15 | Das große Poster vom Surfwettbewerb
2.192 Wörter
Ein Kribbeln macht sich in meinem Bauch breit und ein Lächeln schleicht sich auf meine schmalen Lippen. Das ist der Roy, wie ich ihn bis jetzt kennengelernt habe. Entschuldigt sich für Sachen, die er überhaupt nicht schuld ist und für die er gar nichts kann.
Ich will ihm gerade antworten, da trifft eine zweite Nachricht von ihm ein.
Wahrscheinlich komme ich in drei, vier Tagen schon wieder zurück. Deborah übernimmt solange meine Schichten in der Tankstelle.
Wer ist denn Deborah? Ich habe noch keine Deborah in der Tankstelle arbeiten sehen - in der Woche arbeiten nur Roy, Jo und ich dort - und Roy hat auch noch nie von einer Deborah gesprochen. Ob sie eine Freundin ist, die kurzfristig für ihn einspringt?
Ich schüttle den Kopf. Und selbst wenn - Eifersüchteleien sind was für Kinder. Laut Hillary und Eddie empfindet Roy etwas für mich und ich müsste blind sein, um das nicht zu sehen. Genauso müsste er blind sein, wenn er die Zeichen, die ich sende - gewollt oder ungewollt, das sei mal dahingestellt -, nicht sehen würde.
Ich beginne eine Nachricht an ihn zu tippen, lösche sie nach ein paar Worten allerdings wieder. Alle Formulierungen klingen doof, zu lepsch oder zu aufdringlich. Gott, du verhälst dich wirklich wie ein Teenager, stelle ich beschämt fest und beginne erneut zu tippen. Diemal lese ich mir die Nachricht kein zweites Mal durch, sondern drücke einfach auf ›Senden‹.
Ein paar Minuten später erhalte ich bereits Roys Antwort.
Nein, von ›alles gut‹ kann nicht wirklich die Rede sein, aber mach dir keinen Kopf. Bis bald.
›Bis bald‹ sind auch die einzigen Worte, die ich darauf erwidere. Gleichzeitig haue ich mir innerlich gegen die Stirn. Natürlich ist nicht alles gut, Roy fährt schließlich nicht wegen Kinderkram in einer Nacht - und Nebelaktion nach Portland. Trotzdem trifft mich seine Antwort und ich beginne mir wirklich Sorgen um ihn zu machen. Wie soll ich das auch nicht machen, wenn er soetwas schreibt? Ob jemand aus seiner Familie verunglückt ist?
Ich hoffe es nicht. Das will ich ihm nicht zumuten. Das hat er einfach nicht verdient.
Mit angezogenen Knien sitze ich auf meinen Bett, das Handy in beiden Händen haltend und auf die Knie gestützt und warte darauf, dass Roy noch etwas auf meine Nachricht erwidert. Aber das kleine Gerät bleibt stumm, vibriert kein weiteres Mal.
Gefrustet und mit Gedanken, die in meinen Kopf Karussell fahren, lasse ich mich nach hinten fallen und schlage mir promt den Kopf am Kopfende an.
»Ah, verdammt!«, fluche ich garstig und fasse mir mit meiner Hand an den Hinterkopf. »Ich hasse Samstage«, beschließe ich kurzerhand.
»Alles okay?« Hillarys Kopf erscheint zwischen Tür und Rahmen und sie schaut mich halb besorgt, halb lächelnd an.
»Ja, alles in Ordnung. Hab mir nur den Kopf angehauen«, antworte ich ihr und schiebe lachend hinterher. »Heute ist irgendwie nicht ganz mein Tag.«
»Hey, ich musste unter deinem Fehlschlag leiden«, foppt Hillary mich. Inzwischen hat sie die Tür weiter geöffnet und lehnt lässig mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen.
»Stimmt. Das ist jetzt wohl die Retourkutsche.« Grinsend reibe ich mir nochmal über die Beule an meinem Hinterkopf und schwinge anschließend die Beine über die Bettkante.
