drei
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Das Radio summt leise im Hintergrund, während ich meinen Blick konzentriert auf die Straße gerichtet und nach einer Tankstelle Ausschau halte, Lima genießt mit geschlossenen Augen den Fahrtwind. Der Gedanke, dass der Mensch hinter der Kasse uns nie im Leben Alkohol und Zigaretten verkaufen wird, geht mir nicht aus dem Kopf. Ich habe weder einen Fakeausweis, noch sehe ich älter aus. Eher im Gegenteil. Tante Judy kneift mir immer noch in die Wange, wenn sie zu Besuch kommt und das macht sie nicht einmal mehr bei Theo. Er ist acht. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich ihr Lieblingsneffe bin, was ihr natürlich nicht zu verübeln wäre.
„Wie sollen wir eigentlich an das Zeug kommen? Also, ich hab das natürlich schon öfter gemacht, aber ich weiß ja nicht, ob du mit meinen Methoden einverstanden bist. Die sind ziemlich hart." Natürlich habe ich die Kacke noch nie gemacht, aber ich will nicht wie die absolut größte Lusche wirken. Ich muss mein Image aufrecht erhalten. „Naja, wenn wir es auf meine Methode machen, nehmen wir den Revolver." Ich schaue ruckartig geschockt zu Lima, die todernst aussieht und muss schwer schlucken. Klar, ich will Spaß haben, aber ehrlich gesagt wollte ich niemanden abknallen, ich weiß nicht mal, ob es mir überhaupt Spaß machen würde. Auch, wenn wir den Leichentransporter schon dabei haben. Als Lima dann wieder in Gelächter ausbricht, wird mir bewusst, dass ich mich schon wieder habe verarschen lassen. Aber ehrlich gesagt würde ich ihr alles zutrauen und in ihrer Gegenwart mir auch. „Wir improvisieren, Anton. Wenn man einen Plan hat, läuft es erst recht anders." Ich weiß nicht, inwiefern mich diese Frage befriedigen sollte. Improvisieren. Das könnte von einem Ablenkungstanz, bis hin dazu reichen, dass ich Hose samt Unterhose runterziehe. Nicht, dass ich es vorhätte.
Nach ein paar Minuten entdecke ich ein grell leuchtendes Tankstellenschild und verlangsame das Tempo, woraufhin der Motor schon wieder komische Stimme macht. So ein scheiß Auto ist pflegebedürftiger als mein, im Koma liegender, Opa. Ich drücke die Kupplung und schalte einen Gang runter, wodurch es wieder normaler klingt. Hinter mir hupen einige Fahrer, die mich kurz darauf wütend gestikulierend überholen. Entweder bin ich zu langsam oder die Typen haben einfach besonders dicke Eier. Vorsichtig biege ich nach rechts ab und lasse das Auto mit genug Abstand neben eine Zapfsäule rollen. Ich drücke auf die Bremse, bis es hält und natürlich geht plötzlich der Motor ganz aus. Mein erster Reflex wäre wütend auf alle Pedale zu treten, aber ich kann mich beherrschen und ziehe einfach den Schlüssel aus dem Zündschloss. Ich steige aus und schließe überfürsorglich den Wagen ab, da mein Vater mich töten würde, wenn das Ding geklaut wird. An der Beifahrertür angekommen sehe ich Lima, die aufwendig aus dem Fenster hinaus klettert, anstatt wie alle normalen Menschen die Tür zu nehmen. Ich öffne schon meinen Mund, als sie zu mir sieht und mich unterbricht. „Die metaphorische Bedeutung." Zwar habe ich absolut keinen Plan, was die Bedeutung sein soll, aber bei Lima hat alles eine metaphorische Bedeutung. Selbst das Atmen. Scheinbar hatte ich kurz vergessen, dass sie alles andere als normal ist. Ich tippe nervös mit dem Fuß auf den Boden und warte darauf, dass sie sich aus dem Fenster zwängt. Am Boden angekommen, streicht Lima ihr Kleid glatt und die Haare aus dem Gesicht, schenkt mir ein Lächeln, das wahrscheinlich die größte Bedeutung überhaupt hat und geht zielstrebig auf den Eingang zu. Kurz bin ich so damit beschäftigt, ihr hinterher zu schauen, dass ich das Laufen und Atmen vergesse und ihr deswegen, als ich zu Besinnung komme, schnell und ein wenig peinlich berührt nachlaufe.
