Dämmerung
"Erde an Krone?"
"Wa...?" Ich löse meinen Blick von dem Blaubeermuffin auf meinem Teller und sehe, dass Remus mich mit seinen grossen, braunen Augen aufmerksam anstarrt. Er hebt eine Augenbraue als stumme Frage. "Tut mir leid Moony ich habe keine Ahnung, was du gerade gesagt hast."
Er lächelt traurig. "Ich habe mich nur gefragt ob du vorhast heute wirklich zu essen."
Ich schaue wieder auf meinen Teller hinunter. Blaubeermuffins sind meine Schwäche. Normalerweise läuft mir das Wasser im Mund zusammen und mein Magen knurrt. Heute jedoch kann ich mich nicht dazu zwingen mehr als zwei Bissen zu nehmen. Mein Magen scheint sich von innen nach aussen gedreht zu haben. In den letzten Tagen habe ich mich nur zum Essen gezwungen, weil ich weiss, dass ich essen muss, um nicht ohnmächtig zu werden.
"James", sagt Remus mit seinem ernsten Ton. Ich schaue noch einmal auf und sehe Mitgefühl in seinen Augen. "Ich weiss, dass du dir Sorgen um Lily machst. Das sind wir alle, aber wenn du dich nicht um dich selbst kümmerst, ist das für niemanden gut."
"Ich weiss", stimme ich zu. "Aber es ist nicht so einfach. Ich sehe sie an und weiss nicht, was ich sagen soll. Es gibt nichts, was ich ihr sagen könnte. Ich kann sie nicht zurückbringen. Ich kann diesen Schmerz nicht verschwinden lassen. Es bringt mich um Remus. Alles, was sie je gekannt hat, wurde ihr entrissen und ich bin völlig hilflos."
Remus atmet tief durch und schüttelt den Kaffee in seinem Becher mit einem Löffel um. Er saugt an der Innenseite seiner Wange und starrt mit einem zutiefst beunruhigten Gesichtsausdruck durch den Raum. "Wo ist sie?"
"Sie lässt das Frühstück aus und geht direkt in den Unterricht", antworte ich.
Er sieht aus, als wolle er etwas sagen, aber Marlene nimmt neben mir Platz und unterbricht das Gespräch. Sie schiebt ihr langes dunkles Haar aus dem Gesicht und zeigt grosse violette Kreise um ihre Augen.
"Bist du okay Mar?", fragt Remus.
"Pfirsich", antwortet sie schlicht und einfach. Sirius kommt ebenfalls an und nimmt den Platz neben Remus ein.
"Wie geht es ihr?", fragt er und sieht Marlene erwartungsvoll an.
Sie atmet tief durch, hält ein Brötchen in der einen und ein Buttermesser in der anderen Hand. "Was denkst du wie es ihr geht Sirius?"
"Ich weiss", antwortet er traurig. "Ich fühle mich nur völlig nutzlos."
Remus stösst einen Laut gegen den Rand seiner Tasse. "Willkommen im Club", murmelt er.
"Schläft sie besser Mar?", frage ich etwas unglücklich darüber, dass ich überhaupt nach Informationen über meine eigene Freundin fragen muss.
Sie sieht mich mit einem entgeisterten Gesichtsausdruck an, bevor sie mit einem Finger in Richtung ihrer Augen sticht. "Was denkst du denn?"
"Merlin", antworte ich. "Ich habe nur gefragt."
"Tut mir leid", sagt sie hastig und schaut schuldbewusst auf ihren Teller. "Ich habe nur sehr wenig Schlaf. Ich bin so kurz davor ihr einen Schlaftrunk zu verabreichen." Sie streckt zwei Finger millimeterweit auseinander.
Ich lege meinen Kopf in den Nacken und stosse ein tiefes Stöhnen aus. Eine zaghafte Hand legt sich auf meinen Rücken gefolgt von einem kleinen Klaps. Ich schaue zu Marlene hinüber, die mich mitfühlend anschaut.
"Hat sich sonst noch jemand gefragt, wie zum Teufel wir hierhergekommen sind?", fragt Sirius. Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn an.
"Ich weiss nicht wie es dir geht, aber ich bin die Treppe runtergelaufen." Remus zuckt mit den Schultern.
Ich lächle zum gefühlt ersten Mal seit Tagen. "Du kleiner Scheisser", antwortet Sirius grinsend.
