θ | Fehlerhaft
Mein erster Schreibversuch nach fast 2 Jahren Pause. Die etwas konfuse Idee kam mir zwischen dem Schreiben einer Haus- und meiner Bachelorarbeit.
Es tut gut, hier wieder etwas hochzuladen.
Vorsichtig tasteten ihre Fingerspitzen an den Rändern der Narbe entlang, die sich unsauber am Ansatz ihrer Wirbelsäule erhoben. So sehr sie in ihrem Gedächtnis auch nach Erinnerungsfetzen grub, fand sie nichts als Dunkelheit vor. Es war, als existierte kein vorheriges Leben, an das sie sich hätte erinnern können.
Kurz darauf blickte ihr ein trübes Augenpaar aus dem Spiegel entgegen. Die Haare waren bereits nachgewachsen, vermutlich sah man die Narbe kaum noch durch die Stoppeln hindurch. Ihre Lider waren vom Schlaf noch schwer wie Blei. Ließ sie in solchen Momenten ihre Gedanken treiben, erfasste sie ein unkontrollierbarer Strudel. Und mit einem Mal reflektierte das Glas die Konturen eines zarten Gesichtes, umrahmt von honigfarbenen Locken, aus das ihr rehbraune Augen entgegenblitzten, die nur auf das gleißende Licht der Kamera warteten.
Blinzelte sie die tanzenden Punkte schließlich fort, spiegelte sich auf der matten Oberfläche erneut das trübe Augenpaar wider, welches in tiefen Höhlen eines ausgezerrten Gesichtes lag.
Diese Erinnerungsfetzen, die der Strudel hin und wieder ans Ufer spülte, waren kaum zu ertragen. Dennoch erwischte sie sich in schwachen Momenten dabei, wie sie die bruchstückhaften Teile aufhob und diese wie Puzzlestücke miteinander zu kombinieren versuchte, um endlich herauszufinden, wer diese Frau im Spiegel war, die mit zarten Bürstenstrichen immer wieder durch seidiges Haar glitt. Sie suchte verzweifelt nach Antworten, die sie in der Einsamkeit der Nacht den Stimmen geben konnte, die sich aus der Schwärze ihrer Zelle lösten, um sie heimzusuchen und ihr den Schlaf raubten.
Rücksichtslos hallten sie in ihrem Kopf wider, forderten Erklärungen, die sie nicht geben konnte. Es war, als läge ein Filter über ihrer Vergangenheit, der jede Erinnerung in weiches Licht rückte und sie keine klaren Konturen sehen ließ.
Anfangs brachten die Stimmen sie noch zum Weinen. Oft wachte sie zusammengekauert auf dem kalten Boden auf, mit zerkratzten Wangen und aufgeplatzten Lippen. Bis eines Tages etwas in ihr explodierte und alles veränderte.
Es war ein überwältigendes Gefühl von Macht, als sie es zum ersten Mal tief in ihrem Herzen brodeln spürte. Und sie wusste, irgendwann würde der Tag kommen, an dem sie ihre inneren Tore öffnen und den Inhalt vernichtend über all ihre Unterdrücker bringen würde.
Mit einem hässlichen Knirschen landete ihre Faust auf der matten Oberfläche des Spiegels. Sofort stieg ihr der unangenehme Geruch von Eisen in die Nase, bevor sie überhaupt spürte, wie das warme Rot ihr Handgelenk herunterlief. Zähne bohrten sich in das wunde Fleisch ihrer Lippen.
Sie fand keine Erklärung für das, was unter der Oberfläche zu lodern begonnen hatte. Niemals zuvor hatte sie so etwas gespürt, wie das, was sich nun über ihre Fäuste zu entladen versuchte.
Dieser brodelnde Vulkan in ihr war unnatürlich und gefährlich. Aus den Tiefen ihres Unterbewusstseins vernahm sie eine warnende Stimme. Sollte sie jemals außerhalb ihrer Zelle die Kontrolle verlieren, war sie verloren. Niemand durfte davon erfahren. Nicht bevor sie bereit war diese unbekannte Macht zu entfesseln.