Die Schiebetüren öffnen sich automatisch und wir treten in die stickige Tankstelle ein, woraufhin uns der Verkäufer kurz zunickt. Der Typ ist schätze ich Anfang zwanzig, seine Haare sind schmieriger als geschmolzene Butter und er sieht aus, als würde er Kinder mit seiner eigenen Schwester zeugen. Wenn wir Glück haben, ist er auch noch so hohl, dass er uns selbst einen Panzer verkaufen würde. Lima packt mich an der Hand, was schlimmere Stromschläge als ein Electrophorus Electricus verursacht (glaubt mir, es hat höllisch wehgetan) und steuert auf das Regal mit dem Alkohol zu. Unzählige Flaschen mit komischen Namen stehen dort und ich habe keine Ahnung, was davon gut schmeckt und was nicht. Wobei mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit alles scheiße ist. Lima beäugt jede Flasche mit kritischem Blick, entscheidet sich aber schlussendlich ganz klassisch für Wodka. „Hohe Prozentzahl. Billig. Was will man mehr?" Sie drückt mir die Flasche in die Hand und geht als nächstes zu den Zigaretten, von denen sie irgendeine Schachtel greift und sie mir ebenfalls überreicht. Mit dem Zeug und weichen Knien gehe ich langsam zur Kasse und lockere nervös meine Krawatte ein wenig. Ich lege die Waren vor den Schmierlappen und schaue ihn abwartend an, doch er zieht nur die Augenbrauen nach oben und schmatz unbeirrt auf seinem Kaugummi weiter. „Perso." Bums die Henne, was ein Dreck. Ich wusste es. „Entschuldigen Sie bitte, wir haben beide unseren Ausweis vergessen." Lima setzt ihre freundlichste Stimme auf und klimpert mit den Wimpern, doch der Typ bleibt immer noch unbeeindruckt. „Kein Ausweis, kein Alkohol und Zigaretten. Das Småland ist übrigens da hinten. Eure Mamis warten doch schon bestimmt."
Am liebsten würde ich an Ort und Stelle heulen, doch ich kann mich gerade noch so beherrschen. Lima im Gegensatz scheint sich kein bisschen unwohl zu fühlen. „In Ordnung... Bo." Tatsächlich steht auf dem kleinen Schildchen Bo. Für mehr als zwei Buchstaben hat das Gehirnvolumen seiner Eltern wohl nicht gereicht. Oder sie fanden das Baby so hässlich, dass sie sich nicht mehr Mühe mit dem Namen geben wollten. „Ich müsste nur noch mal kurz für kleine Mädchen. Setz dich ruhig schon ins Auto, Anton." Verwirrt, aber gefügig, lasse ich alles stehen und gehe mit zögerlichen Schritten zurück zum Auto. Von dort aus starre ich zur Tankstelle, aus der, wenige Minuten später, Lima gelaufen kommt. Doch anstatt traurig oder sauer zu schauen, grinst sie über beide Backen, rennt die letzten Meter bis zum Auto und steigt sogar ganz normal durch die Tür ein. „Na los! Fahr, fahr, fahr!" Ich starte den Motor und versuche so schnell wie möglich anzufahren und schaffe es sogar, nur ein einziges Mal abzuwürgen. Mit ordentlich Gas brettern wir vom Hof, hinauf auf die Straße und ich könnte nicht verwirrter über die plötzliche Flucht sein. Lima lacht ausgelassen und dann sehe ich, wie sie erst den Wodka, dann die Zigaretten und noch eine kleine Tube hervor holt. „Wie-" „Gott, war der Kerl bescheuert. Ich hab doch gesagt, wir improvisieren. Du musst mir nur vertrauen."
Überrascht und beeindruckt steige ich in Limas Lachen ein und mir fällt ein riesiger Schweizer Käse vom Herzen. „Wie kann man nur so boscheuert sein?" Wir krümmen uns vor Lachen und ich wische mir eine Träne aus den Augen. Boscheuert passt wie die Faust auf's Auge, auch, wenn er sicherlich nichts dafür kann, dass er kein Wasser zu Hause hat. „Fahr da vorne ins Industriegebiet." Ich folge ohne Widerrede ihrer Anweisung und biege ein paar Meter weiter nach links ab, dieses Mal sogar ohne komische Motorgeräusche. Auf einem leeren Parkplatz halte ich an, ziehe den Schlüssel und steige erneut aus, nur dieses Mal nicht, um zu klauen. Lima klettert wieder aus dem Fenster, wobei ich sie amüsiert betrachte, greift nach den Sachen und setzt sich dann galant vor mich auf die Motorhaube, was ein Bild für die Götter ist. Womit habe ich diesen Augenorgasmus verdient?
Sie holt lässig eine Zigarette aus der Schachtel, die sie sich zwischen die Lippen klemmt, während ich das Feuerzeug aus meiner Hosentasche ziehe, das ich eben eingesteckt hatte und zünde sie an. Die Zigarette natürlich. Lima zieht einmal tief, beginnt sofort kräftig zu husten und reicht mir die glimmende Stange. Ich mache es ihr gleich, doch will wirklich nicht husten, um den Coolheitsfaktor zu erhöhen, weswegen mir erst der Rauch aus der Nase kommt und ich das Husten schlussendlich nicht mehr unterdrücken kann. Der giftige Qualm kommt Stoßweise aus meiner Mundhöhle und ich greife nach dem Wodka, von dem ich locker den Deckel wegschnippse und einen großen Schluck nehme. Ich verziehe angeekelt das Gesicht, was Lima zum Lachen bringt und sie dazu verleitet, selbst einen großen Schluck zu nehmen. Ihre Reaktion unterscheidet sich dabei nicht viel von meiner. Es schmeckt wirklich viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe und glaubt mir, ich gehe immer vom Schlimmsten aus. Trotzdem nehmen wir weitere Züge und Schlücke und machen uns über die Reaktionen des Anderen lustig.
„Du hättest gar kein Geld dabei gehabt, hab ich Recht?" Sie schaut belustigt zu mir, während ich selbstsicher mit den Händen in meine Taschen fahre, um bloß ein Kaugummipapier zu spüren bekommen. Die Hitze schießt mir ins Gesicht und ich bin mir sicher, dass mein Kopf roter als der von Papa ist, wenn er vor lauter Brüllen keine Luft mehr bekommt. Manchmal sieht er dann aus wie ein roter Ballon, der gleich platzt. „Wenn er sich nicht mit Kaugummipapier hätte bezahlen lassen..." Ich halte das Papier beschämt in die Höhe, woraufhin Lima lachend den Kopf schüttelt. „Du bist lustig, Anton." Ihr plötzliches Kompliment lässt mich verlegen auf den Boden schauen, was ihr Grinsen gleichzeitig noch breiter werden lässt. „Und weißt du, was auch lustig wäre?" Sie springt von der Motorhaube, geht zur Beifahrertür und kommt mit dieser komischen Tube und dem Edding zurück. „Wenn wir Markus Derrington einen kleinen Besuch abstatten würden", fügt sie verschwörerisch grinsend hinzu und wedelt mit den beiden Gegenständen in der Luft herum. Nur weiß ich nicht, warum wir Markus besuchen sollten, ich kann ihn nicht leiden, er mich nicht und das wird sich sicherlich auch nicht ändern. „Ich finde, eine kleine Rache für das, was er dir in der Sechsten angetan hat, könnte nicht schaden. Zufällig weiß ich, wo er wohnt und dass sein Zimmer im untersten Stock ist. Und so wie ich ihn kenne, liegt er sturzbetrunken wie ein kleines Baby in seinem Bett und ist tief und fest am Schlafen."
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Lima dafür verantwortlich war, dass Markus einen Tag nach seiner Tat mit einem fetten IDIOT auf seiner Stirn in die Schule kam. Ich musste ultradringend auf Klo und als ich mich endlich getraut hatte, die Lehrerin zu fragen, ob ich gehen darf, kam Markus hinterher und hat mir den Weg zu den Toiletten versperrt. Da meine Blase sowieso kurz vorm Platzen war, dauerte es nicht lange, bis die eigene Pisse meine Beine hinunterlief und Markus mich vor der ganzen Schule bloßstellte. Bin ich bis heute deswegen geschädigt? Definitiv. Habe ich mich je gerächt? Nein. Doch jetzt habe ich die weibliche Version von Robin Hood an meiner Seite, mit der ich Markus Derringtons Würde stehlen und an mich verteilen werde. Wenn das nicht Gerechtigkeit ist, was dann? Neugierig schaue ich mir die Tube genauer an und kann erfreut das Wort 'Enthaarungscreme' lesen. Wo Lima die plötzlich her hat, ist mir ein Rätsel, doch so lange sie für die Wiederherstellung des Weltfriedens eingesetzt wird, kann es mir auch egal sein. „Augenbrauen. Enthaarungscreme. Edding. Und vielleicht lassen wir ihn noch in die Hose machen." Ich kann nicht verhindern, dass ein teuflisches Grinsen auf meinen Lippen entsteht, während Lima und ich wortlos unsere Gedanken austauschen, sie durchs Fenster ins Auto steigt und ich den Motor aufheulen lassen. „Der Edding lag hier übrigens, hoffe es ist in Ordnung ihn für gemeinnützige Zwecke zu entwenden." „Geht klar, meine Mutter kann sich ruhig einen anderen besorgen, um ihre Augenbrauen nachzufahren." Nun ist es Lima, die verdattert dreinblickt und ich, der sich darüber lustig macht, dass sie tatsächlich drauf reingefallen ist. Diese Nacht entwickelt sich zu allem, von dem ich je geträumt habe.
Markus Derrington, dein aufgequollenes Gesicht wird scheiße mit zu wenig, beziehungsweise zu viel Augenbraue aussehen.
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