33
Ein zweites Mal lichtete sich der Rauch und ich trat aus einer Seitenstraße hervor. Der Lärm schlug mir regelrecht entgegen und als ein Auto vor mir vorbei raste, zuckte ich tatsächlich zusammen. Blinzelnd musste ich mich wieder an die geteerte Straße, den dichten Häusern und dem vielen Lärm gewöhnen. Nicht, dass das hier eine Großstadt war. Ich hatte nur mehrere Monate in der Nähe des Waldes oder im Wald verbracht. Ganz abgesehen davon, dass die Welt der Elementes komplett anders war.
Vermutlich wirkte ich eigenartig, als ich mit Schwert und fast schon mittelalterlicher Kleidung durch die Straßen lief. Aber dafür hatte ich keine Zeit, meine Augen war nur auf das Haus auf der anderen Seite. gerichtet. Das vertraute Haus, dass ich sechzehn Jahre lang mein zu Hause genannt hatte.
Ob das immer noch so war, wusste ich nicht.
Je näher ich kam, desto langsamer wurden meine Schritte, bis ich vor der Treppe zur Haustür stehen blieb.
Wie viele Monate hatte ich sie jetzt nicht gesehen? Drei? Vier? Wie viel wusste sie? Dachte sie vielleicht ich sei tot?
Meine Beine waren weich und gehorchten mir fast nicht mehr. Trotzdem erklomm ich die kleine Treppe und hob meine Hand um zu klingeln.
Mein Finger schwebte vor dem silbernen Knopf und in meinem Kopf drehte sich nur ein Gedanken.
Wie wird Irina reagieren?
Hier war es noch schwieriger, als bei den anderen. Ich hatte sie schon lange nicht gesehen und konnte auch gar nicht einschätzen, wie viel sie wusste oder wie sie reagieren würde.
Schließlich riss ich mich zusammen, straffte die Schultern und rammte meinen Finger regelrecht auf die Klingel. Von innen vernahm ich ein Klingeln und kurz darauf folgten Schritte.
Ich hielt den Atem an, als die Schritte stehen blieben und die Tür sich öffnete.
Irina sah mich aus ihren grünen Augen an. Ihre blonden Haare waren nach wie vor gelockt, aber sie hatte sie auf Schulterhöhe abgeschnitten. Über einem weißen Langarm-Shirt hatte sie sich eine grüne Strickjacke geworfen, die bis zu den Waden ging. Dazu trug sie eine normale Jeans und lief in Hauspantoffeln.
Sie brauchte einen Moment, aber dann wurden ihre grünen Augen groß.
„Lillith?", es war kaum mehr als ein Flüstern.
Kaum hatte ich genickt, fand ich mich in ihrem Armen wieder. Sie drückte mich so stark an sich, dass ich Schwierigkeiten hatte Luft zu bekommen.
„Sie sagten du wärst tot.", ihre Schultern bebten, „Sie sagen mir du wärst tot."
Ich umarmte sie ebenfalls und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. „Die Schule hat dir alles erzählt?"
Sie nickte und strich mir über den Rücken.
„Es tut mir so leid. Es ist schrecklich, in was du da reingeraten bist."
Ein Gewicht viel von mir ab und ich atmete aus. Sie wusste schon längst Bescheid und hasste mich nicht.
„Ich muss dir vieles erklären.", brach ich hervor und Irina trat schnell zurück. Sie weinte noch, aber ein breites Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
„Begonnen damit, warum man mir erzählt hat, du wärst tot", sagte sie und zog mich in die Küche.
Schluchzend deutete sie mir mich an den Tisch zu setzten, während sie flink Kekse auf den Tisch stellte.
„Du lebst", wiederholte sie ungläubig, aber erleichtert und reichte mir mit zitternden Händen eine Tasse Tee, „Ich glaub es nicht, du hast Blutmond und den Dunklen Mond überlebt."
Ich wollte sie nehmen, aber hielt in der Bewegung inne. Mit eine Vorahnung im Bauch fragte ich.
„Was genau haben sie dir erzählt?"