Also schloss sie ihre Augen. Inhalierte die zähe Luft, die nun durch ihre Nasenflügel waberte und ihre Lungen zu füllen begann, bis sich ihr Brustkorb vollkommen ausgedehnt und jeglichen Gedanken erstickt hatte. Und dann starrte ihr wieder das Augenpaar entgegen, in dem jeder Funke erloschen schien.
Rote Rinnsale flossen den Abfluss hinunter, während sich das kühle Nass über ihre Handflächen ergoss und den letzten Schlaf aus ihrem Gesicht spülte. Bis plötzlich mehrere Schläge gegen die Eisentür ihrer Zelle donnerten und eine unangenehme Stimme sie dumpf an den beginnenden Arbeitstag erinnerte. Hastig rammte sie das linke Bein in die Röhre des Overalls, der sich kratzend an die nackte Haut schmiegte. Es war zu früh. Sie hatte mindestens noch fünf Minuten, dessen war sie sich sicher. Doch Beschwerden würden nur zu noch mehr Arbeit führen. Daher nickte sie lediglich eine kurze Bestätigung gen Tür. Schloss den Reisverschluss und schnappte sich die abgetragene Cap, die an einem Haken neben der Tür hing, bevor sie über die Schwelle ihrer Zelle trat.
Auf dem Vorplatz tummelten sich bereits Reihen von Overall tragenden Zombies. Ihre Blicke zur Tribüne gerichtet, auf der jeden Moment das Abbild irgendeines anzugtragenden Mannes erscheinen würde. Nach der Ansprache über die Wichtigkeit ihrer Arbeit, würden sich alle ihren Aufgaben zuwenden, bevor es am Abend wieder zurück in ihre Zellen ging.
Mit einem Mal erklangen erneut die Stimmen in ihrem Kopf. Zuerst noch leise, bis sie schließlich unkontrolliert durcheinanderschrien. Abrupt blieb sie stehen. Versuchte sie kopfschüttelnd zum Schweigen zu bringen. Befahl ihnen still zu sein.
Verzweifelt hielt sie ihre Ohren zu. Es war doch noch Tag, nicht Nacht. Doch immer wieder schrien sie nach dem Warum. Verlangten eine Erklärung, warum sie nie etwas getan hatte. Warum sie noch immer tatenlos zusah, nicht eingriff und all dem eine Ende bereitete. Bis sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legte.
"XY 1984? Ich möchte, dass Sie mir folgen." Sie wirbelte herum und wurde von stahlblauen Augen erfasst.
"Machen Sie nicht so ein Gesicht. Es geht um eine Beförderung, die man gerne näher mit Ihnen besprechen möchte. Keine große Sache... Aber eine riesige Chance für Sie."
Ihre Antwort nicht abwartend, schlossen sich seine Finger wie Stahlklammern um ihren Oberarm, während er sie zu einer Tür führte. Als er sein Gesicht einer nahen Kamera zuwand, öffnete sich die Tür geräuschlos. Dann standen sie inmitten eines sterilen Raumes, in der das Grün einer Pflanze den einzigen Farbklecks bildete.
Die Stimmen in ihrem Kopf waren nun zu einem Tosen angeschwollen. Vernebelten ihr die Sinne. Wehrlos ließ sie sich auf eine weiße Bankreihe drücken. Ihr Begleiter schenkte ihr keine weitere Aufmerksamkeit mehr. Bevor er sie verließ, richtete er jedoch noch ein paar Worte an den Jungen hinter einem polierten Tresen, und verschwand dann in einem der Gänge.
Fluchend kam der Junge auf sie zu und blieb schließlich breitbeinig vor ihr stehen. Seine Augen musterten nur kurz die Stoppeln auf ihrem Kopf, bevor er sie langsam über ihr Gesicht und den Overall gleiten ließ. Etwas in ihr schrie, dass ihr das nicht gefiel. Befahl ihm still, dass er sie nicht auf diese Weise angucken solle und wollte, dass er wieder hinter seinem Tresen verschwand.
