausnutzte. Er brauchte ihn für etwas und wollte jede Ablenkung vermeiden.
Plötzlich wurde Lita bewusst, dass Gabriel womöglich dasselbe bei Valerius und ihr plante. War er deswegen so charmant zu ihr? Ging es gar nicht um seinen Vater?
Ravin lachte auf. »Und wieso willst du mir helfen? Was genau ist da für dich drinnen?«
»Vielleicht nichts. Sagen wir einfach so, wenn ich dir helfe, dann hilfst du mir.« Lita sah den Jungen an und deutete auf ihr Buch. Er nahm es nachdenklich entgegen und warf einen genaueren Blick darauf.
Nachdem er ein wenig durch die Seiten geblättert hatte, musste er grinsen und klappte das Buch zu.
»Schwarze Magie? Auf welchem Streifzug bist du unterwegs? Willst du von der Schule fliegen, noch bevor sie überhaupt begonnen hat?« Ravin belächelte das Mädchen und konnte sie nicht wirklich ernst nehmen.
»Nein? Aber ich will mehr über das dunkle Viertel in Sanhaile herausfinden und warum es der Zauberrat dort toleriert, obwohl die schwarze Magie in der Praxis verboten ist.« Überraschung blitzte in Ravins Augen auf. Er kräuselte seine Lippen grüblerisch und ging für einen Moment in sich.
Es war gefährlich solche Fragen zu stellen. Mit dem Zauberrat war nicht zu spaßen und mit Schwarzmagie sowieso nicht. Lita bewegte sich auf sehr dünnem Eis.
Es gab Dinge, die man besser nicht hinterfragte. Gerade jetzt, da so viele Unruhen in den vier großen Zauberstädten herrschten, sollte man besonders vorsichtig sein, was für Fragen man stellte.
Die Zauberwelt stand schon immer von allen Seiten unter Beschuss. Selbst die Götter blickten auf die Zauberer mit Argwohn herab. Sie trauten ihnen nichts anderes zu, als mit ihrer Macht überfordert zu sein. Immerhin waren es auch die Götter, die einst einen Zauber über alle Halbwesen verhängt hatten.
Die Götter hatten damals einfach zu viel Angst verspürt. Das einzige, das zwischen den Menschen und ihnen stand waren die Zauberkünstler, die Wesen und die Halbwesen, die auf der Erde in einer Art verborgenen Zwischenwelt lebten. Ein Raum in einem Raum.
Die Götter andererseits hatten sich schon lange von der Erde zurückgezogen. Auf der Erde gab es sie nur mehr in Form von Mythen. Niemand sollte wissen, dass es Magie oder Götter in Wirklichkeit gab.
Während die Zauberkünstler ihre Gabe weitestgehend unter Kontrolle hatten, gerieten die Halbwesen jedoch unaufhörlich in brenzlige Angelegenheiten. In einigen Situationen konnte nur knapp ihre Offenbarung und somit auch die Offenbarung alles Übernatürlichen verhindert werden.
Diese Verantwortung wollten die Götter nicht länger tragen. Sie sprachen einen Zauber aus, der sowohl ein Fluch, als auch ein Segen für die Wesen sein sollte.
Die Kräfte jedes Halbwesens waren von da an gebunden an den Mond. Dass einige Zauberkünstler bald schon daraus einen Vorteil ziehen und dadurch die allbekannte Schwarzmagie samt ihrer Facetten entstehen würde, hätte damals niemand vermutet.
Dass Lita schon jetzt solche Fragen stellte, beunruhigte Ravin. Sie war töricht, wenn sie ernsthaft glaubte, ihre Fragen würden keine Aufmerksamkeit erregen. Auf der anderen Seite wollte er Timna mehr als alles andere zurück haben. Aber ob er dafür wirklich Litas Hilfe benötigte?
»Böses kann eben nur besiegt werden, wenn man sowohl auf die helle als auch auf die dunkle Magie zugreift. Deswegen werden die Geschäfte toleriert. Es gibt viele Bedrohungen da draußen. Du musst diese Dämonen nicht kennen, um zu wissen, dass du sie besser meidest«, antwortete er dem Mädchen schließlich.
Lita stieß ein grimmiges Brummen aus. Diese Antwort reichte ihr bei weitem nicht. »Von mir aus. Aber wenn wir Erfolg haben hilfst du mir dabei ungesehen dorthin zu kommen. Ich muss das alles mit eigenen Augen sehen.«
»Deal.« Ravin seufzte. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, aber dorthin zu gehen war an sich kein Verbrechen. Nur sollten sie dabei nicht unbedingt gesehen werden.
Ein zufriedenes Lächeln trat auf Litas Lippen und sie nickte erfreut. »Sehr gut. Dann hoffen wir mal, dass Gabriel nach deiner Aktion heute noch immer an deiner Freundschaft interessiert ist.«
Ravins Augen wurden groß. Was hatte Lita vor?
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