»Wahrscheinlich. Du, ich bin eigentlich nach oben gekommen, weil ich sagen wollte, dass Eddie und ich noch schnell einkaufen fahren. Du bist dann alleine hier, Ryan ist zum Schwimmtraining gefahren. Natürlich kannst du auch mitkommen, wenn du willst, aber ich schätze, das ist eher langweilig für dich ist.«
»Nein, schon okay. Ich wollte sowieso noch duschen gehen«, teile ich meinem Gegenüber mit und stehe vom Bett auf.
»Alles klar. Ich wollte nur nicht, dass du dich gleich wunderst, wo denn alle sind.«
Ich lächle. »Danke.«
»Kein Problem. Dann bis nachher. Vielleicht könntest du aber nach dem Duschen schon mal den Tisch decken, nur Besteck und Teller, den Rest können wir machen, wenn Eddie und ich wieder zurück sind. Heute abend gibt es Brote. Joan isst wahrscheinlich gemeinsam mit ihrem Date, weshalb du nur vier Teller zu decken brauchst. Könntest du das machen?« Mit einem Zeigefinger an den Lippen sieht sie mich freundlich fragend an und überlegt, ob sie noch irgendetwas vergessen hat. Dem scheint nicht der Fall zu sein.
»Klar, kann ich machen.« Ich nicke ihr zu.
»Super, dankeschön.« Mit den Worten dreht Hillary sich um und läuft runter. Kurz darauf höre ich wie unten die Haustür erst geöffnet und anschließend wieder geschlossen wird. Ich schnappe mir aus meiner Tasche ein Handtuch und meinen Kulturbeutel und marschiere ins Badezimmer, wo ich schnell unter die Dusche hüpfe. Danach decke ich unten den Tisch, wie Hillary es mir aufgetragen hat und gehe anschließend wieder die Treppe nach oben in das Zimmer, was vorübergehend meins ist.
Vielleicht hat Roy ja doch noch mal geschrieben, denke ich hoffnungsvoll, als ich das Handy vom Bett nehme, wo ich es vorhin achtlos liegen gelassen habe. Leider muss ich feststellen, dass keine neuen Nachrichten eingegangen sind.
Über mich selbst den Kopf schüttelnd lasse ich mich abermals an diesem Tag aufs Bett plumpsen. Du bist wirklich bescheuert. Er hat gerade echt anderes im Kopf, als das Mädel, das zu Hause in seiner WG sitzt, weise ich mich selbst zurecht. Aber das ich nicht weiß, weshalb er weg musste, zermürbt mich innerlich ein wenig. Ich mache mir Sorgen.
Warum habe ich ihm auch sein T - Shirt wiedergegeben, das er mir geliehen hatte. Das war dumm von mir. Ob er es wohl in seinem Zimmer rumliegen hat? Wohl eher nicht. Wahrscheinlich ist es längst in der Wäsche. Aber vielleicht liegt ja trotzdem ein T - Shirt in seinem Zimmer herum.
Bevor ich genauer darüber nachdenken kann, was ich tue, erhebe ich mich wieder vom Bett und steuere auf Roys Zimmer zu. Doch davor halte ich inne. Was denke ich mir da eigentlich? Ich kann doch nicht einfach in sein Zimmer gehen. Andererseits will ich schließlich nicht in seinen Sachen herumwühlen, sondern einfach kurz einen Blick hineinwerfen.
Aber das rechtfertigt in keiner Weise mein Handeln. Ich würde doch auch nicht wollen, dass Roy sich während meiner Abwesenheit einfach in mein Zimmer stellt und eines meiner Oberteile entwendet.
Mit mir selbst ringend lehne ich meine Stirn an das kühle Holz und positioniere meine Handflächen rechts und links neben meinem Kopf. Wenn mich jetzt jemand sehen würde, würde derjenige sicher denken, ich habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Vielleicht habe ich das auch nicht.
Ich weiß nur, dass ich mir gerade große Sorgen um Roy mache und gerne bei ihm wäre. Ihm gerne beistehen würde bei dem, was er durchmacht. Und das macht mir nur zu deutlich bewusst, dass ich ihn definitv mehr mag als nur ›mögen‹.
In einer Kurzschlussreaktion drücke ich die Türklinke hinunter und lasse die Tür aufschwingen. Sein Zimmer ist ordentlich wie beim letzten Mal und sofort fällt mir wieder das große Poster vom Surfwettbewerb ins Auge.
Ob Roy wohl mal an einem solchen teilgenommen hat? Oder ob er diesen Sport einfach mag ohne ihn wirklich auszuüben? Ein Surfboard habe ich in diesem Haus nämlich noch nicht entdeckt.
Ich lasse meinen Blick weiter durch das Zimmer über sein Bett und seinen Schreibtischstuhl schweifen, wo tatsächlich ein schwarzes T -Shirt über der Rückenlehne hängt.
Mit zwei Schritten laufe ich darauf zu und nehme es. Im gleichen Moment komme ich mir wahnsinnig bescheuert vor und beginne mich zu schämen. Was machst du hier eigentlich? Schnüffelst in Roys Zimmer herum und nimmst dir einfach seine Sachen. Wenn er das wüsste, würde er dich längst nicht mehr so sympatisch finden und das gerade gute Verhältnis zu Hillary und Eddie wäre auch wieder im Eimer.
Peinlich berührt, als hätte mich jemand erwischt, lege ich das T - Shirt zurück an seinen rechtmäßigen Platz und verlasse das Zimmer so wie ich gekommen bin.
Das war definitv ein Zeitpunkt geistiger Umnachtung, beschließe ich in Gedanken und schließe die Zimmertüre leise, auch wenn das gar nicht nötig ist, da mich niemand hören kann.
In meinem Zimmer angekommen, bleibe ich etwas abrupt stehen und schaue auf das kleine Etwas, was sich auf meinem Bett niedergelassen hat. Großartig!
Jetzt liegt auch noch Hillarys und Eddies Babykätzchen auf meiner Bettwäsche, sodass ich gleich nach neuer fragen muss, wenn ich heute Nacht nicht das Gefühl haben möchte, jemand hätte Juckpulver in meinem Bett verteilt.
Ich klatsche zweimal kräftig in der Hände und laute Zischgeräusche verlassen meinen Mund in der Hoffung, dass ich das kleine Bündel so aus meinem Zimmer verscheucht bekomme, ohne es anfassen zu müssen.
Wirklich, hätte mich jemand in den letzten paar Minuten beobachtet, wäre dieser spätestens jetzt zu dem Entschluss gekommen, mich aus diesem Haus zu schmeißen.
Leider sind meine Versuche vergeblich. Die Katze zuckt nur einmal kurz zusammen, schaut auf und vergräbt das Köpfchen anschließend erneut in ihrem Fell, rollt sich zusammen.
Auch als ich die Bettwäsche an ihren Enden etwas anhebe, bleibt das blöde Ding einfach liegen und wegziehen möchte ich die Decke nicht. Ich weiß nicht, wie viele Katzenhaare ich damit im Zimmer verteilen würde und so gemein bin ich schließlich auch nicht.
Also lasse ich mich an der Wand am Fußende des Bettes hinuntergleiten, nachdem ich mir mein Buch vom Kopfkissen geschnappt habe und warte, bis die Mädels nach Hause kommen, um das Tier aus meinem Zimmer zu schaffen. Wie ich meine Katzenallergie doch hasse.
Ab jetzt werde ich darauf achten, dass meine Zimmertüre immer geschlossen ist.
Nach einer halben Stunde hörte ich dann, wie unten die Haustür aufging und die beiden vom Einkaufen wiederkamen. Nachdem ich ihnen kurz mein Problem geschildert habe, holte Eddie das kleine Kätzchen, was übrigens Elvis heißt, aus meinem Zimmer und Hillarys gab mir neue Bettwäsche.
Nun sitze ich neben der Blondine im Auto auf dem Weg zur Kletterhalle, diesmal pünktlich.
Roy hatte Hillary, Joan und Eddie nur gesagt, dass ich für die drei, vier Tage jemandem zum Fahren bräuchte und die drei haben selbst eine Lösung gefunden, wie sie mich zur Arbeit bringen und wieder abholen können - auch wenn ich mehrmals beteuert habe, dass ich ruhig mit der Bahn fahren könnte.