Ein kleines Lachen entweicht den Lippen aller und es fühlt sich an, als gäbe es wieder Glück auf der Welt. Bis das Lachen verklingt und wir alle verzweifelt auf unsere Teller schauen müssen. Ein Teil von mir fragt sich, ob unser Leben jemals wieder zur Normalität zurückkehren wird.
"Werden wir so den Rest unseres Lebens verbringen?", fragt Marlene und spricht damit meine eigenen Gedanken aus. "In Angst? In einem Zustand des Krieges? Ich habe das Gefühl wir sind zu jung für so etwas." Marlenes Augen sind glasig geworden, während sie die Wand anstarrt.
"Ich habe in den Ferien mit meinem Vater gesprochen", sagt Remus mit heiserer Stimme. "Er sagte dass man die meisten seiner Klassenkameraden nach dem Abschluss nicht mehr wiedersieht. Ab und zu erfährt man, dass jemand in seinem Fach sehr erfolgreich ist oder, dass jemand aus der Klasse von dem man es nie erwartet hätte, in Askaban gelandet ist aber er sagte auch, dass es seltsam ist weil in ein paar Jahren Unfälle passieren und einige Klassenkameraden in so jungen Jahren sterben."
Wir alle starren auf unsere Teller oder die Wände unfähig den Blicken der anderen zu begegnen. "Glaubst du die Chancen stehen schlecht, was die Sache mit dem Tod angeht?", meldet sich Sirius zu Wort.
"Keiner von uns wird sterben", sage ich zwischen den Zähnen und kann mir nicht vorstellen, dass einer meiner engsten Freunde in einem so jungen Alter sterben könnte.
"Lass uns einfach in den Unterricht gehen", sagt Marlene und packt ihre Sachen zusammen. "Es wurde in letzter Zeit genug über den Tod geredet."
Sirius steht mit einem Grinsen auf, das nicht seinen normalen Humor widerspiegelt: "Wir sind wirklich ein lebhafter Haufen", murmelt er.
Auch Remus und ich packen unsere Sachen zusammen und wir gehen schweigend zu unserer ersten Unterrichtsstunde des Tages. Ich setze mich neben Lily. Sie schenkt mir ein trauriges Lächeln, bevor sie nach vorne in den Klassenraum starrt und auf Professor Binns wartet. Ich mache mir heute nicht einmal die Mühe, Federkiel und Pergament herauszuholen. Ich bin nicht in der Stimmung dazu.
Der Geisterprofessor kommt durch die Wand und beginnt sofort mit seinem langen langweiligen Vortrag über etwas, das Hexen und Zauberer vor tausend Jahren getan haben und das mich nicht im Geringsten interessiert. Ich lasse meine Gedanken einfach schweifen. Das tue ich in letzter Zeit sehr oft.
"Wie sehe ich aus?", frage ich und versuche, das leichte Zittern in meiner Stimme zu verbergen. Ich betrachte mich im Spiegel. Ich trage den marineblauen Pullover, den mir meine Mutter letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat mit einem schönen Mantel und einem Schal. Ich sehe gut aus, aber die Jeans hält es lässig denke ich.
Ich beobachte, wie Sirius in der Reflexion des Spiegels seinen Kopf leicht von seiner Zeitschrift abwendet und mich kurz anschaut. Und wendet seinen Kopf wieder den verlockenden Seiten zu. "Wie ein Wichser."
"Ich hasse dich."
"Nein das tust du nicht", lacht er.
"Wie auch immer", murmle ich, ziehe das Stück Pergament aus meiner Tasche und studiere es aufmerksam.
"Um Himmels willen", seufzt Sirius verzweifelt. "Würdest du dich verdammt noch mal beruhigen?"
"Tatze", sage ich und wende mich ihm zu. "Das ist Lily und Lilys Schwester."
"Ja?"
"Du kennst doch die Geschichten über dieses Mädchen!" Ich explodiere und warte auf eine lebhaftere Antwort von meinem besten Kumpel.
Er blinzelt mich an. "Das Mädchen ist also eine Schlampe, na und? Du bist mit Jenna ausgegangen Krone. Du hast das unter Kontrolle."
"Werdet ihr die Sache mit Jenna jemals aufgeben?"
Er lächelt mich an. "Lass mich es für dich singen." Er räuspert sich. "Fuckkkkk nooooo."
"Schreckliches Cis Kumpel", kommentiere ich. "Reiss dich zusammen."
Er hebt schweigend den Mittelfinger, ich lache. "Im Ernst", sage ich. "Wie sehe ich aus?" Ich strecke meine Arme aus, damit er mein Outfit besser begutachten kann.