Irina runzelte die Stirn und stellte die Tasse vor mir ab. Dann drehte sie sich um, um ihre eigene von der Arbeitsfläche zu holen.
„Sie sagten mir, dass an Blutmond fünfzehn Schüler ums Leben gekommen sind. Der Dunkle Mond hat die Schule angegriffen und es soll ein regelrechtes Blutbad gewesen sein. Und du hast dich freiwillig gemeldet mit einigen anderen die Schule zu verteidigen. Dabei hast du nicht überlebt."
Sie setzte sich mir gegenüber an den Tisch. Ihre Tränen trockneten langsam, aber ihre Augen leuchteten.
Als ich nichts erwiderte und mich nicht regte, griff sie über den Tisch nach meiner Hand. Liebevoll strich sie mit den Daumen über meinen Handrücken.
„Ich dachte du wärst tot. Aber das Universum meint es gut mit mir." Ich hörte die Erleichterung in ihrer Stimme. „Und jetzt will ich hören, wie du überlebt hast und warum zum Teufel die anderen sagen du bist tot."
Ich brachte kein Wort heraus. Sie dachte ich war einer der Opfer. Sie wusste nicht, dass ich diese Leute getötet hatte.
Sie runzelte wieder die Stirn und beugte sich besorgt vor. „Lillith? Du bist so blass. Was ist los?"
Die Tasse war heiß, aber ich spürte es nicht als mein Griff um sie immer fester wurde.
Irina ahnte von nichts. Ich musste ihr jetzt beibringen, dass ich ein Monster, eine Mörderin war.
Ich schwang mein Schwert und versenkte es im Körper eines Schülers. Danach nahm ich mir den nächsten vor. Und den nächsten. Meine Magie gehorchte mir auf stumme Befehl. Blut besudelte meine Hände und färbte meine Klinge rot. Die Magie des Mondes jagte durch meine Adern und ich streckte meine Schwingen. So fühlte sich Macht an.
DieTasse zersprang und heißer Tee floss auf meine Hand. Zischend nahm ich die Hand zurück und Irina sprang erschrocken auf. Hastig holte sie ein Tuch und wischte mir den Tee von der zitternden Hand.
Deine Magie hat die Tasse zerspringen lassen. Ich musste einen kleinen Teil rauslassen. Deine Gefühle werden stärker.
„Was ist los?", fragte Irina nochmal. Sie hielt nach wie vor meine Hand und wischte mit dem Tuch den Tee ab. Meine Haut brannte ein wenig, aber es bildeten sich keine Blasen.
„Lillith rede mit mir."
„Ich bin der Dunkle Mond", stieß ich es hervor, „Ich bin es."
Irina hielt Inne.
„Was hast du gesagt?"
„Ich...", nach einem Schlucken startete ich nochmal neu, „Ich bin der Dunkle Mond."
Sie blinzelte und kaum waren meine Worte bei ihr eingedrungen, zog sie ihre Hände weg, als hätte sie sich verbrannt. Genauso gut hätte sie mir ins Gesicht schlagen können.
„Irina...", hauchte ich, als sie aufstand und Abstand zwischen uns brachte.
„Du... du willst damit sagen du hast die Elementes an Blutmond.... getötet?", ihre Stimme zitterte so stark wie meine Hände.
Langsam stand ich von meinem Stuhl auf und sofort spannte sie sich an.
„Ja", antwortete ich leer.
Irina schlug sich die Hand vor den Mund und ich sah Tränen in ihren Augen treten. Nur diesmal waren es keine Freudentränen.
„Wie konntest du das nur tun?", fragte sie angewidert und trat noch einen Schritt zurück.
Ich sah den Verrat in ihren Augen und mir wurde schlecht. Meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt und die Kälte in meinem Inneren wurde immer stärker.
„Meine Magie hat auf das Ungleichgewicht reagiert. Sie ist außer Kontrolle geraten", versuchte ich verzweifelt zu erklären, „Ich konnte es nicht beeinflussen. Glaub mir, ich wollte niemals, dass sowas passiert."