Die meiste Zeit haben die drei geplant mich mitzunehmen, wenn sie selbst zur Arbeit machen und die Tankstelle auf dem Weg liegt, doch ein oder zweimal - so wie heute - fährt mich jemand extra.
Ich bin den dreien dafür unglaublich dankbar und überlege schon den gesamten Morgen fieberhaft, wie ich mich bei ihnen bedanken kann. Meine finanziellen Mittel sind momentan leider sehr begrenzt, aber ich denke eine Kleinigkeit für die Mädels und eine größere Kleinigkeit für Roy dürfte ich finden. Wenn ich nur wüsste, was ihre Vorlieben sind.
»Hier arbeitest du?«, reißt Hillary mich aus meinen Gedanken und zeigt auf die Kletterhalle vor uns. Sie hält den Wagen an und ich schnalle mich ab.
»Vorübergehend ja.«
»Der Freund einer Freundin arbeitet auch hier«, klärt sie mich über den Grund ihrer Frage auf.
»Wie heißt er? Vielleicht habe ich ihn letztes Wochenende schon kennengelernt«, wende ich mich ihr interessiert zu.
»Faiden.«
»Ach die Quasselstrippe.« Ich schlage mir schnell die Hand vor den Mund. Wie ich es doch verfluche, immer direkt das auszusprechen, was ich denke .»Sorry, es - er hat mich in der Mittagspause nur sehr zugetextet. Sonst ist er aber ein netter Typ, also ja, also nett eben.«
Gott, ist das peinlich!
Hillary beginnt zu lachen und ich kann nicht vermeiden, dass ich mich dadurch noch unwohler fühle. »Keine Sorge, du bist nicht die Einzige, die das denkt. Viele, die ihn kennengelernt haben, finden, dass er zu viel redet. Aber so ist er eben und meine Freundin scheint genau das an ihm zu mögen. Und das, obwohl sie selber nicht gerade wenig redet.«
Ich hätte nicht gedacht, dass Faiden eine Freundin hat. Für diesen Gedanken schäme ich mich augenblicklich. Bloß weil er nicht gut aussieht, heißt das schließlich nicht gleichzeitig, dass er nicht durch seinen Charakter bestechen könnte. Und Schönheit liegt ja sprichwörtlich im Auge des Betrachters.
So mancher mag denken, Roy würde niemals eine Freundin bekommen, weil er nicht in das Bild von der heutigen Gesellschaft passt. Weil er einen gravierenden Schönheitsmakel hat. Dabei macht ihn gerade das in meinen Augen wertvoll. Weil er nicht wie der Durchschnitt ist.
Ich bedanke mich bei Hillary fürs Herfahren und steige aus, laufe zielstrebig auf die Eingangstüre zu. Kaum stoße ich sie auf, dringt mir von drinnen lautes Geschrei entgegen. Schnell ist die Quelle lokalisiert.
Ein Kind, um die sieben oder acht Jahre alt, hängt an der Kletterwand, wo diese einen Knick nach außen macht und schafft es nicht selbigen zu überwinden.
Anscheinend traut es sich aber auch nicht loszulassen, denn ich höre wie die Eltern und ein Hallenmitarbeiter, die unten stehen, ihm zurufen, dass ihm nichts passieren kann, wenn er jetzt loslässt.
Trotzdem hält sich das kleine Kind verkrampft an den Griffen an der Wand fest und schreit wie am Spieß, sodass es schon die Aufmerksamkeit aller in der Halle erlangt hat. So schnell wird die Familie wohl nicht mehr hierher kommen.Klettern scheint dem Kind nicht gerade Spaß zu machen.
Aber auch dieser Tag in der Kletterhalle geht verhältnismäßig schnell vorbei, obwohl meine Arbeit nicht die anspruchsvollste ist. Dafür habe ich viel Zeit, um darüber nachzudenken, was ich den anderen als kleine Aufmerksamkeit schenken könnte.
Und gegen Ende habe ich auch schon die ein oder andere Idee.
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