"Ernsthaft?" Er grinst.
"Du bist unmöglich." Ich rolle mit den Augen und schaue noch einmal auf das Pergament mit Lilys Adresse bevor ich auf der Stelle appariere.
Ich komme vor einem roten Backsteinhaus, an das sich malerisch zwischen riesige Waldstücke schmiegt. Ich atme tief ein und gehe zur Haustür. Die Klinke dreht sich und mir wird bewusst, wie nervös ich bin.
Eine bekannte Rothaarige öffnet die Tür. "James", lächelt sie.
Ich bin sprachlos, als ich sie anstarre. Ihr rotes Haar ist gelockt, so dass es in langen lockeren Wellen über ihre Schultern und ihren Rücken fällt. Ihr Make-up - was auch immer sie benutzt hat - lässt ihre grünen Augen so intensiv funkeln, dass ich gar nicht mehr wegsehen möchte. Ihr schwarzes Kleid reicht ihr bis zu den Knien, hat lange Ärmel und schmiegt sich an allen richtigen Stellen an ihren Körper.
"Hey Lils, hauche ich schliesslich. "Bereit für unser Doppeldate?"
Die Nacht endete furchtbar. Ich erschaudere innerlich, wenn ich daran denke, was für einen Arsch ich aus mir gemacht habe. Das war mein erster Abend, an dem ich Lilys Familie traf und der Abend endete mit Lily in Tränen. Ich unterdrücke ein Stöhnen, als ich mich an die Scham erinnere, die mich überkam als Vernon und Petunia aus dem Restaurant stürmten und Lily und mich allein und beschämt zurückliessen.
Ich hätte ihnen nachlaufen sollen, auch wenn Lily gesagt hat, dass ich das nicht tun muss. Ihre Eltern hielten mich wahrscheinlich für einen absoluten Idioten. Mir dreht sich der Magen um bei dem Gedanken, dass sie mit dem Gedanken sterben ihre Tochter mit dem grössten Arsch Grossbritanniens zurückzulassen.
Ein Stück Pergament schwebt unter meiner Nase hindurch und landet mit der Vorderseite nach oben auf meinem Schreibtisch.
Bist du okay Krone? Du siehst aus, als würdest du gleich kotzen. -S
Ich hole eilig eine Schreibfeder hervor und schreibe eine Antwort.
Es geht mir gut. - J
Keine Minute später landet eine Antwort auf meinem Schreibtisch.
Lüg mich nicht an James Fleamont. -S
Ich verdrehe die Augen über die Verwendung meines zweiten Vornamens, kritzle aber trotzdem eine Antwort.
Ich denke gerade an den Abend, an dem ich mit Lily und ihrer Schwester zu einem Doppel-Date ging. Ihre Eltern dachten wahrscheinlich, ich sei ein schrecklicher Mensch. Sie sind wahrscheinlich bei dem Gedanken gestorben, dass sie ihre Tochter einem Idioten überlassen haben, der sich nicht gut um sie kümmern wird. -J
Ich beobachte Sirius, als er meinen Zettel liest. Seine Augen weiten sich und er dreht sich zu mir um. Gerade als seine Feder das Papier berührt schwebt Professor Binns zwischen unseren Tischen.
"Ist mein Vortrag nicht interessant genug für Sie Mr. Back und Sie Mr. Potter?"
Sirius verdreht die Augen. "Ehrlich Kumpel du solltest es vielleicht ein bisschen aufpeppen."
"Nachsitzen", antwortet er. Seine Stimme ist zu monoton, um Ärger zu vermitteln. "Freitagabend in meinem Büro."
Der Unterricht ist bald zu Ende und wir gehen alle ohne Lily hinaus. "War es das wirklich wert?", fragt Peter.
"Auf jeden Fall", grinst Sirius.
"Ich gehe Lily suchen", sage ich und trenne mich von den dreien.
"Ich komme mit", fügt Sirius hinzu und joggt hinter mir her.
"Das musst du nicht", sage ich.
"Ich möchte mit Ihnen sprechen", sagt er in einer untypisch ernsten Art. "Ihre Eltern hielten Sie nicht für einen schrecklichen Menschen. Sie haben mir die Geschichte erzählt dass der Kerl ein Arsch war. Ich bin sicher sie haben es verstanden."
"Ja", murmle ich. "Du musst ja nicht mitkommen wenn du das nur sagen wolltest."
"Nein", zwinkert er mir zu. "Ich habe etwas von Lilys Lieblingsschokolade."
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