Irina schüttelte nur den Kopf. Ihre Hand lag noch immer auf ihrem Mund und ich merkte, dass sie zitterte.
„Irina, ich ... ich kann nichts dafür", kaum hatte ich es ausgesprochen, wusste ich, dass es wahr war. Ich hätte es nicht verhindern können.
„Ich habe den Dunklen Mond großgezogen", hauchte sie mit wachsendem Grauen eher zu sich selbst, als an mich gerichtet, „Du bist eine Mörderin."
„Irina...", meines Stimme brach.
Sie riss den Kopf hoch. „Geh."
Ich zuckte zurück und starrte sie an.
„Nein... nein, du musst es verstehen: ich wollte das alles nicht. Ich..."
Irina unterbracht mich hart: „Geh."
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kamen keine Worte raus. Dafür spürte ich nur wie sich ein Messer direkt in mein Herz bohrte. Meine Hand zuckte zu meiner Brust.
„Meine Tochter... der Dunkle Mond", ich hörte den Schmerz in ihrer Stimme, „Du bist nicht die Lillith, die ich großgezogen haben wenn das Blut von fünfzehn leben an deinen Händen klebt."
Sie stoppte und holte zitternd Luft. Tränen liefen ihr über die Wangen, während ich Irina nur benommen ansehen konnte.
Sie konnte mich nicht mal ansehen als sie sagte: „Verlass mein Haus."
„Ok", meine Stimme war kalt und ohne jedes Gefühl. „Du wirst mich nicht noch einmal wiedersehen."
Auf der Stelle drehte ich mich um und stürzte zur Tür. Meine Sicht verschwamm und ich stolperte die Treppe runter.
Unten gaben meine Knie nach, aber ich fing mich ab und rannte los. Erst als ich zwei Straßen weiter in eine Seitenstraße abgebogen war, ließ ich mich gegen eine Wand fallen.
Ich schluchzte und rutschte hinunter. Tränen rannten in Wasserfällen über mein Gesicht und ich zog bebend die Beine an die Brust. Meinen Kopf vergrub ich hinter meinen Armen.
Irina hatte mich gerade verstoßen, weil ich der Dunkle Mond war. Weil ich eine Mörderin war.
Ich fühlte zwar nichts außer eine eisige Kälte, die langsam meine Knochen überzog, aber das Loch, das in den letzten Wochen immer weiter in den Hintergrund gerückt war, tat sich gähnend vor mir auf.
Sie hatte nicht mal genau hören wollen, warum. Für sie war ich in dem Moment gestorben, in dem ich ihr gestanden hatte, was ich war.
Ich schrie und vergrub meinen Kopf noch tiefer.
Lillith, sie mich an.
Ich antwortete nicht. Ich spürte nur das große Loch mit der Dunkelheit, die seine Finger nach mir ausstreckte.
Wie hatte ich auch so dumm sein können? Wie hätte ich von Irina erwarten können mich noch immer zu lieben?
Lillith! Hör mich an!
Es war so unfassbar dumm von mir hierher zu kommen. Ich hatte mir der idiotischen Hoffnung hingeben, meine Dämonen zu überwinden. Dabei würde das nie möglich sein.
Eine Hand berührte mich an einem Arm und ich riss meinen Kopf hoch. Mein Atem war flach und meine Muskeln verkrampft.
Der Dunkel Mond kniete vor mir und sah mich aus komplett schwarzen Augen an. Wie üblich trug er die violette Tunika und schwarze Hose. Sein rabenschwarzes Haar fiel ihn in Strähnen ins Gesicht, als er mich besorgt ansah.
„Lillith, du kannst nichts für Blutmond."
Ich schwieg und sah ihn leer an. Sein Worte drangen nicht zu mir durch.
Jetzt legte er seine zweite Hand auf meine Schulter und sagte eindringlich: „Das macht dich nicht zu einem Monster! Ein Monster hätte kein Gewissen und hätte es nicht bereut. Es lag am Ungleichgewicht."
Wieder reagierte ich nicht und wendete meine Augen ab.
Hoffnung. Sie war genauso schön wie grausam. In dem Moment, in dem man sie verlor, bohrten sich Splitter direkt in das Herz.
Der Dunkle Mond merkte, dass ich wieder in meinen Gedanken versank und schüttelte mich.
„Was passiert ist, ist passiert. Irina hatte kein Recht dazu, dich rauszuwerfen. Sie kennt die Geschichte nicht.", er wurde lauter, „Sie liegt im Unrecht."
Innerlich taub blinzelte ich.
„Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich habe das schon tausendmal durchgemacht. In all meinen Tausend von Leben ist es immer wieder passiert, dass man uns den Rücken zugewendet hat. Die Menschen fällen ein Urteil, mit Bruchteilen von dem, was wirklich passiert ist. Du musst den Schmerz akzeptieren und loslassen. Es gibt Dinge, die du nicht beeinflussen kannst."
Er holte Luft und schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren sie fast schon flehend.
„Bitte versink nicht wieder in der Dunkelheit. Ich werde das nicht aushalten. Nicht, wo du gerade begonnen hast den Weg nach oben zu finden."
Mit verquollenen Augen sah ich ihn an und sagte zitternd: „Irina hat mich verstoßen."
„Ich weiß. Und das tut unglaublich weh. Ich kann deine Gefühle spüren, ich unterdrücke sie ja immer noch.", er schluckte, „Es ist sehr schwer sie zu halten."
Darauf erwiderte ich nichts und sah zu Boden.
„Hör zu. Du musst aufstehen, zu Alenia zurück und dann zu den Savern. Du darfst das Gleichgewicht nicht vergessen."
„Ist das der Preis?", fragte ich erstickt und er runzelte die Stirn.
„Was meinst du?"
„Der Preis für das Gleichgewicht.", erklärte ich, „ Du sagtest mir es wird nicht einfach."
Seinen Augen wurden noch dunkler, als sie es ohnehin schon waren.
„Nein, das ist nicht der Preis.", gestand er.
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Ist es schlimmer?"
Eine Weile schwieg er. Der der Dunkle Mond wandte anschließend den Blick ab und sagte leise: „Für manche ja, für manche weniger."
„Was ist es?"
Aber er schüttelte bestimmt den Kopf und weigerte sich, es mir zu sagen.
Stattdessen forderte er mich erneut auf: „Geh zurück. Lass das hier hinter dir."
Ich seufzte und lehnte meinen Kopf gegen die Wand.
„Das geht nicht so leicht."
Irina hatte mich gerade aus ihrem Haus geworfen. Ich hatte ihren Blick gesehen, als ich ihr gesagt hatte, wer ich war. Das hatte mit ihrer Reaktion am meisten wehgetan.
Eine erneute Eiseskälte überschwappte mich und ich sah das konzentrierte Gesicht des Dunklen Mondes.
„Lillith, du hast keine Zeit, um hier auf dem Boden zu sitzen. Das Gleichgewicht braucht dich jetzt."
„Ich werde nicht mal stark genug dafür sein.", entgegnete ich resigniert.
„Du schaffst das.", versicherte er mir entschieden, „Ich helfe dir dabei. Genauso wie Alenia und Devom garantiert auch. Du bist nicht allein."
Ich schwieg, aber meine Tränne trockneten. Innerlich entfernte ich mich von Irina und verschloss sie irgendwo tief in meinem Inneren. Genauso verscheuchte ich die Gedanken und zwang mich an das zu erinnern, was ich wusste:
Ich hatte keinen Einfluss auf Blutmond.
Ich hätte es nicht verhindern können.
Es war nicht meine Schuld.
Ich war kein Monster.
Auch wenn ich noch lernen musste das alles wirklich zu glauben.
An die Wand gestützt zwang ich mich aufzustehen.
Es war längst nicht alles gut. Die Kälte blieb und wenn der Dunkle Mond meine Gefühle nicht kontrollieren würde, würde der Schmerz noch immer da sein, aber vorerst war ich gefasst genug, um aufzustehen.
„Also gut.", meine Stimme war noch immer leer, „Lass uns zurück gehen."
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