Doch es kam kein Laut über ihre Lippen. Stattdessen griff er nach ihrem Handgelenk und bevor sie reagieren konnte, spürte sie einen brennenden Schmerz, der von einem kleinen Einstichloch herrührte. Protestierend öffnete sich ihr Mund. Das Tosen in ihrem Kopf schwoll an und sie wusste, dass der Moment gekommen war. Sie musste ihre Tore öffnen. Es war an der Zeit das Brodeln wie ein Sturm über jeden kommen zu lassen, der sich ihr in den Weg stellen würde.
Dann durchzuckte es ihren Körper. Es war, als schloss sich eine eiserne Hand um ihr wild pochendes Herz. So sehr sie auch versuchte zu schreien. Es kam kein Laut über ihre Lippen.
Auf dem Gesicht des Mannes zeigte sich zum ersten Mal so etwas wie ein Lächeln, das sich widerlich in seinen Mundwinkeln festsetzte. "Zu schade, dass ich dich schon gehen lassen muss. Mit dir hätte ich mit Sicherheit mehr als nur Spaß gehabt." Bevor er ihr noch näherkommen konnte, tauchten aus einem Seitengang plötzlich ein Mann und eine Frau in weißer Kleidung auf.
"Da sind Sie ja. Diese hier ist definitiv fehlerhaft. Hat gerade versucht zu kommunizieren. Hätten mal die Angst in ihren Augen sehen müssen. Wusste gar nicht, dass diese Zombies zu solchen Gefühlen überhaupt fähig sind." Das Paar ignorierte ihn.
Stattdessen kniete sich der Mann vor sie nieder und leuchtete ihr mit einer Taschenlampe in die Augen. Der Frau zunickend, griffen sie kurz darauf nach ihren Armen. Als sie aufgerichtet stand, nahmen sie sie zwischen sich und führten sie in den Gang, aus dem sie eben gekommen waren.
"Können die es denn reparieren?", flüsterte die Frau neben ihr. Und sie fühlte plötzlich zwei Finger am Hinterkopf, die nach ihrer Narbe tasteten.
"Kann ich nicht sagen. Ist noch nicht verheilt. Laut Akte müsste sie es aber sein. Da hat wohl jemand beim Entfernen des Transplantats geschlampt."
Die Frau seufzte. "Zu schade. Ich kenne sie. Habe ihren Account früher supportet. Hab mich schon gefragt, was mit ihr passiert ist."
In ihrem Kopf brach erneut ein Sturm los. Fragen prasselten auf sie ein, begruben sie unter sich und ließen kaum noch einen klaren Gedanken zu. Mit aller Macht versuchte sie an das rettende Ufer zu schwimmen, kämpfte gegen das Ertrinken an. Dann zog sie etwas aus dem Wasser und atemlos blickte sie erneut in ein stahlblaues Augenpaar.
„Ah. Sie sind ja doch noch bei Verstand.
Entschuldigen Sie bitte die Umstände, die sie die letzten Monate erdulden mussten. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es für Sie gewesen sein muss mit all diesen Gefühlen tagein und tagaus klarkommen zu müssen. Ohne erklären zu können, was man da eigentlich in seinem Inneren fühlt."
Während er sprach, nahm er ein silbernes Skalpell vom Tisch und bewegte sich hinter sie.
"Wer auch immer das Urteil an Ihnen vollzogen hat, dem gehört die Lizenz aberkannt. Stümperhafte Arbeit. Aber keine Sorge, ich werde sie nun von all ihren Gefühlen befreien.
Nur ein kleiner Schnitt hier und...", sie spürte noch, wie das scharfe Metall den Widerstand ihre Haut durchbrach. Dann fiel ein grauer Schleier vor ihre Augen.
Und als sie diese das nächste Mal öffnete, war sie von allem befreit.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro